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VI. Unsere Entdeckungsfahrt im Weddell-Meer.

Verschiedene Möglichkeiten für unsere Sommertätigkeit. – Der 21. Januar 1902. – Das Leben an Bord der »Antarctic« – Wissenschaftliche Arbeiten. – Ein Eisberg statt einer neu entdeckten Insel. – Das antarktische Eis.

 

Von dem Augenblick an, wo wir uns an der antarktischen Ostküste zur Umkehr gezwungen sahen, ehe noch der Polarkreis erreicht worden war, richteten sich an Bord der »Antarctic« alle Gedanken auf die Frage, wie wir den Teil des Sommers, der noch vor uns lag, am besten anwenden sollten. Die Ansichten waren in dieser Hinsicht sehr geteilt. Einige von den Gelehrten machten den Vorschlag, dass wir nicht zurückkehren, sondern liegen bleiben sollten, um eine Verbesserung der Eisverhältnisse abzuwarten. Wir könnten ja die Wartezeit dazu benutzen, die Winterstation irgendwo in der Nähe unseres südlichsten Punktes an Land zu setzen. Diesen Vorschlag musste ich als absolut unausführbar verwerfen; während der Wochen, die uns noch von dem Sommer blieben, unsere ganze Ausrüstung einschliesslich des Materials zu unsern Gebäuden, sowie unserer Vorräte an Kohlen nach dem nächsten Festlande zu verladen, war bei den Hilfsmitteln, die uns zu Gebote standen, nicht möglich. Unter diesen Umständen blieb uns nur die Wahl zwischen folgenden Möglichkeiten: Entweder wir mussten in die Gegenden zurückkehren, die wir kürzlich bereits mit so grossem Erfolg besucht hatten, nach dem Orléans-Kanal und nach der Erebus- und Terror-Bucht, und hier unsere geographischen und wissenschaftlichen Arbeiten fortsetzen, bis es Zeit war zur Landung der Winterstation, z. B. auf der Seymour-Insel; oder wir mussten, in Übereinstimmung mit dem Plan, den ich schon in Schweden vorgelegt hatte, dem Eisrande in östlicher Richtung folgen, in der Hoffnung, eine Öffnung darin zu finden, durch die wir in das eisfreie Meer gelangen konnten, das Weddell einstmals gesehen und befahren hatte.

Gerade in der Lage, in der wir uns jetzt befanden, erfuhr ich gründlich, wie schwer es ist, ein Unternehmen, wie das unsere, auszuführen, ohne über die erforderlichen pekuniären Hilfsquellen zu verfügen. Hätte ich nur einen Monat früher aus Schweden abreisen können, hätten wir nur die erforderlichen Mittel gehabt, um auf den Falklands-Inseln hinreichend Kohlen zu nehmen, so zweifle ich keinen Augenblick, dass die letzte Alternative nach jeder Richtung hin die vorteilhaftere gewesen wäre. So wie sich die Verhältnisse gestaltet haben, kann man wohl sagen, dass wir Recht hatten, die erste Alternative zu wählen. Dies empfand ich auch selbst; aber der Gedanke, eine Durchfahrt nach dem Weddell-Meere zu suchen, falls es möglich sein sollte, an der Küste entlang weiter vorzudringen, hatte doch einen so wesentlichen Bestandteil meines Planes ausgemacht, dass ich lange zweifelte, ob es richtig sei, alle weiteren Bemühungen, in völlig unbekannte Gebiete einzudringen, so schnell aufzugeben.

Es wäre freilich auch möglich gewesen, diesen Sommer hindurch in der Nähe des Landes zu bleiben und die Fahrt nach dem Weddell-Meere bis zum nächsten Jahre aufzuschieben. Diese Anordnung hätte indes eine grosse Unbequemlichkeit gehabt. Eine Expedition, die zu einem solchen Zweck ausgeht, muss auf eine Überwinterung gut vorbereitet sein. Da wir nun nur eine ziemlich unvollständige Ausrüstung für den zweiten Winter mit uns führten, würde eine solche Änderung unseres Planes bedeutende Unkosten verursacht haben, und ausserdem liess es sich wohl kaum leugnen, dass ein solcher Versuch, vorzudringen, besser an den Anfang als an das Ende einer Expedition verlegt wird.

