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Es war gegen neun Uhr, und Emilia erwartete bereits ihre Gäste. Da ließen sich schleichende Schritte draußen vernehmen, die Tür wurde eine Spanne breit geöffnet, und zwei Augen lugten vorsichtig herein. Als der Draußenstehende sich überzeugt hatte, daß die Dame allein sei, trat er ein.
Emilia war erst ein wenig erschrocken gewesen, jetzt aber erkannte sie ihn. Es war – der Beichtvater des Kaisers.
Er grüßte sehr höflich und sagte:
»Verzeihung, Señorita, daß ich in dieser Weise Zutritt zu Ihnen nehme! Aber es handelt sich um eine diskrete Angelegenheit. Sie waren heute mit dem General Mejia beim Kaiser. Seine Majestät konnte Ihnen keine Aufmerksamkeit schenkten, weil Miramon mit einer anderen Person zugegen war. Da nun der Kaiser gewisse Vorschläge und vielleicht auch etwas über jene Person zu hören beabsichtigt, so glaubt er, Sie jetzt bei sich sehen zu können.« – »Sie sollen mich zu ihm bringen?« – »Ja, und dabei haben Majestät noch gewünscht, daß niemand etwas von dieser Audienz wissen sollte.« – »Es ist meine Pflicht, mich zur Verfügung zu stellen. Zuvor aber muß ich meiner Dienerin sagen ...« – »Halt! Auch diese darf nicht wissen, wohin Sie gehen.« – »O nein. Ich werde Ihr nur befehlen, den Personen, die ich erwarte, zu sagen, daß ich erst in einer Stunde zu sprechen bin.« – »Gut! Ihre Dienerin ist bei der Señora unten. Ich werde mich vor das Haus begeben und Sie dort erwarten.«
Der Beichtvater ging.
Emilia machte schleunigst Toilette und stieg die Treppe hinab. Unten gab sie der Duenja den erwähnten Befehl und trat auf die Straße, wo sie den Beichtvater sah, Sie schritt zu ihm hin
»So, jetzt stehe ich zur Disposition«, meinte sie. – »Es ahnt doch niemand, wohin Sie gehen?« fragte er. – »Kein Mensch.« – »So kommen Sie.«
Emilia folgte, aber kaum hatte sie fünf Schritt getan, so wurde sie von starken Armen von hinten erfaßt.
»Hil...«
Mehr konnte sie nicht rufen, denn ein Tuch legte sich auf ihren Mund, und zugleich wurde sie an Händen und Füßen gebunden. Ein zweites Tuch wand man ihr über die Augen um den Kopf, und sie bemerkte, daß sie auf ein Pferd gehoben wurde. Der Reiter, der auf demselben saß, nahm sie in Empfang, und dann ging es fort.
Emilia vermochte sich nicht zu bewegen, sie wurde in einer höchst unangenehmen Lage von starken Armen wie mit Klammern festgehalten. Sie hörte und fühlte, daß die Pferde erst durch die Straßen der Stadt trabten und draußen auf der breiten Feldstraße dann angetrieben wurden und in einen gestreckten Galopp fielen.
Sie konnte kaum atmen. So ging es, wie es ihr schien, eine ganze Ewigkeit fort, bis der Führer zu halten gebot. Er nahm ihr die Tücher ab. Nun konnte sie wenigstens sehen und atmen.
»Um Gottes willen, was soll das sein?« fragte sie. »Ihr müßt Euch in mir geirrt haben, Señores.« – »O nein! Wir wissen ganz genau, wen wir haben«, lachte der Reiter. – »Was wollt Ihr denn von mir?« fragte sie voller Angst. »Und was soll mit mir geschehen?« – »Halte den Mund! Du wirst schon Antwort bekommen, wenn es Zeit ist. Mit Weibern Eures Gelichters wird wenig Federlesens gemacht. Für Euch ist der Strick noch viel zu gut.«
Der dies sagte, war der Oberst Miguel Lopez, ein Oheim der Frau des Marschalls Bazaine, Ritter der französischen Ehrenlegion und gern gesehener Gast in den Tuilerien – der Wohnung des Kaisers Napoleon in Paris –.
