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Die antarktische Landmasse und ihre beiden Teile: Westantarktis und Ostantarktis. – Dirk Gherritsz. William Smith. Palmer. Morrel. Bellingshausen. Weddell. Biscoe. Dumont d'Urville und Ross. Dallmann. Larsen. Gerlache.
Das grosse Interesse, das sich in den letzten Jahren in so vieler Beziehung an die Südpolargegenden knüpfte, hat auch eine Reihe mehr oder weniger populärer Schilderungen ihrer Entdeckungsgeschichte gezeitigt. Obwohl diese Geschichte keine jener grossen Tragödien aufzuweisen hat, wie sie uns in den Schilderungen der Nordpolfahrten entgegentreten, und es sich hier auch nicht um das grosse Problem handelt, dessen Lösung seit Jahrhunderten eine Expedition nach der andern hinausgelockt hat, so bietet sie doch nach vielen Richtungen hin ein grosses Interesse, und ich hätte mich hier gern mit verschiedenen dieser Fragen näher beschäftigt. Auch beweist ein eingehenderes Studium der Berichte über frühere Fangreisen, dass für die historische Forschung auf diesem Gebiet noch immer ein grosses Wirkungsfeld vorhanden ist. Leider ist es mir aber nicht möglich, hier ausführlich auf diese Fragen einzugehen. Wir wollen deshalb in diesem Kapitel nur ganz kurz und in der Hauptsache, in Übereinstimmung mit bereits vorliegenden Arbeiten, eine Übersicht über die wichtigsten Entdeckungen auf dem Landgebiet geben, auf das sich die Tätigkeit der schwedischen Expeditionen erstreckt hat.
Ein Punkt, der wieder aktuell geworden ist, nachdem unsere Expedition ein übersichtliches Bild von den Küstenumrissen dieser Gegend ergeben hat, ist die Frage der Benennung der verschiedenen Teile dieses Gebietes. Zwar werden die geographischen Namen ganz allgemein aus zufälligen Gründen, ohne Zusammenhang mit der Entdeckungsgeschichte oder der Natur der betreffenden Gegend gegeben, aber ein solches Verfahren ist keineswegs wünschenswert, und wenn es sich jetzt in so grossem Umfang darum handelt, Namen festzustellen, so ist es zweifelsohne von Interesse, dass diese Frage in ihrem historischen Zusammenhang betrachtet wird.
Man kennt jetzt eine ganze Reihe von Plätzen in der Umgebung des Südpols. Inwieweit diese Länder wirklich mit einander in Zusammenhang stehen, ist noch zweifelhaft und wird sich vielleicht niemals mit Gewissheit entscheiden lassen, da sie zum grössten Teil fast immer in eine mächtige Eisdecke gehüllt sind; aber gerade aus diesem Grunde ist es auch ziemlich unwesentlich. Ein Weltteil, der seiner Lage und Natur nach weit von allen andern getrennt ist, existiert hier unten, und einen eigenen Namen muss er haben, gleichviel ob es sich herausstellt, dass er aus einer Gruppe grösserer Inseln besteht, oder ob er ausser kleineren Inseln einen zusammenhängenden Kontinent umfasst, der sich an Grösse mit den übrigen Weltteilen messen kann. Man hat den Namen Antarktis oder Antarktica vorgeschlagen, und beide scheinen mir gleich gut. Wüsste ich, dass das Ganze eine zusammenhängende Landmasse ist, so würde ich vielleicht dem letzteren Namen den Vorzug geben, wenn es sich aber darum handelt, eine Menge grösserer und kleinerer Landteile zu bezeichnen, so erscheint mir die Form Antarktis die geeignetere.
Schon ein flüchtiger Blick auf die Karte der Südpolargegenden zeigt uns, dass die bekannten Landgebiete dort unten sich um zwei Mittelpunkte gruppieren. Auf der einen Seite hat man das Viktorialand und das Wilkesland mit ihren Unterabteilungen, auf der andern die Länder südlich von Südamerika. Inwiefern diese beiden Gebiete miteinander in Zusammenhang stehen, ist noch ein völliges Rätsel, aber selbst wenn festgestellt werden sollte, dass ein Zusammenhang besteht, so werden sie trotzdem einander gegenüber eine gewisse Selbständigkeit bewahren, da sie soviel zugänglicher sind, als die Gebiete, die sie eventuell miteinander verbinden. Es erscheint deshalb sehr wünschenswert, diese beiden Landteile durch einen kurzen Namen von einander unterscheiden zu können, und während langer einsamer Stunden dort unten im Polareise habe ich diese Frage reiflich erwogen. Als bester Ausweg erschien es mir, das eine Gebiet Ostantarktis und das andere Westantarktis zu nennen, in Übereinstimmung mit der üblichen Benennung der Halbkugeln, auf denen diese Landstrecken liegen; ich war mir aber hierbei durchaus bewusst, dass die Himmelsgegenden Osten und Westen gerade in diesen Gegenden ungewöhnlich wenig zu bedeuten haben. Bei meiner Rückkehr erfuhr ich, dass ein amerikanischer Forscher, E. S. Balch, während unserer Abwesenheit genau dieselben Benennungen vorgeschlagen hat, nur mit dem Unterschied, dass er sich der englischen Form Antarctica bediente. Unter diesen Umständen will ich alle Zweifel fahren lassen und werde nun in Zukunft das Gebiet, auf dem unser Arbeitsfeld lag, als Westantarktis bezeichnen.
