Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Ich werde Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um hinter Ihr Geheimnis zu kommen, und seien Sie gewiß, es gelingt mir.« Sein Brief lag zerrissen auf der Erde, aber ich sah noch die starken und steil aufsteigenden Züge seiner Handschrift deutlich vor mir, las immer noch die drohenden Worte. Er wagte es von neuem, mich und meinen Haß herauszufordern, wagte es nach der unnennbaren Schmach, die er mir angethan hatte? Verblendete ihn die Habgier so ungeheuer, oder galt ich ihm wirklich so gering, daß er hohnlächelnd über mich hinwegschreiten zu können glaubte? Was wußte er? Was hatte Tilly ihm verraten? Ich war ihr gegenüber nicht immer so verschwiegen gewesen, wie es die Klugheit erfordert hätte. Zwar stand nichts in seinem Briefe, das mich geradezu beunruhigen konnte, und dennoch durchfröstelte mich die Ahnung, daß er mein Geschick in Händen hielt, daß er mich vernichten würde, wenn die Galgenfrist abgelaufen war.

Und während sein scharfer Verstand sich anschickte, nun in die verborgensten Tiefen meines Lebens hineinzuleuchten, stand ich verwirrter und unwissender als vordem da. Heller war ein Meister in der Kunst, all sein Thun und Treiben in eine neblige Atmosphäre zu hüllen, die ihn verdeckte, seine Fährte verwischte. Wie ein Dämon beherrschte er die Menschen, die sich in seine Dienste gestellt hatten. Mit keinem leisen Worte hatte der des Mordes an Erck Verdächtige seiner bisher erwähnt, hatte immer nur von sich und dem unbekannten, eigentlichen Thäter, von mir, gesprochen. Es packte mich immer wieder mit fast unwiderstehlichem Zwange, in den Gang der Verhandlung einzugreifen, die Behörden auf die richtige Spur zu bringen, auf Heller hinzuweisen. Und nur weil ich besorgte, daß ich mich damit selbst den Gerichten überliefern, daß der Verhaßte aber, pfiffiger als ich, einen Ausweg finden, mich dagegen vollends ins Verderben stürzen würde, stand ich von dem Plane immer wieder ab.

Ich war reich, unermeßlich reich, aber meine Habe half mir zu nichts. Ich durfte dies Gold nicht in Lebensgenüsse, nicht in gute und große Thaten umsetzen; Ercks Gespenst ging um, der Ermordete lebte noch und hatte mit den dürren Fingern auf mich, seinen Mörder, gezeigt. Es war mir nicht gegeben, wie ein Geizhals selig im Gefühl bloßen Besitzes zu sein, und dies Gold brannte dazu in meinen Händen. Alles, was ich thun durfte, war, daß ich Hilden in kostbaren Porzellanvasen kostbare Treibhausblüten schickte, ohne den Geber zu nennen; daß ich dann und wann, halb verstohlen und immer in Angst, erkannt zu werden, ein Glas Wein trank. Und einsam Wein zu trinken, ist ein so fragwürdiges Vergnügen ... Ich war nicht abergläubischer als alle andern auch, aber das Kleinod, das ich besaß, hatte mich mehr noch als eigenes Nachdenken darüber belehrt, das es falsch und thöricht ist, Dinge zu verlachen, die man nicht begreift. Und wenn mich zur Nachtzeit der Schlaf floh und ich den Wind an den morschen Fensterflügeln rütteln hörte, gleich als versuche jemand, sie aufzureißen und ins Zimmer zu steigen, dann faßte mich kindisches Grausen so furchtbar an, daß ich atemlos, in jedem Augenblick das unsagbar Gräßliche erwartend, lauschte und es nicht einmal wagte, aufzustehen und Licht zu machen. Draußen unter beschneitem Hügel lag der Mensch, der von meiner Hand gefallen war und dessen Tod noch der Sühne harrte. Draußen unter beschneitem Hügel lag sie, die für mich gesorgt und für mich geschafft hatte, all ihr Leben lang, die Mutter, der nächtens an der rasselnden Nähmaschine die Schwindsucht so viele Jahre hindurch aufmerksam zugeschaut hatte und die für mich in den Tod gegangen war. Was wollten sie von mir, diese Fratzen, die mir wüste Träume schafften und in dunkler Nacht immer wiederkehrten, so sehr ich mich ihrer am hellen Tage auch schämte? Ich fing schließlich an, sie ernsthaft zu nehmen, und ich grübelte darüber nach, ob es nicht Vorahnungen waren, die mich beschlichen und die mit abscheulicher Klarheit so vielen, geistig angestrengt Thätigen kommen.

