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Vorbereitungen, Plan und Ausrüstung für unsere Fahrt gen Süden. – Wir verlassen die Station. – Ankunft an der Christensen-Insel und Entdeckung der grossen Eisterrasse.
Endlich war der langersehnte Tag gekommen, an dem ich nach der langen winterlichen Haft auf die Entdeckungsreise ausziehen durfte, die ganze Welt vor mir! Alles würde mir neu sein, ich würde beständig Arbeit haben, harte Arbeit freilich, aber das war doch tausendmal besser als die langen Tage mit Stürmen und winterlichem Dunkel in unserer engen Hütte, und wie auch der Ausgang sein mochte, ich konnte doch stets auf einen reichen Lohn meiner Mühe rechnen.
Zwei Monate hatte ich mich ununterbrochen mit den Vorbereitungen für diese Fahrt beschäftigt. Jonassen war mein Beistand gewesen, er hatte die beiden Schlitten ausgebessert, haltbarer gemacht und zum Teil umgebaut und die dazu gehörige Ausrüstung in Stand gesetzt; er hatte aus dem kleinen, dreieckigen, nach Nansens Modell angefertigten seidenen Zelt, das sich bei den fürchterlichen Stürmen, mit denen wir hier rechnen mussten, als völlig unbrauchbar erwiesen hatte, ein viereckiges, leichtes und bequemes Zelt konstruiert, dessen wir uns später auf allen unsern Fahrten bedienten und das seinen Zweck vorzüglich erfüllte. Er hatte die Gerätschaften nachgesehen, die wir mitnehmen wollten, und aus Segeltuch zehn grosse, für unsere Proviantausrüstung bestimmte Säcke angefertigt, die lang genug waren, um quer über den Schlitten gelegt zu werden. Ausserdem hatte er allerlei andere Ausrüstungsgegenstände in Ordnung gebracht, von denen ich später noch berichten werde. Auch Sobral hatte viel zu tun gehabt, und ich selber war teils mit der wissenschaftlichen Ausrüstung beschäftigt gewesen, teils hatte ich die Ordnung unseres Proviants übernommen. Die einzelnen Rationen waren ausgewogen und verpackt, so dass sie so wenig Umfang und Gewicht wie nur möglich einnahmen, in dieser Beziehung hatten wir sicher allen Grund, mit dem Ergebnis unserer Mühe zufrieden zu sein. Daneben war ich damit beschäftigt gewesen, den Plan für die Fahrt zu entwerfen und in Zusammenhang damit die Instruktion für die Zurückbleibenden auszuarbeiten. Es war mir zwar klar, dass es gewisse Vorteile haben würde, wenn ich mich für nur einen Begleiter und einen Schlitten entschied, aber abgesehen von andern Gründen war ich der Ansicht, dass es, da uns die Verhältnisse hier unten so wenig bekannt waren, doch zu unserer grösseren Sicherheit beitragen würde, wenn die Gesellschaft aus drei Personen und zwei Schlitten bestand, und in Übereinstimmung mit dieser Anschauung wurde die Expedition ausgerüstet. Sobral und ich wollten den einen Schlitten selber ziehen und damit den Kurs angeben, Jonassen sollte uns mit dem andern und mit den fünf Hunden folgen; die vier Grönländer waren jetzt glücklicherweise wieder alle brauchbar. Ich hatte gehofft, dass wir im Notfall ungefähr sechzig Tage würden fortbleiben können, da es aber nicht möglich war, eine volle Ausrüstung für die ganze Zeit mitzunehmen, beschloss ich, Hundepemmikan für nur drei Wochen zu berechnen, überzeugt, dass wir unterwegs durch Erlegung von Seehunden und Pinguinen uns die nötige Nahrung für die Tiere würden verschaffen können.