»Hier ist ein Pferd für dich! Ich kann mich mit dir nicht weiterschleppen. Wir werden dich also auf den Gaul binden. Aber spreize dich nicht, und versuche weder zu sprechen, noch zu entfliehen, sonst erhältst du eine Kugel vor den Kopf!«
Emilia wurde auf das Pferd gebunden, der Oberst nahm die Zügel desselben in die Hand, und dann ging es im Galopp weiter.
So mochte man wohl drei Stunden geritten sein, als man an einer Venta vorüberkam, die einsam an der Straße lag. Man sah noch Licht durch die Ladenritzen schimmern.
»Enrico, siehe einmal nach, wer drin ist!« gebot Lopez.
Der genannte Soldat stieg ab und blickte durch eine der Ritzen.
»Einige Vaqueros«, antwortete er. – »Wie viele?« – »Ich sehe drei, es können im ganzen höchstens fünf sein.« – »So steigen wir ab, um einen Schluck zu tun. Bindet das Frauenzimmer los und bringt es herein.«
Die Pferde wurden an eine dazu vorhandene Querstange gebunden, und Lopez, dem die anderen folgten, trat in das Haus.
Als die fünf Männer in Querétaro Emilia gefesselt hatten und aufgestiegen waren, hatte der Beichtvater den Beobachter gemacht. Aber wie sich die Pferde in Bewegung setzten, hatte er die Unvorsichtigkeit begangen, ihnen nachzurufen:
»Guten Ritt nach Tula!«
Die Reiter hatten es nicht beachtet oder wohl auch gar nicht gehört, wohl aber zwei andere.
Nämlich, als es einige Minuten nach neun geworden war, hatte Kurt sich mit André aufgemacht, um zu Emilia zu gehen. Querétaro war, wie damals alle mexikanischen Städte, nicht gepflastert, deshalb verursachten ihre Schritte nur wenig Geräusch.
Da hörten sie plötzlich ein laut gerufenes:
»Hil...«
Sie blieben stehen.
»Was war das?« fragte André. – »Es rief jemand um Hilfe!« antwortete Kurt. – »Aber nur halb.« – »Es schien eine Dame zu sein.« – »Ja. Sie brachte das Wort nur halb hervor. Man hat ihr also den Mund zugehalten.« – »Wir müssen ihr helfen. Vorwärts!« – »Halt. Langsam und leise anschleichen. Das ist viel sicherer.«
Sie versuchten, ihre Schritte so viel wie möglich zu dämpfen, und huschten leise vorwärts. Sie kamen vor der offenstehenden Tür des Hauses vorüber, in dem Emilia wohnte. Schon bemerkten sie eine kleine Gruppe vor sich, da setzte sich dieselbe mit lautem Pferdegetrappel in Bewegung.
»Guten Ritt nach Tula!« rief dabei eine Stimme.
Im Nu stand Kurt neben dem Sprecher und hatte ihn gepackt.
»Kerl, was ist hier geschehen?« fragte er. – »Nichts«, antwortete der Mann.
Er machte eine rasche Bewegung – Kurt hielt ein Kleidungsstück in der Hand, der aber, der darinnen gesteckt hatte, eilte davon.
»Er entkommt!« rief André.
Zugleich schickte er sich an, dem Fliehenden nachzueilen. »Halt!« gebot Kurt.
André gehorchte, aber er brummte unwillig:
»Wollen wir den Kerl denn entlaufen lassen?« – »Vielleicht ist es das beste. Und selbst wenn sich meine Vermutung bestätigt, nützt er uns nichts.« – »Wie? Sie haben eine Vermutung? Alle Teufel! Denken Sie etwa gar – Señorita Emilia?« – »Überzeugen wir uns.« – »Ah, da sollte der Teufel diese Kerle holen!«
Der kleine Mann sprang vorwärts, zur Tür hinein, zur Treppe empor. Oben war kein Licht, und die Zimmertür war verschlossen. Man hatte seine Schritte gehört, und eben als er die Treppe herabkam, trat die Dienerin in den Hausflur.