Das schändliche Gold, um solche Pein erkauft! Millionen würden mir, wenn sie davon wüßten, meinen mühelos erworbenen Reichtum neiden, und mit jedem von ihnen würde ich tauschen, mit dem Ärmsten, Dümmsten, Erbärmlichsten! Was mich aufrecht hielt in schweren, schwarzen Stunden, Hildes Liebe, meine Zukunftsträume, das verdankte ich wahrlich nicht dem gelben Metall, das verdankte ich mir allein. Ja, die Tinktur vergiftete mir sogar noch diese stillen, süßen Freuden ...

Es war Abend, ich saß in meinem Dachzimmer und versuchte zu arbeiten; ich schrieb am ersten Bogen meiner sozialpolitischen Broschüre. Den Tisch, der früher dicht am Fenster stand, hatte ich so aufgestellt, daß ich die Thür immer im Auge behalten konnte; es war mir unheimlich, ihr den Rücken zuzuwenden, ich fürchtete immer, es möchte unbemerkt jemand eintreten und mir bei der Arbeit zuschauen. Dabei pflegte ich sie jetzt immer so sorgsam zu verriegeln, wie ich früher nie gethan hatte. Im Hause herrschte tiefe Stille, und auch von der Straße her drang nur selten das Geräusch vorüberkommender Wagen, hallender Rufe. Ich hörte jeden Laut. Und ich weiß nicht, wie es kam – ich legte plötzlich die Feder aus der Hand und lauschte auf die Schritte eines Mannes, der derb und fest über die Brücke unten ging. Diese Schritte sprachen zu mir. Er näherte sich langsam, und nun – nun hörte ich ihn deutlich im Hausflur. Sogleich war ich überzeugt, daß Heller die Treppe hinaufstieg. Ich dachte nicht daran, das Zimmer auch nur oberflächlich in Ordnung zu bringen; ich drückte das Ohr dicht an die Thür und horchte. Die Schritte näherten sich, tappend, schwer, unsicher. Wo hatte ich sie doch gehört ... wo ... Es überlief mich, als kröche ein Ameisenheer über meinen Körper, Thränen der Erregung und des Grausens traten mir in die Augen. Das waren die Schritte aus jener Nacht, auf die ich damals in noch wahnsinnigerer Überreiztheit als heute gelauscht hatte. Das waren die Schritte des verfluchten Mörders ... unter Tausenden hörte ich sie heraus, würde sie immer heraushören. Warum tastete nur der andere und stieg wieder so unbeholfen vorsichtig – die Treppe war doch hell erleuchtet, nicht dunkel, wie in jener Nacht. Mir verwirrten sich die Gedanken. Ich konnte ihm nicht begegnen – jetzt nicht. Ich war ja außer mir, wäre ein willenloser Spielball seiner Laune gewesen. Und ich entriegelte leise, wie vom Instinkt getrieben, die Thür, ich verlöschte die Lampe, trat, auf den Zehenspitzen schleichend, auf den Korridor hinaus, schloß die Thür ab, mit heftig zitternden Fingern, in toller Aufregung, und doch unhörbar, und doch mit so tierischer Sicherheit. Und leise ging ich den finstern Korridor hinauf und verbarg mich vor dem Feinde.

