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Juarez war nun wieder Alleinherrscher von Mexiko. Kurt hatte der Hinrichtung nicht beigewohnt. Es widerstrebte seinem Gefühl, einen Mann sterben zu sehen, den er hatte retten wollen. Er saß zur Zeit der Exekution mit dem Kleinen André in seinem Zelt. Er hörte das Trauergeläut. Das Krachen der Gewehre drang an sein Ohr.
»Jetzt! Jetzt sind sie tot!« rief André. – »Er war bereits tot, als er mich von sich wies«, antwortete Kurt. – »War keine Rettung mehr möglich? Man hätte ihn vielleicht doch heimlich aus seinem Gefängnis entführen können.« – »Ehe Max gefangen war, konnte ich ihn retten, ohne ein Verbrechen zu begehen.« – »War es denn später eins?« – »Gewiß, und zwar ein Verbrechen, das von jedem Gesetzbuch mit hoher Strafe belegt wird. Es ist widerrechtliche Befreiung eines Gefangenen.« – »Nun, so wäre die Befreiung erst auch widerrechtlich gewesen.« – »Nein, er befand sich noch mitten unter den Seinigen. Sobald er aber in die Gewalt der Republikaner geraten war, sah ich mich gezwungen, die Hand abzulassen.« – »Hm. Sie mögen recht haben. Er hat es nicht anders gewollt.« – »Und so brauchen wir uns keine Vorwürfe zu machen. Hier aber haben wir nichts mehr zu tun. Ich wollte nur noch diese verhängnisvollen Schüsse hören. Nun bin ich Zeuge eines der größten geschichtlichen Trauerspiele gewesen und werde Querétaro verlassen.« – »Ohne Abschied oder Urlaub?« – »Ich bin von Eskobedo nicht abhängig.« – »Wohin gehen Sie?« – »Zu Juarez.« – »Ah, darf ich mit?« – »Natürlich«, nickte Kurt. – »Ah, da werde ich Señorita Emilia sehen! Geht Herr Doktor Sternau auch mit uns?« – »Ich hoffe es. Reiten Sie voraus zu ihm, damit ich ihn bereit finde, wenn ich komme!«
Am anderen Morgen ritten die drei unter Begleitung der beiden Indianerhäuptlinge nach San Luis Potosi. Als sie durch Guanajuato kamen, hielt der Kleine André an.
»Ah, meine Herren, kennen Sie dieses Pferd?«
Dabei deutete er auf ein gesatteltes Pferd, das vor einer Venta hielt.
»Das Pferd des Schwarzen Gerard«, antwortete Sternau. »Er muß hier abgestiegen sein. Gehen wir hinein.«
Aber sie brauchten nicht in das Haus zu treten. Gerard hatte sie schon gesehen und kam heraus. Er war in Santa Jaga gewesen und hatte sie aufsuchen wollen, um ihnen mitzuteilen, daß dort alles in Ordnung sei. Natürlich schloß er sich ihnen an.
Als sie Potosi erreichten und ihre Pferde untergebracht hatten, begab sich Sternau mit Kurt sofort zu dem Präsidenten, der sie empfing, obgleich er mit Geschäften überhäuft war.
»Sie bringen Trauriges?« fragte er ernst, nachdem die Begrüßungsworte gewechselt worden waren. – Ja«, antwortete Kurt. »Ich bringe den Schall der Schüsse, unter denen Max von Österreich gefallen ist.« – »So waren Sie bei der Exekution zugegen?« – »Nein. Ich mußte verschmähen, ein Schauspiel anzustaunen, das ich hatte kommen sehen.« – »Eskobedos Kurier ist bereits angelangt. Maximilian ist mutig und als Mann gestorben. Ich war sein politischer Gegner, aber nicht sein persönlicher Feind.«
Es war, als ob er es für nötig gehalten hätte, diese Entschuldigung hier auszusprechen; daher fiel Sternau schnell ein:
»Wir wissen das am besten, Señor!« – »Ah!« sagte Juarez, indem er ein leises, geheimnisvolles Lächeln bemerken ließ. »So hatten Sie mich verstanden!« – Ja, Señor, und Sie haben sich bemüht?« – »Sogar sehr eifrig, aber ohne Erfolg, sogar Leutnant Helmers hier wurde abgewiesen«, antwortete Juarez. – »So hielten Sie es also doch für möglich, Herr Leutnant, den Erzherzog – Sie verstehen?« – »Es war sogar sehr leicht«, antwortete Kurt.