Schliesslich lag noch eine andere Möglichkeit vor, die an Bord ernstlich erwogen wurde, nämlich erst die Überwinterungspartie an Land zu setzen und dann mit der »Antarctic« nach dem Weddell-Meere zu gehen. Hierdurch wäre ein bedeutender Zeitgewinn erzielt worden, da es nach beendeter Arbeit nicht nötig gewesen wäre, wieder nach Westen zurückzukehren. Gegen diese Ordnung konnten indes zwei Einwendungen erhoben werden. Auf der einen Seite war es meine Absicht, dass der geplante Versuch, vorzudringen, mit der grössten Energie betrieben werden sollte, namentlich da wir die Hoffnung hegten, hier auf ein neues Landgebiet zu stossen. In diesem Falle war es von grosser Wichtigkeit, dass auch die Gelehrten, die sonst in der Winterstation zurückgeblieben wären, Gelegenheit erhielten, sich an der Arbeit zu beteiligen; war es doch sehr wohl möglich, dass wir dort einen geeigneten Überwinterungsplatz fanden, was ja von sehr grossem geographischem Interesse gewesen wäre. Ferner waren wir uns klar darüber, dass wir nicht mit den angenehmsten Gefühlen die »Antarctic« am Horizont verschwinden sehen würden, wenn das Schiff, ehe es der zivilisierten Welt Nachricht von unserm Landungsplatz bringen konnte, eine so schwere und gefahrvolle Expedition zu bestehen hatte. Beständig hätte uns ja die Möglichkeit beunruhigen müssen, dass sich die »Antarctic« im Eise festsetzen oder scheitern könne, und ich war der Ansicht, dass man sich einer solchen Gefahr nicht ohne zwingenden Grund aussetzen dürfe. Dass das Unglück später in anderer Form und in viel grösserer Nähe von unserer Station eintreffen sollte, lag ausserhalb unserer Berechnung.

F. L. Andreassen.
Erster Steuermann der »Antarctic«

H. J. Haslum.
Zweiter Steuermann der »Antarctic«

Mit Rücksicht auf alle diese Verhältnisse fasste ich den Entschluss, dass wir alle miteinander gen Osten fahren wollten. Falls das Wetter günstig blieb, hoffte ich, dass es uns gelingen würde, ganz weit vorzudringen, ehe es notwendig wurde, die Winterpartie an Land zu setzen. Als ich am 21. Januar auf Deck kam, waren wir schon ein gutes Stück ins Meer hinaus gelangt. Der Tag war klar und strahlend, einer der schönsten, den wir bisher gehabt hatten, und wir freuten uns darüber, denn es war unsere Absicht, den Geburtstag Sr. Majestät König Oscars durch einen grossen, allgemeinen Festtag an Bord zu feiern. An demselben Tage vor acht Jahren war die norwegische Flagge ganz in der Nähe des Platzes gehisst worden, an dem wir uns jetzt befanden; jetzt wehte sie auf unserm Schiffe, und ausser ihr auch die dreizungige, blaugelbe Flagge des schwedischen Segelklubs mit dem Namenszug des Königs. Um 12 Uhr versammelten sich alle Mann auf Deck, wo auf die Gesundheit des Königs getrunken und ein mit kräftigen Hurrarufen beantwortetes Hoch ausgebracht wurde. Vorn auf Deck hatten wir zwei Walfischkanonen aufgestellt, und kaum waren die Hurrarufe verklungen, als der Schotte damit zu schiessen begann; ein Schuss nach dem andern ertönte, bis die Zahl 21 erreicht war. Ein wenig langsam und unregelmässig kamen sie, deswegen war es aber nicht weniger feierlich, hier in dieser öden, grossartigen Natur zu stehen und den Wiederhall der Schüsse an den Wänden der Eisberge zu hören. Dann folgte ein Festdiner in allen Abteilungen des Schiffes mit Wein und Reden und Gesundheiten. Ich glaube fast, dass dies das einzige Mal auf der ganzen Reise war, dass in der Offiziersmesse Champagner getrunken wurde. Nach Tisch waren Steuerleute und Maschinisten zu uns eingeladen, und in der gemütlichsten Feststimmung sassen wir dort bis in den Morgen hinein beisammen.

