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Der Fuchs.

Kaum hatte Heinz den Fuß aus dem Wagen gesetzt, als er sich von einer Schaar Männer umgeben sah, die, obgleich ihre Käppis verschiedene Farben zeigten, doch keineswegs Studenten zu sein schienen, denn sie fielen über Heinzens Gepäck her und riefen, während sie sich um die einzelnen Koffer stritten, wirr durcheinander.

»Lassen Sie los, der Herr ist an die Sachsen empfohlen,« schrie der Eine, »nein, der Herr gehört zu uns, zu den Franken,« der Andere, »Sie wollen doch zu den Westfalen?« der Dritte. Alle aber überschrie der Vierte, ein schlanker Bursche. »Lassen Sie sich von den Andern, nichts sagen,« rief er, »verlassen Sie sich auf mich, ich bin König. Verlassen Sie sich ganz auf König. Weg da, Ihr Leute, dieser Herr gehört mir, dieser Herr gehört König! Wo wollen Sie wohnen? Ich habe Wohnungen jeder Art. Wollen Sie in der Schmergelei wohnen oder in der Klugerei, oder im Walfisch oder in der Holztaube, oder auf dem Höchst? Oder ziehen Sie eine Wohnung auf dem Alten-, oder dem Linden-, oder dem Königsmarkte vor? König weiß Alles, König kennt Alles, König besorgt Alles. Wie sagt der Dichter:

»Ein Paar Hosen in der Secunde,
Rock und Weste auch dabei,
Vierzig Paar Stiefel in der Stunde
Putzt König frisch, fromm, froh und frei.«

Damit hatte er denn auch wirklich Heinzens Effecten zusammengerafft und war eben im Begriffe, sich mit ihnen davonzumachen, als Heinz, durch das Geschrei und das eigenmächtige Verfahren des Mannes gereizt, ihn am Kragen ergriff und tüchtig schüttelte.

»Legen Sie meine Sachen weg,« rief er, »oder ich schlage Ihnen Ihren königlichen Schädel entzwei, ehe Sie Zeit haben, ein Vaterunser zu beten.«

Der also Bedeutete ließ den Koffer von seiner Schulter herab, legte die Reisesäcke weg und fragte ganz demüthig: »Verzeihen Sie, mein Herr; aber ich habe Sie für einen Fuchs gehalten.«

»Wer sind Sie denn eigentlich, Mensch?« fragte Heinz lachend.

»Ich, ego? Ich heiße König, rex.«

»Das weiß ich zur Genüge, aber wer sind Sie oder was sind Sie?«

»Ich, ego? Wie sagt der Dichter:

Stiefelputzer und Rasirer,
Kleiderausklopfer und Lackirer,
Spritzenlenker und Kommissionär,
Alter ego und Sekretär.

Omnia possumus omnes

»Nun, was wollen Sie von mir?«

»Ich, ego? Wie sagt der Dichter:

Ich will dem Herrn eine Wohnung besorgen,
Seine Kleider nehmen in Verwahrung,
Für ihn putzen, holen und borgen.
In all' diesem hab' ich Erfahrung.

Vide, sed cui vide

»Und zu allem diesen soll ich Sie engagiren?«

»Mich, me! Longum est iter per praecepta, breve et efficax per exempla

»Nun, meinetwegen, gehen Sie voran.«

Sie gingen nun Beide durch die engen, winkeligen Straßen der Stadt, deren alterthümliche Häuser der Mond phantastisch beleuchtete. Plötzlich blieb König stehen und fragte:

»Ist der Herr ein Damenfreund? Feminae amicus

»Wie kommen Sie darauf?«

»Und der Landlust? Aeris ruralis

»Was soll das?«

»Was das soll? Ich habe einen Gedanken. Ich König, ego rex! Wie wäre es, wenn ich den Herrn auf den ›Höchst‹ brächte? Denn, wie sagt der Dichter:

Auf dem Höchst, da lebt sich's gut,
Fand schon manches junge Blut;
Aber wenn es fortgegangen,
Hat die Reue angefangen.

