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IX. Eine abenteuerliche Bootfahrt.

Ausflüge in die Umgegend. – Die Bootfahrt nach Westen. – Unsere erste Schlittenfahrt. – Eine gefährliche Lage. – Die Rückfahrt.

 

Der Monat März hub mit dem herrlichsten Wetter an, das wir seit unserer Ankunft in diesen Gegenden gehabt hatten. Unser Wohnhaus war nun so weit fertig, dass wir den Abschluss der noch erforderlichen kleineren Arbeiten der Zukunft überlassen konnten. Jonassen beschäftigte sich freilich noch einige Zeit damit, während wir andern Bodman behilflich waren, die wissenschaftlichen Observatorien und die Apparate zu ordnen. Am 1. März wurden die Thermometerhäuser aufgestellt, am 2. der Anemometer und am 3. bauten wir das umgewehte Magnethaus wieder auf, diesmal so, dass der Eingang von Norden zu stattfand, wo sich die Leeseite befand, und infolge dessen blieb es bis zu unserer Abreise stehen. Dann folgten Tage mit wechselndem Wetter. Wenn es windstill war, bildete sich während der Nacht draussen auf dem Sund frisches Eis, das dann später vom Wind wieder aufgebrochen wurde. Am 4. März hatten wir Sturm; am 6. wehte ein warmer Wind, der das Thermometer bis +6° steigen liess, worauf es dann ebenso schnell wieder bis auf den Gefrierpunkt sank. In müssigen Stunden fing ich an, Ausflüge in die Umgegend zu machen, um die Natur und die Versteinerungen zu studieren. Den längsten dieser Ausflüge machte ich in Sobrals Gesellschaft am Sonntag, den 9. März, eine Wanderung von 10 Stunden südlich vom Snow Hill. In strahlendem Sonnenschein machten wir uns auf den Weg, in dichtem Nebel, die Richtung nach unsern eigenen Fussspuren suchend, kehrten wir gegen Abend von unserer Wanderung auf dem Bergrücken heim. Der Schnee war im allgemeinen fest und hart mit unebenen Schneetälern, so dass man keinen Vorteil von Schneeschuhen gehabt hätte. Die Spalten, auf die man stösst, sind immer sehr schmal. Die höchste Höhe, die wir erreichten, war dem Barometer nach ungefähr 300 m, statt 600, wie auf der Seekarte angegeben ist. Wir entdeckten drei Nunatakgebiete, die aus dem Eise aufragen, aber von Ross in seiner Beschreibung dieser Gegend nicht erwähnt werden. Fast möchte man glauben, dass sich der Schnee im Laufe der sechzig Jahre, die seit seinem Besuch verstrichen sind, bedeutend vermindert habe. Aber dies ist natürlich schwer zu beweisen, und in der Tat, es erscheint beinahe unmöglich, dass in so kurzer Zeit so bedeutende Abschmelzungen stattgefunden haben sollten. Das Eis bildet mehrere Gipfel, durch tiefe Einschnitte getrennt, die sich deutlich der Topographie des darunterliegenden Erdbodens anschliessen.

Wir trugen einen Schlitten zur Benutzung auf den Gletscher hinauf

So lange das Wetter schön blieb, war die Wanderung über das blendend weisse Schneefeld herrlich, mit der Aussicht auf den stolzen Haddington-Berg und nach Osten zu über das jetzt fast völlig mit Eis bedeckte Meer und seine zahlreichen Eisberge. Über uns flog ein Schwarm weisser Vögel, wahrscheinlich Pagodroma. Im übrigen bekamen wir in dieser Zeit nicht viel Tierleben in unserer Umgebung zu sehen. Wir sahen nur einen einzigen Seehund und ein paar Pinguine, entdeckten auch draussen zwischen dem Treibeis allerlei Vögel, im übrigen aber bestand unsere einzige Gesellschaft aus einer kleinen Seeschwalbe, die ihr Nest in den Klippen hatte.