Schon im Altertum stösst man auf eine eigentümliche Vorstellung, die von Anfang an kaum einen andern Grund gehabt haben kann, als blosse Vermutung, die sich aber trotzdem durch Jahrtausende hindurch erhalten hat, dass nämlich eine grosse Landmasse den Südpol umgeben soll. Nach der Entdeckung des Feuerlandes und später Australiens gab es im 17. und 18. Jahrhundert eine Zeit, in der man allgemein hoffte, hier unten ein reiches und bewohnbares Land zu finden. Der grosse Seefahrer James Cook hat mit seiner zweiten Reise 1773-1775 diesen Traum für immer zerstört. Er umsegelte sozusagen die ganze Welt südlich vom 50. Grad südlicher Breite, drang an einer Stelle sogar bis zum 71° 10' vor und befand sich auf einer Strecke von ungefähr 115 Längengraden südlich vom 60°. Während seiner ganzen Fahrt durch dieses gewaltige Gebiet stiess er nur auf einige kleine, isolierte Inseln, die sogenannten Süd-Sandwich-Inseln, und untersuchte ausserdem einige schon früher entdeckte, im übrigen aber wenig bekannte Gebiete, nämlich Süd-Georgien und später Kerguelen.
Unabhängig von der Kenntnis von dem Vorhandensein ähnlicher ozeanischer Inseln, die für die Frage, ob es ein eigentliches Antarktis gibt, von keinerlei Bedeutung sind, fehlt es in der Literatur nicht an Andeutungen, dass man schon weit früher in diesen Gegenden Land beobachtet hat. Da ist namentlich ein Bericht, der weite Verbreitung gefunden hat und lange Zeit hindurch als über jeden Zweifel erhaben galt. Im Jahre 1598 segelte nämlich ein Geschwader von fünf Schiffen von Holland ab, um die Besitzungen der Spanier im Stillen Ozean anzugreifen. Die Expedition traf auf allerlei Widerwärtigkeiten, und die Schiffe trennten sich bald voneinander. Eins davon unter dem Befehl von Dirk Gherritsz wurde im November 1599 von den Spaniern genommen, bei welcher Gelegenheit der Befehlshaber verwundet und zum Gefangenen gemacht wurde. Gherritsz selber hat keine Beschreibung seiner Fahrt hinterlassen, und die frühesten Berichte darüber erwähnen keine Entdeckung südlich von den schon bekannten Ländern. Aber im Jahre 1622 erschien in Amsterdam eine Übersetzung einer spanischen Arbeit von Herrera, und hier ist in einem Anhang zu dem Original angeführt, dass Gherritsz, durch Sturm aus der Magelhaensstrasse vertrieben, den 64. Grad südlicher Breite erreichte und dort ein hohes schneebedecktes Land entdeckte, das im Aussehen Ähnlichkeit mit Norwegen gehabt habe. Man nahm deswegen an, dass er die Süd-Shetlands-Inseln gesehen habe, oder vielmehr einen Teil von dem südlich gelegenen Hauptlande, möglicherweise das Ludwig Philippland. Als infolge von Dallmanns und Larsens Entdeckungen gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine Zeit lang die Ansicht auftauchte, dass das Ludwig Philippland mit seiner Umgebung von dem eigentlichen Grahamland getrennt sei, ward der Vorschlag gemacht, diese nördliche Inselgruppe nach dem ersten Entdecker des Landes Dirk Gherritsz-Archipel zu benennen. Es ist indessen in der letzten Zeit mit fast unumstösslicher Sicherheit festgestellt worden, dass Dirk Gherritsz die antarktischen Gegenden niemals besucht hat. Die ersten Schilderungen enthalten, wie gesagt, kein Wort davon, entscheidend aber dürfte der Umstand sein, dass es gelungen ist, im Holländischen Archiv ein Manuskript eines der Teilnehmer an der Fahrt zu entdecken, in dem dieser ausdrücklich sagt, dass sie während des Sturmes dreimal verschlagen wurden, »zweimal bis an den 55. und einmal bis an den 56. Grad.« Vielleicht hat Balch Recht mit seiner Vermutung, dass ein anderer Seefahrer die Entdeckung gemacht hat, die Dirk Gherritsz zugeschrieben wurde. Auf alle Fälle aber beruht es wohl auf einer grossen Übertreibung, wenn man in der vorhin erwähnten Beschreibung des Landes einen wirklichen Beweis dafür erblicken will, dass ein Teil der Westantarktis damals bereits entdeckt worden sei. Das Feuerland hat freilich eine grosse Ähnlichkeit mit Norwegen und dasselbe gilt auch von dem Ludwig Philippsland, denn beide sind gebirgig, aber abgesehen von dieser Übereinstimmung kann man sich wohl kaum zwei in der gleichen Entfernung vom Pol gelegene Länder vorstellen, die weniger Ähnlichkeit miteinander haben, als auf der einen Seite Norwegen und auf der andern diese antarktischen Küstenstrecken.
