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Das also war nun die Welt, in der ich hinfort leben und kämpfen würde, das die Stätte meiner künftigen Triumphe! Heller hatte mich am Morgen meinen Mitarbeitern vorgestellt und sich dann gleich wieder in sein Privatzimmer zurückgezogen; es blieb mir Muße und Gelegenheit, mich mit den Einrichtungen des Laboratoriums und der Arbeitsart vertraut zu machen. Die rastlose Thätigkeit überall, der wissenschaftliche Ernst, das fast feierliche Schweigen imponierten mir und thaten mir wohl; sie entsprachen so recht meiner Stimmung, erhöhten aber zugleich meine Achtung vor dem Manne, der sich nicht nur dies Reich gegründet hatte, sondern es auch mit einem Blick, einem Wink seiner Hand zu regieren wußte. Nur in einem Punkte sah ich mich enttäuscht. Die Kühnheit der hier angestellten Versuche, von der ich so viel Rühmliches und Erstaunliches gehört hatte, bestand anscheinend nur in der Einbildungskraft der Erzähler. Unter all den Analysen und Experimenten, womit sich meine Kollegen beschäftigten, fiel mir nicht ein einziges durch die Originalität der gestellten Frage auf, stellte mich keins vor ein Rätsel. Man arbeitete mit großer Sauberkeit und Genauigkeit, man war mit den modernsten, kostbarsten Hilfsmitteln ausgerüstet und wandte durchgehends die neuesten, besten Methoden an; funkelnde Geistesblitze indes, von denen ich mich so gern hätte blenden lassen, zuckten nicht auf. Das war handwerksmäßige Übung der Kunst, schulmeisterliche Akkuratesse, nicht mehr, und wenn ich zuweilen verstohlen die Gesichter der Männer um mich her betrachtete, die mit kühler, gemessener Ruhe, ohne die Spur einer Erregung, ihrem Werk oblagen, dann fand ich keine Ähnlichkeit zwischen ihnen und den Lieblingen meiner Phantasie, den mittelalterlichen Alchymisten. Hier Geschäftsleute, dort Romantiker; hier rechnende Gelehrte, dort suchende Laboranten. Und während ich alles rüstete, um den Prozeß, den Heller mir gestern abend beschrieben hatte, wiederholen zu können, schweiften meine Gedanken ab zu der geheimnisvollen Entdeckung, von der ich unter allen Menschen allein wußte, die mein Eigentum war und die ich vervollkommnen wollte, wie es ihre Besitzer vor mir treulich gethan. Was galt das mechanische, mathematisch abgezirkelte Mühen dieser Modernen gegen die grübelnde Thätigkeit Jener, die in jahrtausendlanger Arbeit, mit ärmlichen Waffen der Natur ihr kostbarstes Mysterium abgerungen hatten!
Ich versenkte mich in meine Arbeit und fand mit Freude, daß sie rasch und ohne Anstoß von statten ging. Anfänglich genau den Vorschriften Hellers folgend, erkannte ich bald, daß er hier und da unnötige oder gar verwirrende Umwege in der Abscheidung des Destillates gemacht hatte, und ich gab mir Mühe, das Verfahren zu vereinfachen.
»Das ist ein vorzüglicher Handgriff,« sagte er plötzlich, der, ohne von mir bemerkt zu werden, hinter mich getreten war und schon ein paar Minuten lang aufmerksam zugesehen hatte. Ich schrak heftig zusammen und blickte ihn verstört an; ich war nicht mehr stark oder noch nicht stark genug, um eine so jähe Überraschung ertragen zu können.
Er legte bei der Vollendung der Arbeit mit Hand an und beriet mit mir in leisem Flüsterton, sobald sich eine kleine Schwierigkeit oder ein gangbarerer Weg als der zeigte, den er zuerst gewählt hatte. Aber so scharfsinnig seine Beobachtungen und Vorschläge auch waren, so leicht er auch allerlei kleine Hindernisse zu überwinden wußte, es kam mir doch bald die Überzeugung, daß er nicht völlig bei der Sache war. Er ließ mich mitunter ganz allein gewähren, antwortete auf einzelne Fragen erst, wenn ich sie wiederholte; sein Blick verriet dann Zerstreutheit.
»Woher wissen Sie das wieder?« fragte er auf einmal, als ich eine Manipulation vorgenommen hatte, deren genaue Kenntnis ich der Handschrift des Basilius verdankte.
»Ein alchymistischer Trick!«
Er umspannte die Muffel mit der Hand. »So, so. Also auf dem Gebiete sind Sie auch beschlagen? Wohl gar Praktiker?«
Ich fühlte plötzlich, daß ich sehr unvorsichtig gewesen war. Etwas wie ein geheimer Instinkt wollte mich vor dem Mann an meiner Seite warnen.
