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So unglaublich es klingt: es gibt ein Buch, das uns Aufschluß gibt über die letzten Geheimnisse aller Menschenkämpfe, über alle Folgen, alle Gestaltungen, bis hinein in die fernsten Zeiten.
Dieses Buch ist ein Band oder ein Teil eines überaus großen Sammelwerkes. Alle vorhandenen und alle jemals möglichen Sprachen vereinigen sich in ihm. In seiner Gesamtheit erteilt es Kunde über alles, was war und sein wird. Denkbares und Undenkbares eingeschlossen. Es ist lückenlos.
Aber zur Aufstellung dieses Werkes reichen die vorhandenen Hilfsmittel nicht aus. Man müßte über die Grenzen des bekannten Universums hinausschreiten, um für die Gestelle zur Aufnahme dieser Bücherei Raum zu gewinnen.
Ideal wie seine Leistung ist auch seine Entstehung, die gänzlich in der Idee wurzelt. Sie läßt sich nicht verwirklichen, aber sie läßt sich, als Idee, mit geschlossener Folgerichtigkeit entwickeln. Und es ist nicht einmal besonders mühevoll, sich in diese Gedankengänge hineinzufinden, denn es genügt, den einfachsten Grundlinien der Kombinationslehre nachzugehen, um das volle, runde Ergebnis zu erfassen.
Schon Cicero nahm einen Anlauf, um sich der schönen Idee zu nähern, und es besteht Grund zu der Annahme, daß er selbst wiederum aus Anregungen griechischer Vorgänger geschöpft hat. Cicero fragt, ob ein Buch wie die Homerische Ilias aus einem zufälligen Zusammenfinden der Buchstaben hätte entstehen können; er leugnet dies natürlich, um die Ausschließlichkeit der dichterischen planvollen Anlage zu beweisen. Und doch hat er den Grenzfall übersehen: seine Fragestellung war richtig, seine Antwort war selbstverständlich, vom Standpunkt des schaffenden Schriftstellers, aber falsch von der erhöhten Warte kosmischer Betrachtung gesehen. Ein Pythagoras ihm zur Seite hätte ihm gesagt: lieber Cicero, deine Zufalls-Ilias ist nicht unmöglich, sondern nur hochgradig unwahrscheinlich; zähle die Buchstabenstellen im Homer, und ich will dir bis auf den Punkt genau ausrechnen, nach wie vielen unbrauchbaren Zufällen beim Zusammenschütten der Buchstaben der richtige Text der Ilias herauskommen muß!
Wir gehen weiter und fragen allgemein: wie müßte sich eine Bibliothek gestalten, die sämtliche Zufälle, überhaupt die Summe aller Druckmöglichkeiten enthält? in der die Ilias als ein Einzelfall steckt? und außer ihr alles, was jemals gedruckt, geschrieben, gedacht worden ist, je in Zukunft als Wortfolge, als Niederschrift im weitesten Sinne erscheinen kann? also das »Universalbuch«, um einen Ausdruck zu gebrauchen, den Kurd Laßwitz eingeführt hat, der aber als Begriff schon dem Raimundus Lullus, dem Giordano Bruno und dem Leibniz vorschwebte?
Das ist nun eine ganz sicher festzustellende Angelegenheit, numerisch genommen. Man braucht, um die Zahl der Bände zu finden, nur ein geringes Maß rechnerischer Anstrengung, während allerdings ein sehr erheblicher Aufwand von Papier und Tinte erforderlich ist, um diese Anzahl in üblicher Weise hinzuschreiben. Aber wir sind ja jetzt an die Milliardenrechnungen gewöhnt, das heißt an ein Grundmaß, das sich durch eine Eins mit neun Nullen ausdrückt. Mit zwölf Nullen haben wir die Billion, mit achtzehn Nullen die Trillion, und mit 600 Nullen würden wir die Centillion erreichen. Darüber hinaus beginnt eine sprachliche Schwierigkeit, die sich weiterhin in das schwer Aussprechbare, ja bis zur sprachlichen Unmöglichkeit steigert. Dieser Fall liegt bei unserer Universalbücherei vor: denn die Anzahl ihrer Bände drückt sich in einer Niederschrift aus, die aus einer Eins mit daran gehängten zwei Millionen Nullen besteht. Man kann hierfür, abkürzend sagen: zehn zur zweimillionten Potenz, so wie man den Wert der vierten deutschen Kriegsanleihe als rund mit zehn zur zehnten Potenz Mark bezeichnen kann. Allein dieser Finanzwert läßt sich doch in dekadischem Maß mit einem einzigen Federzug als 10 000 000 000 hinschreiben, während sich dieser Möglichkeit widersetzt: dessen Zahl beansprucht in gewöhnlicher Handschrift einen Papierstreifen von acht Kilometern Länge.
