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8. Kapitel.

Am Nachmittag ritt man ab, nachdem von den anderen Abschied genommen worden war, und am übernächsten Tag vormittags langte die Truppe glücklich in Zacatecas an.

Dort gab es ein mehr als reges, ein beinahe fieberhaftes Leben, da General Eskobedo hier kommandierte und zugleich Juarez seinen Sitz da hatte.

Der erste Weg Sternaus war natürlich zu diesem letzteren.

Der Präsident war außerordentlich beschäftigt, aber als er hörte, wer ihn sprechen wolle, ließ er Sternau augenblicklich vor.

Letzter kam nicht allein, sondern hatte Kurt mitgebracht. Dieser hatte im Kloster und auch unterwegs gar nicht viel Redens von sich gemacht Er hatte weder von seinen Orden, noch von der Auszeichnung gesprochen, die ihm von seinen Vorgesetzten geworden war, doch jetzt, da er diesem großen, berühmten Indianer gegenüberstehen sollte, hatte er sich den Spaß gemacht, alle seine Orden und Ehrenzeichen anzulegen. Da er aber nach mexikanischer Weise die Serape – kostbare Decke – um die Schulter trug, waren dieselben noch nicht zu sehen.

Sternau seinerseits hatte erkannt, daß der Same, den er in das Gemüt und den Charakter des Knaben gelegt hatte, zur glücklichen Reife gekommen sei. Er kannte zwar nicht die Anerkennungen, die dem jungen Mann geworden waren, aber er war überzeugt, daß dieser ganz das Zeug zu einer mehr als gewöhnlichen Karriere habe, und daher beschloß er, bei dieser Audienz beim Präsidenten Kurt mehr in den Vordergrund treten zu lassen, sich selbst aber nur mit der zweiten Rolle zu begnügen. Er ahnte nicht, daß dies gar nicht notwendig sei und daß Kurt es selbst ganz vortrefflich verstand, sich Geltung zu verschaffen.

Die kräftige Gestalt des Zapoteken stand stramm aufgerichtet an dem Tisch, als die beiden eintraten. In seinem sonst so ernsten Auge glänzte ein freudiger Schimmer, als er Sternau erblickte. Er schritt ihm schnell entgegen, gab ihm beide Hände und sagte:

»Wie? Da sind Sie wirklich, Señor? Ich traute meinen Ohren kaum, als Sie mir gemeldet wurden. So ist es also nicht wahr, was man mir erzählte, daß Ihnen ein neues großes Unglück zugestoßen sei?« – »Wohl ist es wahr, Señor«, antwortete Sternau ernst. »Ich und alle meine Freunde, wir befanden uns in einer geradezu verzweifelten Lage, und nur diesem jungen Mann haben wir es zu verdanken, daß wir gerettet wurden.«

Juarez richtete sein Auge forschend, aber mild und wohlwollend auf Kurt und sagte:

»Wollen Sie ihn mir nicht vorstellen, Señor Sternau?« – »Ich wollte bitten, es tun zu dürfen. Oberleutnant Kurt Helmers vom preußischen Regiment der Gardehusaren.«

Kurt verbeugte sich sehr höflich. Juarez nickte ihm freundlich zu und fragte, wie nachsinnend:

»Kurt Helmers? Habe ich diesen Namen nicht schon einmal gehört?« – »Gewiß, Señor«, antwortete Kurt. »Ich war so glücklich, zweimal durch Ihre Güte ein reicher Mann zu werden.« – »Wieso?« fragte der Präsident, frappiert durch diese Worte. – »Ich erhielt durch Ihre Vermittlung zweimal einen Betrag aus der Höhle des Königsschatzes.«

Jetzt besann sich Juarez.

»Ah, Sie sind aus Rheinswalden?« fragte er. – »Ja, Señor.« – »Der Sohn des Steuermannes Helmers und der Neffe Donnerpfeils?« – »So ist es.« – »So seien Sie mir willkommen! Señor Sternau bereitet mir wirklich eine große Freude, indem er mir Gelegenheit gibt, Sie kennenzulernen. Wie es scheint, haben Ihnen diese Schmucksachen doch einen Nutzen gebracht?«

Juarez hatte Kurt die Hand gereicht. Er wußte, daß der Steuermann ursprünglich arm war, und darum war es verzeihlich von ihm, zu denken, daß der Erlös aus jenen Kostbarkeiten Kurt die zu seiner Ausbildung nötigen Mittel an die Hand gegeben habe.

»Sie haben mich in eine freudige Überraschung versetzt«, antwortete Kurt, »und werden nie aus meinen Händen oder denen meiner Familie kommen.« – »Ah, so besitzen Sie noch alles? Das freut mich desto mehr. Aber, lieber Señor Sternau, jetzt bitte ich Sie, mir doch zu sagen, wie und wohin Sie verschwinden konnten.«

Sternau erzählte in kurzen, aber hinlänglichen Worten seine Erlebnisse. Natürlich fing er bei dem Augenblick seiner Trennung von Juarez an. Das Gesicht des letzteren nahm einen immer gespannteren Ausdruck an.

Sternau schwieg, als er den hoffnungslosen, verzweiflungsvollen Zustand der Gefangenschaft geschildert hatte. Da holte der Zapoteke tief Atem.