Da schüttelte Juarez den Kopf, trat an das Fenster und sah lange schweigend hinaus. Dann drehte er sich rasch wieder um und sagte:
»So hat er es nicht anders gewollt Er ist tot! Richten nicht auch wir noch über ihn! Ihnen aber danke ich, daß Sie meine Andeutungen verstanden und danach gehandelt haben. Man wird mich falsch beurteilen, Sie aber kennen mich besser, obgleich Sie schweigen müssen, so lange ich noch die Zügel der mexikanischen Angelegenheiten in den Händen halte. Während dieser Zeit darf kein Republikaner wissen, was ich tat und wünschte. Aber wenn ich einmal abgetreten oder tot sein werde, dann denken Sie daran, daß die Zeit gekommen sei, der Welt mitzuteilen, wie gern ich meinen Gegner retten wollte. Dies ist das Vermächtnis, das ich Ihnen anvertraue, wenn Sie das Land verlassen, das der Schauplatz einer Tragödie war, die ich weder veranlaßt, noch verschuldet habe.«
Er sprach ernst und aus bewegtem Herzen. Die beiden Zuhörer waren ebenso bewegt. Es entstand eine Pause, die Juarez mit der Frage beendete:
»Und nicht wahr, daß Sie Mexiko verlassen, wird sehr bald geschehen?« – »Wir hoffen es allerdings«, antwortete Sternau. »Aber einige Zeit werden wir immer noch unter Ihrem Schutz bleiben müssen, Señor.« – »Das freut mich. Sie wissen, daß alles geschieht, was ich für Sie tun kann. Wir müssen, ehe Sie abreisen, die Angelegenheit der Rodriganda beenden, soweit dieselbe nämlich vor das mexikanische Forum gehört.« – »An welchen Richter haben wir uns da zu wenden?« – »An mich selbst. Ich werde dafür sorgen, daß Ihre Sache in ebenso gerechte, wie eifrige Hände gelegt wird. Die Gefangenen befinden sich noch im Kloster della Barbara?« – »Ja. Sie sind sehr gut bewacht.« – »Holen Sie sie! Lassen Sie auch Marie Hermoyes, den alten Haziendero Pedro Arbellez nebst seiner Tochter und die Indianerin Karja herbeirufen.« – »Nach Potosi hier?« – »Nein. Ich werde nach der Hauptstadt gehen. Dorthin haben Sie die Gefangenen zu bringen.« – »Stehen nicht nur diejenigen, die hier geboren oder naturalisiert sind, unter Ihrer Jurisdiktion?« – »Allerdings. Ich kann zwar alle in Anklagestand versetzen, aber nur Pablo Cortejo und dessen Tochter aburteilen.« – »Und die anderen?« – »Führen Sie sie nach Spanien, wo die Angelegenheit zu beenden ist.« – »An welche Behörde haben wir uns da zu wenden?« – »An das Obertribunalgericht zu Barcelona.« – »Ich danke. Werden Sie die Untersuchung hier öffentlich führen?« – »Natürlich!« – »Ich möchte dagegen Einspruch erheben.« – »Warum?« – »Es würde von der Sache, ehe wir hier mit derselben fertig sind, so viel nach Spanien verlauten, daß die Schuldigen, die sich dort befinden, Zeit gewinnen, sich der Gerechtigkeit zu entziehen.« – »Das ist allerdings richtig. Wir werden also vorsichtig sein und die Untersuchung so diskret wie möglich führen müssen. Um aber allem vorzubeugen, werde ich mich nach Spanien unter Beifügung der Gründe mit der Bitte wenden, den Grafen Alfonzo unter eine, wenn auch heimliche, aber desto strengere Polizeiaufsicht zu nehmen. Genügt Ihnen das?« – »Vollständig, Señor!« – »Zum Transport der Gefangenen vom Kloster della Barbara nach der Hauptstadt stelle ich Ihnen ein hinreichendes Militärdetachement zur Verfügung. Wann reisen Sie ab?« – »Morgen früh. Wir wollen bis dahin die Pferde ausruhen lassen.« – »So werde ich die nötigen Befehle geben.«
Damit war die Unterredung beendet. Sternau besprach sich mit den anderen, wer nach der Hazienda reiten sollte, um die Bewohner derselben zu holen. Da Emma, Resedilla und Karja sich dort befanden, wurden Donnerpfeil, Gerard und Bärenherz gewählt. Am anderen Morgen wurde aufgebrochen.
