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Festfreude.

Heinz war etwa zwei Jahre auf der Universität, als ein früheres Mitglied der Arminia, das als wohlhabender Gutsbesitzer in der Gegend von Fischersbach lebte, seine Silberhochzeit beging und die gesammte Arminia zu derselben einlud. Heinz, der nach ehrsüchtiger Jünglinge Art sich aus dem Tanze nichts machte, war als Senior verpflichtet, der Einladung Folge zu leisten, und fuhr also mit den übrigen Burschen, denen die Tanzlust schon in allen Gliedern zitterte, hinaus. Das Fest fiel in die schönste Jahreszeit. Schon hatten sich alle Bäume mit ihrem weithin schattenden Laubdache bedeckt und das Getreide wogte bereits im Winde; aber die Vögel sangen noch und jugendfrisch prangte das Grün der Wiesen. Lustig fuhr es sich dahin im festlich geschmückten Wagen, bei Peitschengeknall, Hundegebell und froher Burschenlieder jubelndem Klange, in den das Posthorn schmetternd einfiel. »Arminia hoch!« tönt es in den Eichenwald hinein, »hoch! hoch! hoch!« tönt das Echo zurück, als spielten die Berge Fangball mit dem frohen Worte, würfen es einander zu und schnellten es dann zurück. »Deutschlands Berge hoch!« rufen die dankbaren Burschen; »hoch! hoch! hoch!« ruft unverweilt das dankbare Echo.

Aus dem Wagen springt einer der Burschen in halsbrechendem Satze, bricht sich reichlich Eichenzweige und wirft sie den Freunden zu. Um sie entsteht ein lustiges Getümmel, bis Jeder ein Zweiglein hat, das nun über des ersehnten Reiches Farben hoffnungverheißend herabnickt. »Deutschlands Eichen hoch!« Und zu dem Hoch der Berge mischt sich der Rheinweingläser fröhliches Klingen und das Rauschen der Eichen, der Postillon bläst einen Tusch und in raschem Galopp greift das Viergespann aus. Die ganze Welt ist jung geworden und braust nun, die rothe Mütze schwenkend, dahin durch die sonnenfunkelnde Luft und jubelt und singt, als stünde ihr unerhörtes Glück bevor und endloser Jubel. Aber da ist der Wagen schon aus dem Eichenkamp, rasselt durch das Dorf, daß die Frauen an's offene Fenster stürzen und die Handküsse auffangen, die die »Herren Studenten« ihnen zuwerfen, und hält vor dem stattlichen Herrenhause. Längst hat man die fröhliche Gesellschaft kommen hören; auf der Freitreppe erwartet sie der Hausherr, ein stattlicher Mann, das blonde Haupthaar nur wenig grau gefärbt, neben ihm die schlanke Hausfrau, die zierlichen Töchter, dahinter Damen und Herren – eine glänzende Gesellschaft. Man springt aus dem Wagen, drückt nach allen Seiten herzlich die dargereichten Hände, und die strahlenden jungen Studentengesichter färben auch der Andern Wangen freudig roth. Nun setzt man sich zu Tische, die Champagnerpfropfen fliegen und lösen den Menschen die Zungen, daß sie sich des Tages, der sie hier zusammengeführt hat, und des Festes, das ihn verherrlicht, bewußt werden und dem Ausdruck verleihen in Reden und Toasten, bald in ernsten Worten Fügung und Schicksal sinnig erwägend, bald mit lachendem Munde zum Ernste den Scherz gesellend. Leicht perlte der Wein, leichter der Jugendmuth. Dann ging es wieder hinaus in's Freie.

Allmälig nahte der Abend. Die Sonne sank hinter den Bergen hinab, bald glänzten nur noch die Fenster der fernen Leuchtenburg in goldenem Feuer, dann hüllten auch sie sich in den Schleier der langsam herabsinkenden Nacht. Doch was thut's; zu fröhlichem Feste bedarf der Mensch der Sonne nicht. Bunte Lampen, an langen Schnüren gereiht, erhellen den Park, Windlichter den geglätteten Tanzplatz, um den sich längst schon die Dorfbewohner drängen und verwundert die leichten Gewänder der Mädchen betrachten oder sich an den schlanken Gestalten der Burschen erfreuen. Doch Platz da! Platz da! Den großen Gang herauf nähern sich Fackeln, es kommt ein stattlicher Zug. »Hebt die Kinder auf, jetzt gilt es Augen machen!« Ist die alte Zeit wieder erwacht, die alte farbenreiche, waffenfrohe Zeit? Stattliche Ritter treten sporenklirrend einher, an ihrem Arme schlanke Fräulein in weiten, bauschigen Gewändern, aus denen schneeige Leinwand hervorquillt, während die langen Schleppen über den Kies rauschen. Die weiße Reiherfeder nickt vom rothen Barette, golden schimmernde Bänder halten die wallenden Locken, in reichen Goldketten spielt das rothe Licht der Fackeln. Tief beugen sich die Paare vor dem Paare, dem das Fest gilt, dann ordnen sie sich zu festlichem Reigen. Aus der Waldesnacht rauschen Fanfarenklänge darein, in feierlicher Bewegung, ehrbar, züchtig beginnt der Tanz. Das ist ein Neigen und Beugen, ein Klirren und Rauschen, ein Hin- und Zurücktreten, ein Schürzen und Lösen! Noch einmal ein stattlicher Zug, dann schweigt die Musik, die Reihen lösen sich und aus dem herrischen Ritter, der stolzen Maid wird wieder ein fröhlicher Knabe, ein lachendes Mädchen.