»Ich kann an keinem Ihrer Worte zweifeln«, sagte er, »aber dennoch muß ich fragen, ob so etwas auf der Erde, in Mexiko, möglich sei. Dieser Pater Hilario ist mir nicht unbekannt. Señorita Emilia hat ihn mir gegenüber entlarvt, wofür ich ihr großen Dank schuldig bin. Aber, daß er solcher Taten fähig sei, das konnte ich nicht glauben. Welchen Zweck aber hat er gehabt, sich Ihrer zu bemächtigen und Sie alle einzusperren? Und wie sind Sie dann doch noch entkommen?« – »Diese Fragen kann hier mein junger Freund am besten beantworten«, meinte Sternau, auf Kurt deutend. – »Erzählen Sie!« bat Juarez diesen.

Kurt gehorchte dieser Aufforderung. Er begann bei seiner Begegnung mit Geierschnabel in Schloß Rodriganda bei Rheinswalden und erzählte alles, was bis auf den gegenwärtigen Augenblick geschehen war. Das Erstaunen des Präsidenten wuchs von Sekunde zu Sekunde, er wich ganz unwillkürlich Schritt um Schritt zurück. Er hatte ganz das Aussehen, als ob er sprachlos geworden sei.

Dann aber begann sein starres Gesicht sich zu beleben. Hundert Regungen zuckten blitzschnell über dasselbe hin, aber keine einzige konnte festgehalten werden, um sich definieren zu lassen.

»Was Sie mir da sagen, Señor, ist mir von sehr großer Wichtigkeit«, meinte er endlich. Seine Stimme klang dabei tief grollend und drohend. »Also es gibt hier eine Vereinigung, die mich stürzen will, indem sie mich zwingt, der Mörder des Erzherzogs von Österreich zu werden?« – »Es scheint ganz so«, antwortete Kurt. – »Und dieser geheimnisvolle, dicke, kleine Mann gehört ihr an?« – »Ganz sicher.« – »Seinen Namen hörten Sie nicht?« – »Nein. Er kam mir wie ein verkappter Priester vor.« – »Sei er, wer und was er wolle, ich werde ihn zu packen wissen. Und dieser Pater Hilario ist also das Werkzeug dieser Verbindung?« – »Ohne allen Zweifel.« – »Jetzt bei Max in Querétaro?« – »Ja.« – »Dann ist es auch um Señorita Emilia geschehen, deren Feind der Pater geworden ist. Doch das wird sich wohl arrangieren lassen. Sie glauben nicht, Señor, welch einen Dienst Sie mir mit diesen Enthüllungen erweisen. Ein Meisterstück von Ihnen aber war es, daß Sie den Putsch auf Kloster Santa Jaga vereitelten. Aber ich bin so überwältigt von dem, was ich höre, daß ich ganz vergesse, höflich gegen Sie zu sein. Nehmen wir doch Platz!«

Die drei Männer hatten allerdings bisher nur im Stehen gesprochen. Jetzt zog Juarez Stühle herbei. Um bequem zu sitzen, legte Sternau die Serape ab, und Kurt tat dasselbe. Sofort ruhten die Augen der beiden anderen erstaunt auf seiner Brust.

»Wie? Alle Wetter, Kurt«, rief Sternau. »Diese Orden gehören dir?« – »Würde ich sie sonst tragen?« antwortete Kurt lächelnd. – »Aber, wie kommst du dazu, ein halber Knabe noch!« – »Man hat mich vielleicht trotzdem für einen Mann gehalten.« – »So hast du Außerordentliches erlebt. Mensch, daß du darüber geschwiegen hast, das beweist zur Evidenz, daß du ein braver, tüchtiger Junge geworden bist!« – »Auch ich muß sagen«, fiel Juarez ein, »daß ich auf einer so jungen Brust noch nicht solche Auszeichnungen erblickte. Das Schicksal scheint Ihnen wohlzuwollen. Verscherzen Sie sich die Gunst desselben nicht. Da Sie zur Garde gehören, stehen Sie wohl in Berlin?« – »Ja, Señor«, antwortete Kurt unter einer Verbeugung. – »So haben Sie das Glück, großen Männern zu begegnen, wenn auch einstweilen nur von weitem. Ihr Moltke ist ein großer Kriegsmann. Suchen Sie, mit der Zeit seiner Umgebung näherzutreten. Und Ihr Bismarck ist ein Staatsmann von genialem Scharfblick und eiserner Energie. Er wird einst dem Erdkreis Gesetze vorschreiben. Haben Sie seinen Vertreter in Mexiko besucht?« – »Baron Magnus? Ja. Er gab mir Gelegenheit, Sie um die Überreichung dieser Zeilen zu bitten.«

Kurt zog ein Portefeuille hervor und überreichte Juarez ein kleines Kuvert, das derselben öffnete, um den Inhalt zu lesen.

»Ah, das ist ja eine ganz ungewöhnliche Empfehlung«, sagte er. – »Ich bedarf derselben, um dieses zweite vorlegen zu dürfen.«

Kurt gab Juarez ein größeres Schreiben. Dieser brach das Wappensiegel auf und las. Sein Gesicht nahm den Ausdruck des allerhöchsten Erstaunens an. Als er fertig war, rief er laut:

»Dios mios! Junger Mann, wer sind Sie denn eigentlich? Wie kommen Sie dazu, der Überbringer so hochwichtiger Staatsakten zu sein? Entweder genießen Sie ein blindes Glück und Vertrauen, oder Sie haben das Zeug, das wirkliche Zeug zu einem Mann, dem seine Vorgesetzten bereits jetzt ein außerordentliches Prognostikon stellen. Während ich Ihnen rate, sich der Umgebung dieser großen Männer zu nähern, genießen Sie den Umgang und die Zuneigung nicht der Umgebung, sondern dieser Größen selbst. Fast möchte ich unhöflich sein und Sie fragen, wie Sie bei Ihrer Jugend zu einer solchen Auszeichnung kommen.«