»Zu wem wünschen Sie?« fragte sie ihn. – »Ist Señorita Emilia zu Hause?« fragte er. – »Nein«, antwortete die Duenja. – »Ah, gewiß sind Sie die Señores, die sie erwartete. Sie waren heute bereits einmal da?« – »Ja.« – »In diesem Fall muß ich Sie bitten, in einer Stunde wiederzukommen.« – »Weshalb?« fragte Kurt. – »Der Beichtvater der Kaisers war bei Señorita Emilia, und sie ging gleich nach ihm aus.« – »Leuchten Sie einmal her! Kennen Sie dieses Gewand?« – »Himmel! Das ist ja die Kutte des Beichtvaters.« – »Oh, nun weiß ich genug. Die Señorita ist auf einige Zeit verreist, sie wird aber wiederkommen. Schließen Sie alle Sachen, die sie zurückgelassen hat, sorgfältig ein, und geben Sie den Schlüssel niemandem in die Hände.«
Er ließ die Alte nach ihrer Verwunderung stehen und eilte davon, seiner Venta zu. Der Kleine André sprang ihm nach.
»Donnerwetter! Verreist soll sie sein?« fragte er. – »Fällt niemandem ein«, antwortete Kurt – »Sie sagten es aber doch!« – »Weil die Alte das Richtige nicht zu wissen braucht. – Señorita Emilia ist entführt, das unterliegt keinem Zweifel, und da der dumme Teufel von einem Pfaffen sich selbst verraten hat, indem er ausrief: ›Nach Tula‹, so müssen wir ihm nach, und zwar sofort. Hier ist die Venta. Bezahlen wir unsere Zeche, und dann ihnen nach!« – »Wissen Sie den Weg?« – »Ja, ich bin ihn schon geritten.«
Unter diesen Reden hatten sie das Gasthaus erreicht. Der Wirt wunderte sich nicht wenig, als Kurt die Zeche bezahlte und die beiden ihre Pferde schnell sattelten und auf die Straße zogen.
»Señores, wollt Ihr etwa abreisen?« fragte er. – »Ja, alter Christian«, antwortete der Kleine. – »Nur werdet Ihr nicht hinauskommen. Denn es darf, sobald es dunkel ist, niemand passieren.« – »Bei dir mag es schwarz sein, bei uns aber ist es hell. Adieu, lieber Gottlieb.«
Nach diesem halb zärtlichen, halb beleidigenden Abschied trabten die beiden davon. Am Tor angekommen, sahen sie beim Schein einer Lampe eine Schildwache stehen.
»Halt! Wer da?« rief dieselbe. – »Offiziere!« – »Name!« – »Pedro Gibellar.« – »Kann passieren.« – »Sage, mein Lieber, sind nicht vor einer halben Stunde hier mehrere Reiter passiert? Wir gehören ihnen.« – »Ja. Oberst Lopez.« – »Richtig. Sie hatten eine gefangene Dame bei sich?« – »Ja. Sie mußten Eile habe, denn sie begannen draußen zu galoppieren.« – »Wir erreichen sie doch noch. Hier hast du!« – »Danke, Señor!«
Während der Soldat aufschloß, hatte Kurt ihm eine Silbermünze zugeworfen.
Als sie das Freie erreichten und ihre Pferde in einen fliegenden Galopp gesetzt hatten, meine der Kleine.
»Schöne Wirtschaft da in Queretaro.« – »Wieso?« – »Nicht einmal Parole oder wie man es nennt.« – »Das war gut für uns.«
– »Ich stand schon im Begriff, den Kerl mit dem Kolben niederzuschlagen, um zu seinem Schlüssel zu kommen.« – »Es wäre schade um seine Dummheit gewesen. Doch vorwärts!«
Sie ritten mehrere Stunden lang, ohne die Verfolgten zu erreichen. Da sahen sie an der Straße eine Venta, durch deren Ladenritzen Licht schimmerte.
