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Seehundsfang und Tierleben im Winter. – Das Leben im Hause. – Eine Schlittenfahrt mit Hindernissen. – Sommerwetter mitten im Winter. – Vorbereitungen für die grosse Schlittenexpedition nach dem Süden.
Es ist nur naturgemäss, dass die Tierwelt sich im Winter aus einem Lande zurückzieht, wo das Klima so wenig einladend ist, wie es sich uns hier gezeigt hat. Still und öde liegt die Natur rings um uns her, und es gibt wohl kaum ein niederdrückenderes Gefühl, als wie es hervorgerufen wird durch diesen Wechsel von unerträglichen Stürmen und völlig ruhigen, sonnenhellen Tagen, die trotzdem kein Leben in die Umgebung zu bringen vermögen.
Es war deswegen ein reiner Freudentag, als ich am 4. Juli auf einem kleinen Schlittenausflug zwecks einer Lotung draussen im Sunde hinter einem Eisberge eines jener Löcher im Eise antraf, wie es die Seehunde offen halten, um an die Oberfläche des Wassers kommen und Atem schöpfen zu können, und daneben erblickte ich unverkennbare Spuren von einem Seehund, der sogar erst ganz kürzlich auf dem Eise gewesen war.
»Jetzt werden wir bald wieder frisches Fleisch bekommen, und vielleicht gibt es hier auch Fische«, schrieb ich in das Tagebuch und teilte den daheimgebliebenen sofort meine Entdeckung mit.
Später hat uns die Erfahrung gelehrt, dass man selbst in weniger kalten Wintern nicht darauf rechnen kann, während der dunkelsten Monate Seehunde zu erlegen. Am 18. August hatten wir indes nach der langwierigen Kälteperiode einen merkwürdig schönen und warmen Tag. Ich war daheim auf der Station mit den Vorarbeiten für die künftige Schlittenexpedition beschäftigt, als Bodman atemlos vom Eise hergelaufen kam und berichtete, dass da draussen ein Seehund liege. Mitten im Sund, ungefähr fünf Kilometer von der Station, befand sich ein grosser, grundfester Eisberg, der seiner Form nach an eine Kirche mit hohem, viereckigem Turm erinnerte, und der neben der Cockburn-Insel den Mittelpunkt unserer täglichen Aussicht bildete. Wir waren im Laufe des Winters nicht oft so weit hinausgelangt, aber nun hatte Bodman auf einer Wanderung nach dieser Richtung hin das betreffende Tier gesehen. Ekelöf lief eiligst hinein, um seine Büchse zu holen, ich nahm die Mauserpistole und dann machten wir uns so schnell wie möglich auf den Weg. Schon aus der Entfernung gewahrten wir zwei grosse, dunkle Gegenstände auf dem Eise, und bald stellte es sich denn auch wirklich heraus, dass jetzt zwei Seehunde dort lagen. Sie waren grünlich grau mit wenigen, deutlich sich abhebenden Flecken und hatten kurze Köpfe mit breiten vorstehenden Schnauzen. Als wir näher herankamen, erhoben sie ihre Köpfe ein wenig und bewegten sich nach allen Seiten, um diesen unerwarteten Besuch zu wittern, vor dem sie übrigens nicht die geringste Angst zu empfinden schienen. Wir konnten ganz dicht an ihre Seite herangehen, und zwei Schüsse machten ihrem Leben bald ein Ende.
Dies war ein guter Fang, frisches Fleisch für uns selber und eine Menge leckerer Mahlzeiten für unsere keineswegs gut gefütterten Hunde. Vorläufig begnügten wir uns übrigens damit, sie aufzuschneiden und einige der besten Bissen auszulösen, dann eilten wir nach Hause, um dem drohenden Südweststurm zu entgehen.
Ich brauche wohl nicht zu sagen, dass wir mit unserm Tagewerk zufrieden waren. Am Abend assen wir Seehundsteak, das jedoch nach der Aufzeichnung meines Tagebuches unsern Erwartungen nicht entsprochen zu haben scheint, obwohl wir uns nach frischem Fleisch gesehnt hatten. Man kann hierin wohl einen deutlichen Beweis dafür erblicken, dass wir mit guten Konserven versehen waren und unsere Küche nichts zu wünschen übrig liess, denn es steht ausser Frage, dass Seehundsfleisch in Butter gebraten und so angerichtet, wie wir es taten, eine vorzügliche Speise ist.
