Alexander Moszkowski
Ernste und heitere Paradoxe
Alexander Moszkowski

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Vom Geld und Fraß.

Es gibt unter uns so altmodische Leute. Und in ihrer Rückständigkeit bekommen sie es noch heute fertig, sich in längst verschimmelte Klassiker der Vorzeit zu versenken. Aber sie werden dafür bestraft; denn sie geraten dabei an Stellen, die ihnen den blassen Neid erwecken, und das Neidgefühl gehört nicht zu den Annehmlichkeiten.

Da liegt so eine Scharteke aufgeschlagen, die vom Plinius Secundus Major herrührt, und beim Durchblättern stößt man auf einen altrömischen Kurszettel. Der Ausdruck ist vielleicht nicht ganz genau, denn Plinius hält sich nicht an den Tag, gibt vielmehr einen allgemeinen Bericht von der Produktenbörse. So oder so, der Neid kann nicht ausbleiben, denn wir lesen da: Der plebejische Ädile (Polizeidirektor) Manius Marcus lieferte zuerst dem Volke das Getreide um ein As für den Scheffel. Minutius Augurinus, der elfte Volkstribun brachte den Preis des Roggens an drei Markttagen auf denselben Preis: deswegen wurde ihm vor dem trigeminischen Tore eine Bildsäule von dem Volke aus freiwilligen Beiträgen gesetzt. Trebius lieferte dem Volke ebenfalls das Getreide für ein As. Aus diesem Grunde wurden auch ihm Statuen auf dem Kapitol und dem palatinischen Hügel errichtet.

Zur Würdigung des Sachverhalts sei daran erinnert, daß ein As, die kleinste römische Kupfermünze, nach heutigem Wertmaß etwa vier Pfennige bedeutet. Es bedarf keiner weitläufigen Umrechnung, um den Gedanken nahezulegen, daß solcher »Höchstpreis« für die Beteiligten einen sehr angenehmen Beigeschmack hatte und für sie einen Höchstgenuß bedeutete.

Aber auch noch andere vergnügliche Dinge des Tagesbedarfs konnte man um vier Pfennige haben: Terentius Varro erzählt, daß damals, als Metellus in seinem Triumphzug so viele Elefanten aufführte, nicht nur der Scheffel Roggen ein As gegolten habe, sondern ebenso viel die Maß Wein, dreißig Pfund trockene Feigen, zehn Pfund Öl, zwölf Pfund Fleisch. Die Kaufkraft des Geldes war sonach eine ungeheure, und der kleinste Rentner von heute hätte damals schon die Sprünge eines Millionärs machen können. Aber um so schwieriger gestaltete sich das eigentliche Problem der Reichen und deren nagende Sorge: »Was fange ich mit meinem Gelde an?« beherrschte tatsächlich in jenen Zeiten einen beträchtlichen Teil des öffentlichen Lebens.

Diese Sorge tobte sich im Altertum vorwiegend in der Richtung der Gefräßigkeit aus; neben dem Roggen, dem Fleisch und den getrockneten Feigen gab es doch noch andere Dinge, denen es durch Seltenheit und Schwierigkeit der Anschaffung gelang, hochgeschraubte Preise zu erzielen. Schlagen wir den Seneca auf, so finden wir, daß jenes geringfügige As in eine tiefe Unterschicht versinkt, während die Silbermünze Sesterz (21 Pfennig) sich mit den stärksten Multiplikatoren umgeben muß, um überhaupt als Maßstab in Frage zu kommen: Cajus Cäsar Caligula, in dessen Person die Natur zeigen wollte, was die höchste Lasterhaftigkeit in der höchsten Stellung anrichten könne, speiste an einem Tage um zehn Millionen Sesterzien. Obwohl ihm dabei alle »klugen Köpfe« halfen, gelang es ihm doch kaum, den Ertrag von drei Provinzen auf einmal zu verzehren. Aber auch unterhalb des Thrones gediehen die schlemmenden Geldstreuer zu geschichtlicher Berühmtheit. Wir besitzen eine auf den Namen »Apicius« lautende Schrift in zehn Büchern über die Kochkunst (de re culinaria), die uns höchst sinnreiche Methoden anzeigt, um große Summen in kleine Pasteten zu verwandeln. Apicius selbst, Professor der Kochkunst und Zeitgenosse des Seneca, beschloß seine Tätigkeit allerdings mit der Verzehrung einer wenig bekömmlichen Mahlzeit. Nachdem er hundert Millionen Sesterzien auf die Küche verwendet, nachdem er viele Geschenke von Fürsten und unermeßliche Einkünfte des Kapitols auf einzelne Prunkessen verschwendet hatte, begann er zur Feststellung seiner Bestände seine Rechnungen zu prüfen. Er fand, daß ihm nur noch zehn Millionen Sesterzien zum Leben übrig blieben, und nun, als ob er mit zehn Millionen ein Bettlerdasein führen müßte, tötete er sich durch Gift.