Wie in jener Nacht. Ganz wie in jener Nacht. Er kam herauf, behutsam, gleich einem Blinden und ich hörte sein lautes Atmen. Ich sah ihn nicht und wußte doch in jeder Sekunde, wo er stand, sah doch sein häßliches Gesicht, seinen tückischen Blick, die tiefe Falte zwischen den Augbrauen. Und während mir der kalte Schweiß von der Stirne perlte und ich in Todesangst zugleich auf ihn und auf jedes Geräusch in den Zimmern meiner Flurnachbarn horchte, erklomm er den letzten Treppenabsatz. Nun stand er, pustend und tief Atem holend, vor meiner Thür. Nun ein schneller, kühner Entschluß, nun die That eines Mannes – ihn niederschlagen, ihn erwürgen, und ich war frei, frei für alle Ewigkeit. Ich biß die Zähne in blutdürstigem Haß auf einander, rotfunkelnde Sterne tanzten vor meinen Augen, ich schwankte ... Verrückter Narr! zischte ich mir zu. Und ich war nahe daran, in Thränen auszubrechen.

»Bist du nicht zu Hause, Max?« tönte Walters Stimme durch die Stille. Und er klopfte wuchtig, wohl nicht zum ersten oder zweitenmale.

Mein Gott, von welchen Truggestalten ließ ich mich beherrschen und irreführen? Wo mußte ich enden, wenn diese Mächte nicht mehr von mir ließen! Und dabei ward mir doch wunderbar leicht und freudig ums Herz, gleich als wäre eben dicht neben mir ein Haus eingestürzt und ich dem Tode um Haaresbreite entronnen. »Komme schon, Walter!« rief ich, so laut ich konnte. »Einen Augenblick Geduld!«

Gewiß, ich war in der Stimmung, ihn an die Brust zu reißen und abzuküssen; ich lachte vor Freude, als ich die Lampe wieder entzündete und fuhr munter im Zimmer herum. Er betrachtete mich aufmerksam durch seine Brille und schien in Verlegenheit, was er sagen sollte.

»Altes Haus!« schrie ich ihn an. »Das ist aber reizend von dir – nein, das hast du großartig gemacht! Ich hörte dich übrigens kommen!« Und ich lachte wieder laut auf. »Steifer Grog gefällig? Mit zwei Tropfen Wasser, des Decorums wegen?«

»Du bist ja ganz ausgelassen!« sagte Walter bedächtig und räusperte sich mehrmals, worauf er mich abermals durch seine glänzende Brille sehr lange und so genau ansah, daß mir unbehaglich zu Mute wurde. »Wirklich, du bist seltsam verändert! Wenn man dich so lange gekannt hat ... fühlst du dich denn ganz wohl, Max?«

»Lächerlich! Warum denn nicht?« schrie ich, nun mit erzwungener Heiterkeit. »Bin nie gesunder als heut gewesen, lieber Kerl. Aber was schleppt denn dich zu so nachtschlafender Stunde noch her?« Ich spülte das Wasserglas auf dem Waschtischchen sauber aus, goß es halb voll Rum und reichte es ihm hin. Er schüttelte abwehrend den Kopf. »Du weißt doch, ich trinke keinen Schnaps. Und du hast es doch früher auch nicht gethan.«

»Aber bei solchem Urstoff nimmt man's mit dem Prinzip nicht so genau!« witzelte ich. »Ich hasse nichts grimmiger als die Nüchternheit, die verdammte – vivat alles, was berauscht! Na, darauf kannst du doch anstoßen! Grade du!« Seine pedantische Ruhe und Würde ärgerte mich, schien mir eine persönliche Beleidigung. »Wenn man so'n unvernünftiges Glück hat wie du mit dem Fräulein Hildegard –«

»Laß das, Max, ich bitte dich!« stieß er mit ungewöhnlichem Ernst hervor. »Du thust mir weh, wenn du ...« Und leise kam es heraus, ganz schüchtern, mit einer tapfer niedergekämpften Wehmut, die mir sonst das Herz zerrissen hätte, die ich heut aber beinahe komisch fand: »Mit uns ist es aus – das hat dir doch Trude schon erzählt. Völlig aus. Sie hat mir den Laufpaß gegeben.« Er guckte still vor sich hin, und seine ehrlichen, treuen Augen wurden trübe.