Da nun unsere Expedition festgestellt hat, dass das Gebiet, das nach Gherritsz benannt wurde, nicht als selbständige Inselgruppe existiert, scheint wohl nichts natürlicher, als dass dieser Name ganz aus der Karte ausscheidet und auf keine andere Gegend übertragen wird.
Kein Wunder, dass man nach den auf Cooks Reise gemachten Entdeckungen im allgemeinen in das entgegengesetzte Extrem verfiel, und das ganze Gebiet, das den Südpol umgibt, als ein ungeheures Eismeer betrachtete, in dem einige ganz vereinzelte kleine Inseln alles Land bildeten. Es ist deswegen ganz natürlich, dass alle Entdeckungsreisen in diesen Gegenden vorläufig ruhten, und ebenso erklärlich ist es, dass, wenn hier einmal eine nicht abzuleugnende Landentdeckung gemacht wurde, dies nur auf einem Zufall beruhte. So erging es dem Kapitän William Smith. Auf einer Reise zwischen Buenos Aires und Valparaiso mit der englischen Brigg »Williams« versuchte er, um den scharfen Westwinden zu entgehen, einen ungewöhnlich südlichen Kurs um Kap Horn zu nehmen und entdeckte dabei am 19. Februar 1819 auf dem 62° 40' s. Br. und um den 60° w. Länge ein neues Land. Bei dieser Gelegenheit konnte er sich auf keine nähere Untersuchung einlassen, und ebensowenig gelang ihm dies bei seiner Rückkehr im Juni, mitten im Winter, aber gelegentlich einer späteren Reise im Oktober desselben Jahres widmete er der Erforschung dieses Landes, dem er später den Namen Neu-Süd-Shetland beilegte, mehrere Tage. Am 18. Oktober landete er, zum ersten Male in der Geschichte der Antarktis, an der nordöstlichen Ecke der König Georg-Insel, wodurch das Land im Namen des englischen Königs in Besitz genommen wurde.
Der Entdeckung dieses William Smith ist in der Geschichte der geographischen Forschungen keineswegs der Platz zuerteilt, den sie verdient. Zugegeben, dass man schon vorher einige ozeanische Inselgruppen mit völlig antarktischer Natur kannte, zugegeben, dass möglicherweise Sheffield wie auch Bellingshausen nach kurzer Zeit und unabhängig von Smith dieselben Gegenden entdeckt haben würden, was jedoch keineswegs sicher ist, und selbst zugegeben, dass man eines Tages nachweisen könnte, dass schon frühere Seefahrer diese Gegenden gesehen, oder dass amerikanische Seehundfänger früher dort gearbeitet hätten, ohne dass dies bekannt geworden wäre, etwas, was nicht undenkbar ist, wenn man sieht, wie kurzer Zeit es bedurfte, um die ganze Gegend mit Fangschiffen zu bevölkern, – so steht doch unumstösslich fest, dass Smith unbestritten der erste war, der einen Teil des antarktischen Weltteils kennen lernte. Freilich ist es wahr, dass die Shetlands-Inseln nur eine Inselgruppe bilden, diese ist aber so eng verbunden mit dem gegenüber liegenden Hauptlande, dessen Bergspitzen hier an gewissen Stellen, wie wir es selber erfahren haben, bei klarem Wetter sichtbar sind, dass das erste Fangschiff, das der Arbeit in der Nähe dieser Inseln einige Wochen widmete, auch das Festland unwillkürlich entdecken musste. Ohne deswegen den Wert der Beobachtungen, die in den folgenden Jahren in diesen Gegenden gemacht wurden, verringern zu wollen, möchte ich hier doch die Ansicht äussern, dass keine davon auch nur im entferntesten mit Smiths Entdeckung zu vergleichen ist.