Die Spannung zwischen den preistreibenden Überstürzungen des Luxus und jenem auf der Vier-Pfennige-Grundlage aufgebauten Korn- und Fleischmarkt ist eine ungeheure; sie wird vollends märchenhaft und unfaßbar, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß man auch in den Millionenrechnungen noch einen weiteren Multiplikator einzusetzen hat. Denn auch in ihnen ist, soweit ich es übersehe, nur von Metalleinheiten des Geldes die Rede, nicht aber von dessen durchschnittlicher Kaufkraft gegenüber den allgemeinen Bedürfnissen des Lebens. Selbst wenn wir aus dem Altertum ein »Jahrbuch der Millionäre« besäßen, so würden wir daraus eher erkennen, wer der Üppigste, als wer der Reichste war. In den klassischen Überlieferungen herrscht ein Schema vor, das vielfach aufs Legendäre deutet, so daß für eine Abschätzung von Fall zu Fall wenig Raum übrig bleibt. Ob uns Herodot vom Krösus, vom Polykrates, oder vom Rhampsinit erzählt, so bleibt das Leitmotiv immer das gleiche: strotzende Schatzkammern, Juwelenfülle, Kostbarkeiten, Goldhaufen, und man könnte ebenso gut nach dem Bankkonto des Alberich im Rheingold fragen, als nach dem wirklichen Reichtum des Krösus. Wälzte er sich im Golde? Davon steht nichts im Herodot, dagegen meldet Suetonius einen, der diese Übung wirklich angestellt hat, den ersten unter den Wälzern und wahrscheinlich den einzigen. Es war Caligula. Die Stelle lautet: »Zuletzt, entbrannt von Lust, in dem Gelde herumzuwühlen, ging er oft zwischen den ungeheuren Goldhaufen, die in einem weiten Raume ausgeschüttet waren, mit nackten Füßen umher und wälzte sich zuweilen darauf mit dem ganzen Leibe herum.« Aber auf wieviel Denaren er sich gewälzt hat, das bleibt Geheimnis.

Bei Krösus geraten wir wenigstens einmal an einen richtigen Zahlenwert. Denn es wird berichtet, daß die Perser von ihm persönlich vierundzwanzigtausend Pfund Goldes erbeuteten. Daß ein Kapitalist nach solcher Erleichterung sich sehr arm vorkommen mag, leuchtet ohne weiteres ein; der umgekehrte Schluß, daß er zuvor unbedingt der Allerreichste gewesen sein müsse, scheint aber nicht zulässig. Denn 24 000 Pfund Gold bedeuten nach heutigem Maße knapp 34 Millionen Mark, und aus zusammenschließenden Wahrnehmungen können wir ableiten, daß diese Summe in einer Hand mehrfach von anderen Vermögen des Altertums erreicht oder übertroffen wurde. Als Mitbewerber um die Palme des Reichtums kommt neben anderen Licinius Crassus in Betracht, der Triumvir mit dem Beinamen »Dives« (der Reiche), der während seines Konsulats dem Volke für drei Monate Getreide auf seine Kosten austeilte und dann noch, nach Plutarch und Plinius, rund 35 Millionen Mark übrig behielt. Legt man etwa die zuvor erwähnte Preistafel des Varro zugrunde (zwölf Pfund Fleisch für vier Pfennige), so hätte der Herr Licinius eine stärkere Kaufkraft entwickeln können, als heutzutage die Rockefeller, Gould, Astor und Vanderbilt zusammengenommen. Für seine Zeit war der Triumvir jedenfalls nicht nur ein Krösus, sondern Krösissimus.

