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Meine Vorfahren waren alle kinderreich. Damals waren »viele Kinder« noch nicht unfein. Es wird wohl eine grobe Zeit gewesen sein.
Ach, daß es wieder grob und drunter-drüber zugehn möchte in den Kinderstuben, durch welche kinderlose Mütter scheu wie Fledermäuse huschen, wenn es dämmert. Wer von den Herren droben, die sich um die Dawes-Lasten blutig streiten, weiß es heute: Eine Kinderdämmerung ist angebrochen, gegen welche alle Dawes-Lasten Schall sind.
Mein Vorfahr hatte an die dreizehn Kinder. Sie umblühten ihn, wenn er nach Hause kam vom Amt. Daß es mit dem Blühen nicht getan war, die Erkenntnis blieb der Mutter vorbehalten. Sie sprach nicht viel davon. Ein Gärtner, der dir seinen Garten zeigt, spricht auch nicht viel von seiner dornenvollen Arbeit. Ihm genügt es, daß du ihm bekennst: »Wie schön!«
Einmal aber wurde auch dem Vater dieses Gärtneramt vertraut. Einmal hat die Mutter ins Theater gehen wollen. Einmal sagte sie beim Gehen: »Gegessen haben sie, die Schulaufgaben sind gemacht, laß sie eine kleine Zeit noch spielen, und dann sorge, daß das liebe Kleingesindel in die Betten kommt – das kannst du doch, mein Herr Gemahl?«
»Das werde ich nicht können! Was ihr Frauen doch für Wesen macht von eurer Arbeit! Wenn wir überhaupt mit solchem Kleinkram uns befassen wollten – wir hätten ihn im kleinen Finger.«
Sie nahm besagten kleinen Finger ihres Eheherrn: »Nun, ich will sehen, kleiner Finger, wie du mit den dreizehn fertig wirst.«
Sie kam spät heim. Das Haus war still. Sie horchte an den Kinderzimmern. Tiefe Atemzüge. Auch ihr Mann lag tief im Schlaf. Da tat sie denn ein gleiches.
Der helle Morgen schien ins eheliche Zimmer. »Nun, lieber Mann, wie ist's gegangen gestern abend?«
»Gott, wie wird's gegangen sein!«
»Ich meine, gab es kein Theater?«
»Ich denke, das Theater hattest du?«
»Also ließen sie sich alle ohne Schwierigkeiten in ihre Betten bringen?«
»Schwierigkeit? Wenn einer bockig wird, dann weist man einfach seine Vaterfaust.«
»Also sind sie doch nicht alle brav zu Bett gegangen?«
»Alle, bis auf einen, der sich wehren wollte – na, ich zeigte ihm, wo Bartel seinen Most holt.«
»Welcher eine?«
»Aber Frau, ich kann mir doch nicht alle merken – der mit dem roten Haarschüppel war es.«
»Mit – dem – ro – ten – Haar – schüp – pel! Aber Mann, wir haben doch – wir haben doch –«
Sie stürzte in das Kinderzimmer. Da lag, noch friedlich schlafend unter ihren dreizehn ein – vierzehnter, der rote Hans vom Nachbarn gegenüber.
Nochmal ein Theater? Von den Nachbarn gegenüber? Ach nein, unter deren elfen wurde der Verlust erst offenbar, als der rote Hans, schön angezogen und gewaschen und gesträhnt, ins Haus marschierte.
*
Habt ihr Kindergegner euch inzwischen aufgeblasen zu der Predigt, um wieviel geordneter es in Familien zugeht, wo sich der zerstreuteste Professor schwer tun würde, seine beiden oder nur sein eines Kind mit andern zu verwechseln? Und wieviel glücklicher sich Mütter fühlen müßten, welche nicht nur alle sieben Jahre ins Theater gehen können?
Einen Augenblick, ich muß noch einen Nachtrag machen.
Unvermutet kam da eine Schulkameradin zu der Mutter von den dreizehn zu Besuch. Zwanzig Jahre hatten sie sich nicht gesehen. Da gab's vieles zu erzählen.
Als sie fortging, noch vergnügt am Gange plaudernd, wehte ein Windstoß vom Kinderzimmer den Vorhang eines breiten Gangschrankes auf die Seite. Es war der Stiefelschrank. Dreißig Stiefel standen da in Reih und Glied, dreißig blankgewichste Stiefel.
Die dreißig Stiefelspitzen waren nicht ganz parallel. Verlängert hätten sie sich in diesem Augenblick in einem Punkt geschnitten, der ein Herz war. Das Herz der alten Kameradin von der Schule.
»O Maria,« schluchzte sie, »was bin ich arm!« Und wankte aus dem Hause mit den dreizehn Kindern.