»Sollten sie da eingekehrt sein?« fragte André. – »Jedenfalls.«
– »Ah! Wieso?« – »Dort stehen ja sechs Pferde.« – »Bei Gott, das ist wahr! Hallelujah! Wir haben sie!« – »Ruhig. Auch wir binden unsere Pferde an, aber etwas abseits. Wenn wir drin die Señorita sehen, tun wir so, als ob wie sie nicht kennen und nichts ahnten.«
Sie stiegen ab. In der Stube waren sehr laute Stimmen zu hören. Nachdem sie ihre Pferde angebunden hatten, traten sie an den Laden und blickten hindurch.
»Ein Offizier und vier Soldaten«, flüsterte der Kleine. – »Und einige Vaqueros am anderen Tisch«, antwortete Kurt. »Hinten am Herd sitzt die Señorita.« – »Richtig! Na, freue dich, Oberst Mo-Po-Ro – wie hieß der Kerl?« – »Lopez.« – Ja. Lopez. Freue dich, Lopez, der Kleine André ist da.« – »Schonen wir ihn so viel wie möglich.« – »Werden es abwarten.« – »Sie brüllen so laut, daß sie den Hufschlag unserer Pferde wohl gar nicht gehört haben. Treten wir ein!«
Kurt hatte recht. Als die beiden Männer grüßend in die armselige Hütte traten, fuhr Lopez erschrocken auf. Als er aber bemerkte, daß es nur zwei waren, setzte er sich wieder nieder. Aber er drehte sich zu ihnen herum und fixierte sie scharf.
Sie setzten sich an einen leeren Tisch nieder, der an der Tür stand. So waren sie sicher, daß ihnen niemand entgehen könne. Der Wirt fragte sie, ob sie etwas genießen wollten.
»Drei Glas Wein«, antwortete André. – »Drei?« fragte der Wirt verwundert, – »Ja.« – »Sie sind doch nur zwei.« – »Was geht das deine Tante an?«
Da begann der Oberst.
»Wer seid Ihr, Señores?«
Der Kleine saß mit dem Rücken gegen ihn gerichtet. Jetzt drehte er sich herum, betrachtete den Frager mit maliziösen Blicken und antwortete:
»Neugierde!« – »Was? Neugierde?« brauste der Offizier auf. »Wißt Ihr, wer ich bin?« – »Pah! Wollen es gar nicht wissen. Viel Gescheites wird es nicht sein!« – »Mensch, ich glaube, du bist verrückt!«
Bei diesen Worten erhob sich Lopez und trat an den Tisch.
Emilia hatte beim Eintritt der beiden sofort gewußt, daß dieselben gekommen seien, sie zu retten. Aber sie hatte das mit keiner Miene verraten. Jetzt wollte es ihr angst werden um den kleinen Mann. Dieser jedoch blickte den Obersten furchtlos an und meinte:
Ja, einer von uns beiden ist verrückt!« – »Du nämlich, Mensch!« – »Wollen sehen!«
In demselben Augenblick gab der Kleine dem Obersten, der ihm prächtig hiebrecht stand, einen so gewaltigen Faustschlag in die Magengegend, daß der Getroffene zu Boden stürzte. Und im nächsten Augenblick kniete er auf ihm und schnürte ihm die Kehle zu.
Die vier Soldaten wollten ihrem Offizier zu Hilfe kommen, aber da stand Kurt vor ihnen und hielt ihnen den geladenen Revolver entgegen.
»Halt!« gebot er. »Keinen Laut und keine Bewegung, wenn Ihr nicht eine Kugel haben wollt!«
Sein Aussehen war so drohend, daß sie auf Widerstand verzichteten. Sie setzten sich, gar nicht an ihre Waffen denkend, wieder nieder. Die Vaqueros und der Wirt, an solche Szenen gewöhnt, hielten es für das beste, sich nicht einzumischen.
