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Wir

Im Himmel war ein Streit: Ich oder Wir – Wir oder Ich – was besser sei?

»Der Starke ist am mächtigsten allein,« ließen Engel sich vernehmen. »Mit vereinten Kräften,« meinten andre Engel.

Gott hörte zu. Entscheiden tat er nicht. Gott entscheidet nie. Alle Dinge läßt er durch die Dinge selbst entscheiden.

»Was war's doch, Petrus,« fragte er, »warum Maria für dich bat?«

»Meiner Mutter wegen,« sagte Petrus düster, mit gekreuzten Armen tief sich neigend, »meiner armen Mutter wegen.«

»Richtig, deine Mutter,« tat Gott so, als wäre er im Augenblicke nicht allwissend, und blickte in die Tiefe, »wie kam es doch, daß sie zu leicht befunden wurde, damals?«

»Herr, du weißt es.«

»Jetzt wird sie zu schwer sein, Petrus.«

»Ich kann dich nicht verstehen, Herr.«

»Du batest doch, daß einer meiner Engel deine Mutter aus der Hölle in den Himmel hebe?«

»Hab ich dir nicht tausend Jahre treu gedient, Herr?«

»Ja, das hast du.«

»Und hat sie nicht tausend Jahre treu gelitten?«

»Treu leidet nur, wer gerne leidet.«

»Herr, auf Erden hat sie an sich selbst gelitten.«

»Und du meinst, die tausend Jahre drunten hätten sie geheilt? Gut, ich werde meinen Engel senden – freilich, ob er sie wird heben können?«

»Herr, schicke deinen stärksten Engel, schicke Michael; er wird es zwingen – darf ich es ihm sagen?«

»Tu das, und vergiß nicht, ihm zu sagen, daß er sie im Flug belehre: Schwer wird leicht, und leicht wird schwer.«

»Herr, wie soll ich das verstehen?«

»Daran liegt nichts. Daß deine Mutter es versteht, auf das kommt's an – zeuch hin und sage, was ich dir befahl.«

Petrus ging zu Michael: »Du sollst meine Mutter holen und du sollst ihr unterm Fliegen sagen: Schwer ist schwer und leicht ist leicht.«

Der Erzengel sah ihm ins Gesicht: »Petrus, Petrus, hast du's nicht verdreht?«

»Ach, Michael, wenn du das sagst, was der Herr gesagt hat, wird sie irre.«

»Besser ist, es werde einer irr an Gottes unverstandnen Worten, als er dünke sich gescheit an seiner eig'nen Weisheit.«

»In Gottes Namen also: Schwer wird leicht, und leicht wird schwer – zeuch hin und sage, was du willst, nur bringe mir die Mutter!«

Mit gewaltigen Flügelschlägen rauschte der Erzengel durch die Welt zur Hölle. Mit erz'nen Schlägen pochte er ans Höllentor: »Aufgemacht!«

»Deinesgleichen hat hier nichts zu suchen!« gellte ihm entgegen.

»Zu suchen nichts – zu fordern hab' ich eine Seele – Mutter Petrus', her zu mir!«

Durch das Feuermeer der Loderflammen griffen seine Engelsarme.

»Endlich!« schrie die Mutter Petrus', »endlich wird man mir gerecht!«

»Gerechtigkeit war dir geworden, jetzt wird dir Gnade – halt' dich fest, wir stoßen durchs Gewölbe!«

Aber während sie sich an ihm festhielt, war ein Heulen und ein Jauchzen in der Hölle: »Mutter, Mutter, nimm uns mit – wir haben mit dir gebrannt, wir wollen mit dir erlöst sein – nimm uns – nimm uns mit!«

Tausend Arme züngelten aus der Glut, tausend Hände krallten sich in schwingenden Ketten hoffender Erlösung an die Mutter, die der Engel hob. Die mit ihm durch das dicke Höllgewölbe stieß, als wären's Wolken.

Über des Erzengels Antlitz lief ein Leuchten: »Schwer wird leicht, und leicht wird schwer – das ist es, was ich dir vom Herrn bestellen sollte, hörst du?«

Aber sie hörte nicht. Sie sah zornig unter sich, wo ihr die Girlanden der Verdammten vom Gewande hingen, »fort mit euch – ich soll gerettet werden!«

Aber Hoffnung läßt nicht los. Sie schrien und sie baten, ihre tausend Augen flehten: »Auserwählte Gottes, rette uns!«

»Nichts da – nichts da – Ihr belastet mich – Ihr gefährdet Gottes Willen – lasset ab!«

Da sie die Arme nicht frei hatte, schüttelte sie sich und schleuderte jene, die an den Enden der Verzweiflungsketten schwangen, zurück.

Schreiend stürzten sie in die Tiefe.

Des Engels Flügel aber mußten stärker schlagen: »Mutter, du wirst schwer.«

»Hört ihr's,« gellte sie nach unten, »hört ihr's – los sollt ihr mich lassen, los!«

Mit den Füßen stieß sie unter sich. Neue Kettenglieder lösten sich und sanken jammernd in die Leere.

Der Engel seufzte. Seine Arme strafften sich. Wirbelnd gingen seine Flügel: »Mutter, höre, noch ist's Zeit, höre: Leicht wird schwer und schwer wird leicht.«

»Was redest du für Unsinn, Engel!« schmälte sie, »flieg lieber schneller – schneller – o, ich kann die Himmelstüre sehen – noch schneller, hörst du!«

Der Engel keuchte. Seine Adern schwollen. Seine Muskeln drohten zu zerreißen.

Einen Blick in die Tiefe warf er. Noch hingen zwei Verlor'ne an der Mutter.

Einen Blick zur Höhe warf er, wo er Petrus angstvoll warten sah am Himmelstor, und hinter ihm die Engel, die sich über Ich und Wir gestritten hatten, und über ihnen allen: Gott.

Schwer und freudig ging des Engels Atem, als er jetzt die letzte Strecke mit den Augen maß: »Ich schaffe es – ich schaffe es, wenn du dich stillhältst, Mutter.«

»Ich hab lang genug dadrunten still gehalten – ich bin ich – ich war auch auf Erden immer für die Unbeschwertheit – fort mit euch Geschmeiß, verfluchtes!«

Sie schlenkerte die Röcke mit Gewalt. Aber mit noch größerer Gewalt umschlangen sie die letzten beiden armen Seelen: »Barmherzigkeit, Barmherzigkeit!«

Da ergrimmte sie. Vergebens, daß der Engel ihre Arme an sich preßte, sie riß sie los, um mit ihnen, was noch an ihr hing und flehte, abzustreifen: »Schmarotzer ihr, hinweg mit –«

Und stürzte aus der Gnade.

Petrus stand erstarrt.

Gott streifte ihn mit einem Vaterblicke. Dann wandte er sich still an jene Engel, die gestritten hatten: »Ich oder Wir – Wir oder Ich – was sagtet ihr, daß besser sei?«

»Wi – i – ir,« sang es mit Chorälen durch die Himmel, »wi – i – r ...« und wob silberstimmig um einen gramgebeugten Mann am Tore einen mitleidsvollen Schleier des Vergessens.


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