»Na, Kind,« lachte ich, »das ist doch am Ende für euch beide das Beste. Ihr taugt ja doch nicht für einander – hol' mich der Teufel, ihr beide nicht. Das war von vornherein meine Meinung, frag' nur Trude. Aber es giebt ja so viel andere Mädel auf der Welt – du wirst dich schon trösten, alter Kunde.«

»Denkst du wirklich so, wie du jetzt sagst?« Er strich sich das Haar zurecht, das den breiten, roten Kopf buschig krönte, und sah mich sehr mitleidig an.

»Ja natürlich denke ich so, Junge. Ich versichere dich, mich kriegt so'n Mädel nicht unter. Mich nicht, weiß Gott!«

»Aber du hast doch noch gar keine Erfahrung gemacht, Max?« Er suchte nach Worten, als fürchte er, mich irgendwie zu verletzen.

»Meinst du? Na, zum Beispiel mit der Tilly. Die ist mir durchgegangen. Wenn ich ihr eine Thräne nachgeweint habe, oder auch nur einen Seufzer nachgeschickt, will ich zeitlebens Privatdocent sein. 'ne hübsche Neuigkeit übrigens, was?«

»Du weißt also schon?« rief er, wie von einer schweren Last befreit. »Und faßt es so vernünftig auf? Nein, siehst du, das freut mich! Das hätt' ich doch nicht erwartet.« Und er starrte mich mit unverhohlener Bewunderung an.

»Wahrscheinlich hast du mir die interessante Kunde eben per Eilboten bringen, mich warnen und trösten wollen?« fragte ich lachend.

»Ja – ja!« stotterte er. »Aber nun ist's ja gut. Und das schlechte Geschöpf verdient es ja nicht besser. Pfui! Und nun erst – nun erst der Freund! So ein Schuft! Den könnt' ich ja gleich ... Nein, für so gemein hätt' ich doch keinen Menschen gehalten. Aber den beiden geschieht schon recht – die verdienen sich!« setzte er, den Regenschirm sehr energisch und wiederholt auf die Diele stoßend, hinzu. »Ich würd' mir auch nichts daraus machen an deiner Stelle ... Das heißt – na ja, wenn ich ehrlich sein will, Max, mir ist's doch näher gegangen mit Hilde. Ich mußt' es ja jeden Tag erwarten – was konnt' ich ihr bieten? – aber es war wirklich so schön, na, und ich ...« Er schneuzte sich, um seine Rührung und seinen Kummer zu verbergen. Ich fühlte ihm gegenüber keine Gewissensbisse, ich hatte ja nichts gethan, ihm Hilde abtrünnig zu machen; das Glück war zu mir gekommen, sonnig, überselig, während ich schlief. Und dennoch ... Sein gutes Gesicht war mir unbequem in dieser Minute. Es erinnerte mich an so viel Liebe und Freundschaft, die er über mich ausgeschüttet hatte, an so viel Selbstlosigkeit, so viel Aufopferung. Der hier und seine Schwester waren die einzigen, die mich nie verlassen, die mich immer geliebt hatten; den hier hatte meine arme Mutter zärtlich auf die Stirn geküßt, als er sie am Tage vor ihrem Tode zum letztenmale sah. »Du guter Walter!« hatte sie dabei gesagt. »Paß' mir nur recht auf meinen Jungen auf! Und grüß' mir die Gertrud noch tausendmal – ja, grüße sie! Vergiß es ja nicht!« Der Mensch hier war mir heilig, die Tote hatte ihn gesegnet; ich war ihm mehr wert gewesen als ein Bruder, herzlicher als zehn Brüder hatte er um mich gesorgt, für mich gesorgt. Und nun! »So ein Schuft!« sagte er von Heller. »Für so gemein hätte ich doch keinen Menschen gehalten!« Das traf mich. Ich hatte an ihm noch niedriger gehandelt, noch gemeiner ...