Aber man braucht gar nicht die Jahrtausende zu überspringen, um im Punkte »Geld und Fraß« auf neiderweckende Absonderlichkeiten zu stoßen. Rüsten wir uns zu einer Reise in nähere Gebiete, wohin uns ein bewährter Führer, Ritter von Schweinichen, den Weg weist. An seiner Hand gelangen wir anno 1578 nach Krummenau in Böhmen, wo ein vornehmer Herr, Wilhelm von Rosenberg, gerade seine Hochzeit rüstet. Nichts hindert uns, an der Tafel Platz zu nehmen und uns einer Speisenfolge zu erfreuen, die märchenhaft anmutet und doch einstmals wahr und wahrhaftig in lieblichem Reigen über die gedeckten Tische marschierte.

Schmackhaft zubereitet wurden: 113 ganze Hirsche, 98 Wildschweine, 40 837 Eier (ohne Eierkarte), 470 Fasanen, 3910 Rebhühner, 2292 Hasen, 162 Rehe, 246 Auerhühner, 22 687 Krammetsvögel, 370 Ochsen, 2681 Schöpse, 1579 Kälber, 421 Bratlämmer, 600 indianische Hühner, 3000 gemästete Kapaunen, 12 581 Masthühner und 2500 Küken, 3250 Stopfgänse, 15 800 Karpfen, 1844 große Hechte, 5 Tonnen Austern – und wir bemerken ausdrücklich, daß die Liste der Wohlgeschmäcke von dieser einen Hochzeitstafel noch sehr viel weiter reicht, schier eine ganze Seite weit, in den Aufzeichnungen unseres Führers; alles hat seine kulinarische Umrahmung und Ergänzung; das massiv Schweinerne erweitert sich in Schinken und Spanferkeln zu einem fetttriefenden Nahrungssystem von unübersehbaren Abmessungen. Lachse, Aale und Welse eilen den Hechten und Karpfen zu Hilfe, Korn und Weizenbrot, aus 150 Maltern gebacken, liefern die Grundlage. Berge von Marzipan und Konfekt krönen den Schluß, 2000 Eimer Ungarwein plätschern dazwischen und vermengen ihre Wogen mit unnennbaren Fluten anderer Getränke, und wir erfahren zudem, daß die Mahlzeit, zu der wir uns im Geiste einluden, einschließlich der Tafelbelustigungen, des Feuerwerks, der Mummerei, den Beutel des freigebigen Gastwirts nicht allzusehr strapaziert hat: Herr Wilhelm von Rosenberg hat für die ganze Herrlichkeit nicht mehr als 100 000 Taler ausgegeben! Ja, es scheint, daß in dieser Summe die 12 743 Taler für süßen Nachtisch schon mitgezählt waren; er muß für die Beschaffung der Hauptstücke entschieden besonders gute Quellen und Beziehungen gehabt haben.

Wer seine genießenden Sinne nach vergangenen Jahrhunderten auf die Weide schickt, wird gut tun, ihnen den rechnenden Verstand als Begleiter mitzugeben. Und der wird sich erst allerhand Notizen über die damaligen Marktpreise einzuprägen haben, bevor er sich an unmittelbare Vergleiche heranmacht. Unter den vorhandenen Merktafeln sei eine herausgegriffen, die noch ein wenig weiter zurückdatiert als jene reichlich versorgte Hochzeitstafel, nämlich bis etwa in die Zeit des Konzils von Konstanz, von dessen leiblichen Bedürfnissen und Befriedigungen die Chronikenschreiber so viel Erbauliches zu erzählen wissen. Damals galt ein Pfund Rindfleisch drei Pfennige, ein Pfund Lammfleisch 7 Heller, ein Ei 1 Heller, ein Hering 1 Pfennig, eine Maß Rheinwein 20 Pfennige, ein Pfund Kalbfleisch 2, Schweinefleisch 5, die Maß Bier 2, ein Pfund Schmalz 6 Pfennige. Beim Einkauf lebender Schweine ging es nach Quartetten: vier Schweine um 6 Pfund 20 Pfennige, das Pfund nach heutigem Reichsgeld zu 110 Pfennigen gerechnet. Einen Ochsen konnte man um 12 Pfund haben, eine Milchkuh um 4 Gulden, eine Gans um 8 Pfennige; die Maß Branntwein galt 5 Pfennige, ein Malter, gleich 12 Scheffel Korn, ungefähr 4,5 Mark, ein Pfund Baumöl 10 Pfennige, das Pfund Butter – nicht ganz billig – 17 Pfennige. Immerhin sind solche Normen, als »Höchstpreise« betrachtet, durchaus geeignet, die Lober vergangener Zeiten zu tönenden Hymnen zu entflammen; und vollends, wenn man sich vergegenwärtigt, daß man beim Masseneinkauf noch weit besser fuhr. Wer über einige Bestände verfügte, der konnte sich auf Dauer wohlfeil versorgen; es liegen Kaufverträge vor: zwei Hofstätten samt drei Güteräckern für 90 Mark, ja Anno 1400 wurde ein ganzes Dorf, Volknatshofen, mit Land und Leuten um weniger als 200 Gulden dem Bieter zugeschlagen.

