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12. Kapitel.

Während dieses Komplott gegen Emilia geschmiedet wurde, war sie in ihre Wohnung zurückgekehrt. Sie sah ein, daß ihre Rolle hier ausgespielt sei, und sehnte sich fort. Da hörte sie draußen Männerschritte, die vor der Tür halten blieben. Die alte Dienerin, die ihre Wirtin ihr zur Verfügung gestellt hatte, öffnete, steckte den Kopf herein und sagte:

»Zwei Señores wollen Euch sprechen, Señorita.« – »Wer sind sie?« – »Ein Señor Helmers und der andere heißt Strau-Strauber – ja, Straubenberger.« – »Ich kenne sie nicht.« – »Aber sie kennen Euch.« – »Nun, so mögen sie eintreten.«

Die beiden Eintretenden waren Kurt und der Kleine André. Sobald Emilias Blick auf den letzteren fiel, erheiterte sich ihr Gesicht. Sie eilte auf ihn zu, streckte ihm die Hände entgegen und sagte im Ton der höchsten Freude:

»Mein Gott, welch eine Überraschung! Ihr, Señor André?« – »Ja, ich«, antwortete der Kleine, ihre Hand ergreifend. – »Wo kommt Ihr denn her?«

André sah sich vorsichtig um, und als er fand, daß die Dienerin sich zurückgezogen habe, antwortete er leise:

»Von Juarez.« – »Von Juarez? Das ist aber unendlich gefährlich.« – »Ja, Ihr müßt wissen, gerade das Gefährliche liebe ich.« – »Das habe ich erfahren. Aber wer ist Euer Begleiter hier?«

Emilias Blick glitt mit sichtlichem Wohlgefallen an Kurts Gestalt nieder.

»Hm. Wenn Ihr das raten könntet!« schmunzelte der Kleine. – »Mit Raten gebe ich mich nicht gern ab.« – Er kennt meinen Bruder.« – »Ah!« – Ja, den Ludwig.« – »So, so«, lächelte sie. – »Habt Ihr denn nicht von den beiden Brüdern Helmers gehört, die mit Señor Sternau waren?« – »O doch, Ehr meint Donnerpfeil und den Steuermann?« – Ja. Señor Kurt hier ist der Sohn des Steuermannes. Er ist aus Deutschland herübergekommen, um uns zu retten.« – »Zu retten? Bedurftet Ihr denn der Rettung?« – »Das versteht sich. Wir waren alle miserabel gefangen.

Das wunderte Emilia noch mehr, und die beiden mußten sich niedersetzen und erzählen. Dieses letztere besorgte der brave André. Kurt saß da und beobachtete Emilia, deren Schönheit er bewunderte.

Das Mädchen war so lieb und gut mit dem Kleinen, daß diesem das Herz aufging. Was er darauf hatte, das mußte herunter, und so kam es auch, daß er ihr den Zweck ihrer gegenwärtigen Anwesenheit mitteilte.

»Wie?« fragte sie Kurt. »Sie wollen mit dem Kaiser sprechen! Ich darf wohl nicht fragen, welches der Zweck Ihrer Audienz beim Kaiser ist?« – »Es ist mir allerdings nicht erlaubt, darüber zu sprechen, obgleich ich überzeugt bin, daß ich Ihnen Vertrauen schenken dürfte.« – »Sicher, Señor. Wie lange werden Sie hierbleiben?« – »Das ist noch unbestimmt. Es kommt das auf die Antwort an, die ich vom Kaiser erhalte.« – »Sie gehen wieder zu Juarez?« – Ja.« – »Oh, würden Sie mich mitnehmen? Ich fühle mich so unsicher und elend hier.« – »Natürlich, natürlich! Wir nehmen Euch mit!« rief der Kleine André ganz enthusiasmiert. – »Ich stimme meinem Kameraden vollständig bei«, fügte Kurt hinzu. – »Wann gehen Sie zum Kaiser?« – »Sogleich.« – »Darf ich dann erfahren, wie lange Sie noch hierbleiben?« – »Ich stehe gern zu Diensten. Wann darf ich Sie wiedersehen?« – »Heute abend?« fragte sie. – »Gewiß.« – »Vielleicht nach neun Uhr? Sie müssen nämlich wissen, daß man hier sehr spät empfängt.« – »Wir werden kommen, Señorita. Nicht wahr, lieber André?« – »Mit dem allergrößten Vergnügen«, schmunzelte der Kleine. – »Wo logieren Sie?« – »In der Venta, rechts auf dieser Gasse.« – »So haben Sie also nicht weit zu mir. Ich wollte, Sie reisten bereits morgen wieder ab.« – »Vielleicht habe ich die Freude, Ihnen diese Antwort zu bringen.« – »Aber wie sind Sie in die Stadt gekommen? Man kontrolliert seit einiger Zeit sehr streng.« – »Ich bin im Besitz von Papieren, die mir überall Eingang verschaffen.«

Die beiden gingen. Während André nach seiner Venta zurückkehrte, wandte Kurt sich nach dem Kloster La Cruz. Er wurde zwar dort eingelassen, aber nach seinem Begehr gefragt. Er zeigte seine Papiere vor und erhielt nun erst die Erlaubnis, in das Vorzimmer zu treten. Er wurde angemeldet, obgleich noch mehrere andere Personen auf Einlaß warteten. Es dauerte kaum zehn Minuten, so durfte er eintreten.

