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Kurt öffnete. Der Schein des Lichtes drang in den dunklen Raum, in dem vier gefesselte Gestalten zu erkennen waren.
»Kommst du, um uns herauszulassen?« fragte einer heisere Stimme.
Es war die Gasparino Cortejos, der glaubte, daß Manfredo käme.
»Herauslassen? Dich, Schurke?« rief Grandeprise, indem er Sternau die Laterne aus der Hand nahm und eintrat. Cortejo starrte ihn an.
»Grandeprise!« stöhnte er. – »Ja, Grandeprise bin ich, und endlich habe ich dich und meinen teuren Bruder! Oh, dieses Mal lasse ich mich nicht täuschen, dieses Mal sollt Ihr nicht entkommen.« – »Wie kommt Ihr hierher?« fragte Gasparino. »Hat der Pater Euch an Manfredos Stelle zum Kerkermeister gemacht? Laßt uns fliehen, und ich belohne Euch mit einer Million Dollar.« – »Mit einer Million? Wicht! Kein Pfennig ist dein Eigentum. Es wird dir alles genommen werden, selbst dein armseliges Leben.« – »Weshalb? Ich habe nichts getan.« – »Nichts, Schurke? Frage den hier!«
Grandeprise ließ das Licht der Laterne auf Sternau fallen, der hinter ihm eingetreten war. Cortejo erkannte diesen.
»Sternau!« knirschte er.
Da begannen auch sein Bruder und seine Nichte sich zu regen. Sie drehten sich um und blickten Sternau an.
»Er ist frei«, rief Josefa kreischend. – »So hat der Teufel uns betrogen«, meinte Landola, indem er einen fürchterlichen Fluch hinzufügte. – »Ja, er hat euch betrogen«, antwortete Sternau, »und Gott hat sein Gericht bereits begonnen. Ihr werdet das Loch nur verlassen, um verhört und bestraft zu werden.« – »Pah!« hohnlachte Landola. »Wer zwingt uns, zu gestehen?« – »Wir brauchen euer armseliges Geständnis nicht. Ihr seid bereits überwiesen. Aber ich würde wohl ein Mittel kennen, euch alle zum Reden zu bringen. Hast du es vergessen, Gasparino Cortejo?«
Dieser antwortete nicht.
»Ich werde es dir ins Gedächtnis zurückrufen«, sagte Sternau.
»Weißt du noch, als ich dich anschnallen und kitzeln ließ, weil ich deinen Geifer zu einem Gegengift brauchte?«
Es ging Cortejo eiskalt über den Körper.
»Graf Emanuel lebt«, fuhr Sternau fort, »aber er ist noch wahnsinnig von dem Gift, das ihr ihm gegeben. Ich brauche Gegengift. Macht euch gefaßt! Ich nehme es mir von keinem anderen Menschen als von euch.«
Damit verließ Sternau mit Grandeprise das Gefängnis und schloß es wieder zu.
»Jetzt sollst du uns zunächst den Plan dieser Gewölbe und Gänge zeigen«, sagte er darauf zu Manfredo, und sie begaben sich nach der Stube des Paters zurück, in dessen Schreibtisch sie den Plan fanden. Wer denselben zur Hand hatte, bedurfte keines Führers, so labyrinthisch die einzelnen Teile auch ineinanderflossen, das sah Sternau sofort.
Nun wollte er die geheimen Schriften des Paters sehen. Er wurde von dem Gefangenen nach der Zelle geführt, in der Señorita Emilia ihre Abschriften genommen hatte. Er blickte die vorhandenen Skripturen oberflächlich durch und untersuchte sodann die Koffer und Kisten. Dabei entdeckte er die Meßgewänder und heiligen Gefäße, die Emilia nicht angerührt hatte, obwohl dieselben ein Vermögen von mehreren Millionen präsentierten.