Vorher aber wurde noch ein Herz glücklich gemacht, das ein solches Glück nicht für möglich gehalten hätte.
Nach der erwähnten Besprechung begab sich André zu Señorita Emilia, die sich ja in Potosi befand. Es war Abend, und das Gemach, das sie mit noch zwei anderen bewohnte, war von einer Lampe hell erleuchtet.
Juarez hatte sie für die ihm geleisteten Dienste so freigebig belohnt, daß sie imstande war, sich einer fein ausgestatteten Wohnung zu bedienen.
Als André eintrat, lag das schöne Mädchen hingegossen auf einer Ottomane. Es stand zwar nicht mehr in den Tagen der ersten, der besten Jugend, aber seine Schönheit gehörte zu denen, die nicht verschwinden, sondern mit den Jahren an Zauber zu gewinnen scheinen.
Als es ihn erblickte, erhob es sich rasch aus den Kissen.
»Ah, Monsieur André!« rief Emilia. »Ihr wieder hier? Das freut mich, das freut mich wirklich recht herzlich!«
Der kleine Jäger machte ein halb seliges und halb verlegenes Gesicht und fragte:
»Freut Ihr Euch denn wirklich, daß so ein alter Büffeltöter zu Euch kommt, Mademoiselle?« – »Natürlich, natürlich! Seht Ihr denn nicht, daß ich Euch beide Hände entgegenstrecke?« – »Alle Wetter, ja! Aber – hm!«
Er zögerte, ihre Hände zu nehmen, und sprach:
»Diese kleinen, schönen, weißen Patschchen, und da meine sonnenverbrannten Tatzen. Paßt das zusammen?«
Da ergriff sie seine Hände, um sie kräftig zu schütteln, und dann fuhr sie fort:
»Ihr scheut Euch vor meinen Händen, wißt Ihr denn, was ohne Euch aus denselben geworden wäre?« – »Na, was denn, Mademoiselle?« – »Sie wären jetzt kalt, starr und faulten unter der Erde.« – »Donnerwetter, das wäre weiß Gott zu jammerschade. Aber, hm, wo denn eigentlich?« – »In Tula, wo ich ja erschossen oder gar gehängt worden wäre, wenn Ihr mich nicht gerettet hättet.« – »Ich?« fragte er verwundert. – »Ja, Ihr!« antwortete sie. – »Unsinn! Der Retter war dieser famose Leutnant Helmers, aber doch nicht ich.« – »Ihr habt beide gleichviel getan, einer so viel wie der andere. Kommt, setzt Euch doch endlich nieder!«
Sie wollte ihn nach der Ottomane ziehen; er sträubte sich.
»Nicht dorthin!« sagte er. – »Dieser Platz ist ja aus Samt fabriziert.« – »Was tut das?« – »Sehr viel. Meine Hosen und so ein Samt! Der Kleine André und so ein Kanapee oder was es ist! Das würde gerade so passen wie eine Eidechse in den Milchreis oder in den Hirsebrei!«
Sie faßte ihn kräftig an und zog ihn neben sich in die schwellenden Polster nieder.
»Himmel hilf!« rief er. »Das geht tief hinab. So ein Polster gibt es ja selbst im besten Wald nicht.« – »Meint Ihr? Und diese Kissen haben noch dazu die Eigentümlichkeit, daß es sich darauf so recht gemütlich plaudern läßt.« – »Im Wald auf dem Moos auch.« – »Geht mir jetzt mit dem Wald! Wir sind hier und wollen von uns reden, aber nicht von Euren Büffeln und Bären.« – »Gut«, sagte er, sich scheu in die Ecke drückend, wo er aber auch von den Sprungfedern recht beunruhigend auf- und niedergeschaukelt wurde. »Also von uns wollen wir reden? So fangt einmal an!« – »Warum Ihr nicht?« – »Ich? Alle Wetter! Womit sollte ich denn anfangen?« – »Von mir!« lachte sie.