Nach einer alten Regel soll man bei einer solchen Expedition stets darauf bedacht sein, sich so einzurichten, dass man nicht denselben Weg wieder zurückzukehren braucht, den man gekommen ist; man muss wenigstens auf alle Weise bemüht sein, den Rückmarsch zu erleichtern und zu verkürzen. Teils aus diesem Grunde, teils um uns ein längeres Fortbleiben so verlockend wie möglich zu machen, hinterliess ich auf der Station einen Befehl, wonach die »Antarctic«, falls sie während unserer Abwesenheit eintraf, am 23. November nach Süden abgehen sollte, um uns bei der Christensen-Insel aufzusuchen. Ich hielt es nämlich für sehr wahrscheinlich, dass das Schiff vor diesem Termin anlangen würde, und in einer so langen Zeit mussten wir unter günstigen Verhältnissen mit unserer Expedition einen sehr hohen südlichen Breitengrad erreicht haben.
Im übrigen waren in meinen hinterlassenen Papieren genaue Bestimmungen enthalten, was geschehen sollte, falls das Eis auf dem Admiralitäts-Sund vor unserer Rückkehr aufbräche. Die Leitung der Station hatte ich Bodman übergeben, der auch den Auftrag erhielt, die regelmässigen Observationen während unserer Abwesenheit so gut wie möglich zu besorgen, was bei einem so geringen Personal eine beträchtliche Vermehrung der Arbeitslast bedeutete.
Wir nahmen ein kräftiges Frühstück ein und photographierten uns darauf alle sechs miteinander. Dann wurden die Hunde vor den Schlitten gespannt und unten auf dem Eise abermals photographische Aufnahmen gemacht, diesmal ausschliesslich von uns Abreisenden; ein letztes Glas Portwein wurde geleert, einige Abschiedsworte gewechselt, und wenige Minuten vor 12 Uhr machten wir uns auf den Weg.
Unser erstes Ziel war das Depot hinter Kap Hamilton. Dort sollten unsere Vorräte, ergänzt und das Gepäck vervollständigt werden. Die Fahrt ging anfangs über altes, wohlbekanntes Terrain an der Eismauer entlang, wo wir alle Tage zu wandern pflegten, und eine Strecke lang gaben uns unsere sämtlichen Kameraden das Geleite. Fast alles Gepäck war auf den Hundeschlitten gelegt, aber die Tiere fühlten sich keineswegs beschwert dadurch, sie waren lebhafter und interessierter als ich sie jemals gesehen hatte, als ahnten sie die Bedeutung der Arbeit, die jetzt vor ihnen lag. Sie zogen den schweren Schlitten so leicht, als sei es ein Spiel. Es währte denn auch nicht lange, bis wir den zweiten Schlitten an den ersten hängten, ohne dass diese Vermehrung der Last die Geschwindigkeit ihrer Fahrt wesentlich verringerte.
Draussen an einem Eisberg in der Nähe des Gletschervorgebirges, ungefähr an derselben Stelle, wo ich einst das erste Seehundsloch entdeckt hatte, lag ein grosser Seehund und sonnte sich. Die Versuchung war zu gross, so beschlossen denn unsere Kameraden, hier zurückzubleiben und sich des Tieres zu bemächtigen. Um 1 Uhr verabschiedeten wir uns mit einem Handschlag endgültig voneinander. Ich dachte an keine Gefahr für irgend eine der Abteilungen, hielt es aber auf der andern Seite für sehr wahrscheinlich, dass, ehe wir zurückkehrten, die Station, mit der »Antarctic« vereint, ihren Charakter völlig geändert haben würde. Ich ahnte nicht, dass wir noch mehr als ein Jahr zusammen verleben sollten, ehe die Ablösung kam!
Das Eis drinnen im Sunde war glatt und hart wie ein Fussboden, infolge dessen zogen die Hunde die Schlitten so schnell, dass man fast laufen musste, um mitzukommen. Hinter Kap Hamilton lag viel mehr Schnee auf dem Eise, was mir bei allen unsern Fahrten aufgefallen war. Obwohl sich die Schlittenbahn dadurch verschlechterte, fuhren wir doch schon gegen sechs Uhr über den letzten hohen Wall von Schnee und Eis bei dem Depot vor.