Sternau sah die Juwelen flimmern und fragte:
»Wem gehört das?« – »Meinem Onkel!« antwortete der Gefangene. – »Ah! Ihm? Woher hat er es?« – »Vom Kloster.« – »Er hat es gewiß geschenkt erhalten?« – »Nein. Er hat es einfach genommen und aufbewahrt. Das Kloster ging ein, da hatte das Zeug keinen Herrn mehr.« – »Schön! Es wird den richtigen finden. Jetzt wollen wir den Gang sehen, der ins Freie führt.«
Auch hier mußte Manfredo gehorchen. In Zeit von zehn Minuten standen sie vor dem geheimen Ausgang, der durch einen Haufen scheinbar zufällig hierher gekommener Steintrümmer maskiert wurde. Es genügte das Fortwälzen von drei oder vier Blöcken, um ein so großes Loch freizulegen, daß ein Mann ganz bequem eintreten konnte.
»Wie herrlich wird das passen!« meinte Kurt zu Sternau, jedoch in deutscher Sprache, um von Manfredo nicht verstanden zu werden. – »Was?« fragte der Doktor. – »Ich meine diesen geheimen Eingang in Beziehung zu den zweihundert Soldaten, die Punkt vier Uhr kommen sollen.« – »Ich verstehe dich. Glaubst du, daß ich diesen Gedanken gehabt habe?« – »Ich bin überzeugt davon.« – »Warum?« – »Weil Sie diesen Menschen nach einem verborgenen Ausgang fragten, nachdem wir von der erwarteten Einquartierung gesprochen hatten.« – »Das stimmt! Wo sollte er sie treffen?« – »Unten, wo der Klosterweg beginnt.« – »Es soll hier eine Demonstration vorgenommen werden, und zwar, um den Kaiser zu verleiten, Mexiko nicht zu verlassen. Wir müssen das hindern, sowohl des Kaisers, als auch Juarez' wegen.« – »Auch der Bewohner dieses Städtchens wegen, denn die sogenannten Soldaten, die kommen werden, sind jedenfalls nur zusammengetrommelte Räuber und Plünderer.« – »Das steht zu erwarten. Wie aber werden wir das fertigbringen? Ziehen wir die Stadtbewohner, um Hilfe zu haben, in das Geheimnis?« – »Da würden wir uns der Gefahr aussetzen, verraten zu werden.« – »Leider. Wir müssen allein fertig zu werden suchen. Bist du gewillt, an Stelle des Gefangenen hier die heimlich eintreffenden Truppen zu empfangen?« – »Natürlich!« – »Es kann das aber gefährlich sein.« – »Pah! Ich habe nicht gelernt, mich zu fürchten.« – »Schön! Sie werden aber denken, durch das Tor nach dem Kloster geführt zu werden.« – »Ich werde ihnen sagen, daß der Plan einigermaßen verraten zu sein scheine und daß Juarez einen kleinen Truppenteil gesandt habe, um das Kloster zu besetzen.« – »Schön! Sie werden also einsehen, daß sie ohne Kampf nicht durch das Tor gelangen können.« – »Und daß sie klüger tun, mir durch einen geheimen Eingang zu folgen, in welchem Fall es ihnen leicht sein würde, die Besatzung zu überrumpeln.« – »Ich bin darauf gefaßt, daß sie dir folgen werden. Aber wie wird es uns gelingen, sie zu überwältigen?« – »Wir schließen sie ein.« – »Pah, sie sind bewaffnet. Sie schießen die Türen kaputt! Wir müssen ihnen auf irgendeine Weise die Waffen abzunehmen suchen.« – »Mit Gewalt geht das nicht.« – »Hm!« meinte Kurt nachdenklich. »Da fällt mir ja ein, wie dieser Pater Hilario seine Gefangenen entwaffnet hat.