Diese kleineren Ausflüge waren nur Vorbereitungen auf eine längere Entdeckungsreise, die ich zu machen beabsichtigte, ehe das Eis alle umliegenden Gewässer in seine Fesseln schlug. Das Haus war nun gepfählt und gestützt, die Pappe war festgenagelt und die wichtigste Einrichtung beendet. Im Magnethause gab es nur noch für Bodman Arbeit mit der Aufstellung der Instrumente. Wir konnten der Zukunft mit Ruhe entgegensehen, aber auf der andern Seite war es die höchste Zeit, dass wir uns auf den Weg machten, falls wir ein Boot benutzen wollten, was für meinen Zweck nötig war. Mit dieser Fahrt wollte ich nämlich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Es war mir einmal darum zu tun, ein grosses Depot so weit südwärts wie nur möglich zu errichten, da dies der »Antarctic« nicht gelungen war, und nur im Boot konnte ich so viel Gepäck mitführen, wie ich zu diesem Zweck brauchte.

Auf der andern Seite handelte es sich aber auch um eine wirkliche Entdeckungsreise. So viel hatte die Aussicht von den Hügeln bei der Station bereits ergeben, dass die Karte hier nicht sonderlich mit der Wirklichkeit übereinstimmte. Wenn wir auch eine Menge Zeit haben würden, um diese unsere nächsten Umgebungen zu erforschen, so war ja das Arbeitsfeld gross, und in gewisser Beziehung würde man ausserdem mit einer Bootfahrt mehr ausrichten können, als mit den beabsichtigten Winterschlittenfahrten.

Ich forderte Sobral und Jonassen auf, mich zu begleiten. Ausser den Vorräten, die wir selber nötig hatten, nahmen wir sieben Kisten von dem eigens für die Zwecke gepackten Boot- und Schlittenproviant und ungefähr 80 kg Hundepemmikan mit. Da ausserdem vorauszusehen war, dass wir mit unserm Boot an Land kommen würden, begleiteten uns alle grönländischen Hunde und ausser ihnen Jim, dessen Brauchbarkeit jetzt erprobt werden sollte.

Die Spitze des Snow Hill-Gletschers

Am 10. März arbeiteten wir den ganzen Tag an der Instandsetzung der Boots- und unserer Ausrüstung, und in der Frühe des folgenden Morgens brachen wir auf, indem wir die höchste Flutwelle benutzten, um mit dem schwer beladenen Tromsöboot leichter hinauszugelangen. Es war ein herrlicher Tag, nur fast zu warm, mit jenen eigentümlichen, weichen Südwinden, deren Entstehung wir niemals vollständig aufzuklären vermochten. Sonst war es beinahe windstill, und die ganze Bucht war mit einer dünnen Schicht frisch gebildeten Eises bedeckt, die das Rudern recht beschwerlich machte. Wir mussten uns zwischen dichten Massen niedrigen Treibeises hindurch schlängeln, das uns hinderte, unsern Weg vor uns zu sehen, weswegen wir von Zeit zu Zeit anhalten und auf eine der am höchsten zusammengeschobenen Eisschollen klettern mussten, um eine Aussicht über unsere Umgebung zu erlangen.

Wir benutzten die höchste Flutwelle, um leichter mit unserm schwerbeladenen Boot hinauszugelangen

