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Am Seil

In einer Handvoll freier Schwünge schwebst du von Ehrwald hinauf zur Zugspitzhöhe. Wenn du aussteigst, hast du von hier nur eine kleine Strecke noch zum Gipfel.

Die Tiroler hatten recht: Das letzte Stück zur Majestät sollst du erwandern, nicht »erfahren«.

Freilich, das Erwandern muß auch danach sein: Langsam, schweigsam, einsam, dann und wann verweilend, daß dein Aug' sich weite und die reinen Schauer dieser Hochwelt sich in deine Seele gießen.

Laßt uns sehen, wie das zugeht.

Aus dem Tellerklirren und Gebabbel des Hotelsaals bist du ausgerissen. Schweigend grüßt dich rings die erlauchte Pracht der Firne.

»Wünschen der Herr einen Führer?«

Ich versuche durch ihn durchzusehen. Es gelingt nicht ganz. An den frisierlich angepappten Löckerln auf der Führerstirne – »erzen« heißt sie in den andern, den gedruckten Führern – bleib ich hängen. Wo hab' ich diese Schneckerln schon gesehen? Richtig, bei dem Hausknecht, der beim »Donisl« in München die Betrunk'nen 'rausschmeißt.

»Aber die gnädige Frau werden's ohne Führer schwerlich machen können.«

Die Gnädige schwankt. Zweifelnd blickt sie mich an: »Ist es wirklich so gefährlich?«

»Grau–en–haft!« versuche ich zu scherzen.

Aber sie nimmt's ernst: »Dann freilich –«

»Nummer fünf,« murmelt der G'schneckelte, die bereits gesicherten vier andren überschauend, »wenn sich jetzt der Herr auch noch entschließen wollte –?«

Der Herr entschließt sich nicht.

»– auch entschließen wollte,« wiederholt er schon fast drohend, »dann – dann –«

Ich fasse ihn ins Aug': » Was dann?«

»Dann,« stottert er, »dann wären's grade sechs.«

»Je drei Mark, macht achtzehn Em, nicht wahr?«

Er starrt mich an. Er wendet sich einem andern sechsten zu. Ich entweiche: Berg, tu dich auf, ich möchte dir gehören ...

Ja, wenn nicht Grenzen wären. Ein paar hundert Schritte weiter starrt mir eine ins Gesicht: Hie Österreich und hie Deutschland – hie Bayern, hie Tirol.

Auf der Völkerscheide – ist es eine? – stehen neue Erz'ne.

»Aha, Respekt! – der Herr will einen deutschen Führer, gelln S'?«

Ich zeigte mit dem Daumen rückwärts: »Die dahinten sind –?«

»Nur Tiroler, Herr – die Zugspitz selm is bayrisch.«

»Und ihr wollt deutsche Führer sein? – da kenn sich einer aus!« stelle ich mich dumm und ich entweiche wieder.

»Sie werd'n 's berei'n, Herr,« ruft mir einer nach, »i sag Eahna nur soviel: Sie werd'n 's berei'n!«

Da reißt es mich doch nochmal rum: »Depp, damischer, halt 's Maul!«

Er hält es wörtlich: Die Bergführerpranke – gußeisern heißt sie im Gedruckten – ist ihm an das vor Erstaunen offne Bergführermaul gefahren: »Aha,« blinzelt er und neckt er, »Sie san oaner von de Insern – was kost't 's, wenn Sie's aa halten, Eahner Mäu'?«

»Die Feder wird sich bei mir schwerer halten lassen.«

»O mei', schreib'n derfen S', was S' woll'n, scheener Herr – jetzt da schaug her, da hat oaner von de Tirolerischen glei' sechs am Seil fürig' fangt – so an ausgschaamter Baazi, so an ausgschaamter!«

Der Ausgschaamte befehligt unbeirrt mit gramdurchfurchter Stirne seine Truppe. Der Gram kommt davon her, daß er sich, um verstanden zu werden, auf hochdeutsch hat umstellen müssen, was ihm schwerer fällt, als den andren ihre Steigerei.

Er zieht das gewaltige Seil straff: »Achtung, meine Herrschaften, Achtung!«

Die Sechse stehen stramm, ganz Ohr und leicht erschauernd.

»Hür, meune Hörrschaften, göht es scharf röchts hörum – links, nücht hinunterschaugen, bitte, von wegen dem krausamen Schwündel, so eunem befahlen könnte – soo, jetzt wüder geradeaus – hobts eich brav gehalten, Mannder und Weiber –«

»Köstlich, Justav, Weiber heißt er uns, der Sohn der Berge!«

Justav hörte nicht. Justav hatte sich, da er von Schwindel hörte, entschlossen, seinen Schwerpunkt in die Sitzfläche zu verlegen. Diese Sitzfläche war eine im Tal unten gekaufte echte Gamslederne, auf der er fürsichtiglich die Felsen abrutschte.

Bei diesem Anblick fiel der konzessionierte Bergführer einen Augenblick lang aus der Rolle: »Hättst dir s' halt aa nageln lassen, dei' Gamslederne – und hür, verehrte Hörrschaften, söhen Sü ins öwige Glötschereus hinab – sapprawolt, höb 'n halt auf, dein' Hintern, sonst braucha ma a Stund für die zwanzg Minuten und i kimm z' spaat für die naxten – schleun' di', sag i, oder – oder ich müßte von den Hörrschaften die doppelte Tax –«

Die Aussicht auf die doppelte Taxe hob den Mann am Boden trotz der Schrecken des Gebirges hoch. Alles hat seine Grenzen: Auch ein Schwindel kann von einer Doppeltaxe in die Flucht geschlagen werden.

Er griff zähneknirschend aus. Als er an mir vorbeigeseilt wurde, schrie er: »Führer, heda, Führer, da geht einer ohne Führer, ist denn das erlaubt?«

»Erlaubt scho', aber gfaahrli, liaber Bua, schröcklich gfaahrli – i siech 'n scho' drunten lieg'n, den – den notigen Hanswurschten, dem drei Markl z' viel san, und seine sparsamen Boaner z'sammaklaub'n –«

»Wo unten?« hielt jetzt eine schreckensbleiche, in das zitternde Seil geknüpfte Dame den Führer an.

Bild: Fritz Eggers

»Do drunten,« sagte gleichmütig der Führer.

»Oh, kann man sich denn auf der andern Seite nicht erstürzen, Führer?«

Da fiel von dem durch das Kulturgezeugs verhunzten Führer plötzlich die verlogene Hülle ab, und streng und sachlich sagte er die Wahrheit: »Da balst abifallst, wer'st z' Lermoos begrab'n, und da balst abifallst, wer'st z' Partakirch begrab'n.«


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