Die Seehunde waren nicht die einzigen Tiere, die wir während des Winters beobachteten. Ein paarmal sahen wir nämlich Kormorane, und noch dazu im eigentlichen Hochwinter, nämlich auf unserer Schlittenfahrt im Juli, wo wir eines dieser Tiere in der Nähe unseres Lagerplatzes auf dem Schnee sitzen sahen. Ausser diesen war der Pagodroma der einzige Vogel, der in dieser Jahreszeit hier unten vorzukommen schien.
Obwohl wir unser bestes taten, um uns so viel wie möglich ausser Hause zu beschäftigen, sowohl in nützlicher Weise wie zu unserm Vergnügen, verbrachten wir doch den grössten Teil unseres Lebens während dieser Monate innerhalb der vier Wände unseres Wohnhauses. Es ist eine eigentümliche Lebensweise, die man unter solchen Verhältnissen führt, und ein Außenstehender kann sich kaum eine klare Vorstellung davon machen, was es heisst, einen ganzen Winter hinzubringen, ohne jede Möglichkeit, sich über ein so begrenztes Gebiet hinauszubegeben, und dabei auf eine so kleine Gesellschaft angewiesen zu sein. Eine Dampferexpedition hat es in dieser Hinsicht weit besser. Im Anfang ist es am leichtesten zusammenzuhalten, ehe man sich gegenseitig gründlich, sozusagen in- und auswendig, kennen gelernt hat, denn leider sind es in der Regel die schwächsten Seiten, die sich am meisten bemerkbar machen. Des guten Einverständnisses wegen ist es zweifelsohne wünschenswert, dass eine so abgesperrte Gesellschaft so homogen wie möglich zusammengesetzt ist.
Infolge der Nachtwachen wurden unsere Schlafzeiten sehr unregelmässig, und den grössten Teil des Tages lag gewöhnlich einer von uns in seiner Koje und schlief oder versuchte doch wenigstens zu schlafen. Dies gelang freilich nicht immer, denn, wie jemand unter uns bemerkte, »man kann auch nicht fortwährend schlafen«, und wenn man den einen Tag spät am Vormittag aufgestanden ist, oder am Mittag einige Stunden geruht hat, so ist es natürlich nicht leicht, des Abends einzuschlafen. Unsere Schlafzimmer waren anfangs durch Türen verschlossen gewesen, aber wir hatten diese bald weggenommen und durch Vorhänge ersetzt, da die Wände doch so undicht waren, dass man alles hören konnte, was nebenan gesprochen wurde. Es blieb einem also nichts anderes übrig, als sich unempfindlich gegen allen Lärm zu machen und der Unterhaltung zwischen den Kameraden ein taubes Ohr zuzuwenden.
Es ist sonderbar, wie wenig man unter diesen Verhältnissen an die Ereignisse in der Aussenwelt denkt, oder die Mitteilungen über die wechselnden Geschicke seiner Mitmenschen entbehrt. Wir hatten eine Menge älterer Zeitungen mitgenommen, die freilich allmählich wieder und wieder gelesen wurden, bis man sie fast auswendig wusste, aber trotzdem kam es uns vor, als sei diese Tageschronik etwas uns Fremdes, Aussenstehendes. Auch sprachen wir nicht oft über dergleichen miteinander. Um diese Zeit schrieb ich einmal in das Tagebuch: »Ich habe ein Gefühl, als könne man sich im Notfall so an diese Lebensart gewöhnen, dass man sich nach keiner andern sehnt.« Dies Urteil ist jedoch ein übertriebenes, das ich nach längerer Erfahrung nicht aufrecht halten kann.
Mit unserm Hause waren wir im ganzen recht zufrieden. Wir hatten allmählich alles drinnen geordnet, und indem wir den Vorraum bis zum äussersten ausnützten und an jeder nur denkbaren Stelle Borte anbrachten, hatten wir hinreichend Platz für unsere Sachen. Die grössten Unannehmlichkeiten verursachten uns eigentlich die Wämeperioden, die hin und wieder die Stürme und die Kälte ablösten. Da schmolz nämlich die Eisschicht an den Wänden und bildete auf dem Fussboden im Verein mit dem Schnee und Sand, den wir von aussen mit hereinbrachten, einen dicken Brei, in dem man fast waten musste. Viele unserer Sachen wurden durch die Feuchtigkeit beschädigt. Kisten, die an den Wänden standen, gingen aus dem Leim, so dass man, wenn, man sie in die Höhe hob, das Oberteil in der Hand behielt, während der Boden noch in der Eismasse festgefroren sass.