Die Beschreibung seiner Reise enthält indessen einige Seiten, die ich nicht übergehen kann. An dem Strande, wo er landete, traf er »eine Menge Seehunde, Seeottern und noch ein drittes grösseres Tier von eigentümlichem Äussern.« (Elefantenrobbe?) Dies mag ja richtig sein, falls mit Seeottern Pelzrobben gemeint sind. Ausserdem erwähnt er aber auch Scharen von wilden Landvögeln, sowie Schwärme von Enten, und auf einer der westlichen Inseln meint er durch das Fernrohr mit Bestimmtheit Bäume erkannt zu haben, die Tannen glichen. Auch er vergleicht, ebenso wie der oben erwähnte Schilderer von Gherritsz' Reise, das neue Land mit Norwegen. Dass ein Mann, der wirklich hier unten gelandet ist, eine so hohe Meinung von dem Lande hegen konnte, erscheint schwer erklärlich, da aber Smith seine Reise nicht selbst beschrieben hat, ist es wohl möglich, dass ein Teil der Angaben in entstellter Form wiedergegeben ist oder doch wenigstens nicht ursprünglich dazu bestimmt war, der Nachwelt überliefert zu werden.
In demselben Sommer, in dem diese Aufzeichnungen gemacht wurden, besuchte auch der amerikanische Seehundfänger Sheffield die Süd-Shetlands-Inseln und erlegte dort eine grosse Menge der kostbaren Pelzseehunde. War es nun eine Folge der Angaben, die er und Smith hinterliessen, oder war es andern Umständen zuzuschreiben, jedenfalls soll Bellingshausen hier schon im nächsten Sommer ungefähr fünfzig, oder nach anderer Angabe achtzehn, amerikanische und englische Fangschiffe angetroffen haben. Von den meisten dieser Schiffe ist nichts weiter bekannt, aber einige der Führer haben sich durch ihre Arbeiten hier unten einen berühmten Namen in der Geschichte der Entdeckungen gemacht. Namentlich ist einer von ihnen, der amerikanische Kapitän Nathaniel Palmer, während der letzten Jahre von verschiedenen Seiten als der eigentliche Entdecker des antarktischen Festlandes hingestellt worden. Dies Urteil dürfte jedoch ein wenig übertrieben sein. Grade nach Fannings Bericht, auf den man sich in dieser Sache stützt, war Palmer nicht der erste, der Land sah, sondern diese Ehre kommt dem Befehlshaber der amerikanischen Flottille, Pendleton, zu, der von der Deceptioninsel aus ganz im Süden ein hohes Gebirgsland erblickte. Zu der Erforschung dieses Landes wurde dann später Palmer ausgesandt. Auch haben wir dem letzteren keineswegs irgend welche Kartenaufnahmen oder eingehende Aufschlüsse über das Land zu verdanken, das auf mehreren von den Karten aus jener Zeit seinen Namen trägt. Ausserdem muss noch hervorgehoben werden, dass diese Küste ohne Frage gleichzeitig auch von andern Schiffen besucht wurde. Auch findet man bereits auf Karten, die so alt sind, wie z. B. die Weddellsche, die Benennung Trinityland. an Stelle von Palmerland.
Die beiden oben angeführten Namen haben auf diesem Festlande eine sehr wechselnde Geschichte gehabt und sind zeitweise fast von den Karten verschwunden gewesen. Als nun die Nordküste des westantarktischen Landes näher erforscht wurde, entstand die Frage, wo sie in Zukunft unterzubringen seien. Gerlache machte den Vorschlag, den ganzen westlichen Archipel nach Palmer zu benennen, während andere Forscher wünschten, dass ein Teil des Hauptlandes selbst seinen Namen tragen sollte. Ich selbst schliesse mich dem letzteren dieser beiden Vorschläge an und beantrage deswegen, die von uns erforschte Küstenstrecke zwischen dem Ludwig Philipplande und dem Dancolande, zum Teil dasselbe Land, das schon Pendleton von der Deception-Insel gesehen hat, nach dem Mann zu benennen, der jedenfalls, soweit man es beurteilen kann, der erste war, der eine ausgedehntere Reise an seinem Küstengebiet entlang gemacht hat. Das Trinityland als solches verschwindet demnach, aber ich habe zur Erinnerung daran die grösste der Inseln, die vor dem Palmerland liegt, Trinity-Insel genannt.