Aber horch! Dort zum Eingange hin erglänzen die Bäume schon wieder in rothem Lichte. Das muß eine lustige Gesellschaft sein, lockere, schwelgende Gesellen. Heil unserem Könige! Hoch! Hurrah hoch! ertönt es und abgerissene Verse von tollen Melodien und evoe Bacche! Nun sind sie da: fürwahr ein lustiger Zug! Von Ochsen gezogen schwankt der Wagen heran. In ihm hochragend ein mächtiges Bierfaß und auf ihm rittlings ein schneeweißer Mann. In der That, ein seltsamer Greis! Statt des Schwertes hängt ihm ein Fuchsschwanz an der Hüfte, ein riesiger Pokal ist sein Reichsapfel, eine Pfeife ersetzt das Scepter. Lang wallt ihm der Bart herab, ein wunderlich Kleid, an dem Schellen und Glöckchen erklingen, umhüllt ihm die Glieder. Um ihn klingt es und rennt es, jubelt und jauchzt es, schreitet auf den Armen einher; zum Roß wird der Eine, zum Reiter der Andere. König Gambrinus LXXVII. von Bierheim mit seinem Gefolge ist es, so verkündet es der Herold, der wieder einmal einen Umzug hält durch die durstigen Lande. Das ist ein freigebiger Herr; Gott segne ihn und schenke ihm ein langes Leben. Nach allen Seiten hin theilt er das braune Naß aus! Diesem wird es in den Mund, jenem über das Haupthaar geschüttet. Vor dem Jubelpaare halten die Stiere, verstummt das Geschrei, der König redet! Er redet mit heiserer Stimme zürnende Worte, steht doch ein gar ungetreuer Vasall vor ihm, der ihm schon lange Heerfolge verweigert, Kampf und Turnier schnöde den Rücken gewendet hat. Hei, wie wettert der alte Herr, wie blitzen die Augen unter den weißen Brauen zornig hervor! Aber noch hat er nicht alle Gnade fahren lassen. Noch einmal, heute noch, will er dem Schuldbewußten Gelegenheit geben, einzuholen, was er versäumte; weiß er doch, daß sein Vasall sonst ein wackerer Ritter gewesen!

Also heute bis Mitternacht wäre noch Frist! Trete dann nicht Besserung ein, so folge die Klage, die schmähliche Klage auf Felonie.

So spricht er und seinem Worte jauchzen die Knappen zu, stellen dann das Faß auf den bereitstehenden Tisch und mischen sich lachend unter die Andern.