»Du faßt das übrigens zu tragisch auf, das mit Heller!« bemerkte ich leichthin, vermied es aber doch, ihn anzublicken. »Tilly liebte mich vielleicht schon lange nicht mehr, ich bin dessen sogar einigermaßen sicher; sie hing nur noch aus alter Gewohnheit an mir, und als nun eine neue, große Leidenschaft über sie kam –.« Ich unterbrach mich, ich glaubte ja nicht an das, was ich sagte, und ich erniedrigte mich selbst vor dem Verhaßten, indem ich es sagte. Doch gleichviel. »Ist die Liebe denn nicht stärker als ein albernes Vorurteil? Und wie darf ich zwei Leuten einen Vorwurf daraus machen, daß sie rücksichtslos dem Rufe ihrer Herzen folgten?«

Er stützte die Arme auf den Tisch und lächelte traurig. »Kann denn das Liebe sein, was wie ein schlechtes Streichholz eine Sekunde lang brennt und dann gleich wieder erloschen ist! Ich denke, man mißbraucht das schöne Wort.«

»Nun, und wenn?« trumpfte ich trotzig auf. »Mir scheint, Frauenliebe – das ist grad' so ein süßer Genuß wie ein Glas Forster Kirchenstück, oder eine Fahrt über sommerliches Land, oder ein unterhaltendes, prickelndes Buch. Ein glänzendes Phänomen, vielleicht das wunderschönste im Menschenleben, aber doch auch etwas, das wir erst durch unsere Phantasie so süß und lockend machen. An und für sich – es liegt zu viel Bestialität darin, für meinen Geschmack, als daß ich lang und breit und innig darüber philosophieren möchte.«

»Wie hast du dich verändert – ganz unverständlich bist du mir geworden!« murmelte Walter, den meine Blender keineswegs entzückten, mit schmerzlichem Erstaunen. Er zögerte, weiter zu sprechen; er schien über etwas nachzusinnen.

»Im ganzen,« fuhr ich siegesgewiß fort, »thun wir sehr unrecht, von den reizenden Geschöpfen, den himmlischen Frauen, noch Treue und dergleichen zur Liebe zu verlangen – unsinnig dankbar sollten wir ihnen dafür sein, daß sie nicht so musterknabenhaft denken wie wir in unserer egoistischen Eifersucht und sich nur immer dem Einen gönnen.« Ich versuchte ein cynisches Lächeln, das Walter aber gar nicht bemerkte.

»Und doch hast du Tilly so sehr geliebt, und doch war sie dir Leben und Denken ... Ich glaube auch nicht, daß du so empfindest, wie du sagst. Du magst dich sehr verwandelt haben in der letzten Zeit, aber so grundlegend nicht, wie du vorgiebst. Es ist nur Schein. Und ich möchte nicht in Hellers Haut stecken, ich nicht.«

»Du meinst, ich würde mich an ihm rächen – an dem?« fragte ich geringschätzig und doch auf seine Antwort gespannt.

»Das wirst du. Du sinnst auf nichts anderes. Und ich würde deinen Haß fürchten, an seiner Stelle.«

»Gespensterseher! Wenn ich gegen Heller weiter nichts hätte als dies, könnte er sich sehr sicher fühlen! – Sieh 'mal,« wandte ich mich unvermittelt an ihn, »Tilly ist keine Hilde Jonas. Du gehst von einer viel zu persönlichen Empfindung aus. Du hast ungleich mehr als ich verloren, und wenn du den andern haßtest, dann freilich –.« Ich hielt inne, ich sah, wie er zusammenzuckte, und er dauerte mich.