E vitio alterius disce cavere tibi. Ja, ich führe den Herrn auf den ›Höchst‹!«

Damit änderte er den Weg und Heinz, der sich nunmehr über die Reden seines seltsamen Gefährten höchlichst ergötzte, folgte ihm ohne Weiteres und blieb erst stehen, als es ihm schien, daß sie im Begriffe waren, die kleine Stadt wieder zu verlassen.

»Wohin führen Sie mich?« fragte er mit einigem Mißtrauen.

König errieth seine Gedanken. »Fürchten Sie nichts,« sagte er lachend, »wir sind gleich an Ort und Stelle. Der ›Höchst‹ liegt vor der Stadt; aber Sie werden morgen sehen, daß die Aussicht, die Sie von dort oben aus haben, Sie für die kleine Wegstrecke reichlich entschädigen wird.«

Sie stiegen nun ein wenig bergan und standen bald im dunkeln Schatten eines Hauses, hinter dem ein Park oder ein Wald aufzusteigen schien. König legte seine Last ab, athmete tief auf, wischte sich mit dem Taschentuche den Schweiß von der Stirn und klopfte dann an die Thür. Auf das Geräusch hin stürzte ein halbes Dutzend kleiner und großer Hunde laut bellend auf die Beiden zu; sie schienen aber König zu kennen, wenigstens beruhigten sie sich bald und begnügten sich damit, Heinz mißtrauisch anzuknurren. Endlich wurde die Thür geöffnet und ein alter Mann erschien, das Licht vorsorglich mit der Hand gegen den Zugwind schützend, in derselben.

» Salvete, Herr Kluge; ich bringe Euch hier einen Herrn Studenten. Ihr habt doch noch ein Häuschen frei?«

»Ja, der Herr kann noch eins haben; bitte, treten Sie ein.«

Er führte nun Heinz in ein Zimmer, das seiner ganzen Ausstattung nach offenbar ein Kneipzimmer war, rief eine Magd herbei, zündete eine Laterne an und forderte Heinz auf, ihm zu folgen.

Sie gingen wieder in's Freie, betraten den Park, in dem hin und wieder Lichter schimmerten, und stiegen dann ein Dutzend Steinstufen hinauf. Dann kamen sie an einem Häuschen vorüber, in dem trotz der späten Stunde heisere Kehlen: »Nach Hause geh'n wir nicht« sangen, stiegen wieder Stufen hinauf, passirten wieder ein Häuschen und standen endlich auf dem dritten Absatze vor einem solchen still. Der Alte öffnete und forderte Heinz auf, einzutreten. Das Innere bestand, außer aus einem kleinen Vorhause, aus zwei großen, einfach aber reinlich möblirten Stuben, die nun Heinz für den Preis von dreißig Gulden per Semester übergeben wurden, und nachdem die Magd das Bett zurecht gemacht hatte, empfahlen sich alle Drei, König nicht ohne den Dichter zu citiren:

»Morgen, eh' der Herr erwacht,
Sind die Kleider rein gemacht,
Post nubila Phoebus

Heinz aber, der von der Reise überaus ermüdet war, suchte sein Lager auf und war nach wenigen Minuten unter den Klängen des:

Das Diendel laß ich nit,
Lieber mein Leb'n, mein Leb'n,

das von der untersten Terrasse heraufklang, fest eingeschlafen.

Als er am andern Morgen erwachte und durch das geöffnete Fenster hinausblickte, bot sich ihm ein entzückender Anblick dar. Von seinem Fenster aus übersah er das ganze reizende Thal, in welchem sich Dorf an Dorf reihte, bis in weiter Ferne die Thürme der alten Reichsstadt das Bild abschlossen, und wenn sein Bild aus der Ferne zurückkehrte, so überblickte er unmittelbar unter sich den weiten, schattigen Park, aus dem die weißen Häuschen der Studenten, über und über von Hopfen umrankt, traulich hervorlugten.