Man muß also, wie gesagt, beim Vergleich der Werte einen tüchtigen Multiplikator einsetzen. Aber es scheint, daß man auch den Appetit multiplizieren muß, um zwischen Einst und Heute den richtigen Verhältnismaßstab aufzufinden. Wir stoßen da auf Ungeheuerlichkeiten des Genießens und Verschlingens, für die uns, den bescheiden Lebenden, jede Möglichkeit des Verständnisses schwindet. Der Kardinal Cornaro gab im Anfang des sechzehnten Jahrhunderts ein Gastmahl von wohlgezählten 75 Gängen, die sich noch dadurch erweiterten, daß jeder Einzelgang dreierlei Arten von Speisen umfaßte; nach schlichtbürgerlicher Methode gemessen, bedeutete dies also eine Reihenfolge von 225 Gängen, durch die sich die Gäste hindurchzuarbeiten hatten. Und die Chroniken erzählen nicht, daß ihnen die Kräfte dabei erlahmten; man darf also annehmen, daß sie als Virtuosen ihre Aufgabe zur Zufriedenheit des kirchenfürstlichen Herbergsvaters lösten. Zur selben Zeit veranstaltete Kardinal Grimani im venezianischen Palast zu Rom ein ausführliches Fischessen. Hier wurde der Hauptton auf die Aufmachung, den verschwenderischen Weinfluß aus edelsten Gewächsen und auf die Höchstgüte der Fische gelegt. Als Probe wird mitgeteilt, daß ein einzelner Stör 18 Dukaten kostete; und volle sechs Stunden hatten die Eingeladenen zu tun, bis die Leistung ihrer Kinnbacken die vorgesetzten Herrlichkeiten bewältigte. Seltsamerweise geschah das zu einer Zeit, da ein höchst sparsamer Papst, Hadrian, den gesamten Wirtschaftsbedarf des Vatikans mit je einem Dukaten für den Tag bestritt.

Aber der Speiseluxus der Cornaro und Grimani war nur ein Abglanz weitaus glänzenderer Eßfeste, die ihr Vorgänger Mario auf nämlichem Boden geboten hatte, um die Erinnerung an sardanapalischen Prachtwahnsinn heraufzubeschwören. In Wahrheit wurde bei ihm, so meldet Frau Chronik durch den Mund Gregorovius', die ganze Schöpfung kunstvoll aufgetischt. Wenn die sieben Personen, die an der Haupttafel saßen, von allen Gerichten nur gekostet hätten, so würden sie unfehlbar an Überladung gestorben sein. Man trug vor ihnen auf: ganze gebratene Wildschweine samt ihrem Fell, ganze Damhirsche, Ziegen, Hasen, Kaninchen, übersilberte Fische, selbst einen Bären, im Fell gebraten, nicht zu zählen die Torten, die Gelatinen, die eingemachten Früchte und derlei Konfekt. Ein Pastetenhügel umschloß einen lebenden Menschen, der aus dem schmackhaften Gefängnis herausstieg, um Verse zu deklamieren. Mythologische Figurenwerke wurden als Hüllen erlesener Speisen auf die Tafel gesetzt, so die Geschichte des Atlas, des Perseus und der Andromeda, die Arbeiten des Herkules in Mannesgröße auf silbernen Platten. Ganze Burgbauten aus Konfektmauern, mit Speisen gefüllt, wurden geplündert und dann von der Loge des Saales unter das jauchzende Volk geworfen. Segelschiffe schütteten ihre Ladungen von Zuckermandeln aus. Der Stern des Festes, die Prinzessin Leonora von Neapel, konnte den Schauplatz mit der Überzeugung verlassen, daß die Welt nichts Ähnliches an kindischer Schwelgerei besäße. Und jener Gastgeber, der zu den zwölf Herkulesarbeiten die dreizehnte einer alles überragenden Fresserei gefügt hatte, war aus mönchischen Niederungen aufgestiegen!

