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Ich hatte das Fallen des Vorhanges nicht abgewartet, in jagender Hast war ich die Wendeltreppe hinuntergesprungen, um die beiden noch einmal am Theaterausgange zu sehen. Und sie waren unter den Ersten, die das Haus verließen. Ich erblickte Tilly schon, als sie noch auf der obersten Stufe der Freitreppe stand; ich erkannte nicht gleich ihr Antlitz, aber an den Bewegungen und der Haltung des schlanken Leibes erkannte ich sie. Sie kam langsam, in einen prachtvollen Mantel gehüllt, dahergegangen, und es funkelte von Brillanten um sie her. O wie wunderschön sie war! Heller blieb einen halben Schritt zurück. Da trat ich hinter der Säule hervor, in das helle Licht der Laterne, und kreuzte ihren Weg, daß sie beide verwundert aufschauten. Der Mann senkte den Blick nicht vor mir, er schien über mich fort ins Leere zu starren, und sein Gesicht zeigte viel weniger den Ausdruck peinlicher Überraschung als müder Zerstreutheit. Aber Tilly ... Bis in die Schläfen übergoß glühende Röte ihr weißes Gesicht; in ihrem Blick, der zwei Sekunden lang auf mir weilte, lag eine stumme, fast demütige Bitte ... Und dann war sie vorüber. Mein Herz schlug wild, und ein Rausch des Triumphes überkam mich: du bist nicht glücklich, du erwachst jetzt und schämst dich, Dirne, du denkst vergangener Tage wie ich. Und so weiß ich denn das Eine: ihr lacht nicht mehr über mich und meine Tölpelei, ich stehe zwischen euch, wenn ihr euch freuen wollt, und alle Edelsteine, alle Kleiderpracht, aller Prunk überstrahlt nicht diesen Schatten. Meine Zeit wird kommen ... Nun war ich auch sicher, daß sie nicht gemeinsame Sache mit ihm gemacht hatte, mich zu verderben; nun glaubte ich, daß sie insgeheim schon wieder auf meiner Seite stand, daß die beiden begannen, sich mit feindseligen Blicken zu betrachten. Meine Zeit wird kommen ...

So froh war ich, daß ich trällernd meine Straße zog, daß ich, als bei meiner Heimkehr noch die Lampe im Zimmer der Wirtin brannte, bei ihr anklopfte und ein wenig mit ihr plauderte. Ich wußte, wie sehr sie das liebte, und ich wollte irgend einem Menschen heute eine Freude bereiten. Am nächsten Tag hielt meine vergnügte Stimmung an; ich that mein Bestes, mich den »Kollegen« angenehm zu machen, fertigte für den Nebenmann die Abschrift eines englischen Originales und gewann es über mich, dem Vorsteher ein paar freundliche Worte zu sagen. Lange, lange Zeit hindurch war ich nicht mehr so glücklich gewesen. Wieder bereitete sich eine Wendung in meinem Leben vor, ich wußte es. Die Stunde der Erlösung war nahe ...

In dieser lustigen Laune verging mir der Vormittag schnell; es war, als lache der Frühling in das schmutzige, kahle, von bestaubten Aktenschränken eingeengte Zimmer; es freute mich ordentlich, als Werner, ein bleicher, unansehnlicher Bursche, der immer am bissigsten und gemeinsten gegen mich gehetzt hatte, zwei Groschen von mir lieh und Dankeschön sagte. Meine Mittagsrast fiel zwischen zwölf und halb zwei; sonst pflegte ich eine Kellerkneipe in der Nachbarschaft aufzusuchen, heute aber wollte ich nach Hause gehen, denn ich war überzeugt, dort einen Brief Tillys vorzufinden. Prächtiges Winterwetter umglänzte die Stadt, und die Menschen, die mir begegneten, sahen alle so vergnügt aus, hatten alle so rote Backen. »Frühling, Frühling wird es nun bald!« sang hinter mir ein Knirps mit der Schulmappe auf dem Rücken. Ich mußte lachen, denn der Winter sollte ja noch erst kommen; ich griff in meine Rocktasche, fand ein Fünfpfennigstück und schenkte es dem Kleinen, der über diese ungewöhnliche Großmut die Augen weit aufriß und dann schleunigst davonrannte. »Frühling, Frühling wird es nun bald!« Eine offene Droschke fuhr vorbei, in der ich Herrn Lilienthal sitzen zu sehen glaubte. Armer Kerl! dachte ich. Der Büreauvorsteher, der ein großer Theaterfreund war, es indessen aus Sparsamkeitsrücksichten nie besuchte und sich mit den Kritiken seines Blattes begnügte, hatte dem Rechtsanwalt heute morgen erzählt, daß Silberthals Schauspiel »mit Aplomb durchgefallen« wäre.