Ein freundliches »Grüß' Euch Gott,« das aus dem benachbarten Hopfengarten herausklang, machte Heinz sich umwenden und er sah nun, daß es sein Hauswirth gewesen, der ihn angeredet. Herr Kluge kam näher, reichte Heinz vertraulich die Hand und fragte ihn in jenem, so überaus herzig klingenden, süddeutschen Dialekte, wie er geschlafen habe und ob ihm die Aussicht gefalle. Dann begann er seinen neuen Miethsmann ein wenig nach dem »Woher?« auszufragen und als ihm Heinz seine Heimath nannte, rief er:

»Ei, da sind Sie ja ein Landsmann von dem verrückten Thierle, dem Schweinsberg!«

»Es giebt bei uns allerdings Schweinsbergs,« antwortete Heinz; »aber wenn der Herr, von dem Sie reden, Student ist, so kenne ich ihn nicht persönlich.«

»Nicht?« rief der Alte und rieb sich lachend die Hände. »Nun, Sie werden schon seine Bekanntschaft machen. Gewiß, das werden Sie. Nehmen Sie sich nur davor in Acht, daß er Ihnen nicht eins auswischt.«

»Ist der Herr so gefährlich?«

»Nu, ob er gefährlich ist! Wo werden denn der Herr einspringen?«

»Was heißt das?«

»Ah so!« rief Herr Kluge überaus enttäuscht, »der Herr sind halt noch ein Fuchs?«

Heinz biß sich verdrießlich auf die Lippe. Es war ihm sehr fatal, daß er noch ein Fuchs war. Heinz Eichenstamm sein und noch ein Fuchs sein, das paßte eigentlich durchaus nicht zusammen.

»Sie wollten mir sagen, was einspringen heißt,« sagte er ärgerlich.

»Nun, einspringen heißt – einspringen, in ein Corps oder eine Burschenschaft einspringen.«

»Ich weiß überhaupt noch nicht, ob ich mich an dem eigentlichen Studentenleben betheiligen werde,« sagte Heinz.

Der Alte sah ihn verwundert an.

»Oh, da haben's keine Sorge,« rief er dann, »da werden's schon gekeilt werden, und daß so ein schmucker Herr wie Sie kaminern wird, glaub' ich mein Lebtag nicht. Aber nehmen Sie einen Rath an – zu den Westfalen gehen Sie nicht, das ist ein wüstes Volk. Die haben für keinen Kreuzer Vernunft im Leibe und mehr Schulden als ein Pudel Haare.«

»Nun, und in welchem Corps ist denn der Herr von Schweinsberg?« fragte Heinz.

»Der? Der ist eben bei den Westfalen, und wenn die früher schlimm waren, so reitet sie jetzt der Teufel, seit der Schweinsberg, der wüste Mensch, darin ist.«

»Sie scheinen auf meinen Landsmann schlecht zu sprechen zu sein.«

»Gewiß, spinnböse bin ich auf ihn. Hat er nicht meinen Madli in der vorigen Woche eine Katzenmusik gebracht und am letzten Sonntage, als bei mir Musik war, Kuni, dem Knecht, ein Loch in den Kopf geschlagen und einen so gräulichen Lärm verübt, daß mir alle Gäste zum Hause hinausgelaufen sind. Aber er soll mir nur wieder heraufkommen, der Erzschelm!«

Heinz, den die ungenirte Art, in der sich der Mann über seinen Landsmann ausließ, verdroß, runzelte die Stirn.

»Hören Sie, Herr Kluge,« sagte er, »wenn Sie mit mir gut Freund bleiben wollen, so müssen Sie in meiner Gegenwart nicht so von meinem Landsmanne reden.«

Der Alte blickte ihn von der Seite an.

»Nun, Sie können einmal ein Richtiger werden,« murmelte er verdrießlich und ging davon.

Heinz, sehr zufrieden, dem Alten gezeigt zu haben, daß man auch als Fuchs Haare auf den Zähnen haben könne, ging nun in's Freie, um den Park zu besichtigen. Dabei kam er auch an einem Häuschen vorüber, vor dem ein paar Studenten saßen, ihren Kaffee tranken und dazu aus langen Pfeifen schmauchten.

