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Ein alter Esel: Ich ergreife das Präsidium auf diesem Tierkongreß. Ich bin geboren im Jahre 1887 und mithin der älteste Esel in dieser Versammlung. Es befinden sich zwar einige betagtere Persönlichkeiten unter uns, Dickhäuter, Papageien, bemooste Karpfen; wir haben indes auf unserer vorjährigen Konferenz bestimmt, daß das Alterspräsidium ausschließlich von einem Einhufer ausgeübt werden dürfe. (Akklamation.) Ich ernenne zu Schriftführern das mit Federhaltern ausgerüstete Stachelschwein, das Zebra und das Gnu. Der erste Gegenstand unserer diesjährigen Verhandlungen ist die Frage: Wie pflanzen wir uns hinauf? Zur Begründung der Frage erteile ich das Wort dem Marabu.
Der Marabu: Mitviehcher! Ihnen allen, vom Bücherwurm angefangen bis hinauf zum nachdenklichen Stelzvogel, wird es nicht entgangen sein, daß in der Natur eine gewisse Entwicklung stattfindet. Wir werden also zu untersuchen haben, in welcher Linie sich diese Entwickelung bewegt, und ob es uns gelingen kann, dereinst die zoologische Höhe des Menschen zu erreichen.
Der Klammeraffe: Hierzu müßte zuerst ermittelt werden, ob der Mensch uns tatsächlich überlegen ist. Daß er selbst dies behauptet, daß er sich für die Krone der Schöpfung erklärt, kann für uns ganz nebensächlich sein. Ich persönlich leugne diese Überordnung des Menschen auf das allerentschiedenste. Kürzlich habe ich mir einen Kongreß der Turner angesehen, und ich muß sagen, das war eine Schaustellung der Degenerierten; jedes Kapuzineräffchen würde sich schämen, so stümperhaft zu turnen wie diese Menschen. Da ich nun die Welt vorwiegend vom turnerischen Gesichtspunkt betrachte und die Gymnastik als den wahren Prüfstein aller Entwicklung ansehe, so komme ich zu dem Resultat, dem Menschen eine bedauerliche Verschlechterung des von uns Affen bereits Erreichten zusprechen zu müssen.
Der Marabu: Immerhin müssen wir daran festhalten, daß der Mensch das höher entwickelte Wesen darstellt. Seine Intelligenz, seine Tatkraft, seine gesamte Kultur beweisen es . . .
Die Eule: Bitte, bitte, beweisen es nur für den Menschen, der aus seinem Gedankenkreise nicht heraus kann, der keinen anderen Maßstab kennt als den menschlichen; aber sie beweisen es nicht ohne weiteres für uns oder die zoologische Gemeinschaft überhaupt.
Präsident Esel: Da über diesen Punkt Meinungsverschiedenheiten obzuwalten scheinen, so eröffne ich zunächst die Debatte über die Qualitäten der Menschen.
Der Marabu: Ich schlage vor, diese Qualitäten der Reihe nach durchzunehmen. Fangen wir mit der Stärke an. Soweit mir bekannt, beherrscht der Mensch die Erde, er scheint demnach der stärkste zu sein.
Der Löwe: Daß ich nicht lachbrülle! Man stelle mir so ein Individuum gegenüber, daß ich ihm Anschauungsunterricht erteile. Nach einer halben Minute werde ich mich mit seinem Leichnam über das Prinzip der bewegenden Kräfte unterhalten.
Der Marabu: Du irrst dich, Löwe. Er wird dir die Lektion angedeihen lassen. Vergiß nicht, daß er ein Schießgewehr in der Hand hat.