Allmählich näherten wir uns dem andern Lande, der Landzunge, die wahrscheinlich dem entspricht, was Ross mit Kap Hamilton bezeichnet. Mit grossem Interesse betrachtete ich die geologischen Verhältnisse, die niedrigeren, sanften Kuppen, die sicher aus sedimentärem Sandstein und Schiefer von derselben Art wie das Gestein des Snow Hill neu aufgetürmt sind, und die höheren, äusserst wilden und stark zerklüfteten Klippen. Dort oben schiebt sich eine schmale, lotrechte Felswand vor, wild zerklüftet, wie eine von Riesen aufgebaute Mauer, und nach vorn zu mit einem mächtigen Turm abschliessend, den ich den Wachtturm genannt habe, denn dahinter liegen Gegenden, die zu dieser Zeit noch keines Menschen Auge erschaut hatte. Hier konnten wir nun mit unumstösslicher Gewissheit sagen, dass wir uns auf einem wirklichen, durch die grosse, vor uns liegende Lockyer-Insel in zwei Arme geteilten Sund befanden. Diese Insel war jetzt unser Ziel, und dort hoffte ich unser erstes Depot niederlegen zu können. Ross sagt in seiner Reisebeschreibung, dass der Snow Hill mit dem gegenüber liegenden Lande durch eine niedrige Eismasse verbunden zu sein scheine, die er als vorgeschobenen Gletscher auffasst; da eine ähnliche Erscheinung meines Wissens aus keiner andern Gegend bekannt ist, hielt ich diese Angabe anfangs für unwahrscheinlich, aber nachdem ich nun die übrigen Eisverhältnisse an dieser merkwürdigen Küste kennen gelernt habe, scheint es mir keineswegs unmöglich, dass zu Ross' Zeiten eine solche Eismasse existiert haben kann. Ist diese Vermutung richtig, so wäre ein fernerer Beweis für die Behauptung gewonnen, dass jetzt eine mildere Periode herrscht, als zu jener Zeit.

Immer mehr nähern wir uns jetzt der Lockyer-Insel. Aber was ist denn das für ein sonderbarer Laut, der durch den schweigenden Raum an unser Ohr dringt? Zuerst klingt es wie ein leises, fast unmerkliches Knistern und Rauschen, das allmählich mehr und mehr anschwillt und schliesslich in ein kräftiges, langgezogenes, grollendes Brausen übergeht, ähnlich dem Brüllen des Meeres vor dem herannahenden Sturm. Ein Blick voraus zeigt uns, dass das Eis in Bewegung geraten ist und jetzt gleich einer mächtigen, unwiderstehlichen, mauerähnlichen Masse uns entgegen geführt wird. Es ist echtes Schraubeis aus wild aufgetürmten Eisblöcken, die, von unserm kleinen Boot gesehen, bergehoch erscheinen. Uns blieb nichts weiter übrig, als augenblicklich zu drehen und uns nach aussen zu wenden, was nicht gerade schwierig war, da wir ebenso schnell trieben, wie das Eis selbst. Es war die gewaltig einsetzende Springflut, die diese Massen in Bewegung setzte und einen Wirbelstrom bildete, der jetzt auch unser Boot mit sich fortführte. Zuerst versuchten wir nach dem zunächst westwärts gelegenen Lande zu rudern, aber das Eis hatte zu starke Fahrt, und wir konnten nicht dahin kommen, wohin wir wollten. Dann kehrten wir wieder in östlicher Richtung um, nach der andern Seite der Insel, aber auch hier war zu viel Eis, obwohl es jetzt nicht mehr vorwärts trieb und der Strom die Blöcke nur in wirbelndem Tanz drehte. Es fing an, Abend zu werden, und jede Möglichkeit, mit dem schwer beladenen Boot nach der Insel zu gelangen, war für den Augenblick ausgeschlossen. Wir konnten auch nicht auf eine Stromänderung beim nächsten Flutwechsel rechnen, denn dann würde es dunkel sein. Deswegen mussten wir uns entschliessen, noch einmal nach Westen zu steuern, und in später Stunde landeten wir schliesslich an einem niedrigen festen Eissockel, einige Kilometer südlich von Kap Hamilton, ungefähr einen Kilometer vom Ufer entfernt. Wir zogen das Boot herauf, schlugen unser Zelt auf und bereiteten uns eine gute Mahlzeit aus Bovrilpemmikan und Kakao, worauf wir hier eine ruhige Nacht in unserm Dreimänner-Schlafsack aus Renntierfell verbrachten.

