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Mein Neffe wollte zu den Schupos.
Wenn früher einer eine Stelle wollte, waren freilich auch Papiere vorzulegen. Den Ausschlag aber gab was andres: »Nähertreten, bitte.« Ein forschend Vorgesetztenauge strich an dir herunter, durch dich durch, besinnlich über dich hinaus, um aus der Weite dann zurückzukehren: »Sie sind aufgenommen, junger Mann.«
Heute aber – doch ich will's der Reihe nach erzählen.
Die Bewerbung meines Neffen tat erst das, was heute jede Amtsbewerbung tut: sie schlief. In einem Fach. Unter »G–K«. Nun ist mein Neffe aber unter »B« geboren. Woraus hervorgeht, daß man ihn falsch abgelegt hatte, die Bewerbung meine ich.
Als nach einem Vierteljahre »G–K« gesichtet wurde, stutzte der Beamte: »Welches Schaf hat hier ein B ins falsche Fach geschoben!«
Ein Laufzettel wurde herausgeschrieben und ein Aktendeckel angelegt. Die Untersuchung nach dem Schaf begann. Schafe haben aber eine Fähigkeit, sich, wenn Gefahr droht, unsichtbar zu machen oder dergestalt zu wimmeln, daß das Einzelschaf nicht mehr erkennbar ist. Wasmaßen jene Untersuchung nach dem dafür gebotnen weitren Vierteljahr im Sand verlief. Worauf die Bewerbung meines Neffen aus dem Untersuchungsakt herausgenommen und ins B-Fach eingeschoben wurde. Worauf nach einem dritten Vierteljahr geschrieben wurde, daß mein Neffe beim Bezirksarzt untersucht zu werden hätte.
Diese Untersuchung war erfolgreich. Trotz der 73 Einzelfragen. Trotzdem eine links- statt rechtsgekrümmte kleine Zehe meinen Neffen aus der Liste der Bewerber ausgeschieden hätte. Sieben unter hundert Amtsbewerbern kamen mit ihm in die engre Wahl – Mütter, Mütter, wenn es sich zum ersten Male unter eurem Herzen regt, vergeßt nicht, eurem Sohn die Qualitäten zu vererben, welche seine Amtsbewerbung bei der Schupo erst erfolgreich machen können.
Mit den 73 Doktorfragen aber war's noch nicht getan. Jetzt kam die Erforschung seines Vorlebens und seiner Gesinnung an die Reihe. Die Gemeinde hatte sich zu äußern. Dann die Polizei. Seine Lehrer wurden einvernommen. Sein frührer Lehrer hatte sich gutachtlich auszusprechen. Hätte einer ausgesagt, er habe sich, sozialer Not gehorchend, statt aus eignem Trieb, beworben – fahre hin, Bewerbung!
Mein Neffe hatte Glück, er wurde zu der letzten Prüfung zugelassen: Lesen, Schreiben, Rechnen. Er las verständnisvoll, er schrieb ausgezeichnet, er rechnete mit Brüchen – den gemeinen wie den ungemeinen – daß der Prüfungskörper nickte.
Bis auf die vergrämte Nickelbrille in der Ecke. Diese schob sich auf die Stirne: »Nehmen Sie die Kreide! Schreiben Sie: 50653! Ziehen Sie die Wurzel!«
Mein Neffe erschrak. Von der Quadratwurzel saß noch etwas aus der Schulzeit.
»Wie?« blitzte die Nickelbrille, »Quadratwurzeln kennt ja heute jeder Hausknecht – nee, Kubikwurzel, wenn ich bitten darf, mein Lieber!«
Die Kubikwurzel von 50653 starrte meinen Neffen an. »Zieh mich!« verlangte sie, »wie soll man einen Schupo aus dir machen, wenn du das nicht kannst!«
»Ich gebe Ihnen drei Minuten Zeit,« sagte die Nickelbrille eisig.
»Nicht nötig, Herr Professor,« raffte sich mein Neffe auf, »ich kann und kann es nicht.«
»Sie verzichten also – durchgefallen – jetzt der nächste, bitte ...«
»Halt!« rief mein Neffe, dem jetzt alles gleich war, »halt – der Herr, der mich im Lesen prüfte, soll sie ziehen!«
Der Herr vom Lesen wurde bleich und äugte unbeteiligt nach der Decke.
»Drückt sich,« stellte jetzt mein Neffe fest, »dann der Herr, der mich im Schreiben prüfte, bitte.«
Der Herr vom Schreiben sagte: »Unerhört!«
Da ging die Tür auf. Lächelnd kam der Landeskommandant herein: »Mal ein bißchen zusehn, meine Herren – worin prüfen Sie den Mann gerade – aha, da steht es an der Tafel: Kubikwurzel aus 50653 – Verzeihung, meine Herren, ist das wirklich nötig?«
»Staatliche Prüfungsordnung,« knurrte die Nickelbrille, »versagt er, müssen wir ihn werfen.«
»Schön, dann werd' ich heute um die eigne Pensionierung bitten müssen – ich kann es nämlich auch nicht – hab' es nie gekonnt und werd' es – hoffentlich – nie können.«
Um es kurz zu machen – ausnahmsweise drückte man die Augen zu bei meinem Neffen, die Nickelbrillenaugen ausgenommen. Die kniffen sich zusammen: »So fängt sie an, die Korruption –«
»Wenn sie dann bei Logarithmen aufhört, soll's mich weiter nicht erschrecken – guten Morgen, meine Herren – halt, Ihren Namen, junger Mann ...«
Der junge Mann ist heute bei der Schupo. Er hat manchmal schweren Dienst. Er versieht ihn fröhlich.
Nur vor einem ist ihm Angst, wenn er auf seinem Herrscherposten vor dem Bahnhofsplatze steht und brausende Verkehrsströme hin und her zu lenken hat: Daß einer mit einer Nickelbrille aus der Reihe spränge, auf ihn zu, und ihn beim dritten Knopf erwischte, unter dem der Sinn fürs Rechnen sitzt: »Rasch, ziehen Sie die Kubikwurzel aus 50653 –«
»Dann sag ihm einfach, sie sei 37,« tröstete ich ihn.
Er sah mich groß an: »Wie, du weißt das, Onkel, und du – du hast dich nie – nie –«
»– um eine Stelle bei der Schupo beworben, meinst du – hm, als ich in deinem Alter war, hat's eine Schupo nicht gegeben und heute hab' ich mein bescheiden Teilchen beizutragen, andre Wurzeln auszuziehen.«
»Zum Beispiel?«
»Zum Beispiel die verdammte Wurzel des gottverfluchten Berechtigungswesens.«