Sternau war ebenso überrascht über diese Worte, wie über den Inhalt der Schreiben, den er allerdings nicht kannte, sondern nur vermuten konnte. Er betrachtete Kurt mit ebenso erstaunten Blicken wie der Präsident. Der junge Mann aber tat, als ob er dies gar nicht bemerke, und antwortete in ruhigem, bescheidenem Ton:

»Neben einigen kleinen Verdiensten ist es wohl zumeist die Güte derjenigen hohen Personen, mit denen ich in Berührung kam, der ich die Gnade zu verdanken habe, welcher ich mich erfreue.«

Juarez überflog die Schriftstücke noch einmal und meinte dann:

»Sie werden mir hier als diejenige Person empfohlen, die mir die Wünsche einer hervorragenden Regierung mündlich überbringt. Ich freue mich des Scharfsinnes der Vertreter dieser Regierung. Auf offiziellem Weg Verhandlungen über das Schicksal eines Mannes, der so viel dazu beigetragen hat, die Selbständigkeit der Republik von Mexiko zu töten, anzuknüpfen, das müßte ich entschieden ablehnen. Aber einen privaten Austausch unserer Gedanken werde ich nicht abweisen.« – »Diese Hoffnung war es, welche mich an einem Gelingen meiner Sendung nicht verzweifeln ließ, Señor«, entgegnete Kurt. – »Haben Sie fest formulierte Fragen oder Wünsche auszusprechen?« fragte Juarez in jenem Ton, mit dem er auf schwierige Verhandlungen einzugehen pflegte. – »Ja.« – »Darf ich sie hören?« – »Jetzt?« – »Warum nicht sogleich jetzt?« – »Ich bin beauftragt, unter vier Augen mit Ihnen zu sprechen.«

Ein leises Lächeln spielte um die Lippen des Zapoteken, als er fragte:

»Mißtrauen Sie etwa unserem Freund Sternau?« – »Nicht im geringsten. Ich würde nicht anstehen, ihn zum Vertrauten aller meiner persönlichen Angelegenheiten zu machen; die Sache aber, die wir zu verhandeln haben, ist nicht mein Eigentum.« – »Aber das meinige. Geben Sie das zu?« – »Gern, obgleich diejenigen, in deren Auftrag ich hier stehe, daran partizipieren.« – »Und mein Eigentum kann ich teilen, mit wem ich will?« – »Allerdings.« – »Nun, so erkläre ich Ihnen, daß ich Señor Sternau erlaube, unserer Unterhaltung beizuwohnen. Wollen Sie weniger höflich sein?« – »Señor Sternau ist mein Freund und Gönner, mein Vater und Lehrer. Meine Pflicht gebot mir, seiner Gegenwart zu gedenken; nun aber erkläre ich, daß dieselbe mich nicht hindern kann, in aller Offenheit mit Ihnen zu sprechen.« – »So sprechen Sie.« – »Ich hoffe nicht, daß Sie erwarten, ein junger Mann von so wenig Erfahrung, wie ich bin, werde sich in komplizierten, diplomatischen Wendungen ergehen. Ich sagte bereits, daß das, was ich zu sagen habe, streng formuliert ist, und ich bitte um die Erlaubnis, offen und ehrlich fragen und sprechen zu können.«

Juarez betrachtete Kurt mit einem wohlgefälligen Blick und nickte zustimmend.

»Das ist Ihnen sehr gern gewährt«, antwortete er. »Ich hasse alle Finessen, alles diplomatische Versteckenspielen. Wie weit man sich auf eine Regierung verlassen kann, die ihre Absichten stets hinter den Schleier des Geheimnisses versteckt, das habe ich ja zur Genüge erfahren. Ihr Minister ist der erste gewesen, der mit dem alten Herkommen gebrochen hat. Talleyrand sagte, daß der Mensch die Sprache nur habe, um seine Gedanken zu verbergen. Dies ist der Grundsatz des Unehrlichen, der Spitzbuben. Trotzdem ist dieser Grundsatz von den Staatsmännern aller Zeiten und Völker befolgt worden. Ihr Minister hat den Mut gehabt, mit ihm zu brechen; er hat die offene, ehrliche Sprache zum Element auch diplomatischer Verhandlungen gemacht und dabei einen Sieg errungen, um den ich ihn beneiden möchte. Ich freue mich, daß in dieser Beziehung meine Intentionen sich mit den seinigen decken, und so ist es mir lieb, wenn Sie sich einer geraden, ehrlichen Sprache bedienen.«

Kurt verbeugte sich zustimmend und erwiderte:

»Man ist allgemein der Ansicht, daß unter den gegenwärtigen Verhältnissen Kaiser Max sich nicht zu halten vermag. Darf ich Sie um Ihre Meinung ersuchen?«

Juarez machte mit dem Arm eine Bewegung, die man fast geringschätzig nennen konnte, und antwortete:

»Sie nennen diesen Mann Kaiser?« – »Ja.« – »Mit welchem Recht?« – »Weil er als solcher anerkannt ist.« – »Ah! Von wem?« – »Von den meisten Regierungen.« – »Pah! Von den Regierungen aber nicht, die dabei zunächst in Frage kommen. Übrigens mußten die Regierungen, von denen Sie sprechen, wenigstens so viel Scharfblick haben, um gleich von vornherein zu wissen, daß es sich um einen Theatercoup handle, der zu Ende gehen müsse, sobald den Lampen das Öl mangle. Das Stück hat ausgespielt. Ich habe keinen Max von Mexiko gekannt und kenne auch jetzt nur einen gewissen Max von Habsburg, der sich zu seinem eigenen Schaden von Napoleon verleiten ließ, mir va banque zu bieten. Die Bank hat gewonnen. Ich bitte, wenigstens in meiner Gegenwart nicht von einem Kaiser Max zu sprechen! Ihre Frage beantworte ich dahin, daß dieser Señor allerdings nicht imstande sein wird, sich zu halten.« – »Und wie denken Sie, daß sich sein Schicksal gestalten werde?« – »Señor Helmers, Sie sprechen allerdings sehr offen und klar. Ich will dasselbe tun. Geht dieser Max beizeiten aus dem Land, so mag er mit dem Leben davonkommen und mit der Ehre, sich Kaiser von Mexiko genannt zu haben. Zögert er aber, so ist er verloren.« – »Was habe ich unter dem Wort verloren zu verstehen?« – »Ich meine, daß es ihm dann unmöglich sein wird, länger zu leben. Man wird ihm den Prozeß machen.« – »Wer?« – »Die Regierung von Mexiko.« – »An wen habe ich bei dem Wort Regierung zu denken?« – »An mich.«

Kurt verneigte sich höflich und fuhr fort:

»Sie werden Präsident von Mexiko sein?«

Juarez zog die Brauen finster zusammen.

»Ich werde Präsident sein?« fragte er. »Bin ich es etwa nicht gewesen, Señor?«

Kurt ließ sich nicht einschüchtern. Er meinte:

»Ich muß darauf aufmerksam machen, daß ich hier nicht von meiner persönlichen Meinung zu sprechen habe.« – »Oder bin ich es nicht mehr?« fuhr Juarez fort. »Wer hat mich abgesetzt?«

– »Napoleon und Max.« – »Diese beiden? Pah! Das glauben Sie selbst nicht. Ich sage Ihnen, daß in einigen Wochen ganz Mexiko mir Untertan sein wird. Ich wiederhole: Das Stück ist ausgespielt.« – »Dann werden also Sie es sein, der Max richtet?« – »Ja.« – »Und wie wird das Urteil lauten?« – »Auf Tod durch die Kugel.« – »Wollen Sie nicht bedenken, daß man das Glied einer kaiserlichen Familie nicht so ohne weiteres erschießt?« – »Ohne weiteres wird es auch nicht geschehen. Man wird einen Gerichtshof konstituieren.« – »Und dennoch darf dieser Gerichtshof nicht aus den Augen lassen, wer der Angeklagte ist. Ein Erzherzog von Österreich darf Rücksichten in Anspruch nehmen, die ich hier wohl nicht weiter auszuführen brauche.« – »Wer Rücksichten in Anspruch nimmt, muß gelernt haben, selbst Rücksichten zu üben. Ein Dieb, ein Verleumder, ein Fälscher, ein Mörder, ein Empörer oder Landfriedensbrecher wird bestraft, mag er sein, wer er will. Und je höher an Intelligenz ein Mensch steht, desto härtere Strafe verdient er, wenn er gegen Gesetze fehlt, die er besser kennen muß, als ein jeder andere.« – »Das ist der Grundsatz eines strengen Richters.« – »Der bin ich auch.« – »Aber nicht eines Regenten, der das schöne Recht hat, Gnade walten zu lassen.« – »Wer sagt Ihnen, daß ich nicht an Gnade gedacht habe?« –

»Ihre eigenen Worte.«

Juarez erhob sich von seinem Stuhl, schritt einige Male im Zimmer auf und ab und blieb dann vor Kurt stehen.

»Junger Mann«, sagte er, »Sie sollen mir mitteilen, daß es der Wunsch Ihrer Regierung ist, ich möge Gnade walten lassen?« – »Sie erraten das richtige.« – »Kennen Sie die Art und Weise, wie Mexiko von den Franzosen für Max in Beschlag genommen wurde?« – Ja.« – »Wissen Sie, daß ich damals der von Gott eingesetzte und von den Mexikanern erwählte Regent dieses Landes war?« – Ja.« – »Können Sie sagen, daß ich mein Volk unglücklich gemacht habe?« – »Ich bin vom Gegenteil überzeugt.« – »Hat mein Volk mich abgesetzt?« – »Nein, obgleich eine Deputation nach Paris kam und den Kaiser ...« – »Das war Blendwerk und Spiegelfechterei«, fiel Juarez schnell ein. »Es war ein Puppenspiel, an das nur Kinder glauben konnten. Aber wissen Sie, wie die Franzosen hier im Land gewirtschaftet haben?« – »Leider!« – »Sie waren meine Feinde. Gegen Maximilian von Habsburg habe ich nur zweierlei: erstens, daß er vertrauensselig auf die Intentionen eines Mannes einging, der selbst nur durch Blut und Revolution Kaiser wurde, eines Mannes, von dem wir niemals annehmen konnten, daß er der Beglücker seines Volkes sein werde, und zweitens, daß Maximilian jetzt, da der letzte Franzose das Land verlassen hat, in ganz unbegreiflicher Verblendung diesen Leuten, die an der Spitze der Zivilisation marschieren, nicht sofort auf dem Fuße folgt. Nur sein Vertrauen auf die Hilfe Napoleons war es, das ihn zu Schritten verleitete, deren Folgen zerschmetternd auf sein Haupt fallen werden. Ist Ihnen das berüchtigte Dekret vom 3. Oktober bekannt?« – Ja.« – »Und Ihrer Regierung auch?« – Jedenfalls.« – »Nun, so lassen Sie mich katechetisch verfahren. Welchen Inhalt hat dieses Dekret?« – »Ein jeder Feind des Kaiserreiches ist ein Landesverräter und Empörer und wird ohne vorheriges Urteil mit dem Tode bestraft.« – »Dieses Dekret hat vielen, vielen das Leben gekostet. Selbst meine treuen Generäle Arteagar und Salazar wurden ohne Urteil und Recht gemordet. Wir lebten friedlich im Land; wir waren glücklich. Da kamen die Franzosen und sagten, wir hätten kein Recht, Frieden und unsere Verfassung zu haben, Max müsse unser Kaiser sein. Das Blutvergießen begann. Wer waren die Empörer, junger Mann?« Kurt zuckte die Achseln.