Der Wachtturm und Kap Hamilton

Am nächsten Morgen waren wir schon früh auf den Beinen; jetzt wollten wir allen Ernstes versuchen, durch die Eismassen hindurch zu dringen. Leider aber stellte es sich heraus, dass die Strömungen der Nacht wenig auf diese eingewirkt hatten; genau so undurchdringlich wie am gestrigen Abend lagen sie zwischen uns und der Insel, und das Rudern war nur noch mehr erschwert durch die frisch gefrorene Eiskruste auf dem Wasser. Unter solchen Verhältnissen mit dem Boote vorzudringen, darauf waren wir nicht eingerichtet. So beschloss ich denn, gegen die östliche Eismauer vorzugehen, die eine Fortsetzung des Snow Hill-Landes bildete und hier die Möglichkeit einer Besteigung zu bieten schien, auch musste man von hier aus eine Aussicht nach Süden gewinnen können. Kein Eis versperrte uns den Weg, und wir kamen ohne Schwierigkeit auf eine ungefähr 5 m hohe Eiskante hinauf. Als ich weiter nach dem Innern zu vordrang, stellte es sich heraus, dass wir uns auf einem losen Eisstück befanden, das durch einen schmalen Spalt, über den eine Schneebrücke führte, vom Lande getrennt war. Es war offenbar ein in der Bildung begriffener Eisberg, der sich einstmals bei starker Hochflut erheben und losreissen würde. Hierdurch war allem Anschein nach die grosse Einsenkung in der Eismauer entstanden. Ich erhielt indes von hier aus einen guten Überblick über die Umgegend; ein wenig weiter landeinwärts ragte ein kleiner Nunatak aus dem Eise. Dahin hätten wir uns allenfalls durcharbeiten können, aber ein Depot an diesem Platz hätte keinen rechten Zweck gehabt. Weiterhin nach der Lockyer-Insel zu sah das Eis ziemlich undicht aus, aber es würde uns sicher viel Arbeit gekostet haben, dahin durchzudringen. Nach Westen zu, von wo wir gekommen waren, lag jedoch eine ebene Eisfläche ausgebreitet, die eine ausgezeichnete Bahn für unsere Hundeschlitten bieten musste, und die Küste zog sich, so weit ich sehen konnte, in südwestlicher Richtung hin. Das klügste, was man tun konnte, war gewiss, dahin zurückzukehren, und einen passenden Platz für unser Depot zu suchen.

Langsam ruderten wir nun zwischen den treibenden Schollen, erst am Rande des Eises entlang, dann quer über den Sund, ohne jedoch an diesem Tage zur Zeit des Flutwechsels etwas Ähnliches zu erfahren, wie am vorhergehenden Tage. Ein langsamer Strom führte indes das Eis nach Norden zu, und die Schollen waren gross. Es war ein hartes Stück Arbeit, uns mit Rudern und Haken dazwischen hindurch und oft sogar darüber hinweg zu arbeiten. Als wir endlich gegen drei Uhr den festen Eisrand erreichten, bemerkten wir einige Schritte von unserm Landungsplatz umhergestreute Konservenbüchsen und Papierfetzen – nach angestrengter Arbeit, die einen ganzen Tag auf unangenehme Weise ausgefüllt hatte, waren wir also ohne Ergebnis wieder an demselben Platz angelangt, den wir am Morgen verlassen hatten.

Es war unser erster Versuch, in diesen Gegenden mit Hunden zu fahren

Es war nicht unsere Absicht, eine grössere Schlittenfahrt zu machen, wozu sich auch diese Jahreszeit nicht eignete, und um keine Zeit zu versäumen, beschlossen wir, die noch übrig bleibenden Stunden des Tages zur Beförderung des Depots an den dazu ausersehenen Platz hinter einer weit vorspringenden, bergigen Landzunge zu bewerkstelligen.