»Ich habe in das Buch hineingeguckt, wie wohl jeder Kollege. Es giebt viel daraus zu lernen, sehr viel.«
»Wie wohl jeder Kollege? Nun hören Sie! Fangen Sie 'mal mit einem von den Herren hier darüber zu sprechen an – er würde verwundert den Kopf schütteln. Aber Sie haben recht. Es ist viel daraus zu lernen, sehr viel. Ich erfuhr es an mir. Schade, daß man –.« Er stockte.
»Ja?«
Seine weißen, vornehmen Finger fuhren über den wohlgepflegten, blonden Spitzbart, und es schien mir, als vertiefe sich die Falte zwischen seinen Brauen. »Man zwingt es ihm mit Hebeln und Schrauben nicht ab, es ist wahr!« fuhr er unvermittelt fort. »Man wird immer zum Narren gehalten.«
»Wie verstehen Sie das?« fragte ich zögernd.
»Ich weiß nicht, wie weit Ihre alchymistischen Studien sich erstrecken,« sagte er. »Meine sind sehr umfangreich gewesen. Vielleicht zu umfangreich. Das, was ich von der Sache profitierte, wiegt die Mühe und die Kosten nicht entfernt auf ... Hm ... Sie werden mich auslachen, aber ich will es Ihnen nur gestehen ...« Er hielt wieder inne, sah sich sorglich um und pfiff sachte vor sich hin. »Erst eine Frage. Was halten Sie von dem Hauptziel aller alchymistischen Wissenschaft?«
Es gelang mir, mich bei dieser Wendung des Gespräches so weit zu beherrschen, daß ich ironisch lächeln und die Achseln zucken konnte.
»Erlauben Sie!« wandte Heller lebhaft ein. »Das ist nicht Ihr Ernst.« Er war aufgestanden und ans Fenster getreten. »Es ärgert mich, wenn ein Mann wie Sie, der die Sache doch wirklich studiert zu haben scheint, so skeptisch über sie denkt. Wagnereck hat doch gelebt und Sehfeld auch. Daran ist nicht zu rütteln. Oder halten Sie die ebenfalls für Betrüger?«
Mir ward es schwül und eng in dem weiten Raum, und um meine Verwirrung zu verbergen, beugte ich mich über den Kolben. »Da ist schlecht streiten,« meinte ich, ohne aufzublicken.
Er erwiderte nichts und ging einigemale auf und ab.
»Dann lachen Sie mich also aus,« hub er nach einer Weile wieder an. »Ich glaube mit fester Zuversicht, daß es die Tinktur gegeben hat, von der so viele, zweifellos ehrliche, ganz uninteressierte Kerle blaue Wunder erzählten. Ich teile die Skepsis der anderen nicht. Ich habe meine guten, o, meine sehr gewichtigen Gründe dafür. Ganz offen und ganz unter uns – aber ich verpflichte Sie zum Schweigen! – ich strebe das an, was Lascaris, was Philaletha erreicht haben. Seit zehn Jahren. Aber um ein Bedeutendes bin ich dem Ziele noch nicht näher gekommen. Ein Mann wie Sie, mit Ihren Anlagen und Ihrer Phantasie – ich meine, einen solchen Mann müßte dies Rätsel ebenfalls locken. Gerade Sie, glaube ich, würden mir viel helfen können. Wenn Sie schon das Faktum an sich leugnen, so kann mir doch Ihr theoretisches Wissen in dieser Frage viel nützen bei meiner Spielerei – nennen wir es Spielerei.«
Ich sah von der Arbeit auf. Seine Worte beunruhigten mich über die Maßen. Gern hätte ich ihn weiter ausgehorcht, aber ich kannte den Grund nicht, den meine Füße betreten wollten, und ich witterte noch immer Schlingen am Wege.
Was sollte dies Gespräch? Was sollte es mir gegenüber?