»Etwa wir?« – »Hm!« – »Oder die Franzosen? Oder Napoleon und Max?« – »Señor, Sie haben recht«, meinte Sternau mit seiner tiefen, kräftigen Stimme.« – »Und dennoch waren wir es, die als Räuber behandelt wurden«, fuhr Juarez erregt fort. »Der Inhalt jenes blutigen Dekretes ist kein anderer als der Spruch jenes alten Eroberers: ›Wehe den Besiegten!‹ Wir waren die Besiegten, und das Wehe kam über uns. Jetzt aber hat unser gerechter Gott geholfen. Wir sind die Sieger. Wir könnten nun auch rufen: ›Wehe den Besiegten!‹ Und mit viel größerem Recht. Doch wir tun es nicht. Wir wollen nicht ungerecht, nicht grausam sein. Aber unser Recht wollen wir, und wenn wir dies wollen, so wollen wir folgerichtig, daß auch einem jeden anderen, also auch den Bedrückern unseres Landes, sein und ihr Recht werde. Ist Ihnen das jus talionis – Recht der Wiedervergeltung – der Bibel bekannt, Señor Helmers?« – »Natürlich!« antwortete Kurt. – »Dieses Recht herrscht und gilt noch in der Prärie, allüberall, wo die Völker noch in guter, alter patriarchalischer Weise beisammen wohnen ...« – »Es ist grausam«, fiel Kurt ein. »Diejenigen Nationen, die Anspruch auf die Segnungen der Zivilisation ...« – »Gehen Sie mir mit dieser Zivilisation!« unterbrach ihn Juarez. »Zählen Sie die Franzosen auch zu diesen zivilisierten Nationen?« – »Natürlich!« – »Ich habe es auch getan. Aber sie sind ohne alle Ursache in Mexiko eingefallen wie die Räuber! Ist das ihre Zivilisation, ihre Bildung? Wenn der Panther des Südens raubt und mordet, so ist er einfach ein Raubtier in Menschengestalt und wird seinen Käfig finden. Wenn dieser Cortejo erklärt, daß er Präsident sein wolle, so ist dies einfach wahnsinnig oder zum wenigsten lächerlich. Wenn aber Napoleon und Maximilian von Österreich mit einer Heeresmacht in ein Land einbrechen, dessen Bewohner ihnen nichts getan haben, so gleichen sie nur den Botokuden, Komantschen, Kurden und anderen wilden Völkerschaften, die ich unter die Barbaren zähle. Und wenn ich Sie unterbrach, als sie von den zivilisierten Nationen begannen, so haben doch auch diese das Vergeltungsrecht in ihre Gesetzbücher aufgenommen. Sie sagen zwar nicht mehr: ›Auge um Auge, Zahn um Zahn!‹, aber sie bestrafen jedes Verbrechen und Vergehen, den Mord mit dem Tode und jedes andere mit einer kongruenten Summe von Freiheitsentziehung oder Geld. Haben Sie die Tropfen Blutes gezählt, die während der letzten Invasion in Mexiko geflossen sind?«

Kurt schüttelte trüben Angesichts mit dem Kopf.

»Nun, sie sind nicht zu zählen. Es sind nicht Tropfen, sondern Ströme. Bin ich im Unrecht, wenn ich dieser Ströme wegen den Schuldigen zum Tode verurteile, während ein jeder Richter einen Mörder, der nur ein einziges Menschenleben zerstörte, dem Henker überliefert?« – »Ich wiederhole, daß der, von dem Sie sprechen, das Glied einer erlauchten Kaiserfamilie ist.« – »Erlaucht? Was nennen Sie erlaucht? Kommt dieses Wort nicht von dem Verbum erleuchten her?« – Ja.« – »Nun, so stelle ich es Ihnen anheim, den Betreffenden erleuchtet zu nennen, ich aber hüte mich, es zu tun. Und je höher er steht, desto strafbarer ist er. Was würde man in Österreich sagen, wenn ich plötzlich dort mit einem Heer einbräche, um dem Volke zu beweisen, daß ich ein besserer Regent sei, als ...«

Juarez wurde unterbrochen. Die Tür öffnete sich, und es trat, nein, es stürmte ein Mann heran, an dessen Kleidung man sofort den höheren Offizier erkannte. Nicht groß und nicht klein, nicht schmächtig und nicht dick, trug sein Äußeres das echt mexikanische Gepräge. Seine Gesichtsfarbe spielte in das Gelbliche; seine Züge waren scharf, seine Augen schwarz und glänzend, und die raschen Schritte, mit denen er auf Juarez zueilte, verrieten ein feuriges Temperament und eine große Energie des Charakters.