Bei Erwähnung der Fangexpeditionen, denen wir die ersten Nachrichten über diese Gegenden zu verdanken haben, dürfen wir den Engländer Powell nicht vergessen, der im Dezember 1821 die Süd-Orkney-Inseln entdeckte und uns im übrigen eine ziemlich vollständige Karte und viele wertvolle Aufschlüsse über diese ganze Gegend hinterlassen hat.
Schon vorher, in demselben Jahr, als Palmer seine ersten Arbeiten ausführte, wurde in dieser Gegend eine andere, nicht weniger wichtige Entdeckung gemacht. Am 21. Januar 1821 traf nämlich eine russische Entdeckungsexpedition unter Bellingshausen ungefähr auf dem 69° s. Br. auf ein grosses Land, das südlichste bisher bekannte, das Alexander I.-Land genannt wurde. Dasselbe ist in den letzten Jahren von Evensen und Gerlache gesehen worden, noch aber weiss man nichts näheres darüber, nicht einmal, ob es mit dem nördlicher gelegenen Grahamland zusammenhängt. Wie ich bereits vorher angedeutet, machte Bellingshausen später einen kurzen Besuch auf den Süd-Shetlands-Inseln, wo er kartographische Arbeiten ausführte. Ich übergehe hier eine der berühmtesten Forschungsreisen, die jemals in den Südpolarregionen unternommen worden ist, und die auch eine gewisse Rolle bei der Ausarbeitung des Planes für die schwedische Expedition gespielt hat, nämlich James Weddells berühmte Reise, auf der er am 20. Februar sogar bis zu dem 74. Grad südlicher Breite gelangte, dem südlichsten Punkt, zu dem, bis auf den heutigen Tag ein Mensch vorgedrungen ist, abgesehen von den Expeditionen, die an der Küste des Viktorialandes gearbeitet haben.
Weddells Reise ist viel umstritten worden, und es hat nicht an Leuten gefehlt, die Zweifel an der Zuverlässigkeit seiner Angaben geäussert haben. Ich selber hege jetzt in dieser Beziehung keine Bedenken mehr. Bei den gewaltigen Wechseln, denen die Lage des Eises in verschiedenen Jahren unterworfen ist, und die zu beobachten wir selber Gelegenheit gehabt haben, erscheint es ganz annehmbar, dass die grosse Einbuchtung im Packeise, auf die Ross und letzthin auch Bruce gestossen sind, sich nach Westen verschieben und gleichzeitig Zutritt zu einem offenen Wasser gewähren kann, das bedeutend südlicher liegt, als es diese beiden Entdeckungsreisenden angetroffen haben.
Verschiedene andere Expeditionen aus dem Jahre 1820 könnten hier noch erwähnt werden, da ich aber keinen Anspruch darauf erhebe, hier eine erschöpfende Beschreibung der Entdeckungsgeschichte dieser Gegenden zu machen, so gehe ich jetzt zu Biscoes Reise im Jahre 1832 über. Auf dem Wege von Australien nach den Süd-Shetlands-Inseln steuerte er absichtlich einen südlichen Kurs, in der Hoffnung, dort Land zu finden. Am 15. Februar traf er auf dem 67° 15' s. Br. und auf dem 69° 29' w. L. eine Insel, die er Königin Adelaide-Insel nannte. Während der folgenden Tage gewahrte er mehrere neue Inseln, und am 21. Februar betrat er seiner eigenen Meinung nach das Festland, obwohl dies wahrscheinlich dieselbe Insel war, die Gerlache Antwerpen-Insel genannt hat. Biscoe nahm indes das Land im Namen Englands in Besitz; nach seiner Rückkehr wurde das Land nach dem damaligen Chef der Admiralität, Sir James Graham, benannt, und die Bezeichnung Grahamland ist allmählich die ganz allgemeine Benennung für das Festland hier unten in seiner Gesamtheit geworden. Da die Namen Palmerland, Trinityland, sowie Alexanderland, falls es sich nicht herausstellen sollte, dass dies letztere eine besondere Insel ist, ebenso wie mehrere andere Namen, zweifelsohne älter sind, so erscheint mir die Bezeichnung Grahamland zu diesem Zweck nicht geeignet, auf der andern Seite ist es nicht leicht, sich für einen andern der eben erwähnten Namen zu entscheiden. Ich für meinen Teil wäre sehr geneigt, diese Landmasse Smithland zu nennen, aber hiergegen liesse sich nicht ohne Grund einwenden, dass, wenn die Benennung Westantarktis oder Antarktica eingeführt würde, ein besonderer Name für das erwähnte Festland vorderhand nicht nötig wäre. Es muss folglich den Entdeckern, denen es einstmals gelingen wird, die Ausdehnung des Landes nach Süden zu und sein Verhältnis zu den ostantarktischen Ländern festzustellen, überlassen werden, ihm einen Namen zu geben.