»Sie können sich gelegentlich meine Bibliothek ansehen,« sagte er, »vielleicht finden Sie doch alchymistische Schriften darunter, die Sie noch nicht kennen. Ich will's auch nicht verhehlen, daß es mir schwer fällt, einige von ihnen zu lesen; mit meinem Latein ist's schlecht bestellt, und mit dem der Alchymisten meist auch, so daß ich aus ihren schwulstigen Reden oft nicht klug werde. Sie würden mich über die Maßen verpflichten, wenn Sie sich dieser Folianten annehmen und mir ihren Inhalt erschließen wollten.«
»Mit Vergnügen.«
»Und ich hoffe, Sie noch auf meine Seite zu bringen, Herr Doktor. Wissen Sie überhaupt, was ich glaube?« Er blieb dicht vor mir stehen und sah mir lange ins Gesicht. »Sie sind selber Alchymist, aber ganz insgeheim, und schlau genug, es niemandem zu verraten.«
»Welch ein Unsinn! Für solche Kindereien habe ich nichts übrig!« fuhr ich auf. Der Ärger darüber, daß dieser Kluge mich durchschaute, ließ mich mein Verhältnis zu ihm vergessen. Er schien die grobe Taktlosigkeit nicht zu bemerken, sondern lächelte nur. Und je ruhiger er blieb, desto üppiger schoß mein Argwohn ins Kraut, um in erstarrendes Grauen auszuarten, als er gleichmütig erklärte:
»Ich spreche selten von diesen Dingen, und ich hätte auch Sie nicht gleich heute damit behelligt, wenn nicht zufällig gestern im Verein lang und breit die Rede davon gegangen wäre. Der Mord des alten Erck gab die Veranlassung. Jemand erzählte, daß er begeisterter und überzeugter Alchymist gewesen wäre und wollte damit seine Verschrobenheit kennzeichnen. Ich wußte seit langer Zeit, wie eingehend und liebevoll sich der alte Bursch mit diesem Geheimnis beschäftigt hat –«
»Sie wußten es?«
»Ich weiß alles, Herr Doktor, was Kollegen Wichtiges treiben, mögen sie auch in den obskursten Winkeln hausen.«
»Da muß man sich ja vor Ihnen in acht nehmen.«
Er lachte. »Wenn man mich überholen will, gewiß. Wenn man dagegen gesonnen ist, Hand in Hand mit mir zu arbeiten, nicht.«
»Und glauben Sie,« bemühte ich mich möglichst harmlos zu fragen, »daß Erck irgend welche positiven Erfolge erzielt hat?«
Ich weiß nicht – sah er mich in diesem Augenblicke mit einem fast unmerklich höhnischen und doch so teuflischen Zucken der Oberlippe an oder spiegelte meine irre Phantasie mir das vor – genug, ich fühlte, wie mich ein Schwindel anfaßte, wie eine dämonische Macht, ein Schauder ohnegleichen, mich am Halse packte und würgte.
Heller spielte mit einem Stückchen Zeitungspapier, das er zwischen den Fingern hielt und nun in kleine Fetzen zerriß.
»Ja. Das glaube ich. Er wußte mehr, als wir alle.«
»Las ich nicht, daß er in der bittersten Armut starb?«
»Die Welt läßt sich leichter täuschen als ein Kind. Aber wenn dem wirklich so ist; wie die Zeitungen melden ... ich leugne es ja gar nicht – ich behaupte ja gar nicht, daß er im Besitze der Tinktur war. Sie nehmen gleich das Äußerste, Günstigste an, Herr Doktor!«
Ich taumelte in der That von einer Unvorsichtigkeit zur andern.
»Nun ja – aber Sie müssen doch wenigstens vermuten, daß es ihm gelang, den Schatz zu heben. Mit alchymistischen Versuchen allein ist doch nichts gethan; damit mögen sich auch heute noch viele abgeben, ungelehrte und gelehrte Goldmacher. Wenn also Erck, wie Sie behaupten, mehr als wir alle wußten –«
»Sie folgern sehr logisch,« gab er lächelnd zu. »Aber nein, so meint' ich's nicht. Ja, wär' es mir geglückt, mit ihm bekannt zu werden –«
»Ah so – ich dachte, Sie verkehrten mit ihm?«
Es mußte im Ton meiner Stimme etwas wie eine versteckte Drohung gelegen haben, etwas wie eine Mahnung, mich nicht zum Äußersten zu reizen, denn ich sah, wie sein Gesicht sich veränderte und einen neuen Ausdruck, erst der Verwunderung, dann der Wachsamkeit annahm.
»Verkehr hat ja mit ihm eigentlich nur ein Einziger gehabt – sein Mörder, wie man behauptet.«
»Wenn es den ausfindig zu machen gelänge!« sagte ich, jedes Wort schwer betonend.