»Señor Juarez«, rief er, beide Hände zum Gruß ausstreckend. – »General Diaz«, entgegnete Juarez, indem sein Gesicht den Ausdruck des höchsten Erstaunens zeigte. – »Ihr wundert Euch, mich hier zu sehen?« – »Ihr hier in Zacatecas!« rief Juarez, indem er ihn bei den Händen nahm und dann umarmte. – Ja, hier, Señor. Ihr seht es ja!« – »Ich vermutete Euch noch jenseits der Hauptstadt!« – »Da war ich auch.« – »Und nun hier! Ist ein Unglück geschehen?« – »O nein! Ich komme im Gegenteil, Euch eine sehr gute Nachricht zu bringen.« – »Ah! So sprecht!«

Diaz sah die beiden anderen an.

»Das sind Señor Sternau und Señor Helmers, zwei Freunde von mir, vor denen ich offen sein kann«, erklärte Juarez.

Die drei verbeugten sich stumm gegeneinander, und dann fragte der General den Präsidenten:

»Habt Ihr meine Botschaften alle erhalten?« – »Die beiden letzten nicht.« – »Sie wurden von dem Gegner aufgefangen. Darum komme ich selbst. Daß die Franzosen aus dem Land sind, wißt Ihr?« – »Ja.« – »Daß Max in Querétaro ist, auch?« – »Auch.« – »Er hat nur noch drei Städte im Besitz: Mexiko, die Hauptstadt, Querétaro und Verakruz. In Mexiko kommandiert der Schuft Marquez, der die Bürger bis auf das Blut schindet.« – »Gott wird geben, daß er nicht lange mehr befehligt!« – »Ich hoffe es. Ich erwartete Nachricht von Euch. Da ich aber keine erhielt, weil die Boten weggefangen wurden, habe ich auf eigene Faust gehandelt.« – »Ah! Was habt Ihr unternommen?«

»Die drei Städte, die Maximilian noch gehören, müssen getrennt werden; ihre Verbindung muß unterbrochen werden. Darum habe ich Puebla belagert und erstürmt.« – »Wirklich?« fragte Juarez im Ton höchster Freude. – »Ja.« – »Und es ist in Eure Hand gefallen?« – »Natürlich, ja.« – »Das ist herrlich! Das ist ein großer Fortschritt. Señor Porfirio, hier meine Hand. Ich danke Euch aus vollem Herzen.« – »Und nun«, fuhr Porfirio Diaz fort, »komme ich selbst, um mit Euch und General Eskobedo das Weitere persönlich zu beraten. Ich will mich jetzt nur anmelden. Befehlt, wann Ihr zu sprechen seid.« – »Ich werde es Euch und Eskobedo wissen lassen. Jetzt seid Ihr mein Gast. Kommt und laßt Euch führen!«

Die Freude hatte den ernsten Zapoteken förmlich verjüngt und ganz verändert. Er entschuldigte sich gegen Sternau und Helmers, nahm den General beim Arm und führte ihn fort.

Erst nach einer längeren Weile kehrte er zurück. Sein Gesicht strahlte vor Vergnügen.

»Señor Sternau«, fragte er, »habt Ihr schon von diesem Porfirio Diaz gehört?« – »Sehr viel«, antwortete der Gefragte. – »Wenn ich an ihn denke oder ihn sehe, erinnere ich mich stets eines Generals des ersten Napoleon, den dieser den Bravsten der Braven zu nennen pflegte.«

»Ah, Sie meinen den Marschall Ney?« – »Ja. Diaz ist mein Marschall Ney. Er ist nicht bloß ein guter und außerordentlich zuverlässiger Militär, sondern auch ein nicht schlechter Diplomat. Ich bin fest überzeugt, daß er einst mein Nachfolger sein wird. [Diese Prophezeiung ist in Erfüllung gegangen, denn 1877 ist Porfirio Diaz erstmalig Präsident von Mexiko geworden. – Anmerkung des Verfassers.] Kennt Ihr die Lage von Puebla?« – »Sehr gut. Ich bin ja durch die Stadt gekommen.« – »Sie liegt zwischen der Hauptstadt und dem Hafen von Verakruz. Nun wir sie erobert haben, ist Max von Habsburg verloren. Er ist vom Hafen abgeschnitten und kann uns nicht mehr entgehen.«

Da erhob Kurt bittend die Hände und sagte:

»Señor, ich flehe um Gnade für ihn.« – »Und ich vereinige meine Bitte mit diesem Flehen!« meinte Sternau.

Juarez blickte sie kopfschüttelnd an. Sein Gesicht hatte einen weichen Zug, einen Zug der Milde angenommen, wie er an ihm nur selten zu bemerken war.

»Ich habe geglaubt, daß Sie mich kennen, Señor Sternau«, sagte er. – »Oh, ich kenne Sie ja auch!« antwortete der Doktor. – »Nun und wie denn?« – »Als einen festen, unerschütterlichen Charakter, der unter allen Umständen das hinausführt, was er sich vorgenommen hat.« – »Weiter nichts?« – »Dessen Herz aber doch nicht völlig unter der Herrschaft seines strengen Verstandes steht.« – »Da mögt Ihr recht haben.« – »Darum hoffe ich, daß unsere Bitte keine ganz vergebliche sei.« – »Hm. Was verlangen Sie denn eigentlich von mir?« – »Lassen Sie den Erzherzog entfliehen!« – »Und wenn ich dies nicht vermag?« – »So lassen Sie sein Urteil wenigstens nicht eins zum Tode sein.«

Der Zapoteke schüttelte den Kopf.