So stand er also jetzt vor dem Mann, von dem die ganze Welt sprach, den so viele in den Himmel hoben und den noch viel mehr verurteilten.

Max richtete sein großes Auge auf ihn und fragte:

»Man hat Sie mir als Leutnant Helmers angemeldet?«

Kurt machte seine Reverenz und antwortete:

»Dies ist mein Name und meine Eigenschaft, Majestät.« – »In welchem Land dienen Sie?« – »Ich bin Preuße.« – »Ah! Sie waren in der Hauptstadt?« – »Vor einiger Zeit.« – »Kommen Sie vielleicht von Herrn von Magnus?« – »Leider nein.«

Das Gesicht des Kaisers hatte infolge der letzteren Vermutung einen freundlichen Ausdruck angenommen, jetzt aber wurde es wieder ernst.

»So ist es vielleicht eine Privatangelegenheit, in der Sie sich mir nähern?« – »Eine Privatangelegenheit? Ja, fast möchte ich es so nennen.« – »Das heißt eine Angelegenheit, die persönlich Sie betrifft?« – »Nein, Majestät. Ich komme aus Zacatecas.«

Da trat der Kaiser einen Schritt zurück.

»Aus Zacatecas? Aus dem Hauptquartier des Juarez?« – »Ja.« – »Waren Sie bei ihm?« – »Ich sprach mit ihm.« – »Wie kommen Sie als preußischer Offizier zu Juarez?« – »Ich bin nicht als Offizier, sondern als Privatmann bei ihm gewesen. Er ist bereits vor Jahren der Freund und Beschützer einiger Mitglieder meiner Familie gewesen, und in Angelegenheiten dieser Familie mußte ich zu ihm.« – »Und wie kommt es, daß Sie von ihm nach Querétaro gingen?« – »Er sendet mich.« – »Zu wem?« – »Zu Ihnen, Majestät.«

Die Züge des Kaisers wurden kälter und kälter.

»Halten Sie mich für einen Mann, der mit Juarez in Korrespondenz oder Verbindung steht?« fragte er. – »Mitnichten«, antwortete Kurt. »Ich bin hier auf Veranlassung mehrerer hervorragender Männer, die sich zwar in der Nähe des Zapoteken befinden, aber trotzdem nur das Wohl des Kaisers von Mexiko im Auge haben.« – »Welch eine Ehre!« meinte Max beinahe ironisch. »Nun, was haben Sie mir zu sagen?« – »Ich habe Euer Majestät ein Schriftstück zu übergeben, mußte aber mein Ehrenwort verpfänden, dasselbe zu vernichten, falls Eure Majestät sich dessen nicht zu bedienen beabsichtigten.« – »Das heißt, ich darf dieses Schriftstück nur lesen, muß es Ihnen aber wiedergeben?« – »Nur in dem von mir erwähnten Fall.« – »Das klingt ja sehr geheimnisvoll. Zeigen Sie!«

Kurt holte seine Brieftasche heraus, nahm das von Juarez unterschriebene Blatt hervor und überreichte es dem Kaiser. Dieser las es. Zuerst spiegelte sich allergrößte Überraschung in seinem Gesicht, dann aber zog er die Brauen finster zusammen.

»Was ist das?« fragte er. »Wer hat das geschrieben?« – Juarez«, antwortete Kurt kalt.

Er besaß Scharfsinn genug, um zu bemerken, daß seine Botschaft verunglückt sei.

»Ist die Unterschrift echt?« – »Majestät! Ich bin Offizier!«

Aus den Augen des Kaisers fiel ein Blitz auf den Sprecher.