Nach Biscoes Reise tritt eine Pause von über 40 Jahren ein, während welcher fast keine andern Entdeckungsreisen die antarktischen Gegenden berührten, als die drei ungefähr gleichzeitig ausgeführten Expeditionen unter Wilkes, Dumont d'Urville und Ross. Alle drei ernteten ihren grössten Ruhm in den östlichen Gebieten, aber alle machten Entdeckungen, und zum Teil sehr wichtige, in der Westantarktis. Wilkes' Reise können wir hier übergehen, da sie keine wichtigen Kartenaufnahmen hinterlassen hat. Ein Jahr früher als Wilkes, im Januar 1831, besuchte d'Urville vom Feuerland aus teils die Süd-Orkney-Inseln, teils erforschte er die ganze Küstenstrecke des bisher nur in seinen allgemeinsten Hauptzügen bekannten Landes südlich von Süd-Shetland bis zu der grossen Bucht, die er Orléans-Kanal nannte. Über dies Gebiet fertigte er eine verhältnismässig sehr gute Karte an, und man kann es ihm wohl kaum verdenken, wenn er diesen Landstrecken ganz neue Namen gab, die er Persönlichkeiten in seinem eigenen Vaterlande entlehnte. Als Trinityland bezeichnete er nur das Gebiet westlich vom Orléans-Kanal. Die grosse Insel, die nach seinen Entdeckungen den östlichsten Teil dieser Landmasse bildet, erhielt den Namen Joinville-Insel, während das Hauptland nach dem König von Frankreich Ludwig Philippland benannt wurde.
D'Urvilles Reise bildete einen sehr wesentlichen Fortschritt für unsere Kenntnis dieser Gegenden, und nicht weniger bedeutungsvoll waren die Ergebnisse der Expedition von Sir James Ross im Jahre 1843. Ebensowenig wie in der Ostantarktis begnügte sich dieser Forscher damit, die verhältnismässig leicht zugängliche Nordküste zu untersuchen, sondern er drang kühn in südlicher Richtung nach der Ostküste vor, die so vollständig aufgenommen wurde, wie dies vom Wasser aus möglich war. Aber schon auf dem 64° 50' traf er auf undurchdringliches Packeis, und nach fruchtlosen Versuchen musste er mit seinem Schiff in östlicher Richtung abschwenken. Es würde von grösstem Interesse sein, in diesem Zusammenhang über Ross' Entdeckungen auf dieser berühmten Reise zu berichten, aber gerade weil sie in so unmittelbarem Zusammenhang mit unserer eigenen Expedition steht – es ist u. a. charakteristisch, wie völlig übereinstimmend unsere vor Antritt der Reise gefassten Pläne waren, und der grössere Teil unserer Wirksamkeit lag ja in oder nahe den Gegenden, die Ross bereist hatte –, werde ich im Laufe meiner Arbeit noch wiederholt auf die hierher gehörigen Fragen zurückkommen.
Wenn wir von Smileys Arbeit im Jahre 1842 absehen, folgt jetzt abermals eine grosse Pause. Das nächste Mal, wo wir wieder von einer Expedition nach der Westantarktis hören, stehen wir der Gegenwart schon sehr nahe. Im Jahre 1874 entsandte eine Reederei in Hamburg den Dampfer »Grönland« unter Kapitän Dallmann, um in der Gegend südlich von Südamerika Seehunds- und Walfischfang zu betreiben. Dallmanns Entdeckungen erregten seiner Zeit grosses Aufsehen, wohl namentlich, weil es so lange her war, seit man irgendwelche Nachrichten aus diesen Gegenden gehabt hatte. Er hat indes keinen Versuch gemacht, eine Karte über die von ihm besuchten Gegenden aufzunehmen, man hat alle Angaben seinem Loggbuch entnehmen müssen. Es ist folglich leicht zu erklären, dass man bei genauerer Untersuchung ziemliche Mühe hatte, seine Beobachtungen mit der Wirklichkeit in Einklang zu bringen. Ein Verdienst, das ihm jedoch nicht abgestritten werden kann, ist, dass er zum ersten Male klar und deutlich geschildert hat, wie die ganze äussere Westküste, sogar bis an den Orléans-Kanal, in Inseln aufgelöst ist. Interessant sind seine Angaben, dass an der Ostseite der Hughes-Bay sich mehrere durchgehende Sunde eröffnen. Es ist freilich nicht ganz leicht verständlich, was er hiermit sagen will, aber man kann wohl kaum daran zweifeln, dass er die westliche Mündung des Orléans-Kanal beobachtet hat, dort, wo dieser die Trinity-Insel vom Palmerland trennt.