Er blinzelte furchtsam zu ihr herüber. Sie bemerkte das und fragte:
»Fürchtet Ihr Euch vor mir, oder redet Ihr etwa nicht gern von mir?«
Er nickte bedenklich mit dem Kopf und antwortete:
»Hm! Mit dem Fürchten ist es nicht so ganz richtig!« – »Ah! Warum?« – »Nun, das will ich Euch erklären. Sagt einmal, wenn hier der Teufel hereinkäme, würdet Ihr ...« – »Pfui, der Teufel! Wie kommt Ihr auf den? Bin ich ihm etwa so ähnlich?« – »Gar nicht! Aber würdet Ihr Euch nicht vor ihm fürchten?« – »Ein wenig, ja.« – »Oder wenn ein Engel käme, würdet Ihr Euch da nicht auch fürchten?« – »Hm! Ein wenig scheuen würde ich mich allerdings.« – »Nun seht, Mademoiselle. Man fürchtet sich vor allem, was ganz häßlich und schlecht oder ganz schön und gut ist. Man steht so sehr in der Mitte der beiden, daß man sich weder an das eine, noch an das andere getraut.« – »Das habt Ihr sehr gut erklärt, mein lieber André. Aber was wollt Ihr denn damit in Beziehung auf mich sagen?« – »Daß ich mich fürchte, weil Ihr ein Engel seid.«
Sie machte eine allerliebste, verwunderte Miene und rief:
»Wie? Ihr könnt auch galant sein?« – »Galant?« fragte er erschrocken. »Ist das denn galant?« – »Natürlich!« – »Alle Wetter! Da bitte ich um Verzeihung! Nehmt mir das nur ja nicht übel. Ich habe es nicht böse gemeint!« – »Davon bin ich überzeugt. Aber meint Ihr etwa, daß Ihr gegen mich nicht galant sein dürft?« – »Wie dürfte ich so etwas wagen?« – »Warum denn nicht?«
Sie rückte ihm dabei etwas näher, und er drückte sich, als er dies bemerkte, so viel wie möglich in seiner Ecke zusammen.
»Ich, der Andreas Straubenberger! Und Ihr, der Engel, die schöne Señorita Emilia! Das verhält sich ja gerade so wie die Stiefelschmiere zur Morgenröte!«
»Was war denn eigentlich Euer Vater, André?« – »Ein blutarmer Teufel in der Rheinpfalz.« – »Und mein Vater war ein blutarmer Teufel in Paris. Habt Ihr Euch da vor mir zu fürchten?« – »Der Väter wegen nicht, aber der Tochter wegen!« – »Da irrt Ihr Euch. Ich bin ein Mädchen, nichts weiter, eine Kundschafterin des Präsidenten. Ihr aber seid ein wackerer, tapferer Jäger, der hundert schöne, rühmliche Taten zu seinem Lob hat. Wißt Ehr noch, wie Ihr Euch damals in Chihuahua für Eure Freunde aufgeopfert habt?« – »Hm! Ja!«
Er dachte dabei an die Küsse, die er von dem schönen Mädchen zum Lohn erhalten hatte.
»Und sodann habt Ihr mir das Leben gerettet!« – »Das ist ja nur eine Kleinigkeit!« – »Was? Ihr haltet mein Leben für eine Kleinigkeit?« fragte sie.
»Alle Teufel, das habe ich nicht gemeint«, rief er. »Dem Kerl, der Euer Leben eine Kleinigkeit nennen wollte, den würde ich auf den Kopf schlagen, daß ihm die Seele zu allen zehn Fußzehen hinausfahren sollte!« – »Nun seht, Monsieur, und doch hing dieses Leben nur an einem Faden. Ihr habt mich gerettet. Ich wünsche sehr, ich hätte stets so einen Beschützer bei mir.«
Da blitzte sein gutes, ehrliches Auge vor Freude hell auf.