»Du,« sagte der Eine, ein zierliches, kleines Kerlchen, als Heinz vorübergegangen war, »der da ist ein Fuchs und zwar ein stattlicher Fuchs, also – wird er gekeilt.«

»Nicht doch,« erwiderte der Andere, »das wollen wir den Corps überlassen.«

»Du bist närrisch. Der Junge ist doch offenbar ein Fremder, da thut man ihm ja den größten Dienst, wenn man ihn auf den richtigen Weg weist. Außerdem haben die Corps in diesem Semester Füchse in Aussicht, daß Einem die Haare zu Berge stehen, wenn man daran denkt. Der S. C. wird 150 Mann stark, das ist keine Frage – also wird der Junge da gekeilt.«

Damit stand der Blonde auf, vertauschte im Zimmer den Schlafrock mit einer Joppe von zweifelhafter Farbe, hing sich sein Farbenband um, setzte sein Cerevis auf und stopfte sich eine neue Pfeife. Dann schlug er einen Weg ein, auf dem er Heinz begegnen mußte. Er schlenderte langsam dahin und blinzelte mit den Aeuglein zur Sonne empor; er machte offenbar ganz zufällig einen Spaziergang, ja er schien sich so sehr in die Betrachtung der Sonne vertieft zu haben, daß er den ihm entgegenkommenden Heinz fast umgerannt hätte.

»Pardon!« rief er; »Sie werden entschuldigen, ich war ganz in Gedanken vertieft.«

»Bitte!«

»Eine wundervolle Aussicht, mein Herr? Nicht wahr?«

»Allerdings, sie ist wundervoll.«

»Wundervoll, ja, das ist der richtige Ausdruck. Sie ist voll von Wundern, ja wohl. Sie haben da einen sehr glücklichen Ausdruck gebraucht. Also bei Ihnen sagt man auch wundervoll?«

»Ja, natürlich,« sagte Heinz erstaunt.

»Nicht wahr, in Mecklenburg sagt man: wundervoll?«

»Natürlich, ganz natürlich,« war die Antwort.

»Vermuthlich, ich denke mir wenigstens, daß dieser Ausdruck allen Deutschen gemeinsam ist.«

»Gewiß, das glaube ich auch. Also in Hannover sagt man auch: ›wundervoll‹?«

»Vermuthlich.«

»Oh, Sie vermuthen gewiß ganz recht, aber wie ist's damit in Preußen?«

»Ich bin kein Preuße, mein Herr.«

»Was zum Teufel bist Du denn eigentlich,« dachte der Blonde ärgerlich, laut aber sagte er seufzend:

»Ja, Sie haben es wohl recht schwer!«

»Ich? Wieso, mein Herr?«

»Nun, nicht gerade Sie persönlich, aber doch Ihr armes, bedrücktes, meerumschlungenes Vaterland.«

»Ich weiß nicht, was Sie meinen, mein Herr,« erwiderte Heinz ungeduldig, denn die Unterhaltung schien ihm einer Hänselei zu gleichen, wie ein Ei dem andern; aber der Kleine ließ sich nicht irre machen.

»Nicht wahr, das war doch Ihr Bruder, der bei Missunde blieb?« fragte er mit tieftraurigem Gesichte.

»Aber wie soll denn ein Bruder von mir nach Holstein kommen?« rief Heinz und nannte seine Heimath.

»Ah freilich, da kann es kaum ein Verwandter von Ihnen gewesen sein; aber der Lieutenant – Pardon, wie war doch gleich Ihr werther Name?«

»Eichenstamm.«

»Ganz richtig, Eichenstamm. Also der Lieutenant Eichenstamm war ein sehr wackerer Mann. Er hatte einen Knebelbart und war ein sehr wackerer Mann. Er muß übrigens doch mit Ihnen verwandt gewesen sein, denn, wenn ich nicht irre, habe ich einmal das Vergnügen gehabt, Ihren Herrn Vater bei mir gesehen zu haben. Nicht wahr, ein großer Mann mit einem Schnurrbart, recht das Bild eines kernfrischen, fröhlichen Gutsbesitzers?«