In der Geschichte der Schlemmereien kann man nicht am Gastmahl des Trimalchio von Petronius vorüber. Angesichts der Unmöglichkeit, dies ganze Gastmahl hier durchzukosten, begnügen wir uns mit einigen Brocken aus der zusammengedrängten Darstellung, die Dr. Oberbreyer dem Nonplusultra aller Schmausereien voranstellte. Einige Vergleichsnotizen erleichtern das Verständnis der Verfassungsartikel in einem Reiche, als dessen Chef der Freßteufel die Fäden der Regierung lenkt. Schon beim Lukullus kostete eine einzige Mahlzeit mehr als 30 000 Mark. Vitellius, nach Tacitus' Benennung »das kaiserliche Schwein«, verschwendete mit Essen in sieben Monaten 126 Millionen Mark. Den Kaiser Verus kostete ein einziger Abendfraß für zwölf Personen 750 000 Mark. Heliogabal erfand eine weitere Steigerung, indem er mit der Mahlzeit eine Lotterie verband; jedem Gaste fielen nach Gunst des Loses zehn Kamele zu, oder zehn Bären oder Strauße, oder zehn Pfund Gold. Die Gäste wurden mit solchen Mengen von Blumen überschüttet, daß einige von ihnen tatsächlich erstickten. In der Prasserei des Trimalchio gedeiht die Orgie der Verschwendung bis zum Gipfel des Blödsinns. Bei den Vorkostgängen erscheint ein mit Oliven bepackter Esel von Erz, eine Schüssel mit gemästeten Haselmäusen in einer Soße von Honig und Mohn, mit heißen Würsten auf silbernem Rost. Gleichzeitig bringt man ein der Natur nachgeahmtes brütendes Huhn samt Nest und untergelegten Pfaueneiern herein. Sie erscheinen zuerst angebrütet und ungenießbar, allein bei näherer Untersuchung entdeckt man in den Eiern fette Schnepfen. Geschirr zerbricht, und die echt silbernen Scherben werden zum Müll hinausgefegt. Zum Waschen wird Wein gereicht, als Getränk hundertjähriger Falerner. Tanzende Sklaven tragen die Triumphe der Küchentechnik auf: Geflügel, Saueuter, Hasen, Fische in einem künstlichen Teich, in den aus den Dickbäuchen mehrerer Figuren Kaviarsoße fließt. Ein gewaltiger Eber mit Ferkeln aus Kuchenteig zeigt das Kunststück, daß beim ersten Transchierschnitt Drosseln aus ihm herausfliegen. Eine Symphonie des Unsinns über Leitmotive der Freßwirklichkeit, phantastisch gesteigert, und doch im Grunde nicht abenteuerlicher als so viele Orgien der Leibeslust.

Auch Rabelais wollte parodistisch übertreiben, indem er seitenweis in unendlichen Reihen die Opfer aufzählt, welche die Gastrolater ihrem »bauchlauchtigen« Gotte darbrachten. Aber wenn es wahr ist, daß man nichts Kluges ausdenken kann, was nicht die Vorwelt schon gedacht, so ergibt sich für den Spruch ein noch viel höherer Grad der Sicherheit im Bereich des Dummen. Jener antike Freßteufel hat an Extravaganzen der Torheit so viel geleistet, daß er allen Wettbewerben nachfahrender Phantasie trotzt. Dabei kann man getrost zugeben: in dem Ozean schwelgerischer Unsinnigkeit befanden sich einige Inseln, auf denen es sich ganz leidlich leben ließ. Nehmen wir sie als die eigentlichen Landungspunkte unserer Gedankenreise. Und wenn wir von ihnen heimkehren an unseren einfachen, sorgsam bereiteten Tisch, so würze uns ein idealer Nachgeschmack die prunklose Gegenwart; des Virgil Wort sei uns gegenwärtig: »Meminisse juvabit« – »dereinst wird auch dieses vielleicht uns zur Erinnerungsfreude«.


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