In geschäftlicher Beziehung war Dallmanns Reise ein Misserfolg, und aus diesem Grunde verstrichen abermals fast 20 Jahre, ehe die Südpolargegenden von neuem von Menschen besucht wurden. Nun aber scheint es, als sei der Bann, der so lange darüber geruht hatte, für immer gebrochen, denn in dieser letzten Periode bis auf den heutigen Tag sind Expeditionen nach diesem Ziel keineswegs selten gewesen. So wurde im September 1892 eine Flottille von 4 Schiffen unter Führung von Kapitän Fairweather von Dundee aus entsandt, um aus der Erebus- und Terrorbucht die grönländischen Walfische zu holen, die Ross in seiner Beschreibung mehrfach erwähnt. An Bord dieser Schiffe befanden sich die Naturforscher W. S. Bruce und Dr. Donald, denen wir viele Mitteilungen von Interesse verdanken. In geographischer Beziehung wurde indes nicht viel ausgerichtet, das wichtigste bestand in der Entdeckung des Sundes, der die sogenannte Dundee-Insel von der Joinville-Insel trennt. Diese letztere wurde umsegelt, aber die Darstellung des Sundes, den ich nach der »Antarctic« benannte und den man doch von Süden aus gesehen haben muss, ist auf der Karte ziemlich unrichtig.
Gleichzeitig mit diesen Schiffen ging im Auftrag einer Reederfirma in Hamburg zu gleichem Zweck Kapitän C. A. Larsen als Führer des norwegischen Fangschiffes »Jason« aus. Auch diese Reise ergab keine geographischen Resultate von Bedeutung, aber gelegentlich seiner Landung auf der Seymour-Insel machte Larsen eine Entdeckung, die in der Geschichte der Naturforschung nicht vergessen werden wird, – er fand die ersten antarktischen Versteinerungen. Während aber die schottischen Reeder die begonnene Arbeit zu wenig lohnend fanden, ergab Larsens Reise in geschäftlicher Hinsicht einen so guten Ertrag, dass er bereits im nächsten Sommer zurückkehren konnte, diesmal als Führer einer Flottille von drei Schiffen. Nun erzielte er auch bedeutende geographische Resultate. Unter ungewöhnlich günstigen Eisverhältnissen Es ist ein eigentümliches Zusammenheilen, dass die ersten neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts bekannt sind wegen ungewöhnlich grosser Mengen von Eisbergen, die in den südlichen Teilen des Atlantischen und Indischen Ozeans angetroffen wurden und aus den Südpolargegenden stammen mussten. Man kann nicht umhin, sich einen Zusammenhang zwischen den günstigen Eisverhältnissen zu denken, die Larsen auf dieser Reise antraf, und den Kräften, die diese grossen Eismassen in Bewegung setzten. drang er auf beinahe eisfreiem Meere südlich von der Erebus- und Terror-Bucht vor und entdeckte am 1. Dezember 1893 ein hohes Land, das den Namen König Oskarland erhielt. Eine Landmasse, die er für eine stark vorspringende Landzunge hielt, nannte er Kap Framnäs; es folgte dann eine grosse Bucht mit hohem, aus der Ferne sichtbarem Lande, das sogenannte Foynsland, an die sich ein vorspringender ebener Eisabhang schloss, zweifellos der Eisterrasse entsprechend, die ich später weiter im Norden auf meiner Schlittenfahrt kennen lernte. Ohne hier irgendwelches schneefreie Land zu sehen, ging Larsen an diesem Eisrande entlang, bis zu dem 68° 10' s. Br., wo ihn das ungebrochene Wintereis zur Umkehr zwang. Auf dem Rückwege entdeckte er weiter nördlich eine Inselkette, und es gelang ihm auch, auf Schneeschuhen über das Eis zu einer derselben zu gelangen, die den Namen Christensen-Insel erhielt. Sonderbarerweise bemerkte er hier nicht das hohe Land, das sich weiter nach Westen zu an das König Oskarland anschliesst und den westlichen Strand der grossen Bucht bildet, vor der er sich jetzt befand. Bei klarem Wetter habe ich selbst von demselben Punkt aus dies Land mit allen seinen Einzelheiten beobachten können. Früher war man der Ansicht, dass dies Land hier von einem breiten Sund durchschnitten werde und hatte das Gebiet nördlich von diesem Lande Dirk Gherritszland genannt.