»Mein Vater war nicht Gutsbesitzer.«

»Ach, natürlich nicht, ich verwechsele; der Gutsbesitzer war der Onkel aus Preußen. Ihr lieber Herr Vater war jener würdige Geistliche, mit dem ich in Kiel einen so angenehmen Abend verlebte.«

»Sie irren, mein Vater war Arzt.«

»War? Sie sagen ›war?‹ Also dieser wackere Mann ist todt?«

»Ja.«

»Ach, da stehen Sie wohl recht allein in der Welt, sind wohl ganz auf sich angewiesen? Ja, mit einem Wechsel von 300 Gulden in Fischersbach leben müssen – das ist nicht leicht. Da werden Sie sich sehr einschränken müssen.«

»Aber wer sagt Ihnen denn, daß ich mit 300 Gulden auskommen muß?« fragte Heinz verwundert.

»Ah, Pardon! Dann habe ich Sie vorhin mißverstanden. Also Sie sagten, Sie hätten einen Wechsel von 900 Gulden.«

»Nun, wenn auch nicht gerade 900 Gulden, so werden es immerhin 7-800 sein.«

Sie waren unterdessen immer weiter gegangen und der Zufall, oder vielmehr der Blonde hatte es so gefügt, daß sie auf einem weiten Umwege wieder zu dem Häuschen des Letzteren zurückgekehrt waren, vor dem der zweite Student noch immer seinen Betrachtungen nachhing. Heinz war überaus unbehaglich zu Muthe, denn er wußte durchaus nicht, wie er sich der überlegenen Art seines Gefährten erwehren sollte. Er beschränkte sich daher darauf, äußerst schweigsam und zurückhaltend zu sein.

»Erlauben Sie, daß ich die Herren mit einander bekannt mache – studiosus juris von Eichenstamm und mein Freund studiosus theologiae Anton Trauerbach.«

»Ich bin weder Edelmann, noch Jurist,« begann Heinz.

»Pardon, ich bin so zerstreut; also studiosus medicinae Eichenstamm.«

»Ich bin auch nicht Mediciner.«

»Ah so, bitte setzen Sie sich. Anton, lieber Junge, lauf' hinunter und bestelle noch ein paar Tassen Kaffee. – Sie haben sich also noch nicht zu der Wahl eines Berufes entschlossen. Sehr verständig. Ich kann Ihren Entschluß nur loben. Bei der ungeheuren Wichtigkeit, die die Wahl eines Berufes sowohl in centrifugaler als auch in centripetaler, in intellectueller wie in physischer Beziehung hat, finde ich es ganz in der Ordnung, daß Sie sich erst einen universalen Adspect verschaffen wollen, ehe Sie sich in concreto decerniren. Ich glaube allerdings auch, daß, wer davor sicher sein will, vom Leben präcludirt zu werden, wer alle vitalen Bedingungen erfüllen will, wer in wahrhaft parthenogenetischer Weise das eigene Ich, dasselbe als Bewußtsein vom Selbst genommen, eruiren will, daß der, sage ich, am besten thut, sich zunächst mit der Philosophie, als der Lehre von der absoluten Evacuation des intellectuellen Vermögens, zu beschäftigen. – Nicht wahr, mein Herr, Sie sind doch auch Hegelianer?«

Heinz saß wie auf Kohlen. Er hätte eine Hand darum gegeben, zu wissen, ob das Neckerei war oder Philosophie. Dem Gesichte des Blonden nach mußte es Philosophie sein, denn er saß da, wie die leibhaftige Unschuld und sprach eben so ernst als rasch.

»Nicht wahr, Sie sind Hegelianer?« wiederholte er die Frage.

»Ja,« sagte Heinz endlich zögernd.