»Hilde hat mich ... nun, jedenfalls, eines andern wegen ist es nicht gekommen!« erklärte er tapfer. »Es sind ganz innerliche Gründe, die da den Ausschlag gaben. Wenn ein Freund oder eine Freundin sich so niederträchtig wider mich vergingen, dann haßte ich sie nicht, dann wären sie mir auch nicht gleichgiltig, dann verachtete ich sie. Von ganzem Herzen. Und das, meine ich, müßtest du auch thun. Dein Gleichmut schmerzt mich. Du bist der Frühere nicht mehr.«

Das Wort von der Verachtung war ein Peitschenschlag übers Gesicht, aber aus dem Munde dieses Menschen, auf den ich so lange Jahre in stolzer Überlegenheit herabgeschaut hatte, der geistig so tief unter mir stand, schmerzte es mich nicht. »Unsere Anschauungen gehen nach Süden und Norden auseinander,« sagte ich achselzuckend. »Da ist schlecht disputieren, wo das gemeinsame Centrum fehlt. Willst du nicht wirklich lieber ein Glas Grog trinken?«

Dieser höhnische Ton und die unverkennbare Mißachtung seiner Überzeugung hätten ihn eigentlich nicht empören sollen; so lange wir uns kannten, war ich ihm in gleicher Weise entgegengetreten. Heute aber ließ er sich nicht mißhandeln. Er drehte hastig an seinem borstigen Schnurrbart. »Das ist keine Manier,« stieß er dann hervor. »Du willst mich beleidigen. Aber es fehlt dir jeder Anlaß dazu. Also sprich mit mir, wie es sich gehört.«

Ich sah mein Unrecht sofort ein, und ich bereute es, ihn gekränkt zu haben, aber nichts in der Welt hätte mich dazu bewegen können, dem braven Jungen jetzt ein gutes Wort zu geben. Die Art, in der er mich zurückwies, schien mir viel beleidigender und unangebrachter als meine nicht bös gemeinte Äußerung. »Nicht ich, sondern du scheinst dich gründlich geändert zu haben,« entgegnete ich spöttisch. »Übrigens bin ich zu Erziehungsexperimenten denn doch zu alt. Du thätest mir einen Gefallen, wenn du sie dir erspartest.«

»Wieso hätte ich mich geändert?« Seine Stimme klang noch ruhig, aber die drohende Gereiztheit grollte in ihr.

Ich ließ mich nicht warnen, in meinem frechen Hochmut und meiner Selbstüberhebung. »Du hast schon ganz anderes von mir gehört – wozu also der Lärm? Heut' willst du deine schlechte Laune an mir auslassen. Aber was gehen mich deine Liebeleien an? Gar nichts. Das ist ein Geheul und ein wehleidiges Gejammer ... erst Gertrud, dann du selbst. Herrgott, sag's doch der Hilde, wenn dir das Herz bricht; ich hab's doch nicht verschuldet.« Ich redete mich in einen boshaften Ärger hinein, der mich blind und fühllos machte.

Walter war aufgestanden, sehr bleich, sehr ernst, und hatte seinen Hut ergriffen. »Willst du mir sonst noch etwas sagen?«

»Ich wüßte wahrhaftig nicht – du bist ja zu mir gekommen.«

Er beantwortete meine Ungezogenheit nicht. »Dann gute Nacht.«

Die Thür fiel hinter ihm ins Schloß. Ich hörte ihn langsam die Treppe hinabsteigen. »Geht alle! Alle!« murmelte ich vor mich hin. Ich war sehr stolz auf mein Thun, so lange sein Schritt mir in den Ohren klang. Hart und starr mußte ich meinen Weg wandern, einsam, nur auf mich gestellt. Niemand hatte das Recht, mich zu kränken, zu allerletzt meine Freunde ... Und nun war er fort für immer? Vielleicht. Wahrscheinlich sogar. Meiner Mutter Wort fiel mir ein, ihr Kuß, und ein heftiges Angstgefühl überkam mich. Ich stürzte auf den Flur hinaus – »Walter, Walter!« schrie ich und horchte. Er kam nicht wieder. So wich der letzte, gute Engel von mir, so stand ich nun wirklich allein, hatte nun auch ihn verloren, dem ich doch so viel abbitten, so viel danken mußte. Und so verloren! Welch' ein Teufel war ich, welch' eine niedrige Kreatur!