Als wir am nächsten Morgen erwachten, war ein neuer Monat angebrochen und mit ihm sollten unsere Arbeiten auf unbekanntem Gebiet ihren Anfang nehmen. Ich war früh auf und kochte eine Tasse Schokolade, worauf wir uns alle daran machten, den Proviant zu ordnen. Dies war für lange Zeit das letzte Mal, dass wir Überfluss an Brennmaterial zum Kochen hatten, deswegen assen wir ein kräftiges Frühstück und versuchten auch, unsere Hunde zu einer gehörigen Mahlzeit anzuspornen, was uns jedoch nicht gelang, da sie sich noch nicht an trockene Kost gewöhnt hatten. Gegen 12 Uhr waren unsere Arbeiten beendet und die Schlitten beladen. Über Spalten, Schneebrücken und Eiswälle ging es dahin, bis wir wieder auf das ebene Eis gelangten. Und damit nahm unsere Entdeckungsreise allen Ernstes ihren Anfang.
Das Gepäck, das wir nun beim Abmarsch vom Depot mit uns führten, war auf folgende Weise verteilt: auf dem ersten Schlitten, der nicht schwerer beladen war, als dass er von mir und Sobral gezogen werden konnte, befanden sich das Zelt mit den Stangen (12 kg), der Schlafsack mit zwei Guanacomänteln (17 kg), Sobrals Schlafsack sowie seine Privatausrüstung (14 kg), zwei kleinere Proviantsäcke (30 kg), ferner Schneeschuhe, Spaten, Eishacken und eine kleine Tasche mit Instrumenten, die wir möglicherweise auf der Fahrt gebrauchen konnten, darunter ein Sextant, alles in allem mit dem Schlitten zusammen ein Gewicht von 90 kg darstellend.
Der zweite Schlitten, der bedeutend verstärkt war, um die schwere Last tragen zu können, wurde von den fünf Hunden und Jonassen gemeinsam gezogen und war mit folgenden Sachen beladen:
Ein Ränzel mit meiner Privatausrüstung, bestehend aus Unterkleidern zu einmaligem Wechsel, einem Paar Lappenschuhen aus Renntierfell, einem Paar grönländischen Seehundsfellstrümpfen, einem Paar Kamickern (hohe Stiefel aus Seehundsfell), Schuhheu, Windkleidern, einer Mauserpistole mit 40 Patronen, Nähgeschirr, photographischen Films, einem prismatischen Kompass, Messtisch mit Stativ und Papieren, einem Diopter, Karten, einem Quecksilberhorizont, Stearinkerzen usw. usw. (14 kg).
Jonassens Ränzel mit ähnlicher Ausrüstung (11 kg).
Ein Sack, enthaltend Hundegeschirr, sowie Material zur Ausbesserung des Zeltes und der Ausrüstung, ferner, in unser Schlittensegel eingewickelt, der Vorrat an Medikamenten, bestehend aus Baumwolle, Gazebinden, Atropin, Zinksulphat, Sublimat, Kalomel, Salicylsäure, Jodtinktur, Opium, Phänacitin und Borvaselin (6 kg).
Ein Segeltuchsack, enthaltend abgewogenen Proviant aller Art auf eine Woche berechnet, einschliesslich der Verpackung 20 kg schwer.
Ein Sack Hundepemmikan (28 kg) und schliesslich vier Säcke Proviant (zusammen ca. 90 kg). Das ganze Gepäck auf diesem Schlitten wog also ungefähr 220 kg.
Es war ganz warm geworden, als wir auf das Eis hinauskamen, die Sonne brannte und es herrschte Windstille. Die Schlittenbahn war nicht besonders gut, da der Schnee ziemlich tief lag, oft in langen Wällen, die ungefähr der Richtung der Küste folgten und also von unserm Kurs direkt geschnitten wurden. Diese Wälle sind von derselben Beschaffenheit wie diejenigen, die man in nördlichen Polargegenden mit einem russischen Namen Sasturgi benennt, und bilden nach der Windseite zu einen langen, ebenen Abhang, während sie nach Osten zu mit einem senkrechten, überhängenden Karst abschliessen.