War es am Fussboden feucht, so tropfte es beständig von der Decke herab; denn oben auf dem Boden hatte sich gleichfalls Eis gebildet, das jetzt schmolz und auf uns niederströmte, so dass diejenigen, die in den oberen Kojen lagen, sich durch allerlei Vorkehrungen schützen mussten, um nicht ganz durchnässt zu werden. Und es war nicht immer Wasser allein, was auf diese Weise herabtropfte. Da oben lagen nämlich' eine Menge Flaschen, deren Inhalt gefror und infolge dessen oft seine Hülle sprengte. Am wenigsten unangenehm war es entschieden, wenn man bei näherer Besichtigung entdeckte, dass die herabtropfende Flüssigkeit aus Rotwein bestand, solange der Vorrat so gross war, dass man nicht über den Verlust von ein paar Flaschen zu trauern brauchte. Bedenklicher gestaltete sich die Sache schon, wenn ein kleiner Strom schwarzer Tinte sich über uns ergoss, oder wenn eine ätzende oder giftige photographische Entwicklungsflüssigkeit herabzusickern begann. – –
Die kleine Schlittenfahrt im Juli war nur eine Vorbereitung gewesen, und gleich nach unserer Rückkehr fing ich an, eine längere Expedition zu planen. Nach unsern Erfahrungen aus dem vorhergehenden Sommer erwartete ich die »Antarctic« ungefähr Mitte November, und bis. dahin mussten nach unserer Annahme alle derartigen Arbeiten erledigt sein. Ich wusste freilich sehr wohl, dass wir noch viel in unserer unmittelbaren Umgebung auszurichten hatten, wovon sich allerdings mancherlei nur bei warmem Wetter ausführen liess. Es war also nicht zu verwundern, wenn ich ein wenig zögerte, ehe ich mich zu einer Fahrt in andere Gegenden entschliessen konnte, die meine Tätigkeit während des ganzen Winters in Anspruch nehmen sollte. Anfang August schrieb ich in mein Tagebuch: »Ich sinne jetzt Tag aus, Tag ein darüber nach, wie ich meine Schlittenfahrt einrichten soll. Hätten wir nur hinreichend Hunde, so würde ich nicht zaudern, aber mit nur vier oder fünf brauchbaren Tieren, mit einer so kleinen Gesellschaft, dass mir eigentlich keine Wahl in Bezug auf meine Begleiter bleibt, bei so viel Arbeit hier in der Nähe und bei meiner festen Überzeugung, dass unser Observatorium während der Schlittenfahrt zu kurz kommen muss, ist es wohl berechtigt, dass ich mir die Sache gründlich überlege. Und doch sehe ich, dass uns nichts anderes übrig bleibt. Es ist ja eine unserer allerwichtigsten Aufgaben, zu untersuchen, woraus das vielbesprochene Grahamland eigentlich besteht, ob es ein zusammenhängendes Land oder eine Inselgruppe ist, wie weit es sich nach Süden erstreckt usw. usw., und wenn wir in diesem Jahr dieselben Eisverhältnisse haben wie im vorigen Sommer, so ist es unmöglich, daran zu denken, diese Arbeiten vom Schiff aus zu bewerkstelligen. Alles, was man vorläufig von dieser Küste kennt, zeugt davon, dass sie in wissenschaftlicher Hinsicht ungeheuer interessant ist; es wäre eine Schande, wenn eine Überwinterungsexpedition hier einen ganzen Winter liegen sollte, ohne unsere Kenntnisse über das hinaus zu erweitern, was jede Schiffsexpedition im Laufe eines Sommers auszuführen vermag. Nein, wir müssen unser bestes tun, um diese Gegenden zu erforschen, und sollten wir nicht so weit südwärts gelangen, wie ich es wünsche, so soll es uns jedenfalls nicht an Arbeit fehlen und, wie ich hoffe, auch nicht an einem Resultat.«
Schon von Anfang an war es mir klar, dass, wenn wir sehr weit südlich vordringen wollten, südlicher z. B. als Larsen im Jahre 1893 gelangte, wir unterwegs ein oder mehrere so südlich wie möglich angelegte Depots haben mussten, um unsere Vorräte ergänzen zu können. Da es uns im vorigen Sommer jedoch unmöglich gewesen war, solche Depots anzulegen, mit Ausnahme des einen, das wir auf unserer Bootfahrt errichtet hatten, so beabsichtigte ich, in der allernächsten Zeit eine Kraftanstrengung zu machen, und auf den Seehunds-Inseln ein zweites Depot niederzulegen. Dass diese Fahrt unter den obwaltenden Witterungsverhältnissen schwer und gefährlich werden würde, lag allerdings klar auf der Hand. Mit Sobral und Jonassen als Begleiter wollte ich mich so bald wie möglich nach Mitte August auf den Weg machen, weil man annehmen musste, dass die schwerste Unwetterperiode dann überstanden sein würde.