Wir beluden die Schlitten mit allem, was wir mitzuführen gedachten, Hundepemmikan, vier Kisten Schlittenproviant, einer Petroleumkanne usw., zusammen ungefähr 230 kg, nahmen nur ein wenig trockene Schokolade zu uns und machten uns schnell auf den Weg. Es war unser erster Versuch, in dieser Gegend mit Hunden zu fahren. Alle zogen tapfer über das schlechte Eis hinweg, selbst Jim erwies sich keineswegs als unbrauchbar, wenn er auch ein paar Mal unterwegs den Versuch machte, sich durch Zerbeissen der Zügel zu befreien. In der Nähe des Landes hatte sich eine ziemlich breite Spalte mit offenem Wasser gebildet, über die wir uns auf einer kleinen Eisscholle hinüber flössen mussten. Ganz tief in die Bucht hinein war das Eis zusammengeschoben und sehr uneben, so dass wir schliesslich selber die mitgenommenen Kisten über die für den Schlitten unpassierbaren Höhen und Eistäler schleppen mussten. Die Küste springt in Form eines mächtigen Vorgebirges mit fast lotrechtem Absturz vor, das aus einem eigentümlichen Gestein besteht, dessen Bekanntschaft ich jetzt zum ersten Male machte und das eine grosse Rolle in dieser Gegend spielt. Es ist ein ungeschichteter Tuffstein, der zahlreiche Lavastücke und ausserdem, was in dieser Gegend etwas sehr Merkwürdiges ist, eine Menge Knollen von Olivin umschliesst. Wir stapelten unser Depot drinnen auf dem festen Abhang auf und waren mit dem Resultat unserer Arbeit sehr zufrieden. Wenn kein Bergrutsch eintrat, konnten wir darauf rechnen, ganz sicher zu allen Zeiten unsern Vorrat wieder zu finden.

Als dies Geschäft beendet war, kletterte ich die Bergwand hinauf, um eine Aussicht nach Süden zu gewinnen. Eine Strecke zieht sich das Land hier in westlicher Richtung fort, hört dann aber plötzlich auf, und vor uns liegt nichts, als die grenzenlose, weisse Eisfläche. Die Sonne war eben hinter dem Horizont verschwunden, warf aber noch einen rosenroten Schimmer auf den Eiswall von Snow Hill, über den ganzen südlichen Horizont und die unbekannte Gegend, die so verlockend und doch so unerreichbar vor uns lag. Es war eine eigentümliche Beleuchtung mit schweren, bleifarbenen und purpurnen Wolken, die sich im Südwesten zusammengeballt hatten. Ich kann nicht behaupten, dass mir diese Aussicht sonderlich gefiel. Draussen auf dem Eise lagen einige Seehunde, die von Zeit zu Zeit ein unheimlich klagendes Geheul ausstiessen. Wir mussten indes die Rückkehr schleunigst antreten, um vor Einbruch der Dunkelheit wieder am Lagerplatz einzutreffen. Mich fror, als ich auf dem Schlitten sass und die Hunde zügelte, die viel zu hastig dahinstürmten, aber es ging rasch vorwärts, und bald waren wir am Ziele angelangt. Glücklicherweise beobachteten wir die Vorsichtsmassregel, das Boot ein wenig höher auf das Eis hinaufzuziehen, ein Umstand, dem wir unser Leben zu verdanken hatten.