Wieder naht ein anderer Zug, auf ihn folgt ein dritter und vierter. Aus dem Gange treten, wie aus dem Thore der Sage, seltsame Gestalten hervor. Zwerge bringen silberne Geräthe herbei, zierliche Elfen führen ihre leichten Tänze auf, Zigeunerinnen treiben die lose, die böse Kunst, endloses Leben und Glück verkündend; Tyroler Mädchen bringen zierlich Geschnitztes; die Jahreszeiten schütten ihr Füllhorn aus über das Paar und begegnen sich mit dem wandernden Krämer. Zuletzt erklingt noch einmal Sporengeklirr und mit lautem Eljen! eilen Ungarn zum Tanz und schwingen die Mädchen in wilder Mazurka. Wie wehen die Atillas, wie fliegen die Füße über den Boden hin, wie blitzen die Augen. Und doch nicht bei allen. Unter den Mädchen ist eine, die mitten im wildesten Tanze so ruhig aussieht und so bleich, als säße sie fern von jeder Gesellschaft zu Hause, und doch ist keine so leichtfüßig wie sie, tanzt keine so sicher wie sie. Mit Verwunderung betrachtet sie Heinz. Kein einziges Mal während des ganzen Tanzes sieht sie auf und doch fühlt er, welche Gluth dort unter den gesenkten Augenlidern liegen muß; er fühlt, daß dieses so kalt und gleichmüthig blickende Mädchen mit ganzer Seele, mit jeder Faser beim Tanz ist. Er sieht, daß sie nicht mehr ganz jung, daß sie über die erste Blüthe hinaus ist. Er sieht ferner, daß sie tief brünett, daß ihre Taille schlank ist, ihre Füße und Hände sehr klein sind. Er sieht es aber nicht, wie die Andern es auch sehen, er sieht es nicht nur, er fühlt es in allen Fibern. Ihm ist, als müßte er vortreten, ihren Tänzer weit wegschleudern und dann sich mit ihr schwingen in tollem Tanz, in einem Tempo, das so athemlos rasch wie das Blut eines zwanzigjährigen, von Leidenschaft ergriffenen Jünglings pulsirt. Ist es der Einfluß seines lodernden Blickes, der unverwandt auf ihr haftet, ist es Zufall – als sie dicht vor ihm ist, schlägt sie ihr Auge auf und ein heißer, glühender Blick trifft ihn auf einen Augenblick. Nur auf einen Augenblick, denn schon senken sich die Augenlider wieder und der Tanz führt sie weit fort von ihm; aber der Blitz hat getroffen und die Flamme lodert hell auf. Jetzt galt es, noch solch einen Blick zu erhaschen. Aber Heinz hoffte vergebens. Vergebens wechselte er den Platz, der Tanz endete, ohne daß die Dame noch einmal aufgeblickt hätte. Man drängte sich nun um die Tänzerinnen und Tänzer, pries ihre Geschicklichkeit und beglückwünschte sie. So konnte Heinz sich der Dame unbemerkt bis auf wenige Schritte nahen. Sie stand dicht neben einer Fackel und er konnte sie genau betrachten, während ein paar ihm fremde Herren ihr Complimente machten. Sie hörte ihnen flüchtig lächelnd zu und schien dabei trotz der Anstrengung des Tanzes so ruhig zu athmen, als hätte sie eine unbetheiligte Zuschauerin desselben abgegeben. Dann kamen die Freundinnen und holten sie ab, ohne daß sie Heinz bemerkt hätte; er aber stand noch immer wie eingewurzelt auf seinem Platze und schaute ihr nach, wie sie so leicht über den Platz schwebte, wie sie dann durch die Gruppen glitt, wie hier und da noch ihr weißer Atilla erglänzte, bis sie im Gedränge verschwand. Er mochte sich nicht rühren, mußte doch mit der ersten Bewegung der holde Bann von ihm weichen, der ihn gefangen hielt!

Eine Hand schlägt ihm derb auf die Schulter. »Holla, Heinz,« ruft Hanning, indem er lachend vorübereilt, »so in Gedanken!«

»Höre, auf ein Wort;« aber schon ist er fort. Mag er gehen. Wie plump ist sein Gang gegen die Bewegung der Frau im weißen Atilla.

»Sapristi Heinz, so in Gedanken!« tönt es wieder neben ihm, und ein fröhlicher Gesell, in jeder Hand einen hochgehobenen Stuhl, eilt flüchtig an ihm vorüber.

»Halt, Hellberg! Einen Augenblick! Wer ist –« aber jener hört ihn längst nicht mehr.

Wozu auch fragen: wer ist sie? Vom Himmel kam es, zum Himmel ging es, das Wesen mit dem bleichen, edlen Antlitz, den hinter gesenkten Lidern funkelnden Augen und dem schmerzlich lächelnden Munde! Der Name ist nur ein loses, welkes Blatt, vom Winde uns vor die Füße geworfen; ist das ein Bild von der Baumkrone Pracht? Wenn wir im kühlen, duftigen Schatten hingelagert ruhen, was kümmert's uns, ob man, was über uns so schattet, duftet, rauscht, Linde nennt, oder Ulme, oder Eiche!