»Señores, Sie verlangen zu viel von mir«, sagte er. »Maximilian hat sich in jenem blutigen Dekret sein Urteil selbst gesprochen. Dennoch wollte ich Milde walten lassen, aber er hat mich nicht gehört. Ich darf keinen Kaiser von Mexiko anerkennen, wie er ja auch mich nicht als Präsidenten anerkannt hat. Ich sehe in ihm ebensowenig eine Person, mit der ich in diplomatischen Verkehr treten möchte, wie auch er es mit mir nicht getan hat. Doch ich bin nicht bloß Präsident, ich bin auch Mensch, und weil auch er Mensch ist, so habe ich zu ihm als Mensch zum Menschen gesprochen, er aber hat nicht auf mich gehört.« – »Welche Verblendung!« rief Sternau. – »Ich habe jene Señorita Emilia zu ihm gesandt. Sie hat ihn auf seine Umgebung aufmerksam gemacht. Sie hat ihm bewiesen, daß er nur Verräter oder schwachköpfige Abenteurer um sich hat – es hat nichts geholfen.« – »So ist er selbst schuld.« – »Er und kein anderer. Ich habe ihm sagen lassen, daß ich ihm den Weg nach der See bis zum letzten Augenblick offenlassen werde – er hat gelacht. Ich habe ihm ferner gesagt, daß ich ihn nicht zu retten vermöge, sobald er als Gefangener in die Hände der Meinigen gerate – er hat abermals gelacht!« – »Gibt es keinen weiteren Ausweg?« fragte Kurt.

Juarez blickte ihn forschend an.

»Vielleicht«, antwortete er nachdenklich. – »Oh, so versäumen Sie ihn nicht!« – »Hm. Wollen Sie etwa die Sache übernehmen?«

Bei diesen Worten war das Auge des Zapoteken forschend, fast stechend auf Kurt gerichtet.

»Sofort«, antwortete dieser freudig. – »Es wird auch umsonst sein.« – »Ich hoffe das Gegenteil.« – »So! Sie sind allerdings der einzige Mann, dem ich so etwas anvertrauen möchte. Glauben Sie durch die Vorposten zu kommen?« – »Sie meinen die Vorposten der Kaiserlichen?« – »Ja. Für die meinigen gebe ich Ihnen ein Passepartout.« – »Ich bin gut legitimiert. Man wird mich nicht anhalten.« – »Und Sie glauben auch vor Maximilian zu kommen?« – »Ganz bestimmt.«

Juarez blickte Kurt noch einmal mit voller Schärfe an. Es war, als ob er in der tiefsten Tiefe von dessen Seele lesen wolle. Dann machte er eine rasche Wendung und setzte sich an den Tisch, auf dem neben allerlei Skripturen die nötigen Schreibrequisiten lagen. Er legte sich ein Blatt zurecht, tauchte die Feder ein und schrieb. Als er fertig war, gab er es Kurt hin und fragte:

»Wird das genügen?«

Kurt las:

 

»Hiermit verbiete ich, dem Vorzeiger dieses und dessen Begleitern irgendwelche Hindernisse in den Weg zu legen. Ich befehle im Gegenteil, sie auf alle Fälle und ohne weiteres alle Linien passieren zu lassen und ihnen allen möglichen Vorschub zu leisten, ihr Ziel schnell und sicher zu erreichen. Wer diesem Befehl zuwiderhandelt, wird mit dem Tode bestraft.

Juarez.«

 

»Das genügt vollständig, vollständig!« rief Kurt, im höchsten Grade erfreut.

Er sah sich bereits als Retter des Kaisers drüben in der Heimat und allerwärts gefeiert.

»Ich glaube nicht daran«, erwiderte Juarez. – »Oh, man wird doch diesem Befehl gehorchen!« – »Sicher. Aber der eine, auf den es ankommt, wird ihn nicht respektieren.« – »Maximilian?« – Ja.« – »Er wäre wahnsinnig.« – »Versuchen Sie es!« – »Darf ich ihm dieses Passepartout zeigen?« – Ja.« – »Auch anderen?« – »Nein. Sie dürfen sich dieses Papiers nur im Notfall bedienen. Übrigens gebe ich Ihnen zu bedenken, daß ich verloren bin und von meinen Anhängern sicher verlassen werde, wenn sie erfahren sollten, daß ich meine Hand zur Rettung des Erzherzogs bot. Ich gebe mich trotz Ihrer Jugend in Ihre Hände, aber ich hoffe, daß Sie mein Vertrauen rechtfertigen.«

Kurt wollte antworten. Der Zapoteke aber schnitt ihm die Rede mit der schnellen und kalten Bemerkung ab:

Jetzt habe ich alles getan, was mir möglich ist; jetzt werde ich für nichts Weiteres verantwortlich sein und wasche meine Hände in Unschuld. Fällt Max dennoch in unsere Hand, so ist er nicht zu retten. Ich bin nicht König eines absolut regierten Landes. Ich hänge von Verhältnissen ab, denen ich mich nicht entwinden kann. Darum bitte ich Gott, Ihrem Vorhaben seinen Segen zu geben.«

