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Wie ich als Kaufmannslehrling anfing, hatte ich am ersten arbeitsschweren Lehrtag ein Gesicht. Spräche ich »geschwollen«, hieße ich's Vision. Mein Freund, der lange Gunzelmann, dem ich's erzählte, hieß es eine Schnapsidee.
Mir kam mein Leben vor wie eine Leiter. Ich durfte auf die unterste der Sprossen treten. Über mir, himmelan bis Wolkenhöhe – Sprossen, Sprossen, Sprossen. Die meisten für mich sicher unersteigbar. Ich werde froh sein müssen, wenigstens ein paar von ihnen zu erklimmen. Jahrelang auf einer ersten groben Sprosse stehn zu müssen, unter einem nichts als harte Erde – ich schlief nicht gut in jener ersten Lehrnacht.
In der zweiten wußte ich's schon besser: Unter meiner ersten Sprosse waren andre Sprossen, die ich hatte überspringen dürfen, Ausgehersprossen, Aktenklebersprossen, Fuhrknechtssprossen, Putzfrausprossen – wenn mein Blick nach unten mich nicht trog: Die Leiter reichte unter meinen Füßen nicht viel kürzer in die Tiefe, als sie über meinem Kopf sich in den Himmel reckte. In der Mitte stand ich, nicht am Anfang.
Der Sprosse unter mir, der Ausgehersprosse, durfte ich schon sagen: »Dahin gehen Sie, Herr Bröselmann, und dorthin.« Neiderfüllte Augen sahen zu mir auf.
Gleich darauf aber scholl es von der nächsten Sprosse über mir: »Stift, schreiben Sie geschwind das Duplikat zu diesem Primawechsel. Neiderfüllte Augen sahen zu ihm auf, dem Kontokorrentbuchhalter Förtner.
Der Neid verblaßte, als ich es über der Kontokorrentbuchhaltersprosse von der Hauptbuchhaltersprosse her befehlen hörte: »Wie lange, Förtner, meinen Sie, daß meine Bilanz auf Ihren Debitorensaldo wohl noch warten soll?«
Noch weiter her kam eine Prokuristenstimme. In der zweiten Lehrnacht träumte mir, einmal würde meine Stimme auch von einer Prokuristensprosse abwärtstönen.
Am dritten Lehrtag aber hörte ich von fern des Basses Grundgewalt von einer Direktorensprosse. Flugs träumte mir in meiner vierten Lehrnacht, ich selber würde einmal diese tiefe Stimme auf der Höhe haben.
Am nächsten Lehrtag aber wetterte es von einer Generaldirektorsprosse. Zaghaft nur verstieg sich mein nächster Traum in diese Wolkenhöhe, wo man Wolkenwand an Wolkenwand wohl mit dem lieben Gott logierte.
Ich irrte mich. Überm lieben Gott näselte die unzufriedne Stimme eines Aufsichtsratspräsidenten. Das war wohl der Leiter Ende.
Ich irrte mich zum zweitenmal. Wir hatten eines Tages Generalversammlung. Ein Mann im Lodenrocke meldete sich zum Wort. »Wer sind Sie, und wieviel Aktien vertreten Sie?« herrschte ihn der Aufsichtsratspräsident an.
»Ich heiße Woltermann und besitze die Majorität des Aktienkapitals.«
Ich sah nie auf einer Leitersprosse einen Menschen so zusammenknicken, wie den Vorsitzenden unseres Aufsichtsrats.
Mein erster Urlaub kam. Ich kletterte auf einen hohen Berg. Als ich droben ankam, spie eine Bergbahn Hunderte von Menschen aus. Sie wollten alle übernachten. Ich natürlich im Touristenhaus. Es war voll. Man gab mir schließlich im Hotel daneben unterm Dach ein Bett. Auf dem gleichen Speicher schlief das Personal.
Spät hinter Mitternacht ein Poltern auf der Treppe und ein Mädchenschrei. Ich fuhr in meine Kleider, tappte nach der Treppe, knipste eine Lampe an, da lag ein Zimmermädchen, arbeitsübermüdet. Verrenkter Knöchel am Fuß, der treppauf, treppab gelaufen war; wenn man den Zimmerdienst in einem Tag addierte: leichtlich siebenmal die Strecke aus dem Tal zur Bergeshöhe.
Sie konnte keinen Schritt mehr gehn. Ich trug sie in die Mädchenkammer. Kaum daß zwei andre Mädchen drinnen schlafschwer nach uns sahen. Plötzlich brach's aus der Gebrochenen: Weinen, Klagen, Heulen. Über dreißigmal hab es aus Zimmer einunddreißig geläutet. Ein Ehepaar darin, schwerreich. Die Frau bequem: »Fräulein, drehen Sie das Licht an, bitte.« Wieder Läuten: »Fräulein, öffnen Sie den Warmwasserhahn!« Läuten: »Fräulein, der Hahn tropft noch, bitte.« Läuten: »Fräulein, Fifi, das arme Hündchen, stöhnt, geben Sie ihm diese Tropfen ein.« Sie machte eine Pause: »Wer,« schrie sie plötzlich, »wer – Fifi oder ich – wer ist der Hund, Herr, wer?« Sie machte eine zweite Pause, eine nachdenkliche: »Einer hat's noch schlechter, Herr – ihr Mann.«
Unterm Weinen und Erzählen schlief sie ein. Ich schlich hinaus.
Am andern Morgen strahlender Sonnenschein. Ich sah das Zimmermädchen auf dem Bergkamm. Ausgeruht, strahlend wie die Sonne und vergnügt: Einen halben Tag lang dienstfrei.
Wir schauten aufs Hotel hinab. Aus dem Tore wälzte sich eine mißvergnügte Kugel. Ich schaute Fräulein Grete an: »Nicht wahr, das ist sie?«
Sie nickte, indes der Mann da unten müde hinterherkam. Er trug eine Lodenjoppe: »Woltermann!« entfuhr's mir.
»Sie kennen ihn, den Armen?«
»Allerdings. Er hat die Aktienmehrheit in dem großen Syndikat Germania –«
»Wie, in welchem meine Mutter Putzfrau ist?«
*
Ich habe seither allen Leitersprossenneid verloren.