»Fertig mit dem Obersten?« fragte Kurt. – »Gleich«, meinte der Kleine, indem er dem Offizier noch einen Faustschlag auf den Kopf versetzte. »So, der hat genügt für diesen Abend.« – »Dann die Stricke her dort von der Wand. Wir wollen die vier Señores ein wenig binden.«
André brachte die Stricke herbei und fesselte einen Soldaten nach dem anderen. Sie wagten auch jetzt nicht, sich zu widersetzen, denn sie sahen es Kurt an, daß er wirklich schießen werde. Zuletzt wurde auch der Oberst gebunden, damit er nicht schaden könne, wenn er wieder zu sich komme.
»So!« meinte der Kleine. »Von jetzt an wird niemand ohne unsere Erlaubnis die Stube verlassen. Es geschieht keinem etwas, aber wer sich nicht fügt, den holt entweder der Teufel oder ich.«
Dann trat er zu Emilia.
»Welche Angst werden Sie ausgestanden haben«, sagte er. »Wir kamen gerade dazu, als diese Kerle mit Ihnen forttrabten, und sind natürlich schleunigst nach. Kommen Sie, Señorita, und trinken Sie einen Schluck.
Kurt führte Emilia zum Tisch und reichte ihr das dritte Glas.
»Seht Ihr«, sagte er zum Wirt, »daß ich wohl recht hatte, als ich drei Gläser verlangte.«
Emilia dankte mit überströmendem Herzen. Sie erzählte, wie sie behandelt worden war und daß man sie morgen hatte aufknüpfen wollen.
»Was?« rief der Kleine. »Gehängt sollten Sie werden?« – »Ja.« – »Das war doch nur dummer Spaß?« – »Nein, sondern völliger Ernst.«
Da versetzte André dem noch immer bewußtlosen Obersten wütend einen Fußtritt und rief:
»Das hätten sie wagen sollen! Wäre ich morgen nach Tula gekommen und hätte Sie hängen sehen, so hätte ich das Nest in die Luft gesprengt.«
Emilia reichte André das zarte, schöne Händchen und erwiderte:
»Ich glaube, daß Sie zornig geworden wären, und danke Ihnen herzlich für diese Teilnahme.« – »Was? Zornig?« fragte er. »Verrückt wäre ich geworden, ein rasender Robinson, oder heißt es vielleicht Roland? Wissen Sie noch, was ich in Chihuahua für meine Kameraden tat?« – »Oh, noch sehr gut weiß ich das. Ich werde es nie vergessen.« – »Nun, für Sie könnte ich noch tausendmal mehr tun. Trinken Sie nur, damit der Schreck keine weiteren Folgen hat.«
Als Emilia das Glas zum Mund führte, hörte man den Hufschlag eines Pferdes, das draußen anhielt, und eine Minute darauf trat der Reiter ein. Es war der dicke Kleine, der Bote des geheimen Bundes.
Als er die Gefesselten erblickte, wollte er sofort zurückweichen, aber André war schneller als er und hatte ihn gepackt.
»Halt, Freund!« sagte er. »Hierbleiben! Wer hier einmal eintritt, der muß wenigstens so lange bleiben wie wir.« – »Aber, Señor, ich wollte gar nicht bleiben«, meinte der Mann angstvoll. – »So? Was wolltest du denn?« – »Ich wollte einen Schluck Wein trinken und wieder fort.« – »Trinke zehn Schlucke. Dann sind auch wir fertig, und du kannst gehen, wohin es dir beliebt.« – »Das wohl nicht«, meinte Kurt lächelnd. »Der Señor wird uns begleiten.« – »Sie begleiten?« fragte der Dicke. »Wohin?« – »Zu Juarez.«
Der Dicke wurde leichenblaß.