»Guten Abend, Eichenstamm, ich freue mich, Sie endlich gefunden zu haben. Ich habe Sie lange gesucht, aber ich übernehme es lieber, Jemand auf dem Ring zu Wien ausfindig zu machen, als hier unter diesen Türken, Rittern und Narren. Aber was stehen Sie hier so einsam und allein, oder fürchten Sie für Ihren Glanz, wenn Sie sich unter die Kohlen mischen?«

»Das nicht, Herr Pfarrer!« antwortete Heinz lachend, indem er die Hand, die ihm der Pfarrer reichte, kräftig schüttelte. »Wie sollte ich auch? Kohlen können den Diamant nicht verderben!«

»Eben darum sollten Sie sich mehr unter uns Sterbliche mischen. Kommen Sie, ich suchte Sie eben, um Sie mit einigen ganz bescheidenen Buchenkohlen bekannt zu machen, die mir mein Pfarrhaus erwärmen und erleuchten. Aber Sie haben doch nichts Anderes vor?«

»Durchaus nicht. Ich werde sehr erfreut sein –«

»Ganz recht! So muß man sagen. Aber ist das ein Gedränge! Uff! Eichenstamm, Sie sind stärker, dampfen Sie voran und nehmen Sie mich in's Schlepptau.«

»Platz da, Ihr guten Leute! – Herr Pastor – guter Ritter, tritt ein wenig bei Seite – wohin ist unser Cours – ein wenig Platz, ein wenig Platz – gerichtet? Steuern Sie – lieber Zwerg, ich werde Dir auf den Kopf treten müssen, falls Du mich nicht durchläßt – und suchen Sie – aus dem Wege, Narr, aus dem Wege – unser Fahrzeug sobald als möglich aus der Brandung zu bringen.«

»Uff, oh! Nicht so rasch, Eichenstamm; nein, das ist zu toll! Rechts, Eichenstamm, dort zur Linde, an der das blaue Lämpchen hängt. So, recht so, jetzt sind wir gleich durch. Sie sind ein tüchtiger Segler. So, nun ist's vorbei.«

Die Beiden standen hochathmend einen Augenblick still.

»Ein lustiges, ausgelassenes Treiben,« sagte der Pfarrer, während er seine weiße Binde zurechtrückte, »und nun kommen Sie. Ich habe versprechen müssen, Sie meinen Töchtern Anna und Marie vorzustellen.«

Sie schritten nun auf einen alleinstehenden Baum zu, unter dem eine Anzahl Mädchen ihr lustiges Wesen trieb. Plötzlich blieb Heinz stehen.

»Was giebt's?« fragte der Pfarrer, aber Heinz hörte ihn nicht. Er hätte es auch nicht gehört, wenn neben ihm ein Schuß gefallen wäre, es nicht gefühlt, wenn die Kugel ihn mitten durch die Brust getroffen hätte. Dort stand sie, mitten unter den Mädchen, die ganz natürlich einen Kreis um sie geschlossen hatten, um sie – die Königin, und die nun Alles aufboten, sie zu erheitern, glücklich waren, gewiß unendlich glücklich, jenes holde Lächeln hervorgelockt zu haben, das jetzt um ihre Lippen spielte. Es ging ein wundersames Rauschen durch die Luft, ein schwankender Nebel verhüllte die Natur und ließ nur ihr bleiches Gesicht frei. Heinz ging mitten durch dieses Rauschen, diesen Nebel, blieb dann stehen und hörte, wie in weiter Ferne eine Stimme sagte:

»Mein junger Freund, der Senior Eichenstamm – meine Tochter Anna.«

Aus der Wolke heraus, in der sie schwebt, trifft ihn nun wieder der Blitz ihrer schwarzen Augen und ihm ist, als müßte er vor ihr niederstürzen auf seine Kniee, müßte ihre kleine Hand ergreifen und müßte bebend stammeln: »So habe ich Dich endlich gefunden, Du, die ich suchte mein ganzes Leben. Nun weine nicht mehr, laß alle Klage; ich will Dich trösten, will Dir das rothe Blut zurückbringen in die bleichen Wangen, Dich schützen und vertheidigen. Weiß ich doch Alles, lese ich doch eine lange Geschichte voll Schmerz und Thränen, voll unverstandener Liebe auf Deiner Stirn und in Deinen Augen!«

Voll Staunen ruhen die schwarzen Augen auf der seltsamen Bildsäule, neugierig lächelnd, halb und halb erschreckt umstehen ihn die Mädchen.

»Sind Sie krank, Eichenstamm?« fragt der Pfarrer besorgt und faßt seinen Arm. Heiß dringt ihm das Blut vom Herzen zum Herzen, aber mit mächtiger Anstrengung wird er seiner Herr.