S. M. des Königs Wohl wird an Bord der »Antarctic« ausgebracht

Überhaupt lebten wir in dieser Zeit sehr angenehm auf unserm kleinen Schiff. Obwohl es nicht möglich war, während der Seefahrt stets hinreichende Arbeit für so viele Gelehrten verschiedener Fächer zu schaffen, kann man doch nicht sagen, dass uns die Zeit lang wurde. Am Tage hielt man sich gern auf Deck auf, die einförmige, aber stets so hochinteressante Natur beobachtend und betrachtend.

Wenn man nicht auf Deck war, sass man in der Offiziersmesse um den Tisch herum und arbeitete, lag in der Kabine und las, oder beschäftigte sich mit dem, was sonst gerade vorlag. Dank der Freigebigkeit der schwedischen Verleger führten wir eine vorzügliche Bibliothek mit, und es konnte lange währen, bis wir sie zu Ende gelesen hatten. Eng waren die Kabinen, und was schlimmer ist, es war fast dunkel dadrinnen, denn das kleine Fenster in der Decke liess nicht viel Licht durch das dicke Glas herein. Auch stand oben oft etwas im Wege und benahm das Licht, oder ein Hund legte sich gerade auf das Fenster, und dann wurde es plötzlich schwarze Nacht in der Kajüte. Aber gut und bequem waren sie, und jeder war froh, auf diese Weise sein eigenes kleines Zimmer zu haben, über das er frei verfügen konnte.

Die Mahlzeiten waren im ganzen so angeordnet, als wenn wir in Schweden gewesen wären, weswegen wir uns in dieser Beziehung wirklich nicht beklagen konnten. Die Konserven und der übrige Proviant erwiesen sich als tadellos, und der Koch stand seinem Amte mit grosser Tüchtigkeit vor und liess nichts verkommen. Dem Mittagessen ging regelmässig ein guter Schwedentisch voran, aber das Bier fing an, auf die Neige zu gehen, und gerade jetzt würde es uns so viel besser gemundet haben, als da oben in der Wärme, wo wenigstens ich gern auf meine Ration verzichtete.

Auch an frischen Speisen litten wir keinen Mangel an Bord. Wir haben verschiedene Versuche gemacht, die uns umgebende Tierwelt zu Nahrungsmitteln zu verwenden, und fast einstimmig lautet das Urteil dahin, dass diese Gerichte über alle Erwartung gut schmecken, mag es sich um Pinguine oder Seehunde oder Seeleoparden handeln, wenn sie mit guten Zutaten und nach allen Regeln der Kunst bereitet sind. Es kann ja natürlich vorkommen, dass irgend jemand eine unüberwindliche Abneigung dagegen hat, aber es macht wirklich einen lächerlichen Eindruck, alle die kritischen Bemerkungen zu lesen, die in gewissen Reiseschilderungen über diese Polargerichte gemacht werden, oder zu hören, wie eine ganze Schiffsbesatzung erklärt, dass sie lieber halbverdorbene Konserven essen und Gefahr laufen will, an Skorbut zu sterben, als Seehunds- oder Pinguinfleisch zu geniessen. Man kann sich kaum des Gedankens erwehren, dass solche Leute lieber daheim bleiben sollten, als sich auf Überwinterungsexpedition ins Polareis zu begeben.

Die Nachmittage und Abende sind die Stunden, in denen man hauptsächlich zusammen lebt. Da versammeln sich alle um den Tisch in der Offiziersmesse, und zu Zeiten, wo wenig zu tun und die Einförmigkeit grösser als gewöhnlich ist, vertreibt man sich den Abend bei einem Glas Punsch oder Grog. Von allen Seiten hört man Scherzen und Lachen, und wenn es recht gemütlich ist, wird auch der Phonograph in Tätigkeit gesetzt. Ausser unserm eigenen Instrument hat Sobral auch eins mitgebracht, das uns in reichster Abwechslung spanische und italienische Opernmelodien hören lässt. Leider befindet sich in unserer ganzen Gesellschaft niemand, den man musikalisch nennen könnte, wollen wir ein wenig Gesang hören, so bleibt uns nichts anderes übrig, als den Steuermann Haslum einzuladen und ihn zu bitten, zu seiner Handharmonika ein Lied zu singen.