Unglücklicherweise stiessen wir gleich von Anfang an auf eine Reihe von Hindernissen, die nicht eher aufhörten, als bis unser ganzer Plan unmöglich geworden war. Der eine von unsern grönländischen Hunden hatte im August Junge bekommen, von denen wir zwar vielleicht in der Zukunft Nutzen erwarten konnten, die aber jetzt bewirkten, dass ein Viertel unseres ganzen Hundebestandes unbrauchbar war. Und gerade als alle Vorbereitungen am 26. August beendet waren, ereignete sich ein Unglücksfall, der noch einen zweiten von unsern Hunden ausser Stand setzte, die Fahrt mitzumachen. Um uns beim Ziehen unseres Gepäcks behilflich zu sein, verfügten wir also, selbst wenn Kurre mitgezählt wurde, jetzt nur noch über drei Hunde.
Unter diesen Verhältnissen war es gleich von Anfang an kaum ratsam, die Fahrt bis an die Seehunds-Inseln auszudehnen, da ich bereits Mitte September mit den Vorbereitungen zu der Hauptfahrt beginnen musste, es war wenigstens ganz unmöglich, wenn wir, wie dies der Fall war, die Absicht hatten, ein grösseres Depot zu errichten. Man darf die wesentlichen Verschiedenheiten zwischen diesen Gegenden und den nördlichen Polargebieten nicht ausser acht lassen; namentlich gilt dies in Bezug auf die Stürme hier unten, bei denen eine Expedition in der Regel gezwungen ist, fast die ganze Zeit still zu liegen, weshalb man auch einer grösseren Ausrüstung bedarf.
Indessen machten wir uns schliesslich am 30. August auf den Weg mit der Absicht, zuerst bis an unser im März errichtetes Depot zu gehen, es zu untersuchen und, falls es sich notwendig erwies, es auszugraben und die Vorräte so südlich wie möglich zu transportieren. Im Notfall beschloss ich, einen grösseren eingefrorenen Eisberg zum Niederlegen des Depots zu verwenden. Als wir die Station verliessen, war daher unser Gepäck nicht sonderlich schwer, aber wir mussten es zum, grossen Teil selbst tragen, und trotz aller Anstrengungen konnten wir vor Einbruch der Dunkelheit nicht an das Depot gelangen. Es fehlten uns noch einige Kilometer, als wir unser Lager draussen auf dem Eise in ziemlich gutem Schutz hinter einer grossen Eisschanze aufschlugen.
Es war vorzügliche Schlittenbahn und kaltes, aber anfangs wenigstens sehr schönes Wetter. Ich unterbrach unsern Marsch, um den grossen Gletscher zu untersuchen, der hinter Kap Hamilton mündet und der uns im März in so grosse Gefahr gebracht hatte. Das Eis enthält hier eklige sehr hervortretende Schichten von Kies und Sand, die sich dadurch gebildet haben, dass auf stärkere Abschmelzungsperioden Jahre folgten, in denen die schneeigen Niederschläge nicht schmolzen. Hier herrschte offenbar mehr Leben als in der Nähe unserer Station, denn oft trafen wir Spuren von Vögeln und Seehunden an. In einem Loch, nahe am Wege, lag ein Seehund und schwelgte in seinem nassen Element, den Kopf hervorstreckend und uns anschnaubend, als wir vorübergingen.