»Pardon, mein Fräulein,« sagt er mühsam; »aber es ist so heiß hier, mir wurde fast ohnmächtig.«

»Ja, ja,« lachte der Pfarrer, »Sie haben sich tüchtig pressen lassen, bis wir durch das Gedränge kamen, das mag schon zum Ohnmächtigwerden sein. Uebrigens ist meine Tochter kein Fräulein, sie ist Wittwe und heißt Frau von Oehe.«

Dort vom Tanzplatze her erbraust eine Aufforderung zum Tanze. Gottlob, während des Tanzes ist man auch unter Tausenden mit seiner Tänzerin allein. Sie hat den Tanz noch frei und sie stellen sich unter die Andern. Während des Tanzens erzählt sie ihm mit weicher, melodischer Stimme, daß ihr Vater und ihr Vetter Hellberg ihr schon viel von ihm berichtet hätten und daß sie recht neugierig gewesen sei, ihn kennen zu lernen. Es geschehe nicht oft, daß ein Student in Rücksicht auf die Wissenschaft wie auf die Mensur gleich viel von sich reden mache. Er erzählt ihr nun von dem, was er in der Burschenschaft erstrebt, womit er zu kämpfen hat, wo er hinaus will. Sie ist mit allen diesen Dingen wohl vertraut. Ihr Vater und ihr verstorbener Mann seien Burschenschafter gewesen und hätten auch noch im späteren Leben an allen Freuden und Leiden der Burschenschaft theilgenommen. Als Heinz ihr nun erzählt, daß das Interesse, das sie an der Burschenschaft nehme, ihm diese nur noch lieber mache, und darüber die Touren vergißt und fast den ganzen Contretanz sprengt, weist sie ihn freundlich zurecht und um ihren Mund spielt wieder jenes holdselige, traute, harmlose Lächeln, ein kindliches Lächeln, das über ihr ernstes Antlitz hinfliegt wie ein Sonnenstrahl.

»Sie müssen mehr bei der Sache sein,« sagt sie. »Wenn das Tanzen uns Freude machen soll, so dürfen wir während desselben an nichts anderes denken, uns ganz der Lust an der Bewegung hingeben.«

»Sie tanzen gern?«

»Ueber Alles in der Welt! Ich kenne keine größere Lust, als so dahinzuschweben auf den Flügeln der Töne, ganz Freude, ganz rasche Bewegung. Wenn ich tanze, ist mir wie dem Schmetterlinge, der die fesselnde Puppe abstreifte und nun dahinflattert, ziellos, zwecklos, ganz Lust, ganz Wonne!«

Nun fliegen sie im Galopp dahin; es ist als ob ihre Tanzlust auf ihn übergegangen wäre, pfeilschnell drehen sie sich, bis er endlich einhält. Er fürchtet zu ersticken, so rasch jagt sein Blut, so schnell fliegen seine Pulse, und er sieht mit Staunen, wie ruhig seine Tänzerin vor ihm steht.

»Sie sind gar nicht erschöpft?« fragt er verwundert.

»Nein,« erwidert sie lächelnd.

Sie kehren nun wieder zu den Andern zurück, aber Heinz bleibt die ganze Nacht über neben ihr. Wenn ein Anderer sie zum Tanze holt, geht er hinter ihr her, folgt ihr mit seinen Blicken und geleitet sie dann wieder zurück. In dem bunten Durcheinander läßt man sie gewähren. So eilen die Stunden dahin und schon graut der Morgen, als die schwarzäugige Schwester herbeieilt.

»Wo bist Du, Anna?« sagt sie schmollend. »Vater und ich haben Dich überall gesucht.«

»Sei nicht böse, Schwesterchen,« giebt ihr Anna zur Antwort, und alle Drei gehen nun dem Ausgange zu, wo die Kutschen und Wagen bunt durcheinander halten. Hier finden sie den Pfarrer.

»Wo warst Du, mein Kind?« fragt er.

»Ich plauderte mit Herrn Eichenstamm,« ist die Antwort. »Wir saßen unter der Linde, unter der Du uns verließest.«

»Ja, ja! So sucht man nie dort, wo zu suchen doch am einfachsten wäre. Aber nun laßt uns fahren. Leben Sie wohl, Eichenstamm. Sollte ein schöner Tag Sie einmal zu uns auf's Land hinauslocken, so wird es mich freuen.«

»Gewiß, gewiß,« erwidert Heinz, während er den Damen in den Wagen hilft, »ich werde nicht lange auf mich warten lassen. Leben Sie wohl, gnädige Frau! Leben Sie wohl!«

»Auf Wiedersehen, Herr Eichenstamm!«

Die Pferde zogen an; bald fuhren auch die Studenten davon. Die Sonne ging auf, die Vögel sangen, ein leiser Morgenwind spielte in den Kronen der Eichen.

»Eichenstamm, welch ein wundervoller Morgen,« sagte Hellberg, der allein von den Burschen wach geblieben war.

»Ja, bei Gott, welch ein wundervoller Morgen!«


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