»Zu Juarez?« fragte er. »Warum?« – »Weil der Präsident Sie gern kennenlernen will. Wo sind Sie heute gewesen?« – »In der Umgegend.« – »Nicht in Querétaro?« – »Auch mit.« – »Was hatten Sie da zu tun?« – »Ich bin Handelsmann und reise für mein Geschäft.« – »Ja. Sie handeln mit Lügen, und Ihr Geschäft ist der Verrat.« – »Gott, Señor, Sie verkennen mich«, rief der Beschuldigte voller Angst. – »Ich Sie verkennen? Das wollen wir gleich sehen. Sind Sie in Santa Jaga bekannt?« – »Nein.« – »Auch nicht im Kloster della Barbara dort?« – »Nein.« – »Sie sind nie dort gewesen?« – »Nein.« – »Aber Sie kennen den Pater Hilario?« – »Nein.« – »Oder dessen Neffen Manfredo?« – »Auch nicht.« – »Sie lügen. Ich selbst habe Sie dort gesehen.« – »Sie täuschen sich.«
Da holte Kurt aus und gab dem Dicken eine solche Ohrfeige, daß er mit dem Kopf an die Wand flog. Der Getroffene nahm beide Hände gegen das Haupt und rief:
»Sie tun mir wirklich unrecht. Der, den Sie gesehen haben, muß mir außerordentlich ähnlich sein.« – »Ja, so ähnlich, daß du es bist, mein Bursche. Hast du nicht am Mittwoch abend im Zimmer des Paters mit dessen Neffen gesprochen?« – »Nein.« – »Hast du ihm nicht gesagt, daß zweihundert Soldaten kommen würden, die er den Klosterberg heraufholen solle?«
Der Mann starrte Kurt erschrocken an.
»Nein«, leugnete er dennoch. – »Diese Soldaten sollten das Kloster in Besitz nehmen, damit der Kaiser getötet und Juarez sein Mörder werde?« – »Nein. Ich habe nicht daran gedacht.« – »Leugne jetzt, wie du willst. Ich bin kein Henker. Aber wir werden dich schon noch zum Sprechen bringen und auch die Mitglieder eures sauberen Bundes erfahren. Wir binden dich aufs Pferd und nehmen dich mit. Brechen wir auf!«
Kurt warf ein Geldstück als Bezahlung für den Wein auf den Tisch und faßte den Dicken an. André half, und bald war der Verschwörer auf sein Pferd gebunden. Emilia, jetzt frei, stieg auf ein anderes, und es ging fort.
Sie mußten zurück, vorsichtig um Querétaro herum, und nun galt es, die Vorposten von Juarez zu erreichen.
Der ebenso vorsichtige wie tatkräftige Zapoteke hatte sein Heer unterdessen eine allgemeine Vorwärtsbewegung machen lassen. Er befand sich in viel größerer Nähe, als selbst Mejia heute am Nachmittag geahnt hatte, denn noch war der Mittag nicht vorüber, so stieß Kurt auf eine bedeutende Streifpatrouille, welche zum Korps des Generals Velez gehörte.
Sie wurden in das Quartier desselben geleitet. Dieser hatte Kurt bei Juarez gesehen und kannte überdies Emilia sehr genau. Er war ein rauher, höchst feuriger und oft rücksichtsloser Republikaner. Er ließ sich das Geschehene erzählen und rief den Dicken vor sich, den er eine ganze Weile schweigend und mit finsteren Blicken betrachtete.
»Du hast geleugnet, was dir dieser Señor vorgeworfen hat?« fragte er ihn. – »Ich leugnete es, denn ich sagte die Wahrheit«, antwortete der Mann. – »Du bist nicht derjenige, für den er dich hielt?« – »Ich heiße Pedrillo und handle mit Ponchos und Sarapen.«
Da nahm das Gesicht des Generals eine höhnische Miene an.
»Und jetzt sagst du auch die Wahrheit?« fragte er. – »Die reine, lautere Wahrheit.« – »Wenn ich dich nun besser kenne?« – »So täuschen Sie sich, Señor.« – »Hund! Ich täusche mich niemals in einer Person, am allerwenigsten aber in einer solchen Galgenphysiognomie, wie die deinige ist. Hast du jemals einem Mönch, einen Pater Juanito gekannt?«
Der Mann wurde leichenblaß.