»Nun, ja wohl, ich dachte mir's schon – bitte, da ist Zucker – daß Sie Hegelianer seien. Sie sehen, ich bin Burschenschafter, Armine (beiläufig bemerkt sind wir 50 Mann stark), und eben in Hegel finde ich den Philosophen, der das, was mir persönlich lieb und werth ist, auch meinem Verstande begreiflich macht, das Transcendentale zu intellectueller Evidenz erhebt.«

Der Theolog, der während dieser Rede seines Freundes sich fortwährend unter dem Tische aufgehalten hatte, wo er etwas zu suchen schien, mischte sich nun auch in's Gespräch. Man kam auf das Studentenleben zu sprechen und die Herren wußten nicht wenig von der Rohheit der Corps zu erzählen, wobei der Blonde, der, wie Heinz beiläufig erfuhr, der studiosus juris Hanning aus Rathshausen war, besonders betonte, daß unter den Corps das Fuchswesen noch in höchster Blüthe stehe.

Es kamen nun noch andere Studenten herbei, der Kaffee machte dem geliebten Biere Platz und Heinz verlebte einen sehr angenehmen Vormittag. Dann speiste man in großer Gesellschaft zu Mittag und zog darauf in einem großen Haufen auf ein benachbartes Dorf, woselbst man unter den Linden vor dem Wirthshause die Vormittagsbeschäftigung fortsetzte. Als sich erwies, daß Heinz einen tüchtigen Rausch hatte, begleitete man ihn auf's Liebenswürdigste nach Hause, und als er sein Zimmer betrat, stand der Entschluß, Armine zu werden, um so mehr bei ihm fest, als er den ganzen Tag über nicht wenig gefeiert worden war. Auf seine Frage: »Was man denn eigentlich wolle,« hatte man ihm erwidert, man wünsche, die alten historisch entstandenen Formen des Studentenlebens beibehaltend, ein fröhliches, aber doch auch sittliches und sittigendes Beisammensein, ein Leben in einem Verbande, der, Ehre und Sittenreinheit garantirend, vom Geiste der Vaterlandsliebe erfüllt wäre. – Das gefiel Heinz gar wohl.

Als er allein war, kam König.

»O,« rief dieser, »ich sehe, der Herr hat sich schon etwas umgethan in Fischersbach. Sind Sie Corpsbursch oder Burschenschafter?«

»Ich werde wohl Burschenschafter werden.«

»Sehr verständig, Herr Eichenstamm; denn wie sagt der Dichter:

Vor Franken und Westfalen,
Vor Sachsen und Wandalen,
Lieber Fuchs, hüte Dich fein,
Spring' bei den Burschenschaftern ein.

Improbi corrumpunt rectas consortia mores.«

»Nun und dann haben Sie wohl schon heute einen Trunk mit den Arminen gethan?«

»Wie so? Merkt man mir etwas an?«

König lächelte und citirte statt aller Antwort den Dichter:

»Lieber Fuchs, ich rath' Dir das,
Trinke Bier ohn' Unterlaß;
Aber, Fuchs, vor dem Liqueur
Hüte Dich, er stößt gar sehr.

Bonae valetudinis mater est frugalitas.

Pardon übrigens,« fuhr er fort, »daß ich Sie mit ›Fuchs‹ anrede; aber es steht so im Verse.«

»Ich bin noch Fuchs,« sagte Heinz.

»Ist's möglich! Ich glaubte, Sie wären Student seit Jahr und Tag. Sie sehen so aus, als hätten Sie schon gelebt, wie der Dichter sagt:

Spazierenreiten, spazierengehen,
Täglich neun Maaß oder zehn,
Wirthe narriren, Nachtwächter hau'n,
Den Weibern in die Braunäuglein schau'n.
Schlagen, stechen, sich verlustiren,
Schöne Mädchen Krassaten führen,
Macht den Studio reichlich schwitzen.
Da kann er Abends am Biertisch sitzen;
Streicht sich den Bart und ruht sich aus,
Geht dann Nachts betrunken nach Haus.

Incundi acti labores.‹«

»Wo haben Sie nur alle die albernen Verse her, König?«

»Ich? Ego? König – rex? Nun ich habe allezeit beherzigt:

Zwei Ohren hast Du und einen Mund,
Das sollst Du betrachten,
Das Maul sollst Du halten,
Auf Alles achten.

Non in schola sed in vita discimus. Hat der Herr noch was nöthig? Nein? Wünsche gut zu ruhn.«

Damit ging er.


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