Im Schutz des Bootes schlugen wir unser Zelt auf, kochten uns ein wenig Suppe und krochen schnell in den Schlafsack. Erst später während unseres Aufenthaltes in dieser Gegend sollten wir die Bedeutung der Wettervorzeichen verstehen lernen, die sich soeben um uns her gezeigt hatten: die warmen Südwinde, der heftige Barometerfall, die eigentümliche Beleuchtung im Südwesten; noch aber ahnten wir nicht, was dies alles zu bedeuten hatte. Kaum waren wir in unser Zelt gekrochen, als ein Sturm losbrach. Wir hatten guten Schutz von dem Boot, und in unsern Schlafsäcken spürten wir nicht viel von dem Unwetter, aber auf unserer Station war die Anemometerleitung schon nach ein paar Stunden von einer registrierten Wandstärke von 26 m in der Sekunde, einem vollständigen Orkan, losgerissen worden. Kalt war es aber, wo wir lagen, und es ist nicht so leicht, in demselben Sack mit zwei andern zu schlafen, dazu gehört Gewöhnung, die man erst durch langjährige Übung erwerben kann. Mit dem Schlaf war es also schlecht bestellt, aber wir fanden trotzdem, dass wir es hier drinnen recht angenehm hatten, und als der Morgen bereits dämmerte, lagen wir noch ganz ruhig da, ohne Anstalten zum Aufstehen zu machen.

Da wurden plötzlich alle Träume durch Jonassen zu einem jähen Ende gebracht. Er hatte dem Eise am nächsten gelegen und sprang nun auf einmal auf mit dem Ausruf, das Wasser dringe ins Zelt. Und so verhielt es sich wirklich, der Sturm hatte das Eis aufgebrochen und spülte die Wellen über das Eis hin, auf dem wir unser Lager aufgeschlagen hatten, bis an den Rand des Zeltes hinan. In einem Nu hatten wir die wenigen Kleidungsstücke, die wir abgelegt hatten, über geworfen und eilten hinaus. Zuerst warfen wir die kleineren Sachen heraus, packten dann alle drei auf einmal das Boot an und mit tüchtiger Kraftanstrengung hatten wir es bald so weit hinaufgeschleppt, dass wir wenigstens für den Augenblick sicher waren. Es war ein grosses Glück, dass dies nicht in der Nacht geschah, denn was dann die Folge gewesen wäre, lässt sich nicht leicht sagen.

Wir gönnten uns nur eine kurze Rast und zogen dann mit unserm Boot und unsern Sachen weiter. Es war gut, dass wir unterwegs waren, denn wenige Minuten später spaltete der Sturm das Eis genau an der Stelle, wo wir jetzt standen. Wir arbeiteten uns mit unserm Boot weiter durch und kamen im ganzen 300 m vorwärts, was uns Mühe genug machte. Das Eis zeigte eine Menge Spalten, die uns ein wenig beunruhigten, im übrigen aber war es sehr fest. Später stellte es sich heraus, dass es nicht viel Schaden genommen hatte, aber das konnten wir augenblicklich noch nicht wissen.

Wir führten kein Thermometer mit uns, aber bei der Station betrug die Temperatur –18°, die Windstärke habe ich bereits erwähnt. Heulend kam der Sturm mit heftigen Stössen aus Südwesten, ungeheure Schneemassen vor sich hertreibend, so dass man nur selten einen Schimmer des hohen Landes erblickte, obgleich es nur einen Kilometer entfernt lag. Vielleicht wäre es uns möglich gewesen, schon jetzt im Schutz des Bootes unser Zelt aufzuschlagen, aber wir wagten das nicht nach den eben gemachten Erfahrungen. Es war ja nicht undenkbar, dass das Eis weiterhin bersten und mit uns ins Meer hinaus treiben konnte. Wir hatten keine Winterkleider mitgenommen, höchstens konnte man von einer Herbstausrüstung reden. Ich kroch unter das Segel im Boot und versuchte dort Essen zu kochen, aber selbst dort fror mich im Stillsitzen. Jonassen wanderte auf und nieder, eine tiefe Rinne am Boot entlang stampfend, während sich Sobral ruhiger verhielt. Die Hunde hatten sich, so gut sie konnten, in den Schnee hineingegraben. Der Tag war lang, aber die Gedanken verkürzten die Stunden doch in einer Weise, die wir kaum für möglich gehalten hatten. Wir waren uns nicht klar darüber, wie wir uns für die Nacht einrichten sollten, aber es blieb uns ja kaum eine andere Wahl, als bei dem Boot zu bleiben und uns zu behelfen, so gut es ging, und das wurde denn auch beschlossen. Es gelang uns, das Zelt aufzuschlagen und den Schlafsack auszubreiten, der jetzt sehr aufgeweicht und durchkältet war. Gegen ½8 Uhr abends legten wir uns hinein.

