Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Schön ist's auf der Welt

Das war ein grausiges Ostern, heuer.

Die alte Lacknerin enterm Bach hat's zwar vorausgesagt, schon um die Weihnacht rum, als alles grün war anstatt weiß, als die Bäume an den Hängen Knospen trieben, während es im Tal erklang:

»Es ist ein Ros entsprungen.«

Aber wer paßt auf ein altes Weibets auf? Mag sie prophezeien. Halten tut man's mit den jungen. Die prophezeien nichts, die leben auf ein Ostern los, welches sie nicht anders als mit Halleluja denken können.

Die lachen noch Karfreitag, wenn es stürmt und wettert. »Nur zu,« lachen sie, »um so schöner wird die Auferstehung.«

Sie lassen sich auch Samstag noch, als Schnee und Hagel über alle Hügel peitschten, nicht aus ihren Zuversichten bringen.

Am wenigsten die Anna, die das ganze Jahr mit einem österlichen Leuchten auf der Stirn umhergeht. Was freilich nicht viel sagen will, denn wenn man nur umherzugehen braucht, ist's keine Kunst zu leuchten. Die Anna aber leuchtete auch im Umherschaffen, im Umhersorgen, im Umherverzichten. Das ist schon eher eine Kunst. Mitten in Gewölk und Kummer der Umgebung konnte sie entschlossen fragen: »Worauf freuen wir uns jetzt?«

Es gibt Fragen, die sind unerbittlich, unausweichlich. Wer wüßte das nicht von den Fragen, die aus Schmerzen ihre Wimpern über leergeweinten Augen heben?

Die Anna aber lehrte, ohne am Katheder einen Zeigefinger lehrsam aufzuheben: Warum sollten Fragen der Freude nicht noch unerbittlicher, unausweichlicher gestellt werden können – worauf freuen wir uns jetzt?

Und sie freute sich am grauslichen Karsamstag, als die Erde unter Peitschenhieben eines blitzeüberzuckten Himmels aus den Fugen gehen wollte: Es gäbe keinen Samstag, wo die Marie – der Ton liegt auf dem a – nicht wenigstens einmal, wenn es noch so kurz sei, lächeln müßte.

»Die Marie, Anna?« sag' ich.

»Ja, d' Marie – kennst du s' net?«

Es gäbe viele Maries, sag' ich.

»Aber eine nur, der wo der Samstag g'hört.«

»Der Samstag gehört? Gehört der nicht uns allen, Anna?«

»Da siecht ma's, daß du von der Stadt bist, sonst wüßtest d' längst, daß d' Marie d' Muattergottes is.«

»Und die muß Samstags lächeln?«

»Freili – schaug nur, grad hat's glacht.«

»Die Muttergottes?«

»No ja, d' Sonn halt – bist jetzt wirkli so dumm, daß d' net weißt, daß d' Sonn und d' Muttergottes alles eins is – schaug, grad wieder lacht s' a bissel überm Dach vom Lackner.«

»Ich sehe nichts.«

»Ja mei', weil d' schwarze Katz davor sitzt am Kamin, und weil du auch zu dene g'hörst, die durch eine schwarze Katz durch d' Sonn net sehn.«

Hm, das ist's, die ganze Lebenskunst hat dieses Dorfkind in den Satz versteckt: Durch schwarze Katzen Sonnen sehen können.

»Schaug, jetz is s' weg, der schwarze Höllteifi – jetzt kann s' a jeder Depp sehn, d' Marie.«

Wahrhaftig, ich, der Depp, ich sehe zwischen jagenden Karsamstagwolken die Sonne. Nur einen Augenblick, dann stürmt es wieder, dröhnt und ächzt und zucken Frühlingsblitze, rollt der Frühlingsdonner, daß die Bauern ringsum sich bekreuzen, sich versammeln in den niedren dunkelgewordnen Stuben, daß die Bäuerinnen aus dem Schmuckschrank den geweihten Wachsstock holen, ihn auf den großen Eßtisch setzen, anzünden und mit dem Mannsvolk, dem Gesinde und den Kindern händefaltend beten:

»Von Blitz und Ungewitter, erlöse uns,
o Herr!«

Es kam die Nacht. Der Ostersonntag ging ins Land. Ich kann ihn nicht beschreiben, er war gar zu traurig. Ich kann nur seinen Menschenwiderschein ein wenig sichtbar machen.