In weniger als zwanzig Minuten war ich zu Haus.

»Sie kommen schon, Herr Doktor?« rief mir die Wirtin ganz aufgeregt und verstört entgegen. »Da hat der Bengel diesmal ja ordentlich ausjejriffen! Ja, was sagen Sie nu dazu? Ist es denn bloß menschenmöglich? So eine Bande – so 'ne Frechheit!«

»Was denn?« fragte ich höchlichst erstaunt. »Was meinen Sie denn?«

»Na, mein Karl hat Ihnen doch jesagt – ich hab' ihn doch vor 'ne gute Viertelstunde uffs Büreau jeschickt –«

»Karl war noch nicht da, als ich ging. Ich komme ganz zufällig her. Was ist passiert?«

»Was passiert is? Sie werden's nicht begreifen. Man hat bei Ihnen einbrechen wollen.«

Ich starrte die Frau verblüfft an. »Das ist ja unmöglich!« sagte ich mit ungläubigem Lächeln. »Bei mir einbrechen! So eine närrische Idee! Machen Sie doch keine Aprilscherze im Dezember!« Damit sprang ich, seltsam beunruhigt, an ihr vorbei. Sie folgte mir auf dem Fuße, vor sich hinschimpfend und noch ganz fassungslos.

Die Thür, die ich am Morgen wie immer sorgfältig verschlossen hatte, stand offen. Im Zimmer selbst schien auf den ersten Blick nichts verändert; als ich jedoch näher trat, bemerkte ich, daß das Bett durchwühlt war, daß man sich an meinem Schreibtisch zu schaffen gemacht und das Schloß der Schublade gewaltsam erbrochen hatte. Auch im Spinde schien alles durcheinander geworfen; jede Ecke, jeder Winkel erzählte, sah man genauer hin, von dem ungebetenen Gaste. »Aber – wie ist denn das nur möglich gewesen?« fragte ich, erstaunt und ärgerlich. »Wann haben Sie's denn bemerkt?«

»Ich war jrade in der Küche, da hörte ich nebenan bei Ihnen 'n Stuhl umfallen. Nanu, denke ich, wer tobt denn da herum, der Herr Doktor ist doch heute morjen pünktlich uff die Arbeit jejangen – wer kann das blos sein? Na, ich horche und horche, kein Mäuschen rührt sich mehr. Es wird anderswo jewesen sind, denke ich, und bleibe ruhig bei de Maschine. Aber nach 'ner kleinen Weile fällt mir die Sache doch aufs Herz, ich jehe herum und – was soll ich Ihnen sagen, jrade flitzt ein Kerl die Treppe 'runter. »Wen suchen Sie denn da?« frage ich. »Sie nich, Ollsche!« schreit das Individuum und verschwindet. Nu krieg' ich doch Angst, renn' in Ihr Zimmer 'rin – na, und da seh' ich die Bescherung.«

»Sie haben doch sofort nach der Polizei geschickt?«

»Ne, das nich. Was hilft denn die Polizei? Die findet schon jar keenen. Und mitjenommen hat der Kerl nischt, das hab' ich deutlich jesehen; sonst hätt' ich ihn ooch nich mir nischt dir nischt entwischen lassen. Ich dachte, ich werde warten, bis der Herr Doktor nach Hause kommt.«

Und wie sie das sagte, erkannte ich plötzlich Zusammenhang und Sinn dieses Verbrechens. Der jähe Schreck verursachte mir körperliche Übelkeit, ich griff nach dem Thürpfosten, um nicht zu fallen. »Es ist gut so!« stammelte ich. »Wir brauchen die Polizei gar nicht.« Und damit winkte ich ihr, sich zu entfernen ...