Der Löwe: Und das soll entscheiden? Ich dächte, wir reden hier über die organischen Qualitäten, die eine Gattung, eine Art auszeichnen; im Sinne der Entwickelung genommen. Sage mir, Marabu, wen hältst du für den höheren Typus: einen Kanonier oder einen Achilles? Man braucht die Frage nur so zu stellen, um sofort die Lächerlichkeit der Sache zu begreifen. Der Kanonier schießt hundert Achillesse über den Haufen. Steht er darum höher? Der Mensch selbst würde dich auslachen, wenn du ihm einen solchen Aberwitz auftischen wolltest.
Die Eule: Ich schließe mich dem geehrten Herrn Vorbrüller vollinhaltlich an. Wenn die Stärke eine Qualität ist – und daran zweifeln wir nicht – so muß sie im Individuum selbst zum Ausdruck kommen. Und nach dieser Richtung haben sich die Arten überhaupt nicht emporgezüchtet. Der Ichthyosaurus, das Megatherion, der Diplodokus waren stärker als wir alle miteinander, den Menschen eingeschlossen. Da hilft also kein Hinaufpflanzenwollen. Die Natur arbeitet offenkundig in der Richtung der Kraftverminderung; nicht der Kräftigere bleibt übrig, sondern der Schwächere. Als Herkules den nemeischen Kollegen des Vorredners erwürgte, war der Mensch der Überlegene, heute ist es der Löwe.
Der Marabu: Aber der Mensch herrscht, und das Tier dient; es dient ihm sogar zur Nahrung.
Der Tiger: Aus meiner Praxis entsinne ich mich einiger Fälle entgegengesetzter Art.
Der Marabu: Ich meinte bloß, der Mensch bleibt schließlich doch in den meisten Fällen der Überwinder, darum müssen wir ihn als den höher Entwickelten anerkennen.
Die Eule: Ganz falsch. Denn dann müßten wir den Pestbazillus, der alle überwindet, noch höher stellen. Und es kann doch unmöglich unser Ehrgeiz sein, uns zu Bakterien hinaufzuzüchten.
Das Pferd: Die Frage liegt wirklich höchst schwierig. Daß die Kraft nicht allein den Ausschlag gibt, ist mir klar. Ich bin stärker als der Mensch. An den Waggons steht angeschrieben: 42 Mann oder 6 Pferde, woraus hervorgeht, daß der einzelne Mensch nur ein Siebentel PS entwickelt. Und dennoch habe ich das Gefühl, daß er etwas vor mir voraus hat.
Präsident Esel: Die Geschwindigkeit ganz sicher nicht.
Das Pferd: Aber die entlehnt er von mir, wenn er auf mir reitet.
Ein Pudel: Auf mir reitet eben ein Floh.
Das Pferd: Das ist ein Zufall. Beim Menschen ist es der Wille, der ihn zum Reiter macht. Auf diese Qualität kommt es an; er bestimmt mir den Weg.
Präsident Esel: Und der Klügere gibt nach!
Die Eule: Der Wille des Klügeren besteht eben darin, Weiterungen zu vermeiden. Ein wütender Bulle bestimmt den Weg des Reiters. Wird der Bulle dadurch zum höheren Organismus? Frage den Menschen selbst nach der Bedeutung des wegbestimmenden Willens. Er wird dir erzählen, daß der Wille einiger Idioten, die sich für Richter hielten, ihrem Sokrates den Weg zum Gifte bestimmten, daß bornierte Franzen ihrer Befreierin Johanna d'Arc den Weg zum Scheiterhaufen wiesen; ein Rindvieh wie Hudson Lowe – ich bitte die anwesenden Ochsen um Verzeihung – hatte den Willen und die Macht, Napoleon jeden Schritt zu regeln. Tausend weitere Beispiele könnte ich dir anführen, um zu beweisen, daß auf der Entwickelungsleiter die Willensträger unten und die Gehorchenden oben stehen.
Der Marabu: Aber der Mensch hat die Wissenschaft.
Eine Biene: Sss – – – Sss – –
Präsident Esel: Bitte deutlicher!