Es liegt indes eine gewisse Einförmigkeit über diesem Leben, was sich sehr bemerkbar macht, namentlich nach der starken Spannung während der ergebnisreichen Tage an den Küsten des Landgebietes, und bei allen an Bord eine gewisse Reizbarkeit und den beständigen Wunsch, etwas Neues zu sehen, hervorruft. Glücklicherweise haben wir aber auch eine Menge wissenschaftlicher Arbeiten auszuführen. Schon am 22. Januar machten wir eine Lotung in einer Tiefe von ungefähr 1000 Metern, während gleichzeitig die Temperatur gemessen und Wasserproben genommen wurden. Dann wurde das Schleppnetz ausgeworfen, und nun mässigten wir zwei Stunden lang unsere Fahrt, indem wir es hinter dem Schiff herschleppen liessen. Als es eingezogen werden sollte, stoppten wir plötzlich ganz, während der Dynamometer aufs äusserste angespannt wurde, so dass es jeden Augenblick aussah, als müsse das Tau reissen. Dann löste es sich plötzlich mit einem Ruck, man merkte, dass etwas in Unordnung geraten war, hoffte aber, dass es nur das Netz selber sei, das zerrissen war. Es stellte sich auch heraus, dass dies der Fall war, aber glücklicherweise hatten wir unter das grosse Schleppnetz ein kleineres Grundnetz gehängt, und darin erhielten wir eine Probe von dem Tierleben, das sich hier unten regt. Um dies Ergebnis zu erzielen, hatten wir aber fast sechs Stunden stramm gearbeitet.

Die nächste Lotung wurde erst am 25. Januar vorgenommen, wo wir eine Tiefe von ungefähr 3750 Metern feststellten, die wir dann während unserer Fahrt gen Osten ziemlich unverändert beobachteten. Man kann eigentlich nicht sagen, dass dies etwas Unerwartetes war, aber wir befanden uns hier auf einem Meer, wo noch niemand eine Lotung vorgenommen hatte, und daher war jedes Ergebnis von grossem Interesse. Natürlich waren auch die Temperaturverhältnisse völlig unbekannt. Um zu zeigen, wie sich diese stellen, will ich hier folgende Serie anführen, die am 2. Februar weiter östlich aufgenommen ist:

20 m -1,57°
40 m -1,60°
70 m -1,67°
100 m -1,30°
150 m -0,29°
200 m +0,20°
300 m +0,31°
500 m +0,37°
1600 m +0,0°
3700 m -0,4°

Seehunde draussen im Freien

Die warme Wasserschicht in einer gewissen Tiefe ist für einen grossen Teil des Eismeeres charakteristisch. Im übrigen kann man wohl sagen, dass dies ein völlig kaltes Meer ist, kälter z. B. als die Gebiete südlich vom Stillen Ozean, die von der belgischen Expedition untersucht sind.

Die Tierwelt, die uns umgab, war dahingegen einförmig und keineswegs reichlich. Kleine Scharen von Seehunden, grösstenteils Seeleoparden, trafen wir hin und wieder, aber sie traten nie in so grosser Menge auf, dass es sich für eine Fangexpedition lohnen würde, in dieser Gegend zu arbeiten. Seehunde gab es hingegen ziemlich viel, und im äussersten Osten, wo wir umkehrten, waren wir von ganzen Scharen von mächtigen Blauwalen umgeben, die nicht selten in unmittelbarer Nähe des Schiffes auftauchten.