Während der Nacht suchte uns indes unser alter Feind, der Sturm, heim. Den ganzen nächsten Tag waren wir gezwungen, im Zelt zu bleiben. Es war recht kalt, das Thermometer zeigte drinnen; -30°, und Sobral, der diesmal den Versuch gemacht hatte, Pelzkleider in einer etwas verbesserten Form zu tragen, fror ein wenig, aber unter allerlei Geplauder verstrich die Zeit einigermassen schnell. Am nächsten Morgen, den 1. September, war es glücklicherweise wieder windstill; als ich aber aus dem Zelte trat, machte ich eine Entdeckung, die im wesentlichen dazu beitrug, den Plan für diese Fahrt zu beschränken. Der einzige von den Hunden, der sichtbar war, war Kurre; er lag halb im Schnee vergraben, während die beiden andern verschwunden waren und sich auf kein Locken und Rufen blicken liessen. Es war allerdings eine grosse Unvorsichtigkeit von uns gewesen, sie nicht anzubinden, aber sie hatten bisher niemals versucht, wegzulaufen. Diesmal war indes die Sehnsucht nach den zurückgebliebenen Kameraden übermächtig geworden, und sie waren, unsern Spuren folgend, nach der Station zurückgekehrt. Sie von dort wieder zu holen, hätte wenigstens zwei Tage in Anspruch genommen und möglicherweise hätte dann ein Sturm von noch längerer Dauer eingesetzt. Wir befanden uns bereits im September, – nein, es blieb uns nichts weiter übrig, als die Hoffnung, weiter südlich ein Depot zu errichten, aufzugeben und unsere Arbeit um so kräftiger auf die Hauptschlittenexpedition zu konzentrieren.
Wir liessen unser Zelt zurück und packten die Sachen, die im Depot niedergelegt werden sollten, in unsere Ränzel, dann begaben wir uns zu Fuss dorthin. Hier fanden wir unsere Vorräte in derselben Verfassung vor, wie wir sie vor einem Jahr hinterlassen hatten, ohne dass sie im Laufe des Winters mit Schnee bedeckt worden waren. Nachdem wir das Depot geordnet hatten, begaben wir uns auf die Wanderung, nach verschiedenen Richtungen hin. Ich machte einen langen Ausflug auf Kap Foster zu. Den ganzen Tag studierte ich aufmerksam das Eis und seine Terrainverhältnisse und sammelte Gesteinproben unter den lotrechten Tuffsteinklippen ein, von denen hin und wieder mächtige Steinblöcke herabstürzten, das Eis in ihrem Fall zertrümmernd. Erst nach Hereinbruch der Dämmerung, als die Kameraden bereits unruhig geworden waren, kehrte ich nach dem Zelt zurück, das sich mit dem darin brennenden Licht hinter seinem Schneewall ganz traulich ausnahm.
Am nächsten Tag traten wir die Rückfahrt an. Uns blieb keine Wahl, wir mussten uns selbst vor den Schlitten spannen, denn Kurre allein war uns mehr hinderlich als nützlich. Sieben Stunden gebrauchten wir, um eine Strecke von 20 Kilometern zurückzulegen, mit einer Last von ungefähr 135 kg Gewicht. Ungeübt, wie wir waren, war dies das äusserste, was wir leisten konnten, aber ich freute mich über die gemachte Erfahrung, denn nun hatte ich eine Grundlage für meine Berechnungen für die bevorstehende lange Schlittenreise.
Die Zeit zu dem Aufbruch der grossen Schlittenexpedition nach Süden hatte ich auf den ersten schönen Tag nach dem 20. September festgesetzt. Es war eine arbeitsame Zeit, die nun folgte. Anfangs hatten wir unser gewöhnliches Winterwetter, wenn auch nicht so kalt wie bisher, aber um die Mitte des Monats trat eine in meteorologischer Beziehung höchst eigentümliche Periode ein. Die einzige Witterung, die sich bisher als andauernd erwiesen hatte, war entweder ein steifer Südweststurm mit Kälte gewesen, oder auch ganz windstilles Wetter, zuweilen in schwache Winde aus Nordost übergehend. Jetzt hatten wir dahingegen eine ganze Woche lang fast ununterbrochen sehr starken nordwestlichen Wind, der eine Wärme mit sich führte, wie wir sie hier unten nie zuvor erlebt hatten. Am 16. September stieg die Durchschnittstemperatur ungefähr auf -2° und dieser Tag war der wärmste, nicht nur während der bisher verflossenen Zeit, sondern überhaupt während des ganzen ersten Jahres, einschliesslich des Sommers. Noch wunderbarer aber war es, dass schon um diese Jahreszeit, die doch noch als zum Winter gehörend betrachtet werden muss, das Eis draussen auf dem offenen Meer anfing aufzubrechen und so stark vom Land abzutreiben, dass wir nach Norden und Süden, so weit das Auge reichte, nur offenes Wasser hatten. Dies Phänomen erschien uns später um so eigentümlicher, als wir während des eigentlichen sogenannten Sommers Tag für Tag auf den Hügel hinaufstiegen und beständig nichts als dicht gepackte Eismassen erblickten. Wäre die »Antarctic« nur um diese Zeit zum Aufbruch fertig gewesen, so hätte sie sich jetzt schon, im September, mit uns in Verbindung setzen können. Die während dieser Tage gesammelten Erfahrungen waren von grossem Einfluss auf unsere Pläne für die Zukunft, da sie teils die allgemeine Ansicht hervorriefen, dass wir schon früh im Sommer offenes Wasser und damit Entsatz zu erwarten hatten, teils uns die Gefahren zeigten, die mit Schlittenfahrten verbunden waren, auf einem Eise, das im Handumdrehen bersten konnte, namentlich wenn die Möglichkeit, sich in ein Boot zu retten, ausgeschlossen war.