»Ich meine«, sagte er, »ob Sie zugegen gewesen sind, als Juarez dieses Schriftstück verfaßte?« – Ja.« – »Aus welchem Grund tat er das?« – Er wurde von den bereits erwähnten Personen darum gebeten.« – »Er setzt also voraus, daß ich zu fliehen beabsichtige?« – »Nein, sondern es ist die Überzeugung aller seiner Anhänger, daß Majestät nur auf diese Weise zu retten sind.« – Junger Mann, vergessen Sie nicht, vor wem Sie stehen!« – »Ich bin meiner Lage vollständig eingedenk.« – Dem Wortlaut dieses Schreibens nach hätte ich mich irgend jemandem anzuvertrauen?« – Ja.« – »Wem?« – »Dem Besitzer dieses Passepartout.« – »Ah! Das sind ja Sie!« – »Allerdings.« – »Das ist mir interessant!« rief der Kaiser, in dessen Gesicht sich das allergrößte Erstaunen zu erkennen gab. »Sie sind es, der mich retten will?« – »Ich bin es«, antwortete Kurt ruhig. – »Ein junger Leutnant!« – »Ich bin überzeugt, Majestät könnten sich mir anvertrauen. Sie sehen, daß Juarez ganz derselben Überzeugung ist.« – »Das wäre Wahnsinn! Hier haben Sie Ihr Papier zurück.«

Kurt nahm die Schrift und schob sie wieder in die Brieftasche.

»Ich halte es für meine Pflicht, Eure Majestät aufmerksam zu machen, daß dies der letzte Schritt von Benito Juarez ist, den er in dieser Angelegenheit tun kann.« – »Diese Bemerkung ist vollständig überflüssig.« – »Sie kommt aus einem wohlmeinenden deutschen Herzen, Majestät. Und sollte sie wirklich überflüssig sein, so gestatte ich mir eine zweite, nämlich die, daß sich eine Clique gebildet hat, die Juarez dadurch stürzen will, daß sie ihn zwingt, Ihr Mörder zu werden.« – »Das klingt sehr romantisch.« – »Ist aber dennoch wahr. Und da er nur dann Ihr Mörder werden kann, wenn Sie in seine Hände geraten, so wird diese Clique alles tun, um Sie zu veranlassen, hier in Querétaro zu bleiben.« – »Woher wissen Sie das so genau?« – »Ich gestatte mir vorher die Gegenfrage, ob nicht ein gewisser Pater Hilario aus Santa Jaga hier angekommen ist?« – »Ich betrachte diese Frage als nicht an mich gerichtet.« – »So kann ich nur bemerken, daß dieser Pater das Werkzeug dieser Clique ist und daß es sehr wohlgetan sein wird, alles, was er tut und sagt, mit Mißtrauen entgegenzunehmen.« – »Ich verstehe. Juarez will nicht gestürzt sein, darum will er mich nicht fangen, und darum fordert er mich auf zu entfliehen.«

Der Kaiser sprach diese Worte in einem höchst beleidigendem Ton aus. Kurt aber blieb gleichmütig und antwortete:

»Ich bezeuge mit meinem Ehrenwort, daß Juarez nicht durch eine solche Berechnung, sondern allein durch die Stimme seines Herzens und durch unsere vereinten Bitten veranlaßt wurde, die Zeilen zu schreiben, die ich die Ehre hatte, Eurer Majestät vorzulegen. Juarez ist nicht der Mann, sich durch eine Intrige in seiner Handlungsweise beeinflussen zu lassen. Ein Mann des festen, unerschütterlichen Prinzips wie er, kann wohl besiegt werden, kann untergehen, wird aber nie einer gemeinen Berechnung fähig sein. Er kennt sein Ziel, er weiß, daß er es erreichen wird, und wenn er während seines riesenhaften, gigantischen Ringens einmal zeigt, daß in seinem Herzen nicht nur eine geradezu bewundernswerte Energie, sondern auch ein menschliches Fühlen wohnt, so muß man diesen großen Mann um so höher achten.«

Kurt verbeugte sich und ging hinaus.

Der Kaiser wußte nicht, wie ihm geschah. Er vergaß, zu fragen, ob Kurt in Querétaro bleiben oder dasselbe verlassen werde. Er vergaß ferner, daß die militärische Klugheit es fordere, sich dieses Mannes zu bemächtigen, der das Innere der Stadt gesehen hatte und dasselbe an Juarez verraten konnte. Er dachte nur an die Worte, die er zuletzt gehört hatte. Sie klangen wie ein sich immer mehr entfernendes Donnerrollen an sein Ohr, aber – er hatte die Stunde der Rettung unbenutzt vorübergehen lassen.

Kurt fühlte sich nicht aufgelegt, in seine Venta zurückzukehren. Der Nachmittag neigte sich zu Ende, und so strich er sinnend und langsam durch die Stadt, bis die Dunkelheit hereinbrach. Erst dann begab er sich zu André, der mit dem Abendbrot auf ihn gewartet hatte.

»Gelungen?« fragte dieser kurz. – »Mißlungen!« lautete die Antwort. – »Warum?« – »Der Kaiser hat jedenfalls noch eine Hoffnung, Juarez niederzuwerfen.« – »Wird ihm verdammt schwer werden.«


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