Juarez reichte Kurt die Hand und wandte sich dann zu Sternau:

»Ihr junger Freund wird nun Eile haben; er mag schleunigst abreisen, um nach Querétaro zu kommen. Vielleicht ist es ihm möglich, etwas für Señorita Emilia zu tun, für die ich einiges befürchte, da dieser Pater Hilario, ihr Feind, zum Kaiser gegangen ist. Was Sie betrifft, so wissen Sie, daß ich gern für Sie tue, was möglich ist. Heute aber bin ich es, der eine sehr große Bitte an Sie hat.« – »Könnte ich sie doch erfüllen«, meinte Sternau. – »Sie können es.« – »Dann haben Sie meine Zusage im voraus, Señor.« – »Warten Sie erst. Wie haben Sie über Ihre nächste Zeit verfügt?« – »Ich habe mich noch zu nichts bestimmt. Ich kam, um Ihnen zu melden, was geschehen ist. Ich weiß ja, daß wir ohne Ihre gütige Hilfe mit dem Ordnen der Verhältnisse der Rodriganda nicht zustande kommen.« – »Das ist allerdings sehr wahr. Die Cortejos, Josefa Cortejo, Landola, der Pater und sein Neffe, sie alle müssen in Anklagezustand versetzt werden. Es handelt sich darum, ein umfassendes Geständnis von ihnen zu erlangen. Und selbst dann ist es nicht möglich, einen gültigen Urteilsspruch zu erlangen.« – »Warum?« – »Bedenken Sie unsere gegenwärtigen Verhältnisse. Noch wissen wir ja nicht, was geschehen kann. Wo gibt es einen kompetenten Gerichtshof für Ihre Angelegenheit?« – »Ich denke bei Ihnen.« – »Meine Gerechtigkeitspflege ist noch ambulant. Für Ihre Angelegenheit bedürfen wir eines Richterspruches, der auch von anderen Mächten, besonders von Spanien anerkannt wird.« – »Das ist allerdings sehr richtig.« – »Wir müssen also warten, bis sich die Verhältnisse Mexikos leidlich geordnet haben.« – »Das ist leider höchst unangenehm.« – »Aber ich hoffe, bis zum Juni zu Ende zu sein. Bis dahin ist nicht gar zu lange Zeit. Wie gedenken Sie, dieselbe zu verbringen?« – »Würden Sie mir gestatten, in Ihrer Nähe zu bleiben?« – »Sehr, sehr gern! Das war es gerade, was ich wünschte. Das war ja die Bitte, die ich an Sie richten wollte. Hätten Sie nicht Lust, in meine Dienste zu treten?«

Sternau blickte überrascht auf.

»Als was?« fragte er. – »Als Offizier.«

Sternau schüttelte langsam den Kopf.

»Señor, Sie sehen ein, daß ich ...« – »Pst!« unterbrach ihn Juarez lächelnd. »Ich weiß, was Sie sagen wollen. Ihr Leben ist Ihnen und anderen, die sich seit zwanzig Jahre vergebens nach Ihnen sehnen, zu kostbar, als daß Sie es an eine Sache wagen möchten, die Sie unmittelbar doch nichts angeht.« – »Das ist allerdings meine Meinung. Ich hoffe, nicht falsch beurteilt zu werden.« – »Gar nicht. Ich bezweifle weder ihren Mut, noch Ihre außerordentliche Befähigung. Aber in meinem Dienst möchte ich Sie doch haben.« – »Als was, wenn nicht als Offizier?« – »Als Arzt.« – »Ah!« – »Ja. Wir kämpfen. Ärzte sind notwendig und leider so selten. Und welche Ärzte haben wir? Kaum einen, der eine geschickte Operation vorzunehmen vermag.« – »Auf welche Zeit würden Sie mich engagieren?« – »Auf keine bestimmte Frist. Ich will Ihnen nicht hinderlich sein. Sie können gehen, sobald Sie es für notwendig halten.« – »Gut, so akzeptiere ich.« – »Topp?« – »Topp!« Sie schlugen die Hände ineinander. Dann sagte Juarez: »Abgemacht also! Sie bringen mir ein Opfer, für das ich Ihnen dankbar sein werde. Welche Personen haben Sie noch bei sich?« – »Bärenherz und Büffelstirn, nebst dem Kleinen André.« – »Wie wollen sich diese beschäftigen?« – »Ich werde dafür sorgen. Bezüglich Andres hätte ich bereits jetzt eine Idee. Señor Helmers braucht einen Begleiter. Einen der Häuptlinge kann er unmöglich mitnehmen, also würde ich ihm André vorschlagen.« – »Ich nehme ihn mit, wenn er mitgeht!« meinte Kurt sehr rasch. – »Schön. Und nun noch eins. Erwähnten Sie nicht gewisse Gegenstände, die Sie im Keller des Klosters erbeutet haben?« – »Allerdings.« – »Was war es?« – »Der politische Briefwechsel des Paters und sodann die Meßgewänder, die er unterschlagen hat.« – »Sind Sie kostbar?« – »Sehr. Sie repräsentieren einen Reichtum von Millionen.« – »Sie werden mir diese Sachen vorlegen?« – »Ich bitte um die Erlaubnis dazu.« – »Sie haben dieselbe. Von jetzt an wohnen Sie mit in meinem Haus. Ich werde Ihnen sofort die nötigen Zimmer anweisen lassen. Und dann, wenn Sie sich ausgeruht haben, werden wir uns wiedersehen.«


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