Gut denn. Mochten sie immerhin alle von mir abfallen, ich bedurfte ihrer nicht. Er wußte, daß ich hochgradig nervös, überreizt, krank war, hatte selbst umständlich von meiner auffallenden Veränderung geschwatzt. Wenn er so wenig Feingefühl besaß, keine Rücksicht auf meinen Zustand zu nehmen ... Ist denn ein Schwerkranker wirklich der geeignete Tröster für ein Kind, das an Zahnschmerzen leidet? Ich hatte ihn nicht gehen heißen, ihn nicht verletzen wollen. Übrigens würde Gertrud schon wieder alles in Ordnung bringen. Und wenn nicht – bah!

Dies ganze, erbärmlich kleine Treiben um mich herum, dies Markten mit Worten, diese Spitzfindigkeiten – wie mich das alles anekelte! Nicht doch – wie es mich langweilte! Ich hatte wahr gesprochen vorhin, als ich doch übertreiben wollte. Stumpf und teilnahmlos, gleichgültig stand ich den Dingen und Menschen gegenüber. Sie galten mir nichts, ich ihnen noch weniger. Und das war die richtige, die gesunde Stimmung meiner Seele.

Käme meine That jetzt ans Tageslicht, klagte man mich des Verbrechens an und gelänge es mir nicht, die Richter zu überzeugen – wer würde meine Partei ergreifen? Wer würde den Stein, den sie allesamt wurfbereit in der Hand trugen, nicht jauchzend auf mich schleudern? Und diese guten Freunde – ich sah sie ganz deutlich, wie sie abseits im Winkel standen und tuschelten: »Dessen hätte ich ihn nie für fähig gehalten! Wie man sich doch in einem Menschen täuschen kann! Aber freilich – sein Betragen verriet schon lange das böse Gewissen. Er war so verändert in der letzten Zeit!«

Ich packte die Arbeit, die vor mir lag, wütend zusammen, warf sie in das Schubfach und schleuderte es mit lautem Krache zu. Weshalb denn all diese Mühen und Sorgen? Woher wußte ich denn, daß irgend jemandem an meiner Hilfe, meiner Kraft gelegen war? Man hatte mich ganz auffallend kühl behandelt, als ich vorgestern mit Wethorn zusammen in einem Kreise hervorragender Mitglieder der Bewegung saß; sie liebten den Akademiker nicht, hörten mir mit unverhohlenem Mißtrauen zu und nahmen einige Einwürfe, die ich machte und die meines Erachtens den Nagel auf den Kopf trafen, entschieden übel. Anmaßende Bursche das, mit so unreifen und grotesken Ideen, daß es mir schwer gefallen war, ernst zu bleiben. Ich war bisher davor zurückgescheut, mir das Ergebnis dieser Besprechung ganz klar zu machen; ich hatte mir selber bunten Phrasendunst vorgegaukelt, alle Einwände meiner Vernunft überhört. Doch jetzt klang mir wieder das Wort des klugen, derben Weißkopfes im Ohre, der mich nach Aufhebung der Kneiptafel ein Stück Wegs begleitet hatte. »Klopfen Sie in der Mittagshitze zeitlebens Steine auf der Chaussee, lieber Doktor, aber versuchen Sie nicht, das Kroppzeug zu belehren – Sie haben nicht die Fäuste dazu und auch nicht die Lunge.«

Ach – mußte denn auch dieser helle Stern erlöschen? Wer riß mir die tröstenden Lichter alle einzeln, nacheinander vom Firmament herunter und warf sie hohnlachend in den Kot der Gasse, daß sie dort zerschellten und zerstoben, selbst Gassenkot wurden? All diese Menschen, die ich im Dienste der Idee stehen sah, wie gemein und materiell dachten sie, wie waren sie so vollständig bankerott! Nirgendwo ein Funke der reinen Liebe und Barmherzigkeit, die dich durchglühte, du Gottessohn von Nazareth, du teurer Einsam; hinter jedem schönen, klangvollen Wort grinste die blanke Selbstsucht aufdringlich, täppisch hervor. Wollte ich den Weg gehen ... nun ja, ich wollte ihn gehen, sobald ich mich stark genug dazu fühlte, allen Unbilden, allen Enttäuschungen und Bübereien zu trotzen – wollte ich den Weg gehen, er würde zum Dornenwege. Nichts konnte mich von dem Entschlusse abbringen, zu dem ich mich in schweren Kämpfen durchgerungen hatte, nie verlor ich mein Ziel aus den Augen – aber jetzt war ich noch nicht stark genug, das Kreuz auf mich zu nehmen, jetzt noch nicht!