Wie wir eben gesehen haben, war der Gewichtsunterschied zwischen den beiden Schlitten ganz beträchtlich, und deshalb war ich im höchsten Grade überrascht zu sehen, wie unverhältnismässig viel leichter als wir die Hunde ihre Last zogen. Obwohl ich mich bis zum äussersten anstrengte, schnell zu gehen und ausserdem durch Ruhepausen alle halbe Stunde Kräfte zu sparen suchte, wurde es den Hunden schwer, so langsam zu laufen, wie wir gingen, und Jonassen konnte sich lange Zeit auf den Schlitten setzen und fahren. Dies stand in völligem Widerspruch zu den bisher von mir gemachten Erfahrungen, sonst würde ich wahrscheinlich andere Anordnungen getroffen haben. Jetzt war nichts bei der Sache zu machen, denn wenn wir all unser Gepäck den Hunden aufgeladen hätten, wäre es wohl zu viel geworden.
Fast sechs Stunden marschierten wir vorwärts und schlugen dann unser Zelt im Schutz einer grossen Eisschanze auf. Es war ein herrlicher Abend, der Schein der Mondsichel schimmerte am westlichen Himmel, und das schöne Wetter verlockte uns, nach der Mahlzeit einen längeren Spaziergang in der stillen Abendluft zu machen, ehe wir in unsere Schlafsäcke krochen.
Die Schilderung der folgenden Tage führe ich im hauptsächlichen nach meinem Tagebuch an.
Den 2. Oktober. Des Morgens war es noch frisch und kalt, aber windstill. Wir packten den einen unserer Proviantsäcke auf Jonassens Schlitten, wodurch der Marsch etwas erleichtert wurde. Obwohl die Temperatur nicht über -10° stieg, brannte die Sonne heiss, und kein Windhauch verschaffte uns Kühlung. »Ich finde, es ist genau so, wie in Buenos Aires, wenn es dort im Sommer warm ist,« meinte Sobral. Es war eine harte Arbeit, vorwärts zu gelangen, auf dem Eise lag viel Schnee, der trocken war wie Sand, und unaufhörlich passierten wir neue Sasturgi-Wälle. Der brennende Sonnenschein, im Verein mit der Kälte, wirkte scharf auf die Gesichtshaut ein, die schon wie Schuppen unter der Nase abzufallen begann, während die Lippen aufsprangen und anschwollen. Am schlimmsten war der arge Durst, gegen den Limejuice-Pastillen und Apfelschnitten nur so lange wirkten, als wir sie im Munde hatten. Wir machten einmal Halt, um ein wenig Schnee zu Trinkwasser zu schmelzen, aber auch das hielt nicht lange vor. Nansen sagt, er habe auf seiner Eiswanderung wenig von dem »arktischen Durst« verspürt und erklärt dies dadurch, dass er des Morgens und des Abends Gelegenheit hatte, so viel zu trinken, wie er wollte. Ich kann hierin nicht mit ihm übereinstimmen, namentlich, da es uns bei den Mahlzeiten keineswegs an Wasser gebrach. Bei kaltem Wetter und scharfem Wind durstet man nicht, wenigstens wenn man nicht allzu angestrengt arbeitet, aber wenn man so schleppen muss, dass man am ganzen Körper feucht von Schweiss ist, so kann man, glaube ich, auf keine Weise dem Durst entgehen, der sich unter den obliegenden Verhältnissen bis zum äussersten steigern musste.
Gegen 2 Uhr hatten wir Kap Forster passiert und sahen nun mit Neugier und Interesse in eine neue Welt hinein. Ohne übrigens ihren Charakter zu ändern, machte die Küste des Haddington-Landes eine scharfe Biegung, und vor uns lag eine Bucht Es war dies die Mündung des grossen Kronprinz Gustav-Kanals, den wir gelegentlich einer Schlittenfahrt im nächsten Jahre genauer untersuchten., die sich, so weit der Blick reichte, nach Norden zu erstreckte. Die andere Seite dieser Bucht wird von einem hohen, schneebedeckten Berglande mit scharfen, pyramidenförmigen Spitzen gebildet, die aus dem Schnee aufragen, und namentlich eine weit vorspringende Landzunge ist von einer gewaltigen Bergkuppe eingenommen. Es war dies dasselbe Gebiet, das wir am 20. Januar von Bord der »Antarctic« aus zuerst von allen Menschen erblickt hatten, nämlich die Fortsetzung des König Oscar-Landes.