Sie waren der Tinktur wegen zu mir gekommen. Sie haben die Tinktur gestohlen! Mit einem Satze sprang ich zur Thür, verriegelte sie und zog dann den Bücherkasten unterm Bette hervor. Er schien unberührt. Ich stürzte mich über ihn, in fliegender Hast warf ich die staubigen Folianten zu Boden, und – o Gnade Gottes! – da lag die Elfenbeinkugel noch, unangetastet. Blind und blöde waren die Überschlauen gerade an ihr vorbeigegangen. Sie hatten sich nicht durch die Apparate, nicht durch die Bleimassen im Tiegel beirren lassen, hatten von vornherein nur nach dem einen gesucht, dem einzigen Schatz, den ich besaß, um dessentwillen sich auch schwerere Verbrechen als dies gelohnt hätten. Ein unbegreiflich glücklicher Zufall hatte mich vor dem äußersten bewahrt, und eine glückliche Eingebung, die mir Leben und Freiheit rettete, hatte mich veranlaßt, rechtzeitig die blutigen Lumpen bei Seite zu schaffen. Ich war keine Minute mehr sicher vor meinem gewissenlosen, vor nichts zurückschreckenden Gegner, der jede Einzelheit meiner Lebensführung aufs genaueste hatte ausspionieren lassen und nun heut den Feldzug mit einem entscheidenden Schlage beenden wollte. Er wußte nicht, was er that. Seine tolle Habgier trieb ihn zu weit, er unterschätzte meine Leidenschaftlichkeit und meinen Haß, er schürte sie. Wenn ich selber schon darauf Verzicht leistete, mich an ihm zu rächen – er zwang mich wieder, zu den Waffen zu greifen, bemühte sich, mich zu überzeugen, daß es nur einen Ausweg aus diesem Labyrinthe gab.

Dieser Mensch war ein Narr, ein frech verwegner Glücksritter; nur meine grenzenlose Langmut und meine Feigheit schützten den Abenteurer, der sich unablässig mühte, mich ins Verderben zu stürzen. Warum fürchtete ich mich vor einer That der Notwehr? Seine Tollkühnheit, die in ihren Plänen auf mich so wenig Rücksicht nahm wie auf diesen Tisch hier, war sie nicht ein beschämender Beweis dafür, daß er mich verachtete, wegen meiner Unfähigkeit, zu handeln? Und bedachte ich's recht, so fand ich, daß er wohl Grund zu dieser Empfindung hatte. Wie ein armseliger Hamlet, mit dem Degen in der Faust, aber ohne Mut im Herzen, stand ich ihm gegenüber. Auf mich brauchte er in Wahrheit keine Rücksicht zu nehmen. Ich war eine Puppe, gleich den andern, und zappelte an seinem Draht. Ein Mechanismus, dessen Federspiel er genau kannte, dessen Schlagkraft er ebenso genau berechnete.

Wenn du dich nur nicht täuschest, Felix Heller! ...

Ich öffnete die Elfenbeinkugel und schüttete das flimmernde Pulver in zwei dicke Papierhülsen, die ich sorgfältig in Leinwand einnähte. Beide Säckchen steckte ich in die Brusttasche meines Rockes, nachdem ich mich überzeugt hatte, daß das Futter noch in tadellosem Zustande war, und nähte dann die Tasche gleichfalls fest zu. Nun trug ich die Tinktur immer bei mir, nun wird es niemandem glücken, sich durch Diebstahl in ihren Besitz zu bringen. Die Wirtin hatte, um ihre Möbel besorgt, einen Arbeiter holen lassen, der die Thür mit neuem, widerstandsfähigem Schloß und mit einer Sicherheitskette ausrüstete; ich sah dem Manne bei der Arbeit zu und verwandte den Rest des Nachmittags darauf, die Straße zu beobachten. Aber sei es, daß mir alles Kundschaftertalent mangelte oder daß die Diebe viel zu umsichtig waren, um jetzt schon einen neuen Anschlag zu planen – genug, es zeigte sich nichts Verdächtiges.