« – »Du meinst das Pulver, mit welchem er uns die Besinnung nahm?« – »Ja.« – »Das wird sich bei einer so großen Anzahl wohl nicht verwenden lassen.« – »Warum nicht? Die Hauptsache ist, solches Pulver zu haben. Ich setze den Fall, wir kommen in einen Gang, der durch zwei Türen verschlossen ist und eine solche Länge hat, daß er gefüllt ist, wenn zweihundert Mann hintereinander herschreiten. Am Boden hat man, so lang der Gang ist, einen Strich dieses Pulvers geschüttet. Ich gehe voran, Sie hinterher, die Kerle aber zwischen uns. Wenn ich die vordere Tür erreiche, sind Sie zur hinteren eingetreten. Wir bücken uns und brennen das Pulver an; die Flamme läuft in einem Augenblick durch den ganzen Gang. Sie springen durch Ihre Tür zurück, ich zu der meinigen vor; wir verriegeln sie, und diese Kerle werden alle ohnmächtig.« – »Hm«, meinte Sternau nachdenklich. »Die Ausführung dieses Planes wäre möglich. Aber haben wir Pulver?«
Und sich zu Manfredo wendend, fragte er:
»Wer fertigte das Pulver an, mit dessen Hilfe Ihr uns verteidigungslos gemacht habt?« – »Mein Oheim.« – »Kennst du die Zusammensetzung desselben?« – »Nein.« – »Wird es durch Nässe verdorben?« – »Nein. Es brennt naß ebensogut wie trocken. Wir haben es in einem dumpfen Keller stehen, es zieht viel Feuchtigkeit an, hat aber noch niemals versagt.« – »So brennt es ebenso leicht wie Schießpulver?« – »Noch leichter.« – »Habt ihr davon Vorrat?« – »Ein kleines Fäßchen voll.« – »Zeige es uns!«
Sie kehrten zurück. Indem sie durch einen der Gänge schritten, meinte Sternau zu Kurt:
»Dieser Gang dürfte gerade die geeignete Länge haben.« – »Er wird zweihundert Personen fassen. Wenn ich da vorn die Tür erreicht hätte, müßte ich warten, bis Sie mir durch ein Zeichen zu verstehen geben, daß Sie eingetreten und bereit sind.« – »Ich würde ganz einfach so tun, als ob ich dir etwas zu sagen hätte, und laut deinen Namen rufen.« – »Das heißt nicht meinen richtigen.« – »Nein, sondern den Namen Manfredo, da sie dich für den Neffen des Paters halten.« – »Was aber geschieht, wenn es glückt, mit ihren Pferden? Denn Reiter kommen auf alle Fälle.« – »Sie werden die Tiere unter Aufsicht einiger Kameraden zurücklassen, und für diese letzteren sind wir jedenfalls Männer genug.« – »Richtig! Das wäre also abgemacht! Nun zunächst das Pulver sehen.«
Manfredo führte die Herren in ein kleines, niedriges Kellerchen, wo ein Fäßchen stand, das ungefähr fünfzehn Liter Inhalt zu fassen vermochte. Es war noch halb voll Pulver. Das letztere war sehr feinkörnig, vollständig geruchlos und hatte eine dunkelbraune Farbe.
»Wollen es probieren«, meinte Sternau, nahm eine kleine Quantität und kehrte eine Strecke zurück, wo er das Pulver auf eine sehr feuchte Stelle des Bodens fallen ließ. Dann putzte er das Licht und ließ eine kleine Schnuppe auf die Stelle niederfallen. Im Nu zuckte eine gelbblaue Flamme empor, und in demselben Augenblick verbreitete sich ein Geruch, der sie zur schleunigsten Flucht zwang.