Nach einer achtstündigen Wanderung machten wir gegen sechs Uhr abends Rast. Ich war so müde, wie ich mich kaum erinnern kann, je gewesen zu sein, und um dies nicht zu sehr zu zeigen und mich nicht an den andern Arbeiten beteiligen zu müssen, zündete ich den Primusbrenner schon an, ehe das Zelt errichtet war, und setzte Schnee für das Trinkwasser auf. Nach dem warmen Sonnenschein empfand man die Kälte des Abends sehr, obwohl wir nicht mehr als -17° hatten. Die Hunde kläfften während der Nacht laut, und als wir hinauskamen, sahen wir, dass Amager das Band eines Brotsackes aufgerissen und einen Teil seines Inhalts verzehrt hatte.
Den 3. Oktober. Es handelt sich nun darum, zu bestimmen, welchen Kurs wir einschlagen wollen. Nach dem Eindruck, den man aus den Karten erhält, müsste man eigentlich von hier aus an einem klaren Tage schon die Umrisse der Seehunds-Inseln erkennen können, aber wir sehen nichts in dieser Richtung. Doch, ganz im Südwesten liegt ein kleiner, undeutlicher, glänzender Punkt, der ein Eisberg, möglicherweise aber auch Land sein kann. Ich beschliesse, dahin zu steuern. Wohl ist es verlockend, den Kurs näher an König Oscar-Land heran zu nehmen, da sich dies aber so weit nach Westen hinzieht, wäre damit jeder Gedanke, weit nach Süden zu gelangen, ausgeschlossen, gar nicht davon zu reden, dass wir der getroffenen Verabredung, die erste Mitteilung von unserer Reise auf der Christensen-Insel niederzulegen, direkt zuwider handeln würden.
Wir haben nach wie vor Windstille, aber es ist heute viel wärmer als gestern, und der Umstand, dass sich die Sonne hinter Wolken verbirgt, macht die Beleuchtung blendender. So unangenehm mir auch die Schneebrille ist, ich muss jetzt doch Zuflucht dazu nehmen. Obwohl das Netz an den Seiten fast zu undicht ist, füllt sie sich trotzdem, sobald man transpiriert, mit Dampf an, der dann an den Gläsern festfriert. Es ist eine wahre Geduldsprobe, fortwährend die Gläser abwischen zu müssen, aber dagegen hilft nichts. Es ist schon schwer genug, in dieser Beleuchtung ohne Abweichungen den Kurs in das »blanke Nichts« hinein zu nehmen, denn unsere Eisberginsel schimmert nur hin und wieder an dem flimmernden Horizont. Ich änderte übrigens unsern Kurs bald ein wenig und hielt auf einen dunkeln, sehr entfernten Punkt, der mir mehr Ähnlichkeit mit Land zu haben schien.
Den 5. Oktober. Wir haben heute Wind aus Südwest mit heftigem Schneegestöber bekommen, so dass man jetzt nicht an Aufbruch denken kann. Ich will mich darüber jedoch nicht beklagen, ein Ruhetag ist uns ganz gut, und ausserdem ist es Sonntag. Ich bin die letzten Abende nicht so ermüdet gewesen wie zu Anfang. Man gewöhnt sich allmählich etwas an diese Lebensweise, hart genug ist sie freilich. Das Stillliegen ist aber auch nicht viel besser, es ist eine rechte Geduldsprobe, namentlich wenn man nicht weiss, wie lange es noch währen wird.
Den 6. Oktober. Gottlob hatten wir heute wieder gutes Wetter und haben ausser der Arbeit, unsere Schlitten und unsere Sachen aus dem Schnee herauszugraben, einen Marsch von über acht Stunden gemacht.
Den 7. Oktober. Schon vor 9 Uhr begaben wir uns auf den Weg. Dass wir heute unsere Insel erreichen würden, daran zweifelten wir keinen Augenblick, aber wir wollten einen schnellen Marsch machen, um so viel wie möglich auszurichten. Wenn man sich eine ganze Woche nur auf dem Eise bewegt, sehnt man sich, wirklich nach festem Lande und nach festen – Speisen: ein tüchtiges Seehundsteak soll uns jetzt schon munden, und das wird auf den »Seehundsinseln« doch wohl zu haben sein.