Die Eule: Ich verstehe die Biene ganz gut; sie will sagen, daß es mit der menschlichen Wissenschaft nicht sehr weit her ist. Grundlage aller wissenschaftlichen Erkenntnis bildet die Mathematik, und in diesem Punkte ist die Biene dem Menschen zweifellos über. Von Euklid bis Gauß ist noch kein Mathematiker aufgetreten, der imstande gewesen wäre, eine planimetrische Figur in idealer Vollendung zu gestalten. Der Biene ist dies eine Kleinigkeit, sie baut das wahrhaft korrekte Sechseck in Milliarden von Waben. Das wollte die geehrte Imme mit ihrem summenden Protest zum Ausdruck bringen.
Der Marabu: Ich meine, wir hätten eine Hauptqualität noch gar nicht berührt: den aufrechten Gang des Menschen. Er selbst legt sehr großes Gewicht auf diese seine aufrechte Haltung, die es ihm ermöglicht, in die Sterne zu blicken.
Ein Hühnchen: Keinen Tropfen trinkt das Huhn, ohne einen Blick zum Himmel aufzutun!
Die Eule: Ganz recht, Fräulein Hinkel, die Geschichte mit der aufrechten Haltung des federlosen Zweibeiners ist auch eine von den anthropozentrischen Einbildungen; übrigens längst durch den gerupften Hahn des griechischen Philosophen widerlegt. Warum ist aufrecht besser als wagerecht! Warum stellt sich der Mensch alles Göttliche vertikal vor? Weil er eine ihm anhaftende und für ihn bezeichnende Eigenschaft ins Ideale projiziert. Der Gott des Negers ist schwarz und wollköpfig. Könnte ein Dreieck denken, so würde es sich seinen Gott dreieckig vorstellen. Der Galgen steht aufrecht, das Bett liegt horizontal, ist der Galgen darum die bevorzugtere Einrichtung? Übrigens gehört schon eine Dosis Frechheit dazu, mit der Vertikalität zu renommieren, wenn man von unten bis oben knapp sechs Fuß herausrechnet. Wie könnte da erst die Giraffe protzen? Mit seiner ganzen aufrechten Haltung vermag der Mensch noch nicht einmal eine Dattel vom Baume zu holen.
Der Marabu: Er nimmt eben eine Leiter. Und überhaupt die Werkzeuge des Menschen – allen Respekt!
Der Adler: Wieso? Warum soll ich Krücken respektieren, die mir nichts offenbaren als die Lahmheit der Inhaber? Der Mensch schleift sich Gläser zu Brillen und Fernrohren, weil er mit mir verglichen blind ist. Ein Luftschiff hat er sich gebaut, das Gespött aller anständigen Flieger. (Bravo bei den Möwen.) Der armseligste Fink müßte verzweifeln, wenn jemals einer seiner Artgenossen eine Luftzappelei zum besten gäbe, wie die von denen da unten als Triumph der Menschheit ausposaunten. Rekords stellen sie auf mit dem Aeroplan 300 Meter über dem Sande zur Bewältigung einer Strecke, die ich mit einem Flügelschlage abmache.
Die Eule: Ich möchte hinzufügen, daß der Mensch im Grunde seiner Seele sich dieser Jammerhaftigkeit bewußt ist. Dem wirklichen Flieger erweist er göttliche Ehren, und an seinem vormals höchsten Feiertage, dem Ordensfest, verstiegen sich seine kühnsten Wünsche bis zu einem Adler.
Der Kranich: Besonders die Offiziere, die sich generalstäblerische Talente zutrauen. Man setze einen Major nach Mittelafrika und verlange von ihm, er solle aus eigenem Ingenium die schnurgerade Linie nach seiner heimatlichen Kaserne finden. Eine der einfachsten Aufgaben, die jeder Zugvogel im Schlafe löst. Davon hat so ein Major gar keine Ahnung.