Sobral war ein Finger erfroren, der stark schmerzte, Jonassen hatte nasse Füsse, er lag da und jammerte darüber und wollte, das Zelt nicht verlassen. Bis Mitternacht verrichtete ich eine Art Wachtdienst, indem ich bald drinnen sass, bald draussen im Sturm auf und niederging. Jetzt in der Dunkelheit nahm sich alles noch unheimlicher und wilder aus. In einer Entfernung von hundert Schritten sah man keinen Schimmer von dem Boot, daher konnte ich mich unmöglich weit genug entfernen, um den Eisrand zu untersuchen. Da ich aber von dem äussersten Punkt, bis wohin ich mich wagen konnte, nichts Beunruhigendes zu entdecken vermochte, und da uns ja doch keine Wache hätte helfen können, falls eine plötzliche Katastrophe eingetreten wäre, so ging ich gegen zwölf Uhr hinein und legte mich in den Schlafsack; es gelang mir auch, auf einige Stunden etwas Schlaf zu finden, während die andern hinterher behaupteten, dass sie es vergeblich versucht hätten.

Schon gegen ½6 Uhr am nächsten Morgen weckte mich Jonassen mit der Nachricht, dass es den Anschein habe, als wenn der Wind abflaue und der Himmel sich aufkläre. Ich blieb aber noch eine Stunde im Schlafsack liegen, worauf ich aufstand und Kaffee kochte. Die Sonne schien jetzt hell und der Horizont lag wolkenlos da. Die Windstärke hatte ganz bedeutend abgenommen, obwohl es noch sehr frisch wehte. Die See hatte das Eis mürbe gemacht und war uns näher gekommen, das Meer lag bis zu der Insel hin eisfrei vor uns. Hätten wir von Anfang an ein solches Fahrwasser gehabt und dazu gutes Wetter, so wäre es ein Leichtes gewesen, vorwärts zu gelangen und das ganze Gebiet nach Süden zu rekognoszieren, jetzt konnten wir nicht mehr daran denken. Es war keine Kleinigkeit, an diesem Morgen aufzustehen, unsere Kleider waren im Schlafsack aufgetaut, froren aber gleich wieder an der Luft. Der Primusbrenner wollte seine Schuldigkeit nicht tun, und ich musste Kienspäne holen; auch damit wollte es mir nicht gelingen, und nun musste ich hinaus, um die ganz eingeschneite Petroleumkanne zu suchen. Schliesslich gelang es mir doch, Feuer anzumachen, und unser Frühstück war bald fertig.

Während dessen hatte Jonassen unser Boot aus dem Schnee herausgeschaufelt, aber es stand uns noch eine harte Arbeit bevor, indem wir das Boot und alle unsere Sachen nach dem Strande hinunterschleppen mussten, so dass es 10 Uhr wurde, ehe wir abstiessen. Noch härtere Arbeit aber machte uns das Vorwärtsgelangen. Der Wind stand heftig auf das Land zu, und die See spülte ununterbrochen über das Boot hin. Jonassen erfroren die Finger, und nur unter Aufbietung unserer äussersten Kräfte konnten wir noch im letzten Augenblick bei angestrengtem Rudern an dem grossen Gletscher südlich von Kap Hamilton vorbeigelangen. Wären wir bei diesem Wetter gegen die senkrechte Eismauer getrieben, so würden die Aussichten auf Rettung wohl ebenso gering gewesen sein, als wenn das Eis in der Nacht unter uns aufgebrochen wäre, während wir schlafend im Zelte lagen.