Die leere Elfenbeinkugel warf ich am Abend in die Spree.

Der nächste Morgen brachte eine schlimme Überraschung. Ich war ins Büreau gehastet und hatte mich wie gewöhnlich an meine Arbeit gemacht, als mich der Vorsteher mit sehr feierlicher Miene und unter Anwendung des rollenden Bühnen-R's, das er in tragischen Momenten liebte, aufforderte, sofort zum Herrn Rechtsanwalt zu kommen. Der Herr Rechtsanwalt ließ mich eine ganze Weile warten, das Aktenstück vor ihm mußte wohl besonders fesselnd geschrieben sein; endlich wandte er sich mit einer seiner unnachahmlich eleganten Bewegungen an mich. »Sie sind gestern nachmittag unentschuldigt ausgeblieben, Herr Doktor, trotzdem wir bis über die Ohren in Arbeit stecken. Sie wissen – hem – na jedenfalls können Sie sich denken, daß wir Leute, die ... mit einem Wort, Herr Doktor, ich halt' es für besser, Sie geben Ihre Stellung hier wieder auf ... Ist ja doch nichts für Sie, das hab' ich Ihnen ja gleich gesagt.«

Wieder herabgestoßen werden von dem, wenn auch recht unwirtlichen Inselchen, auf das ich mich mit genauer Not gerettet hatte ... ich konnte es nicht glauben, fassungslos starrte ich den harten Menschen an. Ich versuchte, mich zu halten, sagte, daß ich nicht in böser Absicht oder aus Nachlässigkeit fern geblieben, daß bei mir zu Haus ein Einbruch versucht worden wäre. Der Herr Rechtsanwalt warf mir einen messerscharfen Blick zu und zuckte die Achseln; er war der Meinung, daß ich ihn belog. Dies ungerechtfertigte Mißtrauen empörte mich; er sah in mir den Deklassierten, den Verlumpten, der bereits meilenweit unter ihm stand und der sich geduldig gefallen lassen mußte, was jeder Ehrenmann mit Ohrfeigen beantwortet haben würde.

»Sie glauben mir nicht, Herr Rechtsanwalt?« fragte ich, äußerlich noch bescheiden, aber dicht an ihn herantretend. »Ich versichere Sie –«

»Machen wir uns keine Mätzchen vor,« unterbrach er mich schroff. »Lassen Sie sich Ihren Lohn auszahlen, meinetwegen für die ganze Woche, und dann gehn Sie in Gottes Namen, 's ist besser so. Wer bei uns nachmittags fortbleiben will, hat es vorher zu melden; Eigenmächtigkeiten dulde ich nicht. So. Ich bin übrigens sehr beschäftigt.« Und er vertiefte sich wieder in das Aktenstück.

»Daß man mittags um elf bei mir einbricht, kann ich Ihnen doch um zehn Uhr nicht anzeigen,« erwiderte ich gereizt. »Sie werden einsehen –«

»Stören Sie mich nicht länger,« fiel er mir grob in die Rede. »Sie sollten sich übrigens doch minder phantasievolle Ausreden zulegen.«

»Sie sind ein frecher Bursche!« schrie ich, mich vergessend. »Sie wagen es, mich zu beleidigen, weil ich arm und krank bin. Sie spielen sich wohl gar auf den Wohlthäter hinaus, nicht wahr? Ah Sie! Ich bin, was Sie sind, und ich verlange, daß Sie daran denken, so lange Sie mit mir verhandeln!« Er sprang von seinem Stuhle auf, den er zwischen sich und mich schob, er mochte befürchten, daß ich ihn züchtigen wollte und rief mit lauter Stimme nach seinem Büreauvorsteher. Der Wackere war im nächsten Augenblick zur Stelle. Sein Brotherr hielt es indessen anscheinend nicht für geraten, mich noch mehr zu reizen; er vermied es, mich anzublicken und sagte nur, mit dem Versuche, möglichst majestätisch auszuschauen: »Geben Sie dem Herrn Doktor sein Gehalt für diese Woche – er geht von uns.«

