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Wien, 15. Dezember 1781.
... Liebster Vater! Sie fordern von mir die Erklärung der Worte, die ich zu Ende meines letzten Briefes hingeschrieben habe. O, wie gerne hätte ich Ihnen nicht längst mein Herz eröffnet; aber der Vorwurf, welchen Sie mir hätten machen können, auf so was zur Unzeit zu denken, hielte mich davon ab, obwohlen Denken niemals zur Unzeit sein kann. Mein Bestreben ist, unterdessen etwas wenig Gewisses hier zu haben, dann läßt es sich mit der Hilfe des Unsichern ganz gut hier leben, und dann, zu heiraten! Sie erschrecken für diesem Gedanken? Ich bitte Sie aber, liebster, bester Vater, hören Sie mich an! Ich habe Ihnen mein Anliegen entdecken müssen, nun erlauben Sie auch, daß ich Ihnen meine Ursachen, und zwar sehr gegründete Ursachen entdecke. Die Natur spricht in mir so laut wie in jedem andern und vielleicht lauter als in manchem großen, starken Lümmel. Ich kann ohnmöglich so leben wie die meisten dermaligen jungen Leute. Erstens habe ich zu viel Religion, zweitens zu viel Liebe des Nächsten und zu ehrliche Gesinnungen, als daß ich ein unschuldiges Mädchen anführen könnte, und drittens zu viel Grauen und Ekel, Scheu und Furcht vor die Krankheiten und zu viel Liebe zu meiner Gesundheit, als daß ich mich mit Huren herumbalgen könnte. Dahero kann ich auch schwören, daß ich noch mit keiner Frauensperson auf diese Art etwas zu tun gehabt habe. Dann wenn es geschehen wäre, so würde ich es Ihnen auch nicht verhehlen; dann Fehlen ist doch immer dem Menschen natürlich genug, und einmal zu fehlen wäre auch nur bloße Schwachheit, obwohlen ich mir nicht zu versprechen getrauete, daß ich es bei einmal Fehlen hätte bewenden lassen mögen, wenn ich in diesem Punkt ein einziges Mal fehlete. Darauf aber kann ich leben und sterben. Ich weiß wohl, daß diese Ursach (so stark sie immer ist) doch nicht erheblich genug dazu ist. Mein Temperament aber, welches mehr zum ruhigen und häuslichen Leben als zum Lärmen geneigt ist, ich, der von Jugend auf niemalen gewohnt war, auf meine Sachen, was Wäsche, Kleidung und dergleichen anbelangt, acht zu haben, kann mir nichts Nötigers denken als eine Frau. Ich versichere Sie, was ich nicht Unnützes öfters ausgebe, weil ich auf nichts acht habe. Ich bin ganz überzeugt, daß ich mit einer Frau (mit dem nämlichen Einkommen, das ich allein habe) besser auskommen werde als so. Und wie viele unnütze Ausgaben fallen nicht weg! Man bekömmt wieder andere davor, das ist wahr, allein man weiß sie, kann sich darauf richten und mit einem Wort, man führt ein ordentliches Leben. Ein lediger Mensch lebt in meinen Augen nur halb; ich hab halt solche Augen, ich kann nicht dafür; ich hab es genug überlegt und bedacht, ich muß doch immer so denken.
Nun aber, wer ist der Gegenstand meiner Liebe? Erschrecken Sie auch da nicht, ich bitte Sie. Doch nicht eine Weberische? Ja, eine Weberische! aber nicht Josepha, nicht Sophie, sondern Constanza, die mittelste. Ich habe in keiner Familie solche Ungleichheit der Gemüter angetroffen wie in dieser. Die Älteste ist eine faule, grobe und falsche Person, die es dick hinter den Ohren hat. Die Langin ist eine falsche, schlechtdenkende Person und eine Kokette. Die Jüngste ist noch zu jung, um etwas sein zu können, ist nichts als ein gutes, aber zu leichtsinniges Geschöpf: Gott möge sie vor Verführung bewahren! Die Mittelste aber, nämlich meine gute, liebe Konstanze, ist die Marterin darunter und ebendeswegen vielleicht die gutherzigste, geschickteste und mit einem Worte die beste darunter; die nimmt sich um alles im Hause an und kann doch nichts recht tun. O, mein bester Vater, ich könnte ganze Bögen voll schreiben, wenn ich Ihnen all die Auftritte beschreiben sollte, die mit uns beiden in diesem Hause vorgegangen sind; wenn Sie es aber verlangen, werde ich es im nächsten Briefe tun. Bevor ich Ihnen von meinem Gewäsche frei mache, muß ich Sie doch noch näher mit dem Charakter meiner liebsten Konstanze bekannt machen. Sie ist nicht häßlich, aber auch nichts weniger als schön; ihre ganze Schönheit besteht in zwei kleinen schwarzen Augen und in einem schönen Wachstum. Sie hat keinen Witz, aber gesunden Menschenverstand genug, um ihre Pflichten als eine Frau und Mutter erfüllen zu können. Sie ist nicht zum Aufwand geneigt, das ist grundfalsch; im Gegenteil ist sie gewohnt, schlicht gekleidet zu sein, dann das wenige, was die Mutter ihren Kindern hat tun können, hat sie den zwei andern getan, ihr aber niemalen. Das ist wahr, daß sie gern nett und reinlich, aber nicht propre gekleidet wäre, und das meiste, was ein Frauenzimmer braucht, kann sie sich selbst machen, und sie frisiert sich auch alle Tage selbst, versteht die Hauswirtschaft, hat das beste Herz von der Welt. Ich liebe sie, und sie liebt mich von Herzen: sagen Sie mir, ob ich mir eine bessere Frau wünschen könnte. Das muß ich Ihnen noch sagen, daß damals, als ich quittierte, die Liebe noch nicht war, sondern erst durch ihre zärtliche Sorge und Bedienung (als ich im Hause wohnte) geboren wurde. Ich wünsche also nichts mehr, als daß ich nur etwas weniges Sicheres bekomme (wozu ich auch gottlob wirklich Hoffnung habe), so werde ich nicht nachlassen, Sie zu bitten, daß ich diese Arme erretten und mich zugleich mit ihr, und ich darf auch sagen, uns alle glücklich machen darf. Sie sind es ja doch auch, wenn ich es bin? Und die Hälfte von dem Sichern, was ich bekommen werde, sollen Sie genießen, mein liebster Vater!
Nun habe ich Ihnen mein Herz eröffnet und Ihnen meine Worte erkläret. Nun bitte ich Sie, mir auch die Ihrigen von Ihrem letzten Brief zu erklären: »Du wirst nicht glauben, daß ich einen Antrag, der dir gemacht worden und darauf du damals, als ichs erfuhr, nichts geantwortet, wissen könnte.« Da verstehe ich kein Wort davon, ich weiß von keinem Antrag. Nun, haben Sie Mitleiden mit Ihrem Sohne! Ich küsse Ihnen tausendmal die Hände und bin ewig Dero gehorsamster Sohn.