Mit tausend Sorgen im Herzen durfte ich nicht wagen, einen Beruf zu ergreifen, der wie kein anderer freie Sinne, ungeschwächte Thatkraft erheischte. Ich wäre dem ersten, widrigen Zufall erlegen und dann der heiligen Sache für immer verloren gewesen.

Nichts hetzte mich in die Schlacht hinein. Wann ich eingreifen wollte und mußte, das zu bestimmen stand allein bei mir. Zu den tausend schwerwiegenden Gründen aber, die mich bewogen, noch fern zu bleiben, trat ein neuer, wenn auch weniger wichtiger: Hildens Wunsch. Er hätte mich nicht zu bewegen vermocht, die einmal getroffene Entscheidung wieder umzustoßen, aber nun trug er neben den andern sein Teil dazu bei, mich vorsichtig und zurückhaltend zu machen.

Ihretwegen mußte ich Rücksicht nehmen auf die altfränkischen und beschränkten Ansichten ihres Vaters. Mir that es nichts, wenn ...

Aber wozu all dies Sinnen nach Entschuldigungen, wozu all diese ungeschickten Lügen vor mir selbst? Ich liebte Hilde, und weil ich sie liebte, vergaß ich, was geringer war als sie. Sie lenkte mich ab und entfernte mich meilenweit von diesen Grübeleien und abstrakten, verschwommenen Plänen und Hoffnungen. Und ich lechzte nach dieser Ablenkung. Ich glitt aus schweren, düsteren Träumen in paradiesische hinüber. Ein farbiger Zauberschleier verhüllte mir die Abgründe, an denen mein Fuß dahintappte, und schuf schimmernde Gärten aus der Steinwüste. Das alles that sie für mich.

Worte können nicht beschreiben, wie ich sie liebte. Das Wort ist so plump und leer. Wär' ich ein Dichter – nein, auch dann vermöcht' ich es nicht. Kein Wort sagt, wie tief ich mich vor der Himmlischen beugte, wie wunschlos ich in ihrer Nähe war, mit welch' stiller, süßer Seligkeit mich ihre Nähe erfüllte. Kein Wort sagt, wie köstlich die adligen Stunden waren, die ich mit ihr verplauderte, da ich tiefe Blicke that in ihr phantastisches Geistesleben, ihr tropisch reiches Fühlen und Sinnen, da wir uns erkannten und ansprachen als Genossen, als Geschwister. Was Edles und Großes in mir lebte, trat ans Licht in diesen Stunden, sonnenhell, mich selbst entflammend und hinreißend. An ihr richtete ich mich auf, und in unbegrenzter Dankbarkeit, in abgöttischer Verehrung glaubte ich nicht einmal daran denken zu dürfen, wie viel ich ihr schuldete. Und wenn ich dann, trunken vor Glück und verhaltener Leidenschaft, von ihr ging, ein Anderer, Größerer als ich gekommen war, dann litt es mich nicht daheim, dann streifte ich stundenlang durch die glitzernde Winternacht, traumverloren, überflutet von gewaltigen Ideen, und die Welt sank hinter mir in trübem Nebeldunst zusammen.

Ich kannte niemanden mehr, ich brauchte niemanden. Einmal sah ich in der Dämmerung Gertrud Romberg mir entgegenkommen. Ich schlüpfte in das nächste Haus und wartete, bis sie vorüber war. Ein Gespräch mit ihr hätte meine Frühlingsstimmung gewiß nicht zerstört. Aber ein befremdliches Gefühl, als wäre sie der Einzigen feindlich gesinnt und bemühte sich, unser Glück zu vernichten, trieb mich, ihr auszuweichen.

* * *


 << zurück weiter >>