Die Reise Larsens steht in so ausserordentlich engem Zusammenhang mit unserer eigenen Expedition, dass ich hier auf ihre Einzelheiten nicht näher eingehen darf. Vom rein geographischen Gesichtspunkt aus muss sie im Vergleich mit andern Fangreisen als eine der ergebnisreichsten Expeditionen bezeichnet werden, die jemals, sei es in nördlichen oder in südlichen Polargegenden, gemacht worden sind. Die neuen Entdeckungen, die Larsen während dieser Reise machte, können sich ihrem Umfange nach völlig mit dem messen, was von Männern wie Palmer, Biscoe und Weddell ausgerichtet wurde; die Karte, die er zeichnete, übertreibt freilich alle Entfernungen und Dimensionen, gibt aber doch ein ganz gutes Bild von den Verhältnissen. Ausserdem müssen seine naturwissenschaftlichen Beobachtungen und Sammlungen hervorgehoben werden. Die letzteren sind leider zum grössten Teil verloren; nachdem sie glücklich quer über die Erde geschifft waren, strandete der Transportdampfer, auf dem sie in die Heimat geschickt werden sollten, im englischen Kanal vor Dover. Spätere Forscher haben den Vorschlag gemacht, die grosse Bucht, deren südlicher Abschluss an der Christensen-Insel beobachtet wurde, Larsen-Bucht zu nennen. Dass die genauere Untersuchung dieser Bucht von einer schwedischen Expedition ausgeführt wurde, um die sich Larsen so grosse Verdienste erworben hat, kann wohl nur dazu beitragen, den angeregten Namen noch verdienter zu machen.
Den hier genannten Fangfahrten folgte unmittelbar die Reise der »Antarctic« nach dem Viktorialand unter Bull und Kristensen und mit Borchgrewingk an Bord. Gleichzeitig mit der Rückkehr dieser Expedition begann man in der wissenschaftlichen Welt allen Ernstes mit den Vorbereitungen zu der grossen internationalen Kooperation, die jetzt durch die Heimkehr der deutschen, schwedischen und englischen Expeditionen einen glücklichen Abschluss gefunden hat. Aber noch ehe diese drei Expeditionen im Jahre 1901 ihre Reisen antraten, wurden zwei andere grössere Reisen nach den antarktischen Regionen unternommen, durch welche, wie man mit gutem Grund sagen kann, die wissenschaftliche Südpolarforschung nach einer Ruhepause von einem halben Jahrhundert einen neuen Aufschwung nahm. Von diesen berührte wiederum eine die Gegenden, um die es sich in dieser Arbeit handelt, näher. Unter der Leitung von Adrien de Gerlache ging im Jahre 1897 an Bord des Dampfers »Belgica« eine wissenschaftliche Expedition hinaus, um vom Feuerland aus die Südpolargegenden näher zu untersuchen. Der Plan für diese Expedition war anscheinend vorher nicht ganz bestimmt entworfen worden, und infolge verschiedentlicher Missgeschicke konnte sie erst Mitte Januar 1898 die Staaten-Insel verlassen. Die eigentliche Forschungsarbeit nahm ihren Anfang in der Hughes-Bucht. Von hier aus wurde der breite Kanal entdeckt und kartographisch aufgenommen, der die bereits von Smiley und Dallmann gesehenen Inseln von dem jetzt mit dem Namen Dancoland bezeichneten Gebiet trennt. Nach dreiwöchentlichen Forschungen in dieser Gegend ging die Reise westwärts in das Meer hinaus, wo das Schiff jedoch bald im Eise festsass und dann mit diesem über ein Jahr umhertrieb, bis es wieder freikam.
Nur der Übersichtlichkeit wegen will ich hier zuletzt noch darauf hinweisen, dass von den Expeditionen, die gleichzeitig mit uns ausgingen, die englische unter Kapitän Scott drei Winter an dem südlichen Teil des Victorialandes auf dem 77° 50' s. Br. zubrachte, während die deutsche unter Professor von Drygalski im Jahre 1902 bei dem neu entdeckten Kaiser Wilhelmland auf dem 66° 2' s. Br. und 89° 48' ö. L. überwinterte. Die schottische Expedition unter Bruce, die im Jahre 1902 Europa verliess, hat sich im Winter 1903 auf den Süd-Orkney-Inseln aufgehalten, also in derselben Gegend wie wir, wenn auch auf einem etwas nördlicheren Breitengrade.