»Nein«, antwortete er dennoch. – »Der aus dem Kloster Anuamente entwich?« – »Nein.« – »Und den Franzosen den General Tonamente an das Messer lieferte?« – »Ich habe ihn nicht gekannt, Señor.«
Dies Verhör fand im Freien statt. Der General stand wie ein Racheengel vor dem Gefangenen.
»Mensch, zu allen Teufeleien hattest du den Mut, aber zu einem Bekenntnis bist du zu feig!« rief Velez. »Du nanntest dich Pedrillo, den Verlorenen, und du hast recht. Verloren bist du! Du sollst zum Teufel fahren in allen deinen Sünden, ohne Beichte und Absolution!«
Seine Hand fuhr in den Gürtel, ein Schuß krachte, und der frühere Mönch stürzte, durch den Kopf getroffen, tot zur Erde.
»General!« rief Kurt. – »Was?« fragte Velez rauh. – »Er hätte noch leben sollen.« – »Wozu?« – »Er hätte uns Geständnisse machen und alle seine Mitschuldigen und Verschworenen nennen müssen.« – »Pah! Ich mag nichts von ihnen wissen. Diese Schufte geraten noch alle in meine Hände. Wenn ich so einen Schurken für irgendein Verhör oder eine Untersuchung aufhebe, so bin ich niemals sicher, daß er mir nicht doch noch entkommt.« An demselben Mittag traf Oberst Lopez mit seinen vier Soldaten wieder in Querétaro ein; man kann sich denken, in welcher Stimmung. Seine Pflicht war, sich sogleich zu Miramon zu begeben, um diesem Meldung über das Geschehene zu machen.
Der General hörte ihn erstaunt an.
»Was?« fragte er. »Zwei Männer waren es, die Euch bezwangen?« – »Es ging so verteufelt schnell, Señor.« – »Hm. Und wohin haben sie das Mädchen geschafft?« – »Zu Juarez, wie die Vaqueros sagten.« – »Das ist noch gut, denn da sind wir sicher, daß der Kaiser sie niemals wieder zu sehen bekommt, und darum will ich Ihnen diesen Fehler verzeihen. Aber ich hoffe, daß Sie den nächsten Auftrag, den ich Ihnen geben werde, desto besser, sorgfältiger und vor allem vorsichtiger zu Ende führen.«
Welcher Auftrag dies sein sollte, das wußte der Oberst jetzt bereits, hütete sich aber sehr, schon jetzt ein Wort davon zu sagen.
Von nun an entwickelten sich die Verhältnisse mit ungemeiner Schnelligkeit. Eskobedo rückte rasch näher und schloß die fünfzehntausend Mann, die Max bei sich hatte, mit fünfundzwanzigtausend Republikanern ein. Die Belagerung von Querétaro begann.
Ebenso umschloß Porfirio Diaz mit seiner Armee die Hauptstadt, in der bald der gräßlichste Hunger zu wüten begann.
Kurt wollte nicht untätig bleiben. Er schloß sich dem Geniewesen an und leitete unter dem Kommandanten dieses Korps die Belagerungsarbeiten.
Sternau bemühte sich als tüchtiger Arzt und leuchtete allen seinen mexikanischen Kollegen als Muster vor.
Juarez hatte den Sitz der Regierung nach San Luis Potosi verlegt. Lindsay und Amy befanden sich bei ihm. Es läßt sich denken, wie erfreut diese beiden gewesen waren, als sie von der Rettung der Gefangenen hörten. Wie gern wäre Amy nach Santa Jaga gegangen, aber allein getraute sie sich nicht fort, und die Begleitung ihres Vaters konnte sie nicht erlangen, da er bei Juarez unumgänglich nötig war. Desto eifriger aber wurden Briefe gewechselt. Täglich flogen dieselben zwischen Santa Jaga und Potosi hin und her, um Grüße und Küsse zu bringen und die Liebenden auf die so nahe Zukunft zu vertrösten.
Auch Sternau hatte seine Pflicht getan und, sobald der Telegraf benutzbar war, in die Heimat telegrafiert, daß sie alle gerettet seien. Hätte er dabeisein können, als diese Depesche das alte, liebe Rheinswalden erreichte!