Unser Marsch wurde sehr bald durch eine uns bisher unbekannte Erscheinung unterbrochen. Schon vom Lager aus hatte ich etwas gesehen, das an einen Eiswall erinnerte, und dort angelangt, standen wir vor einem nicht unbedeutenden Spalt, der an den schmalsten Stellen ungefähr einen halben Meter breit und von aufgeschrobenen Eiswällen umgeben war. Wir gelangten ziemlich leicht auf einer dünnen Eisbrücke hinüber, aber nach einem weiteren Marsch von einer Viertelstunde standen wir vor einem neuen, bedeutend breiteren Spalt, und hier fuhr sich der Hundeschlitten derartig fest, dass wir alle behilflich sein mussten, ihn auf das Eis zu ziehen. Ich selber sank dabei durch die Schneedecke und bekam ganz nasse Füsse. Ausserdem verlor ich den kostbaren Schrittmesser, da ich aber den Verlust sofort bemerkte, konnte ich das Instrument glücklicherweise noch wiederfinden.
Vor uns lag jetzt die Insel, eine mächtige Schneekuppe, unterbrochen von einer hohen, fast säulenförmigen Felsenmasse. Bald schien sie so nahe, dass man meinte, in zwei Stunden dort sein zu können, bald lag sie wieder in weiter Entfernung vor uns. Dass die letztere Auffassung richtig war, konnten wir feststellen, als wir unter der Felsensäule eine wagerechte, dunkle Strandlinie am Horizont auftauchen sahen. Jetzt erblickten wir also das niedrigere Ufer. Wir marschierten so schnell wie möglich, aber trotzdem währte es lange, bis wir näher kamen. Gegen Abend machten wir eine grosse Kraftanstrengung; wir hängten unsere Schlitten an den Hundeschlitten, Sobral half nachschieben, und ich ging über eine Stunde in schnellstem Schritt vorwärts. Hierdurch erzielten wir eine vorzügliche Wirkung, aber nun waren die Hunde auch ermüdet, und wenn wir weiter kommen wollten, mussten wir selber wieder zugreifen.
Wir hätten ja die Nacht über hier bleiben können, aber teils fürchteten wir uns, wie immer, vor dem Sturm, teils hoffte ich, dass wir uns am nächsten Tage ein gutes Stück Arbeit ersparen könnten, wenn wir unser Ziel noch am Abend erreichten. Nachdem wir fast elf Stunden gewandert waren, erreichten wir lange nach Sonnenuntergang endlich das glatte, schneefreie Eis unterhalb der Insel. Über Spalte und Risse, zwischen mächtigen umhergestreuten Eisblöcken hindurch mussten wir uns hier unsern Weg suchen, ehe wir unser Zelt ganz nahe am Fusse des Ufers aufschlagen konnten.
Den 8. Oktober. Heute werden wir also freiwillig still liegen und neues Land erforschen. Ist es aber wirklich neu? Es hat nicht viel Ähnlichkeit mit den Karten, und doch glaube ich zu wissen, wo wir sind. Hinter diesem Land mit seinen schneefreien Klippen und seinem Mantel aus Eis erkenne ich eine hohe, zusammenhängende Eiskuppel, die sich, so weit das Auge reicht, nach Süden zu fortsetzt, ein Land, das in allem an Snow Hill erinnert. Das muss die Robertson-Insel sein, und dann ist es klar, dass wir selbst bei der Christensen-Insel angelangt sind und dass die kleine, dunkle Pyramide, die im Nordwesten auftaucht, dieselbe Insel ist, die Larsen Lindenbergs Zuckerhut benannt hat; dahinter werden die eigentlichen Seehunds-Inseln sichtbar. Alle Inseln sind kleiner, als sie auf der Karte erscheinen, im übrigen aber ist diese gar nicht so unrichtig. Die grösste Bedeutung unserer Entdeckung wird wohl in der Beschreibung der Naturverhältnisse bestehen, die wir hier unten vorfinden.