An Vögeln pflegte sich eine ganze Menge rings um uns herum zu zeigen, aber es waren nicht immer dieselben Arten. Die Pinguine, die in der Nähe des Landes so zahlreich vorkamen, nahmen nach Osten zu bedeutend an Zahl ab, obwohl man einzelne Individuen fast immer zwischen dem Treibeis beobachten konnte, wo sie festsassen und uns mit erstaunter Miene betrachteten, bis das Schiff gegen den Rand der Eisscholle scheuerte. Ein anderer Vogel, den wir hier und da im Eise trafen, aber nicht in der östlichsten Gegend sahen, war der prachtvolle weisse Eissturmvogel (Pagodroma), wohl der schönste der beflügelten Wesen in den antarktischen Gewässern. Draussen auf dem Weddell-Meere kreisten hingegen zahlreiche Kaptauben, Sturmschwalben, Riesensturmvögel (Ossifraga), sowie einige andere Vogelarten, die wir nicht festzustellen vermochten. Von Seehunden wie von Vögeln wurden verschiedene Exemplare an Bord gebracht, um präpariert und in unsere Sammlungen aufgenommen zu werden.

Ich muss hier noch eine besondere Erscheinung hervorheben, die uns am 7. Februar begegnete, als wir auf dem Rückwege ungefähr den 52. Längengrad passierten. Wir bemerkten hier nämlich zahlreiche auf dem Wasser treibende Exemplare von toten Fischen, die zu einer kleinen, höchstens einen Dezimeter langen Art aus der Gruppe der Scopeliden gehörten. Diese Fische gehören im allgemeinen gerade zu der Klasse von Tierformen, die in einer grossen Tiefe leben, wenn auch nicht auf dem Meeresgrunde selber. Es ist nicht leicht, eine solche Erscheinung mitten auf dem Meere zu erklären; wir rieten auf einen submarinen Vulkanausbruch, aber richtiger wäre es wohl gewesen, das Phänomen Strömungen im Meere zuzuschreiben, als zu so kühnen Hypothesen seine Zuflucht zu nehmen.