»Sie werden ihn ergreifen. Ich zweifle nicht daran. Man kennt seinen ganzen Habitus. Heut im Morgenblatt wird er noch eingehender beschrieben. Verstehe ich Sie übrigens recht, so meinen Sie, daß dieser Mensch durch den Mord in den Besitz der Tinktur gelangt ist?«
Ich erwog jetzt jedes Wort, das ich hervorbrachte. Ich war völlig darauf gefaßt, daß der andere mir im nächsten Augenblick die That auf den Kopf zusagen würde, aber ich glaubte auch ein Mittel zu wissen, das ihn sofort bändigte. Die Überzeugung von meiner Stärke milderte ein wenig die gräßliche Pein dieser Minuten, diese tötliche Angst, die mein Antlitz verzerrte und meine Stimme heiser machte; sie hielt mich wenigstens so weit aufrecht, daß ich vor dem Blick des Feindes nicht die Augen senkte, daß ich ihm herausfordernd, fast frech ins Gesicht sehen konnte.
»Ich glaube nicht an die Existenz der Tinktur, ich nicht,« erwiderte ich ihm bedeutsam. »Das ist ja Ihre Idee, Herr Heller. Aber ich vermute thatsächlich, daß der Unbekannte sich angeeignet hat, was er bei dem Alten vorfand oder was er unter seinem Besitztum für aneignenswert hielt. Indessen, der Wahrheit die Ehre: diese Vermutung ist auch nicht mein geistiges Eigentum, ich verdanke sie dem Hausherrn einer bekannten Familie – der Familie meiner beiden Schüler. Dies Kombinationsgenie behauptet sogar, der Mörder könne nur ein Fachmann gewesen sein, der dem Alten irgend eine Erfindung stehlen wollte.«
»Das ist 'ne vernünftige Ansicht,« pflichtete Heller bei. »Fragt sich nur, ob er die Tinktur gefunden hat.«
»Sie meinen?«
»Nun – Sehfeld wenigstens war in dieser Beziehung sehr vorsichtig, und alle die andern doch wahrscheinlich auch. Sehfeld hatte seine Tinktur nie im eigenen Hause, sondern hielt sie in Verstecken verborgen, die niemand ahnte. Nun, das ergiebt sich ja ganz von selbst.«
»Dennoch aber scheint mir die Ansicht meines Bekannten falsch,« knüpfte ich wieder an und lächelte im Vorgefühl eines Triumphes meines Scharfsinnes. »Zum mindesten dann, wenn ich mit Ihnen annehme, daß Erck den Wunderschatz, die Tinktur, wirklich besaß. Sein Mörder konnte von den vorsichtigen Lebensgewohnheiten der Adepten nichts gewußt haben, sonst hätte er die Tinktur nicht im Hause des Gelehrten vermutet; wußte er aber davon nichts, so wußte er überhaupt nicht viel von der alchymistischen Kunst, hat sie höchst wahrscheinlich sogar verlacht, wie andere mehr. Dann hatte er aber auch keine Ahnung von der Existenz einer Tinktur, und unmöglich konnte er ihretwegen die That begehen.«
»Seh'n Sie 'mal – ganz natürlich!« rief Heller eifrig. »Das ist ja klar. Wenn man nun nur wüßte, wo sie eigentlich steckt – jetzt ist sie herrenlos!«
Ich schlug ein lautes Lachen auf und merkte dabei, wie gut ich schon Komödie spielen konnte. »Sie glauben also wahrhaftig an das Alchymistenmärchen, Herr Heller? Sie, ein aufgeklärter, hochgebildeter Mann?«
»Ja. Denn die Tinktur existiert. Übrigens wissen Sie das so gut wie ich. Sie müssen es wissen. Foppen Sie mich doch nicht, Herr Doktor. Verbinden wir uns lieber zu unserm gemeinsamen Besten. Sie sind der Mann, mit dem ich's erreiche, hören Sie? Na, und hier –« Er holte sein Rauchetui aus der Tasche, reichte es mir mit einladender Handbewegung und nahm dann für sich eine Zigarre heraus. »Verdammt – hab' ich doch mein Messer wieder liegen lassen!« sagte er ärgerlich, seine Hosentasche durchsuchend. »Leihen Sie mir doch Ihres für einen Augenblick, Herr Doktor! Oder haben Sie's auch liegen lassen? Das passiert bummligen Männern sehr leicht.«
Dieser schreckliche Theatercoup schmetterte mich zu Boden. Fassungslos, sinnlos vor Schrecken, als sei ein grausiges Nachtgespenst plötzlich vor mir aufgestiegen und strecke grinsend seine Krallen nach mir aus, taumelte ich zurück und mußte mich an der Kante des Tisches festhalten, um nicht hinzustürzen. »Sie sind aber wirklich sehr kränklich,« sagte Heller besorgt, mir aufmerksam ins Gesicht blickend, aus dem alles Blut gewichen war, um gleich darauf in glühender Welle wiederzukehren. »Sehr kränklich.« Dann ließ er mich allein.
* * *