Die Millionen Städter ließen ihre Osterflügel hängen. Die österlich bereiten Herzen sperrten sie ins Wirtshaus. Die österlichen Lieder, die seit Wochen keimten, stopften sie zurück in Kleiderschränke, wo das Mottenpulver sie erstickte. Die Mädchen streiften ihre hellen Kleider ab und weinten. Die Wandervögel kämpften sich verbissen durch die Wolkenbrüche, schlaffe Lauten an der Seite, und die Wirte in den Ausflugsorten brüteten über verderbenden Vorräten in der Richtung des Bankrotts.

Über Fluren stampfte die entfesselte Natur. Im Gejohl der wilden Jagden in den Lüften schliefen wir hinüber in den Ostermontag und erwachten – in der Sonne.

Träumten wir? Zögernd standen wir auf, mißtrauisch fuhren wir in unsre Kleider, langsam wusch sich das Gesicht und lugte unterm aufgehobnen Ellenbogen nach dem offnen Fenster, wo es goldgrün hereinwallte auf den Strahlen von der Marie – würden wir erwachen vom Erwachen?

Wir erwachten nicht. Wir saßen, unwahrscheinlich träumend, vor dem Hause um den Frühstückstisch. Wir überlegten uns, ob frische Kaffeeflecken auf dem Tischtuch ein Beweis sind, daß man wache und nicht träume. Selbst die Anna war besinnlich ernst und wagte nicht zu fragen: Worauf freuen wir uns jetzt?

Da, in blauen Lüften über uns ein sonderbares Blitzen. Ein dünner Schatten jagte übers Tischtuch. Dann saß es angegossen auf dem Telephondraht über unsern Köpfen, starrte unbeweglich durch das offne Fenster in ein leeres Nestchen überm Waschtisch.

Uns allen schlug das Herz. Wir sahn uns an. Wir wagten nicht zu sprechen. Wir schauten nur hinauf zur einen Schwalbe.

Der Kaffee wurde kalt, – wir schauten. Die heiße Milch runzelte die Häutebrauen – wir schauten. Auf dem Teller schmolz die Butter – wir schauten.

Viel war nicht zu sehen. Was da auf dem schwanken Draht saß, war ein aufgeplustert Etwas mit zerzauster Brust. War die eine Schwalbe, die es in Ägypten nicht mehr ausgehalten hatte. Die übers Mittelmeer, ein einsam kühner Segler, sich durch Stürme Tag und Nacht hindurchgekämpft zur Heimat, lange vor der Zeit. Wir sahen das weiße Brüstchen arbeiten. Uns war, als dröhnten stumme Hämmer durch die Welt. Hämmer der Sehnsucht, Hämmer unerhörten Kampfes, Hämmer des errungnen Sieges.

Bild: Fritz Eggers

Und noch immer starrte das zerzauste Ding ins Nest des letzten Jahrs. So klein sein Auge war – das Grauen der durchflognen Sturmnacht lag darin.

Ob dieser Kämpfer jemals wieder würde singen können?

Da, ein Schmettern, und die aufgestauten Lieder quollen unwahrscheinlich laut und sieghaft aus dem aufgekrausten Kehlchen. Vor so viel Jubilieren senkten wir erschrocken unsre Köpfe: Gab es soviel Glück und Freude auf der Erde ... waren wir nicht arm dagegen ... hatten wir aus unsern Lebensstürmen je so viel hinüber in den ersten Tag gerettet, wo die Marie wieder unsre grau gewordnen Scheitel küßte ...

Hat es uns vom Telephondraht eine Viertelstunde überschwänglich freudig überschüttet – eine halbe Stunde – eine ganze Stunde? Weiß ich's? Weißt es, Anna, du?

Wir wissen nur, das Jubilieren, darin Ewigkeiten schwangen, wurde plötzlich abgeschnitten. Leicht auf das weiße Frühstückslinnen klopfte ein kleiner Körper mit zersungner Kehle, gesprengt vom Übermaß der von der Marie ihr geschenkten Freude.

Die Anna hob ihn sachte auf. Sie war nicht traurig.

Sie hätte sagen können: »Gibt's was Herrlicheres, als so zu sterben?«

Aber das sind Worte des Theaters. Anna aber war vom Land. Drum sagte sie, nein, sagte es aus ihr:

»Schön ist's auf der Welt.«


 << zurück weiter >>