Ich besaß nun wieder einige Mark und war imstande, ein Inserat zu bezahlen, in dem ich mich als Hauslehrer bei bescheidenen Ansprüchen anbot. Meldeten sich auch nur wenige darauf, so würde der Ertrag vielleicht doch eben ausreichen, mich über Wasser zu halten; ich würde dann Zeit für eine größere Arbeit gewinnen und könnte auch nebenher mit wissenschaftlichen Abhandlungen für Fachblätter oder Tageszeitungen ein bischen Brot verdienen. Es bedurfte keiner Beteuerung mehr und keines Schwures; ich war entschlossen, mich in Redlichkeit durchzuschlagen, und ich glaubte dazu imstande zu sein, sofern mich die heimtückische Krankheit nicht wieder hinterrücks überfiel. All die lieben, bunten Träume von früher freilich, darin ich mich eingesponnen hatte, all die gewaltigen Pläne mußte ich nun vergessen; nun galt es nichts als das nackte Leben zu fristen. Erst wenn die Witterung des Glückes umschlug, durften sie wieder aus dem Puppenstand erwachen, all meine Wünsche und Hoffnungen. In ernste Gedanken versunken, resigniert und doch voll stiller Zuversicht, streifte ich durch die sich verfinsternden Straßen. Es wollte mich überreden, die Tinktur zu vernichten, mich auf immer von ihr zu befreien, die mir bisher nichts als Verderben gebracht hatte. »Wer den Wein liebt, den macht sie zu einem Tier, und wer ihn nicht liebt, den macht sie zum Teufel.« So lange der goldene Spuk nicht in mein Leben eingetreten war, so lange ich in gläubigem Vertrauen auf die Zukunft, die mein sein mußte, hungerte und darbte, war ich glücklich gewesen. Glücklicher als in den Tagen des tollen Rausches, wo ich gierig vergiftete Lebensfreude schlürfte und willens gewesen war, mich körperlich wie geistig zu Grunde zu richten; glücklicher als heute, wo ich wieder arm und verlassen wie vordem war, aber ohne die kindliche, feste Zuversicht von damals und ohne die schwarzen Sterne, die tröstend durchs Dunkel leuchteten, die mir aus Tillys liebreizendem Antlitz entgegenlachten. Damals stand ich so stolz, so unerschütterlich auf mir selber, und kein Sturm schreckte mich, daß ich mich selbst verlor; heute – was war ich heute noch ...

Hätte sich meine Hand doch nie nach dem verfluchten Golde ausgestreckt! So wäre ich vielleicht ruhmlos gefallen im Kampfe, in dem täglich zehntausend auf den Tod verwundet fallen, oder ich wäre siegend vorgedrungen, und ein Kronreif hätte meine Stirn umwunden. So oder so, im Andenken weniger oder in der Erinnerung von Millionen fortlebend – ein lachender Helde wär' ich gewesen, unbezwinglich, weil ich Stein auf Stein zum Fundament meiner Größe mit eigenen Händen mühsam gebrochen, behauen und gefügt hätte. Nun aber unterlag ich der Versuchung, wollte mit einem Sprung, mit Zauberspuk erreichen, wohin ich auf steilem Pfade erst nach vielen Jahren gelangt wäre. Der verwegene Sprung war nicht mißglückt, aber er hatte mich an einen Abgrund gebracht, von dem es auf gebahntem Wege kein Zurück, kein Vorwärts gab. Ganz nahe vor mir gleißte, weithin durch die Nacht sichtbar, das Ziel, aber – nur über Leichen konnte ich dahin gelangen. Nur über seine Leiche.

Daß all meine Gedanken immer wieder zu dem einen Punkte führten, daß mir selbst in so klaren, stillen Stunden diese That als eine starre Notwendigkeit erschien, wenn anders ich nicht elend zwischen Furcht und Hunger verkommen wollte, das flößte mir so namenloses Entsetzen ein. Hellseherisch las ich im Buche der Zukunft, erkannte, was mir nahe bevorstand, was ich thun mußte, wenn ich ...

Und dennoch schleuderte ich die Tinktur nicht von mir, und dennoch ging ich dem Schicksal frech und trotzig, herausfordernd entgegen.

* * *


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