Der Storch: Alte Sache, daß sich der Mensch nicht zu orientieren vermag. Er findet ohne mich nicht einmal den ersten Schritt in die Öffentlichkeit.
Die Fledermaus: Ja, wie soll er auch, mit lumpigen fünf Sinnen? Von dem reichsten Sinn, den ich besitze, von jenem Sinn, der im Gehirn erst das wahre Abbild der körperlichen Welt erzeugt, bis zu seiner Vorstellungsmöglichkeit liegt eine unendliche Leere. Nur auf das Vorhandensein dieses ihm rätselhaftesten Sinnes schließt er staunend aus unverstandenen Symptomen. Und dann setzt er sich hin und schreibt dicke Bücher über die Höchstentwicklung des Menschengeschlechts.
Das Krokodil: Widmen wir ihm eine Träne des Mitleids, er verdient sie. Es muß traurig sein, sich mit so verkümmerten Organen durch die Welt zu schlagen.
Die Eule: Zum Ersatz wußte die Natur ihm nichts anderes zu verleihen als die gesteigerte Arroganz. Er redet stolz vom Zeitalter der Elektrizität, die ihm nur auf Umwegen bekannt wird, während der Zitterroche das direkte Organ dafür innehat. Seit Jahrtausenden experimentiert er an der Staatsform und bemerkt nicht, daß die Ameise längst besitzt, was er vergeblich sucht: das ideale Gemeinwesen. Er verkündet die Fruchtbarkeit als das Merkmal der Rassenüberlegenheit und schämt sich nicht vor dem Karpfen und vor dem Kaninchen. Er schwelgt in seiner Tugend, gebraucht das Wort »Hund«als Ausdruck der Verworfenheit und rechnet nicht nach, daß er sämtliche 270 Verbrechen seines Strafgesetzbuches ausübt, und der Hund nicht ein einziges.
Der Marabu: Aber er hat das Gesetz von der Entwickelung der Arten aufgestellt. Vor hundert Jahren tat es Oken, vor sechzig Jahren hat Darwin das Werk vollendet. Dies allein verleiht ihm die Unsterblichkeit, an der das Tier keinen Anteil hat.
Die Eule: Wiederum falsch. Es gibt keinen Menschen, der so unsterblich wäre wie der Regenwurm, oder gar wie der Polyp Hydra viridis, der, in dreißig Teile zerschnitten, sich in jedem Fragment neu ergänzt und dreißigfach fortlebt. Die Protisten, die Amöben sind unsterblich. Das weiß der Mensch sehr gut, aber trotzdem feiert er nicht diese, sondern seinen Descartes, der die Tiere als unbeseelte Maschinen definiert hat. Und von Schiller, der freilich den Zusammenhang etwas besser erfaßte, läßt er sich noch vorreden: Die Kunst, o Mensch, hast du allein; er, der die Baukunst von den Bibern und Termiten, die dekorative Kunst von der Hochzeitslaube des Kragenvogels, die Farbenpracht vom Kolibri und den Gesang von unserer Diva Nachtigall übernommen hat. Er rühmt sich seiner Sprachkunst und besitzt kein Verständigungsmittel, das an praktischer Universalität das einfache piep des Spatzen erreicht. Das sind die Qualitäten des Menschen, auf Grund deren seine Biologen Tag für Tag von höheren und niederen Organismen orakeln!
Das Murmeltier: Auf diese Qualitäten gestatte ich mir ergebenst zu pfeifen.
Präsident Esel: Ich glaube, daß wir anfangen, uns vom Thema zu entfernen. Unsere Tagesordnung lautete: Wie pflanzen wir uns hinauf?
Die Eule: Gar nicht pflanzen wir uns hinauf. Wir haben es nicht nötig! Mit dieser Frage soll sich der Mensch den Kopf zerbrechen. Und wenn es ihm gelungen sein wird, einen Übermenschen zu züchten, so wird erst dieser erkennen, daß es kein Untervieh gibt, Dixi.