Das Schliessnetz wird aufgezogen

Im übrigen fuhren wir durch das Eis oder an seinem Rande entlang, ohne dass wir irgend etwas Besonderes angetroffen hätten. In dieser Einförmigkeit bildete jedoch der 30. Januar eine kleine Unterbrechung. Als wir an einem Vorgebirge aus Packeis vorüberglitten, tauchten in weiter Ferne zwischen dem Eis einige grosse schwarze Gegenstände auf, die sehr wohl Seehunde sein konnten, aber doch infolge ihrer Grösse weit eher an gewaltige Steinblöcke erinnerten. Auch mehrere Tangstücke schienen im Meer umherzufliessen. Späterhin am Nachmittag richtete der Kapitän meine Aufmerksamkeit auf einen hohen, unregelmässigen Gegenstand ganz unten im Südosten, der allerdings zweifelsohne an ein Land erinnerte. Wir befanden uns jetzt ungefähr auf dem 48. Längengrad, genau in der Gegend, in der nach Morrells Angabe »Neusüdgrönland« liegen soll, und wo Ross auf seiner Karte »appearance of land« vermerkt hat. Es war deshalb nicht ganz unmöglich, dass hier im Eise eine bisher unbekannte Insel lag. Indessen setzten wir unsern Kurs fort, der nicht direkt auf die beobachtete Erscheinung zusteuerte, aber uns jedenfalls in ihre Nähe führte. Als wir später gegen 9 Uhr abends nach dem Abendbrot wieder auf Deck kamen und aller Augen sich sofort auf die rätselhafte Erscheinung richteten, hatte diese noch genau dasselbe Aussehen, wie vorher, ebenso undeutlich und ebenso entlegen, wie nur je. Es war also klar, dass sie weiter entfernt sein musste, als wir anfangs gedacht hatten. Nun bemächtigte sich aller ein erhöhtes Interesse, wir fingen an zu ahnen, dass wir vor einer bedeutungsvollen Entdeckung standen, und es wurde beschlossen, den Kurs sofort auf das vermutete Land zu richten. Unsere Fahrt ging also direkt in das Packeis hinein; am Rande erhielten wir eine Menge harter Püffe, dann aber wurden die Schollen spärlicher und ohne Schwierigkeit fanden wir unsern Weg zwischen ihnen hindurch. Es war ein stiller Abend und das Meer lag regungslos da, während wir alle in der zunehmenden Dämmerung auf Deck versammelt waren. Alle waren auf das lebhafteste gespannt, aber niemand wagte unumwunden einzugestehen, dass er an Land glaube. Die Ansichten wechselten von Minute zu Minute, bald glaubte man eine weit gestreckte, abgerundete Schneelandschaft zu erkennen mit einigen ebenfalls schneebedeckten Berggipfeln und einer aufragenden, schneefreien Spitze, dann wieder, als ein Wechsel in der Beleuchtung eintrat, meinte man, das ganze sei nur ein mächtiger Eisberg. Wir kamen ganz deutlich näher, aber zu Anfang merkten wir nur wenig davon. Während dessen nahm die Dämmerung immer mehr zu, und als wir uns endlich wirklich unserm Ziele näherten, ging es stark auf Mitternacht. Wir sahen jetzt, dass die Insel nicht gross sein konnte, und es war wohl auch kaum anzunehmen, dass hier draussen im Meere, so in der Nähe von Ross' Kurs, eine isolierte Felseninsel liegen sollte; eher hätte es ein entfernter gelegenes Land sein können, das bei seinem Besuch in Nebel gehüllt gewesen war. Trotzdem erreichten gerade im letzten Augenblick unsere Spannung und unsere Erwartungen einen unerhörten Grad. Der starke Kontrast, der jetzt, wo die Sonne untergegangen war, zwischen den dunkleren und den helleren Partien entstand, diese völlig landähnlichen, weich abgerundeten Formen neben der höchsten Spitze, – es war wohl kaum möglich, dass sie sich unserm Auge so darstellen würden, wenn man nur einen gewöhnlichen Eisberg vor sich gehabt hätte. Die Mehrzahl von uns stand ganz vorn am Steven des Schiffes, einige waren in die Takelage hinaufgeklettert oder standen auf der Kommandobrücke, als wir endlich an der vermeintlichen Insel angelangt waren und um dieselbe herumfuhren, nur um festzustellen, dass sie aus einem hohen, umgekippten, eigentümlich geformten Eisberg bestand, und dass die Flecke, die wir für aufragendes Land gehalten hatten, nichts anderes waren, als düsteres, schneefreies Eis. Die grosse Tiefe, die das Meer in diesen Gegenden hat, spricht ja auch nicht für das Vorhandensein einer grösseren Landmasse hier in der Nähe. Mit Ausnahme dieses Falles, sahen wir auch während dieser Fahrt keine stärkeren Andeutungen von Insel- oder Landerscheinungen in der Nähe unseres Kurses.

Die vermeintliche Insel entpuppte sich als ein grosser Eisberg

Am Nachmittag des 22. Januar waren wir bis an das Packeis gelangt, das sich hier so weit erstreckte, wie man von Südwesten nach Nordosten sehen konnte. Am äussersten Rande lag ein schmaler Streif von gänzlich zermahlenen kleinen Stückchen; mit einer messerscharfen Grenze begann von da nach innen zu eine grobe, dicht gepackte Masse von zum Teil recht hohen Eisschollen. Es war neblige, unklare Luft, so dass wir nicht weit sehen konnten, aber es blieb uns ja kaum eine andere Wahl, als dem Eise in nördlicher Richtung zu folgen. Das taten wir denn auch zwei Tage und zwei Nächte lang. Wir kamen an einer Bucht nach der andern vorüber, von denen einige so tief waren, dass man im Nebel ihren Verlauf nach Süden zu nicht zu erkennen vermochte. Um ganz sicher zu sein, dass uns keine Möglichkeiten entgingen, bogen wir dann gewöhnlich von unserm Kurs ab und fuhren am Rande entlang. Auf diese Weise kamen wir nur sehr langsam vorwärts, und ausserdem war der Wind ungünstig. Am 24. beschlossen wir endlich, den Versuch zu machen, in das Eis einzudringen, da wir im Südosten ganz deutlich jenen eigentümlich dunkeln Widerschein am Himmel wahrnahmen, der, wenn er sich über einem eisbedeckten Meer zeigt, andeutet, dass sich grosse Flächen offenen, klaren Wassers zwischen den Eisschollen befinden.