Einer prachtvollen Erscheinung aus diesen Tagen muss noch Erwähnung geschehen, nämlich der leuchtenden Iriswolken, die über dem Haddington-Berge lagerten. Diese Wolken, die nur sehr selten beobachtet werden, sind namentlich deshalb interessant, weil sie in so grosser Höhe schweben, dass sie noch mehrere Stunden nach dem Untergang der Sonne beleuchtet werden und infolgedessen, nachdem es auf der Erdoberfläche bereits ganz dunkel geworden ist, noch in den prachtvollsten Regenbogenfarben leuchten. Wir beobachteten diese Naturerscheinung ein paarmal, und es ist nicht unmöglich, dass sie in irgend einer Hinsicht mit den jetzt herrschenden eigentümlichen Witterungsverhältnissen in Zusammenhang stand.
Der Wind war während der ganzen Zeit so heftig, dass es keineswegs angenehm gewesen wäre, wenn wir uns auf dem Marsch befunden hätten, aber diese Tage kamen uns sehr gelegen für die vielerlei Arbeiten, die draussen im Freien ausgeführt werden mussten, und die uns bei strenger Kälte grosse Schwierigkeiten bereitet hätten. Als wir zum Aufbruch fertig waren, hatte sich das Wetter bereits geändert, und die Äquinoktialstürme liessen uns ihre Macht fühlen. Am 24. sah es jedoch aus, als wolle es gutes Wetter werden, und in der Hoffnung, dass wir am nächsten Abend aufbrechen könnten, hatten die Zurückbleibenden ein schönes Fest für die ausrückenden Mitglieder der Schlittenpartie veranstaltet. Leider wurde aber nichts aus dem Abmarsch, statt dessen brach einer der gewöhnlichen Orkane aus Südwest herein und toste ununterbrochen vier Tage und vier Nächte. Das Schneetreiben war anfangs nicht so heftig, aber der Gletscher war doch in eine dichte Wolke gehüllt, und auf der Ebene wirbelte der Schnee in langen, dünnen, wurmartig verschlungenen Streifen dahin, an einen feinen, zitternden Rauch erinnernd. Der Wind kam in mächtigen Stössen, und die Steine nagelten gegen die Wände, härter und höher hinauf als je zuvor, so dass sogar eine Fensterscheibe zertrümmert wurde.
Dieser Umschwung in der Witterung machte auf uns alle einen sehr niederschlagenden Eindruck; wir fühlten uns viel ermüdeter durch diesen Sturm, als während des ganzen übrigen Winters. »Ich möchte nicht noch einen zweiten Winter hier erleben!« schrieb ich in das Tagebuch. Die Tage vergingen langsam, obwohl ich vollauf damit beschäftigt war, die Instruktionen für das Schiff und das Stationspersonal zu vervollständigen und unsere Ausrüstung nachzusehen. Am Morgen des 29. wurde das Wetter endlich ein wenig besser, so dass ich auf das höchste Plateau hinaufkommen konnte. Welche Veränderung war mit dem Eis draussen vor sich gegangen! Alles war wieder so winterlich wie nur je zuvor, ohne eine Spur von offenem Wasser.
Als der Abend kam, war es ganz windstill; das Barometer stand hoch, und wir hatten alles geordnet, um am nächsten Tage die lang beabsichtigte Schlittenexpedition anzutreten.