»Wirklich, wünscht Ihr das, Mademoiselle?« fragte er rasch. – »Ja«, antwortete sie. »So einen Beschützer, wie Ihr seid, oder am liebsten Euch selbst.« – »Nun, das könntet Ihr ja sehr leicht haben.« – »Wieso?« fragte sie, gespannt auf die Antwort, die er ihr geben werde. – »Nun – hm!« hustete er verlegen. »Braucht Ihr vielleicht einen – hm – einen Diener?« – »Einen Diener? Warum?« – »Dann würde ich fragen, ob ich der Diener sein darf.« – »Ihr? O nein! Als Diener würde ich Euch nicht haben mögen.« – »Sapperment!« meinte er enttäuscht. »Ich würde aber stets so treu und aufmerksam sein wie kein zweiter!« – »Das glaube ich Euch sehr gern, denn Ihr seid eine gute, treue Seele. Aber als Diener wäret Ihr ja mein Untergebener!« – »Das gerade will ich ja!« – »Aber ich will es nicht. Ich schätze Euch, ich achte Euch so hoch, daß ich Euch nie unter mich stellen könnte.« – »Nun, so stellt mich neben Euch!« – »Als was denn?« – »Hm! Das ist freilich eine ganz verteufelte Geschichte. Da hört meine Weisheit beinahe auf. Braucht Ihr nicht einen Reisebegleiter?« – »Vielleicht. Aber ich werde sehr wenig auf Reisen sein.« – »Nun, so stellt mich als Hausmeister an!« – »Ich habe kein Haus.« – »So baue ich Euch eins. Ich bin nicht ganz ohne!«
Er blinzelte dabei mit den Augen und machte mit den beiden ersten Fingern der Rechten das Zeichen des Geldzählens.
»So, so!« lachte sie. »Das brauche ich nicht anzunehmen. Denn ich bin auch nicht ganz ohne.«
Sie blinzelte dabei ebenso wie er schalkhaft zu ihm hinüber und machte auch dieselbe Bewegung mit Daumen und Zeigefinger.
»Das freut mich«, meinte er. »Also mit dem Haushofmeister ist es nichts. So macht mich zum Aufseher oder Verwalter!« – »Ich habe keine Fabrik und kein Rittergut.« – »Das schadet nichts. Baut Euch eine Brauerei! Ich bin eigentlich ein Brauer.« – »Wenn ich bauen wollte, so würde ich auf die Brauerei verzichten und doch lieber auf Euren vorigen Vorschlag eingehen.« – »Ein Haus zu bauen? Sapperment! So werde ich Hausmeister!« – »Dann wäret Ihr doch immer mein Untergebener.« – »Das ist wahr. Aber wenn es sich um ein Haus handeln muß, so gibt es da ja nur den Hausherrn, der nicht Untergebener ist.« – »Richtig! Was aber hält Euch denn ab, das zu werden?« – »Nichts. Nur müßte ich es sein, der das Haus baut, nicht Ihr.« – »Aber wenn ich es dennoch baute?« – »So wäret Ihr die Herrin.« – »Wäre denn ein Herr da ganz und gar keine Möglichkeit?«
Er saß sie groß an, nickte mit dem Kopf und antwortete:
»Freilich doch, aber dann wäre er nicht Hausherr, sondern Haus ...« – »Nun, warum stockt Ihr denn? Redet doch aus.« – »Hm! Es ist ein verteufelt dummes Wort.« – »Welches denn?« – »Haus – hm – Hausva- Hausvater!«
Endlich hatte er das Wort herausgebracht Er holte tief Atem, legte den Kopf furchtsam nach hinten und machte die Augen zu, um nicht sehen zu müssen, wie zornig er sie gemacht habe. Aber anstatt Worte des Zorns zu hören, vernahm er in leisem, freundlichen Ton die Frage:
»Nun, Monsieur, ist das nicht ein schöner Posten? Möchtet Ihr ihn nicht haben? Möchtet Ihr denn nicht bei mir Hausvater sein?«
Da öffnete er langsam die Augen und sagte ebenso langsam:
»Aber wer sollte denn da die Hausmutter machen?« – »Nun, wer anders als ich?« – »Ihr?« rief er.