Wir sollten nun allen Ernstes Bekanntschaft mit dem Packeis des Südpolarmeeres machen. Zu Anfang lag es ziemlich dünn, aber es verdichtete sich bald, so dass wir harte Arbeit hatten, vorzudringen. Schön ist es indessen, auf Deck zu stehen und zu sehen, wie das Schiff sich zwischen den Eismassen zurechtfindet. Der Kapitän sitzt selber oben in der Tonne und leitet von dort aus den Kurs. Unaufhörlich erschallen Kommandorufe, und der Steuermann hat einen harten Stand infolge des häufigen Umlegens. Zuweilen geht es einigermassen leicht vorwärts, wenn nämlich das Eis so wenig dicht liegt, dass man mittels fortwährender Schlingerungen einen Weg zwischen den Schollen hindurch finden kann, bald aber kommt ein dichterer Gürtel, und nun beginnt der Kampf allen Ernstes. Von seinem Aussichtsposten herab wählt der Kapitän den Angriffspunkt, ungefähr nach demselben Prinzip, wie ein Billardspieler, so dass die getroffene Eisscholle nicht nur durch den Stoss in die geeignete Richtung gebracht wird, wo Platz dafür ist, sondern auch die zunächstliegende Scholle durch den Anprall in Bewegung gerät und dem Schiff seinen Weg bereitet. Mit voller Fahrt geht es vorwärts, dann stoppt die Maschine, und plötzlich erfolgt ein gewaltsamer Stoss, so dass das Schiff in allen Fugen bebt und der Unerfahrene glauben könnte, sein letzter Augenblick sei gekommen. So schlimm steht es jedoch nicht; leise längt die kolossale Scholle an, sich zu bewegen, leise gleitet das Schiff vorwärts, während beide Ränder mit einem langgezogenen Dröhnen gegen seine Seiten scheuern, das an das Rollen des Donners erinnert. Jetzt gilt es, die errungenen Vorteile zu benutzen, aber wenn die Schollen gross sind, muss man in der Regel backen und den Angriff mehrmals wiederholen, ehe die Rinne klar wird. Oft gehen auf diese Weise mehrere Stunden hin, ehe man einen einzigen schmalen Eisgürtel durchdringt, der kaum einen Kilometer breit ist. Es ist wunderbar, wieviel das Schiff aushalten kann, aber dafür sind diese Eismeerschiffe auch solide gebaut und in der Wasserlinie gegen das Scheuern des Eises durch eine besondere Bekleidung von Greenhart geschützt, der härtesten Holzart, die man zu diesem Zweck hat finden können, während der Bug ausserdem noch mit starken Eisenschienen umgeben ist. Trotz alledem merkte man doch, dass die »Antarctic«, die wie die meisten andern Schiffe von Anfang an ein wenig leck gewesen war, nach unserer Sommerkampagne im Eise bedeutend mehr leck geworden war.

Schön ist es, auf Deck zu stehen und zu sehen, wie sich unser Schiff zwischen den Eismassen hindurchwindet

Das Eis, gegen das wir hier zu kämpfen hatten, bestand im allgemeinen aus sehr grossen ebenen Schollen ohne weit vorstehenden Eisfuss, die an frisch gebrochenes Wintereis erinnerten. Im allgemeinen war es ziemlich frei von eingeschlossenen Eisbergstücken, und selten bemerkte man eine Spur von stärkeren Schraubungen. Infolge seiner Dicke und der Grösse der Schollen war es meiner Ansicht nach schwerer zu durchdringen als alles Eis, dessen Durchbruch ich an der grönländischen Küste zu beobachten Gelegenheit gehabt hatte. Nachdem wir 24 Stunden einen harten Kampf gekämpft hatten, war es uns klar, dass es uns nicht gelingen würde, uns hier einen Weg zu bahnen. Wir mussten uns also entschliessen, in der Richtung nach dem klaren Wasser, das im Nordosten sichtbar war, umzukehren. Gegen Abend gingen wir jedoch, ehe wir noch aus dem Eis herausgekommen waren, in Schutz eines mächtigen Eisberges vor Anker. Es sah aus, als wolle ein Sturm heraufziehen, und wir hatten uns darin nicht geirrt. So sahen wir uns denn gezwungen, die nächsten 24 Stunden still zu liegen, während das Eis an uns vorübertrieb und die Dünung sich hier drinnen recht bemerkbar machte.