»Es wird gelingen«, meinte Sternau. »Wir sind hier unten fertig. Kehren wir zu den Freunden zurück!«
Manfredo wurde in seine Zelle zurückgebracht und dort eingeschlossen; die vier Männer aber gingen hinauf, natürlich alle Türen sorgfältig hinter sich verschließend. Oben wandte Sternau sich an Geierschnabel:
»Sie kommen, wie ich hörte, aus der Hauptstadt?« – »Ja.« – »Wo hat Juarez sein Hauptquartier?« – »In Zacatecas.« – »Aber die Ortschaften nördlich dieser Stadt sind auch von seinen Truppen besetzt?« – »Natürlich!« – »Welches ist der nächste Ort von hier, wo Soldaten des Präsidenten zu finden sind?« – »Nombre de Dios.« – »Wie weit ist dies von hier?« – »Ein guter Reiter erreicht es in vier Stunden.« – »Würden Sie in der Nacht den Weg hin finden?« – »Donnerwetter! Geierschnabel und den Weg nicht finden! Das wäre ja ebenso schlimm, als wenn das Primchen den Mund nicht finden würde.« – »Wollen Sie den Ritter unternehmen?« – »Ja. Ah, wohl wegen der zweihundert Kerle, die da unten angeräuchert werden sollen?« – »Ja«, antwortete Sternau. »Sie sagen dem Platzkommandanten, was Sie wissen, und bitten ihn um eine hinreichende Anzahl Soldaten, denen wir unsere Gefangenen übergeben können.« – »Schön! Werde am Vormittag zurück sein.« – »Aber, ob man Ihnen glauben wird?« – »Sicher! Ich bin ja mit Señor Kurt durch den Ort gekommen, und wir haben den Kommandanten besucht. Er kennt mich persönlich.« – »Ah! Wirklich?« – »Ja. Er war mit dabei, nämlich bei Juarez, als dieser am Rio Grande auf Lord Lindsay stieß. Damals war er nur Leutnant, jetzt ist er bereits Major. In diesem gesegneten Land avanciert man sehr schnell.« – »Es scheint allerdings so. Soll ich Ihnen einen Mann mitgeben?« – »Wozu?« – »Man weiß nicht, was passieren kann, und ich möchte die Botschaft ganz sicher wissen.« – »Pah! Bei Geierschnabel ist sie sicher. Ich gehe nach der Venta zu meinem Pferd. In zehn Minuten bin ich unterwegs.« Er ging.
Sternau hatte nun den anderen zu berichten, was er unter dem Kloster gesehen und gefunden. Man kann sich denken, mit welcher Spannung alle seinem Bericht folgten. Als er erwähnte, daß er im Begriff stehe, eine ganze Schar Soldaten zu fangen, wollte fast jeder dabeisein, aber er schlug alle Anerbietungen mit der Bemerkung ab, daß es auffallen müsse, wenn sich viele Personen zeigen würden.
Der Hauptheld des Abends aber war und blieb doch Kurt. Sein Vater und Oheim konnten sich nicht satt an ihm sehen; er hatte nur zu erzählen, und wenn eine Frage beantwortet war, so gab es deren für diese eine gleich zehn andere, die ebenso beantwortet werden mußten.
Es war eigentümlich, daß, außer Don Ferdinando, der im Bett lag, die anderen sich verhältnismäßig wohl fühlten. Die Freude über ihre Rettung schien alle Folgen ihrer Gefangenschaft beseitigt zu haben. Man war fröhlich, munter, teilweise sogar ausgelassen und dankte das in nicht geringem Grade auch der Aufmerksamkeit, die ihnen von dem Personal des Hauses erwiesen wurde.
Es war diesen Leuten fast unmöglich, an das Geschehene zu glauben. Sie wußten natürlich, daß eine gerichtliche, strenge Untersuchung die Folge sein werde, und taten alles Mögliche, um zu zeigen, wie fern sie den Taten des verbrecherischen Paters gestanden hatten.
So verging die Nacht, und es nahte die vierte Stunde. Da machte sich Sternau auf, um sich ganz allein nach den unterirdischen Gängen zu begeben. Es blieb ihm Zeit genug, das Pulver zu streuen. Eine volle halbe Stunde später brach Kurt auf.