Voraussetzung bleibt, daß wir uns über den Umfang des einzelnen Druckbandes verständigen. Wir haben als Grundlage jener Rechnung ein handliches Format zu wählen, das dem Einzelbande genau eine Million typographischer Stellen zuweist. Das ist etwas mehr, als sich in der Ilias befinden, bleibt aber hinter einem ausgewachsenen Lexikonband noch zurück. Immerhin reicht ein solcher Band aus, um über alles Wissensmögliche reichliche Auskunft zu geben; und wenn dies bezweifelt werden sollte, so liegt nichts im Wege, aus der Universalbücherei mehrere Bände herauszugreifen, um das erforderliche Auskunftsmaterial zu vervollständigen. Wir rechnen ferner mit hundert verschiedenen Drucktypen, Buchstaben, Interpunktionszeichen, Spatien, mit denen ein Drucker reichlich auskommt, um alles Erdenkliche in Satz zu bringen. Und schließlich sei festgesetzt, daß keine Permutation übergangen werde, daß keine sich wiederhole, das heißt: jeder Band muß sich von allen andern irgend worin unterscheiden, und wäre es auch nur in einem Buchstaben oder in irgend einem Druckzeichen. Damit sind die Voraussetzungen vollständig erschöpft, und die technische Herstellung kann beginnen. Die bescheidenste Druckerei wäre ihren Anfängen gewachsen. Im Endresultat – niemals zu erleben – würde sich das Universalwerk darstellen als der Makrokosmos aller jemals möglichen Bücher. Ein Wunder an äußerer und innerer Größe, in dessen Kern die ganz einfache Vertauschung weniger Druckzeichen steckt.
Hier hätten wir den Inbegriff aller vorhandenen Literatur von den babylonischen Urschriften angefangen bis zur letzten Polizeiverordnung und zugleich die Summe des bis in die fernste Ewigkeit möglichen Schrifttums. Und auch diese Gesamtheit wäre nur ein Tropfen im Ozean jenes zwar unvorstellbaren, aber mathematisch scharf umschriebenen Druckwerks. Denn in ihm vereinigt sich das Denkbare mit dem Unausdenkbaren, und dessen Bereich ist das unendlich größere. Jeder verworrene Traum, der durch eines schlafenden oder irren Menschen Seele zog, ziehen wird oder hätte huschen können, ist in ihm vertreten. Jeder Stumpfsinn in beliebigen Variationen, durchsetzt und durchbrochen vom tiefsten Sinn aus allen Fakultäten, findet hier seinen getreuen Ausdruck, und auch seinen ungetreuen, denn das Buch der Bücher bietet Platz für sämtliche Möglichkeiten an Druckfehlern, die im Bereich einer Million von typographischen Stellen auftreten können. Auf Trillionen gänzlich zusammenhangloser Bände folgt vielleicht ein einziger, in dem hier und da eine Sinnspur, ein literarischer Ansatz erkennbar wird, und auf Quintillionen von diesen vielleicht einer, in dem sich der Leser zurechtfindet. Dann aber, in noch weit größeren Abständen, wird einmal ein Buch auftauchen, das uns Kunde gibt von dem Stande der Physik in zehntausend Jahren, oder von der sozialen Gestaltung der Lebewesen auf einem heut noch nicht entdeckten Planeten. Das wird dann sehr lesenswert sein.