Sturm und Nebel waren von nun an unsere treuen Begleiter während der ganzen Zeit, dass wir diese Gewässer befuhren. Wir gelangten nur sehr langsam in östlicher Richtung vorwärts, der Wind war uns entgegen, und unser schon im voraus kleiner Kohlenvorrat schmolz schnell zusammen. Der Weg wurde auch durch die beständigen grossen Buchten bedeutend verlängert, und jeder Versuch, einen der Eisvorsprünge zu durchschneiden, war gefahrvoll in der dicken Luft, die uns niemals gestattete, den Weg klar vor uns zu sehen. Es war eine anstrengende Arbeit für Kapitän und Steuermann, in diesem Wetter über ein solches Meer zu manövrieren, namentlich jetzt, wo auch die Nächte anfingen, dunkel zu werden. Gerade, wenn man vielleicht bei heftigem Seegang bemüht ist, einigen kleinen Eisblöcken oder dünnen Treibeisflocken auszuweichen, geschieht es häufig, dass man einen schwachen Lichtschein vor sich erblickt. Plötzlich tauchen aus dem Nebel die gespensterhaften Umrisse einer blauweissen Eismasse auf, die viel höher ist als unsere Mastspitzen, und an deren Fuss sich die Wogen mit donnerähnlichem Getöse brechen. Da gilt es schnell zu sein, denn wenn die »Antarctic« mit einem dieser Kolosse zusammenstösst, hat sie nicht dieselben Chancen, wie im Kampf mit dem Packeis, und selbst im allergünstigsten Falle würde die Takelage beim ersten Anprall daraufgehen.

Im Treibeis

Diese Eisberge sind es, deren Zahl und Form den südlichen Eismeeren einen charakteristischen Zug verleihen. Nicht immer sieht man sie in der düsteren Stimmung des Sturmes und der Dunkelheit; bei hellem Sonnenschein gewähren sie einen Anblick, dessen Pracht niemand vergessen kann, der sie einmal gesehen hat. Die nordischen Eisberge sind in der Regel uneben und zackig, oft hoch, aber niemals sehr lang gestreckt, was seinen Grund darin hat, dass sie von Gletschern stammen, die sich schnell bewegen und mit Spalten durchsetzt sind. Ein antarktischer Eisberg von typischer Form macht einen gewaltigen Eindruck, hauptsächlich durch seine kolossale Masse, die jedoch infolge der einfachen Linien, von denen sie begrenzt ist, nie so überwältigend hervortritt. Die Höhe beträgt oft 60 bis 70 Meter, während die Ausdehnung nach Kilometern berechnet wird, ja, es sollen Eisberge beobachtet worden sein, die einen Flächenraum von mehreren tausend Quadratkilometern bedeckten. Wenn man die antarktischen Eisberge mit ihrer ebenen, wagerechten Oberfläche und ihren steilen Seiten vor sich sieht, einen neben dem andern und mehrere dahinter, so scheint es oft, als sei der ganze Horizont von einer zusammenhängenden Mauer abgesperrt. Eine Reihe älterer Schilderungen, die von Eisbarrieren draussen im Meere erzählen, dürften wohl durch eine falsche Auslegung dieser Erscheinung entstanden sein.

Wie diese Eisberge eigentlich entstanden sind, ist noch immer eine viel bestrittene Frage; meiner Ansicht nach kann man nicht annehmen, dass sie allemal direkt von einem ins Meer vorspringenden Inlandseis gebildet sind, wie man dies wohl bisher allgemein geglaubt hat. Die grosse Eisterrasse bei König Oscarland hat in Bezug hierauf viele Aufklärungen gegeben, und wir werden später Gelegenheit haben, wieder auf dies Thema zurückzukommen.


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