Er war so erschrocken, daß er aufspringen wollte. Sie aber hielt ihn zurück und fragte:
»Glaubt Ihr etwa, daß ich eine schlechte Hausfrau sein würde?« – »Nein, nein! Ganz und gar nicht«, antwortete er. »Aber es geht nicht, es geht nicht.« – »Warum nicht?« – »Weil – Ihr dann ja meine – Frau werden müßtet.«
Sie lachte laut auf und fragte:
»Und dieses kleine Wort auszusprechen, ist Euch so schwer geworden?« – »Sehr schwer, ungeheuer schwer! Lieber will ich einen Bären mit einer Stricknadel erstechen, als daß ich mich auf so etwas einlasse.« – »So habt Ihr wohl noch niemals einem Mädchen eine Liebeserklärung gemacht?« – »Nein – hm, ja, nein, nämlich was man so eine richtige Liebeserklärung nennt.« – »Aber gut gewesen seid Ihr einmal einer?« – »Ja, höllisch gut. Aber mein Bruder war ihr lieber, und darum ging ich in die weite Welt.« – »Und seit jener Zeit bis heute seid Ihr keiner wieder so gut gewesen, Monsieur?«
Da machte er abermals die Augen zu, aber aus einem ganz anderen Grund als vorher. Sein Gesicht nahm einen eigentümlich seelenvollen Ausdruck an, der es verschönte, und ohne die Augen zu öffnen, antwortete er:
»O doch, Mademoiselle! Einer einzigen bin ich gut. Aber nein, gut sein, das ist nicht der richtige Ausdruck, das ist viel, viel zu wenig. Ich denke an sie bei Tag und Nacht. Ich träume von ihr. Ich möchte ihr jeden Tropfen meines Blutes einzeln opfern. Ich könnte auf alles und jedes Glück verzichten, um sie nur froh zu sehen. Ich wäre imstande, tausendfaches Herzeleid zu erdulden, nur damit sie mich einmal freundlich anblicken möchte.«
Da wurde das Auge Emilias groß und feucht. Ihr schönes Angesicht zeigte einen tiefen Ernst, und ihre Stimme vibrierte leise, als sie fragte:
»Darf ich nicht wissen, wer die ist, die Ihr so unendlich liebt?«
Da öffnete er, wie erschrocken, rasch die Augen und antwortete:
»Nein, um Gottes willen nein!« – »Warum nicht?« – »Weil Ihr zornig, entsetzlich zornig werden würdet.« – »Nun, wenn Ihr es mir nicht mitteilt, so will ich es Euch sagen.« – »Das könnt Ihr nicht. Ihr wißt es ja nicht.« – »Ich will Euch beweisen, daß ich es weiß. Legt einmal den Kopf so nach hinten und macht dabei die Augen zu, gerade wie Ihr es vorhin getan habt.«
Er gehorchte, ohne zu ahnen, was sie wollte. Da, kaum hatte er die Augen geschlossen, fühlte er sich von zwei warmen, weichen Armen umfangen, zwei Lippen legten sich auf seinen Mund, und dann hörte er die leisen, liebevollen Worte:
»Ich bin es, ich! Nicht wahr, ich weiß es, wen du lieb hast?«
Er antwortete nicht, er öffnete auch die Augen nicht. Er bewegte sich nicht, sondern er blieb liegen wie ein Hund, den die schöne Herrin liebkost und der vor Freude und Entzücken darüber vergehen und sich in Wonne auflösen möchte.
Sie drückte ihn an sich, küßte ihn abermals und fragte wieder:
»Antworte mir. André! Nicht wahr, ich bin es, die du so unendlich lieb hast?« – Ja«, wagte er ganz leise zu sagen. – »So schlage deine Augen auf.«
Er gehorchte. Er erblickte ihr schönes, freudeglänzendes Gesicht so nahe an dem seinigen. Er fühlte, daß der Hauch ihres Atems ihn berührte, es war ihm so eigentümlich, so traumhaft, so wirr im Kopf. Er strich sich langsam die Haare aus der Stirn und fragte:
»Träume ich, oder ist es wirklich wahr?! O Gott, es ist des Glückes zu viel!«
Sanft entwand er sich den Fesseln der Liebe und erhob sich.