Sobald wie möglich unternahm ich mit Jonassen eine Wanderung auf den Berg hinauf. Auf einem ausserordentlich steilen Weg, wo man oft mit der Hacke Stufen in den Schnee schlagen muss, gelangt man an eine schöne, halbrunde Terrasse, die ungefähr 65 m über dem Meeresspiegel liegt. Vermutlich ist diese ein Teil des alten Kraters. Dann ersteigt man auf einem weniger steilen, aber recht beschwerlichen Wege den 300 m hohen Gipfel. Das Gestein besteht überall aus Lava und Tuffsteinen, aber eine vulkanische Tätigkeit hat hier sicher seit vielen Jahren nicht mehr stattgefunden.
Mit leicht erklärlichem Interesse betrachteten wir von diesem Platz aus die uns umgebende Landschaft.
Vom Fusse des Berges ging, so weit man sehen konnte, in der Richtung an der Lindenberg-Insel vorbei, ein Eiswall, dessen Bedeutung ich anfangs nicht begreifen konnte. Jonassen, der pessimistischer ist und weniger geneigt, an die Richtigkeit früherer Karten zu glauben, war der erste, der die Situation richtig erfasste. Alles, was im Westen und Südwesten vor uns lag, alles, was die Seehundsinseln umgab, bildet eine gewaltige Eismasse; mit einem Wort, die Seehunds-Inseln sind weder Inseln, noch werden sie von Seehunden besucht. Von hier oben aus erschien die Eismauer niedrig, aber dass sie uns Schwierigkeiten machen würde, war klar, denn über sie hinweg musste unser Weg gehen. Wenn wir den Kurs östlich um die Robertson-Insel nahmen, so schnitten wir uns damit jede Möglichkeit für die Arbeiten und die geographischen Forschungen im Lande ab.
Ich begann sogleich mit meinen Vermessungen und übrigen Arbeiten dort oben. Jonassen hingegen ging wieder an den Strand hinab, um zu versuchen, ob er nicht einen Seehund erlegen könne, denn obwohl sich diese Tiere nicht bei den Seehundsinseln fanden, so fehlten sie hier doch nicht. Die ganze Nacht hindurch hatte Basken auf das wahnsinnigste gekläfft, ein Zeichen, dass er Tierleben witterte. Später fanden wir denn auch, dass es ihm gelungen war, einen jungen Seehund zu töten, dessen Kopf fast ganz abgebissen war. Ausser diesem einen Exemplar trafen wir noch mehrere junge und alte Seehunde an, die ersteren allerliebste Tierchen mit hellem, weichem Fell, fett wie Kugeln, wie sie dalagen und die Milch einsogen. Als ich hinunter kam, war so ein junger Seehund schon abgetan, die Hunde lagen da, so satt, dass sie sich kaum rühren konnten, und Jonassen war beschäftigt, kleine leckere Stücke von dem Fleisch zu braten. Ich muss gestehen, dass mir auf allen meinen Reisen in unzivilisierten Gegenden kaum je ein Gericht so gut gemundet hat wie dies. Das Fleisch hatte nicht den leisesten tranigen Beigeschmack, der allen Landtieren der arktischen Gegenden und auch den Vögeln hier unten eigen ist. Übrigens kann es wohl sein, dass die Suppendiät der verflossenen Wochen einen gewissen Einfluss auf dies Urteil hat.
Sobral war die ganze Zeit unten am Strande geblieben, um Ortsbestimmungen Daraus ergab es sich, dass wir uns auf dem 65° 4' s. Br. und dem 59° 31' w. L. befanden. Die Länge des Weges, den wir in den sieben Marschtagen zurückgelegt hatten, betrug ungefähr 140 km. zu machen.
Bei der Christensen-Insel beabsichtige ich nun eine Partie weniger wichtiger Nahrungsmittel zurückzulassen, die wir auf dem Rückmarsche abholen können, falls uns unser Weg wieder hier vorbei führen sollte. Ein vollständiges Depot will ich dahingegen nicht errichten, um uns nicht der Möglichkeit zu berauben, den Rückweg näher an König Oscar-Land zu verlegen. Ein Brief mit Nachrichten von unserer Reise ist in einer wohlverkorkten Flasche in dem Merkzeichen niedergelegt. Der nächste Platz, an dem ich einige Nachrichten über uns zu hinterlassen beabsichtige, ist Kap Framnäs; die Zukunft wird zeigen, ob wir jemals dahin gelangen.