Aber auch die Künste werden in unserem Universalwerk nicht zu kurz kommen, vielmehr in ihm eine Erweiterung erfahren, an die sich keines Künstlers verwegenster Traum heranwagen darf. Mit Worten läßt sich nicht nur ein System bereiten, in philosophischem Betracht, sondern auch ein Noten- oder ein Farbsystem. Wir halten uns streng an die Voraussetzung, daß nur Buchstaben zur Verwendung gelangen, keine Notentypen. Aber die Note ist nur das bequemste, sinnfälligste, keineswegs das ausschließliche Ausdrucksmittel für den Ton. Dieser läßt sich nach Höhe, Wert, Anordnung und Rhythmisierung auch in Worten beschreiben, umständlich gewiß, aber trotzdem in eindeutiger Schärfe. Wenige Druckseiten werden genügen, um den Anfang eines Musikstückes, sagen wir den ersten Takt von Beethovens Appassionata, in Worten vollkommen klanggetreu zu erfassen, wenige Seiten im Verhältnis zu den zahllosen, über die wir im Universalwerk verfügen. Ist aber auch nur ein Takt möglich, so geht auch der ganze Beethoven da hinein, mit ihm die gesamte vorhandene Tonliteratur und außerdem alles, was überhaupt bis zum Weltende komponiert werden wird, ja, komponiert werden kann; also der geschlossene Inbegriff, das Integral der Tonkunst. Denn dieser Inbegriff läßt sich in Permutationen auflösen, die, jede für sich, eine ganz bestimmte Bedeutung besitzen und irgendwo in der Reihe vorkommen müssen. Die Unendlichkeit der Kunst besteht also nur in der Vorstellung der Künstler oder als eine Denkform des Alltags; im Zuge unserer Betrachtung verwandelt sie sich in eine Endlichkeit, die sich jener großen Zahl: zehn zur zweimillionten Potenz, unterzuordnen hat. Der Makrokosmos der Kunst liegt in dieser Bücherei beschlossen, ja, er nimmt in ihr nur einen vergleichsweise geringen Raum ein.
Und wir kennen auch genau die Größe des so fabelhaft vielseitigen Buchschatzes. Wir stellen die Bände nebeneinander, Rücken an Rücken, und wollen die Strecke im Automobil absausen. Das geht nicht. Auch der Flug der Kanonenkugel erweist sich als gänzlich ohnmächtig. Wir müßten mit Lichtgeschwindigkeit reisen, 300 000 Kilometer in der Sekunde, um da überhaupt vorwärts zu kommen; und um dennoch zu merken, daß wir auch als Fahrtgenossen des Lichtstrahls gar keine Aussicht haben, die Bücherreihe zu bewältigen. Denn ein Sonnenstrahl würde, um damit fertig zu werden, so viele Lichtjahre gebrauchen, als in folgender Zahl enthalten sind: zehn zur Potenz 1 999 980; um diese Zahl in lesbarer Handschrift nach üblicher Form aufzuschreiben, brauchte man wiederum einen Papierstreifen von etwa acht Kilometer Länge. Der Bibliothekar der Sammlung hätte also keine leichte Aufgabe. Er könnte auf die Idee kommen, diese Bände, anstatt sie reihenweise zu ordnen, der Raumersparnis halber als kubische Masse zu schichten. Allein ein Hohlraum vom Durchmesser der gesamten sichtbaren Fixsternwelt würde immer noch nicht genügen, und der weitaus größte Teil der Bücher müßte draußen bleiben, jenseits der Milchstraße, jenseits der Grenzen, zu denen die schärfsten Fernrohre dringen.
Und irgendwo, an unbekannter, aber sicher vorhandener Stelle dieser Bibliothek wird sich auch ein Band befinden, der uns Aufschluß gibt über die letzten Geheimnisse des Weltkrieges, über alle Folgen, alle Gestaltungen bis hinein in die fernsten Zeiten.