Glücklich in die offene See hinausgelangt, ging es jedoch schnell vorwärts. Wir hatten unser Segel so viel wie möglich gerefft, aber es war noch immer zu gross, deswegen hissten wir es nur teilweise, während der untere Rand im Wasser hinter uns her schleppte. Es muss ein sonderbarer Anblick gewesen sein, falls uns jemand hätte sehen können, wie wir mit dieser Ausstattung, in fliegender Fahrt vom Sturmwind getrieben, dahinsausten. Jonassen sass am Steuer, Sobral und ich besorgten das Segel. Nur von Zeit zu Zeit hemmte ein Gürtel aus zermahlenem Eisschlamm unsere Eile. Die ganze Rückfahrt nahm wenig mehr als drei Stunden in Anspruch, denn schon gegen Mittag bogen wir um die Gletscherecke und sahen das schwarze, kleine Haus vor uns liegen, das nach dieser kurzen Abwesenheit für uns den Inbegriff alles Wohllebens, des Luxus und der Zivilisation bedeutete. Es war Ebbe, so dass wir nicht in die Bucht hinein kommen konnten, sondern unsere Sachen watend auf dem Rande des Eises löschen mussten, wo wir bald von unsern Kameraden willkommen geheissen wurden, die während der letzten Sturmtage wohl mit einer gewissen Unruhe unser gedacht hatten.

Auch hier auf der Station waren die Wirkungen des Sturmes arg gewesen. Die Flut war am 12. ungewöhnlich hoch gewesen, so dass man genötigt gewesen war, allerlei empfindliche Sachen aus dem Depot am Strande heraufzuschaffen. Das Haus hatte jedoch während des Unwetters sicher und fest gestanden, nur auf der Südseite hatten die Fensterluken vernagelt werden müssen. Als der Wind abflaute, entdeckte man, dass allerlei Gegenstände fehlten, u. a. Ekelöfs in Upsala verfertigtes Kanoe, ein kleines, nettes, praktisches Ding, das wir nie wiedersehen sollten.

Der wichtigste Zweck der Bootsfahrt war erreicht, wir hatten ein gutes Depot auf dem Hauptlande errichtet, zu unserer Unterstützung bei späteren Fahrten und eine grosse Quelle der Sicherheit für den Fall, dass wir einmal von unserer eigenen Insel abgeschnitten werden sollten. Auch eine Entdeckungsreise war ausgeführt; ich hatte das ebene Eis kennen gelernt, über das uns unsere Schlitten während weiter Tagesmärsche gen Süden tragen sollten. Wir wussten mit Bestimmtheit, dass die sogenannte Admiralitätsbucht ein Sund und Snow Hill eine Insel war, und wir kannten die Hauptzüge der physikalischen Geographie unserer nächsten Umgebung.

Trotzdem war ich nicht ganz zufrieden mit dem Erfolg der Exkursion. Ein wenig südlicher wäre ich gern mit dem Boot vorgedrungen, in dem sowohl Ausrüstungsgegenstände als auch Sammlungen leichter zu transportieren waren, als mit dem Schlitten. Ferner waren auch die bei dem Ausflug gemachten, äusserst wichtigen und wertvollen Erfahrungen nicht derart, wie ich sie gewünscht hätte. Mit einem Schlage war es mir klar geworden, wie schwer und gefährlich Ausflüge in diesen Gegenden infolge der fürchterlichen Stürme sind, die so plötzlich entstehen. Und trotz lebhafter Anerkennung aller vorzüglichen Eigenschaften und allen guten Willens bei denen, die auf Fahrten dieser Art meine nächsten Kameraden werden sollten, hatte ich doch gesehen, wie schwer es ist, Naturen, die in vieler Beziehung einander völlig entgegengesetzt sind, zu demselben Interesse zu vereinen.


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