Langsam und fast taumelnd schritt er zum Fenster. Dort stand er lange, lange Zeit mit gefalteten Händen und in die Nacht hinaus zu den Sternen emporblickend. Sie ließ ihn ruhig gewähren. Sie hatte den Wert dieses rauhen Mannes kennengelernt. Wurde sie auch nicht von der Glut zu ihm gezogen, die sie Gerard gegenüber gefühlt hatte, so war sie ihm, ihrem Lebensretter, dagegen mit jenem stillen, reinen Gefühl ergeben, das der Volksmund »von Herzen gut sein« nennt und das mehr Bürgschaft eines dauernden Glückes bietet, als ein hell aufloderndes, aber ebenso schnell wieder in sich zusammensinkendes Herzensfeuer.
Sie war Spionin gewesen. Was hatte sie zu hoffen? Sollte sie ihre Schönheit einem auf Adel oder Reichtum stolzen Protzen opfern, um dann von ihm verlassen zu werden? Nein. Sie wußte, daß sie schön war, aber sie wußte auch, daß sie mit dieser Gottesgabe hier einem braven Mann ein unendliches Glück bereiten werde, und sie zog dies letztere vor, nicht aus Berechnung, sondern weil ihr Herz sie dazu trieb. Sie war ihm ja so herzensgut, diesem einfachen, biederen Andreas, dessen Charakter ihr mehr Gewähr eines wirklichen und dauerhaften Glückes bot, als die egoistische, genußsüchtige Liebe all der vornehmen Anbeter, die sie bisher gehabt hatte.
Da drehte er sich um und kehrte langsam zu ihr zurück. Sein ehrliches Gesicht glänzte wie verklärt, und in seinen Augen standen Tränentropfen, die ihm über die Wangen rollten.
»Weißt du, was ich jetzt getan habe?« fragte er. – »Was? Sage es!« – »Gebetet. Ja, gebetet habe ich, daß der liebe Gott mir den Verstand und die Gedanken lasse. Ich habe jetzt erkannt, daß es ebenso schwer ist, sich in ein großes Glück zu finden wie in ein schweres Herzeleid. Und nun sage mir, ob du wirklich im Ernst gesprochen hast, und ob es wahr ist, daß ich dich in Wirklichkeit besitzen soll, dich, die ich im stillen angebetet habe, als ob du meine Königin seiest, und ich, der Sklave, der Untertan, der bereit ist, für dich zu leben, aber auch für dich zu jeder Stunde in den Tod zu gehen!«
Die Frage, die er aussprach, glänzte ihr auch aus seinen ehrlichen, treuen Augen entgegen, und zwar so angstvoll und unsicher, daß sie ihre Hände ausstreckte, die seinigen ergriff und schnell antwortete:
»Ja, es ist wahr, mein lieber André. Ich will dein Weib sein, deine Hausfrau, bei der du eine Heimat findest, nachdem du so lange Jahre ruhe- und heimatlos gewesen bist.«
Da stieß er einen Ruf des höchsten Entzückens aus. Er schlang die Arme um sie, drückte sie fest und innig an sich und sagte:
»Gott segne dich für dieses Wort! Oh, nun bin ich ein ganz anderer Kerl! Nun tausche ich nicht mit Sternau oder Mariano, mit keinem einzigen Menschen! Mögen sie mich immerhin den Kleinen André nennen. Ich fühle mich jetzt auf einmal so groß, so groß, daß es mir gar nicht einfallen kann, einen von ihnen zu beneiden.«
Da schob sie ihn leise von sich, maß unter einem glücklichen Lächeln seine Gestalt, zog ihn wieder an sich heran, so daß sie wieder Brust an Brust standen und sagte:
»Messen wir uns einmal, lieber André. Bin ich etwa länger als du?«
Er verglich ihre Höhe mit der seinigen und meinte ganz erstaunt:
»Wahrhaftig, ich bin noch einen Zoll länger als du. Wer hätte das gedacht!« – »Du siehst, daß der Schein trügt. Wir Frauen sehen größer aus, als wir sind. Wir passen sehr gut zusammen. Nicht?« – »Außerordentlich gut. Ich bekomme Respekt vor mir selber. Und nun wirst du sehen, daß auch die anderen den gleichen Respekt haben sollen. Die Liebe ist doch ein wunderbares Ding, ich glaube, daß sie gar imstande sein wird, aus dem Kleinen André einen großen Kerl zu machen.«