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Nordwärts, in unabsehbare Ferne unter grauweißem trostlosem Himmel dehnte sich die weite öde Schneefläche: kein Baum, kein Strauch, weder Fels noch Hügel bis zur scharfen dunklen Linie des Horizontes. Nur im Süden der Ebene standen dicht gedrängt die Baumreihen eines alten Gehölzes. Ein grünschwarzes Heer von Tannen, auf deren Zweigen dicke Schneemassen lasteten. Unendlich hilflos und dennoch in gleichsam grimmig starrer Geschlossenheit waren in kurzen Abständen spitzgipflige Vorposten in die kalthauchende Unendlichkeit der Ebene vorgeschoben, zwischen denen langgestreckte, blütenweiße Schneeteppiche wie feierlich stille Chorgänge sanft ansteigend in das Herz des Waldes hinaufführten.
Einen dieser bleichen stillen Gänge kam eben in der Sorglosigkeit echter Kraftnaturen eine dunkle untersetzte Gestalt herunter, die runde Schnauze dicht über dem Schnee, angespannt mit leuchtend grellen Lichtern nach einer Wildspur spähend. Kleiner als Wolf oder Luchs trug dieses Tier dennoch in jeder seiner Bewegungen den Stempel des Machtbewußtseins: Wer wagt es, mich anzugreifen! Und wahrlich, jedes Geschöpf der Wildnis kannte sein grausames, ungezügeltes Temperament, seine Stärke, die sich mit der eines dreimal größeren Gegners messen konnte, und seine List, die es dem Fuchs überlegen machte. Es war nicht ganz drei Fuß lang, dieses dunkle, furchterregende Tier und von eigentümlich massigem Bau. Wie ein Bär schritt es plattfüßig voran und auch in der Schwere des Ganges war es dem Bären ähnlich. Das harte, lange Haar seines Pelzes, der struppig zu beiden Flanken herabhing, zeigte eine schmutzig graubraune Farbe, nur über die Hinterschenkel lief ein gelber, scharf abgesetzter Streifen. Die mächtigen mit starken Krallen bewaffneten Branten waren schwarz. Schwarz war auch die kurze, kräftige Schnauze bis zur Stirn, über die dichte Zotteln herabhingen. Aus tiefliegenden Höhlen glühten die Seher in einem erschreckendem Gemisch von boshafter Schlauheit und unversöhnlicher Raubgier. In seiner zurückgehaltenen, herrischen Kraft schlummerte der zügellose Ausbruch ungezähmter Wildheit. Das seltsame Tier schien wie eine Verkörperung des Geistes des strengen, wilden Nordens. Die Jäger nennen es »Vielfraß«, abgeleitet von Fjellfräß (Felsenkatze), manchmal »Carcajou«, meistens aber »Freßsack« oder »Indianerteufel«. Sein amerikanischer Name ist »Volverene«.
In dem Todesschweigen der Einöde nahm das Carcajou – es war ein Weibchen – gemächlich seinen Weg. Plötzlich, gerade am Rande des Waldes, stieß sie auf die frische Spur eines Luchses. Dem Abdruck der Tatzen nach mußte es ein riesiges Tier sein. Das Carcajou hielt inne und witterte, ohne die geringste Furcht zu verraten. Dann machte es sich an die Verfolgung.
Im Dunkel der Tannen untertauchend folgte es der Spur, die über ein schneebedecktes Trümmerfeld von Felsblöcken und ineinander und kreuz und quer gestürzter Baumriesen führte. Da plötzlich war die weiße, gleichmäßige Schneedecke zertreten und zerkratzt. Die Seher des Carcajou funkelten gierig. Rote Spritzer hier und dort gaben ihm die Gewißheit, daß der Luchs die Ueberreste einer Jagdbeute für eine spätere Mahlzeit hier verscharrt hatte.
Und wo der Schatz verborgen war, das hatte scharfer Geruchssinn bald herausgefunden. Gierig fiel das Carcajou über die Stelle her und seine kurzen, mächtigen Vordertatzen gruben und scharrten in blutdürstiger Hast, bis von dem ganzen Tier schließlich nur noch die schmutzig braune Schwanzspitze zu sehen war, so vorsorglich tief hatte der Luchs in Anbetracht der mageren Jahreszeit die Ueberreste seiner Mahlzeit versteckt. Mit gewaltiger Anspannung arbeitet das Carcajou – was aber war endlich der Mühe Preis? Das armselige Hinterläufchen eines jungen Waldfuchses!
Aergerlich zog das Carcajou den kleinen Bissen hervor und hatte ihn im Umsehen verschlungen, kaum daß der zarte Knochen zwischen seinen mächtigen Kinnladen knirschte. Dann schleckte es sich um die Schnauze, fuhr sich mit seinen schwarzen Branten wie eine Katze vom Gehör nach der Nase und verließ die Spur des Luchses, um tiefer in die stille Dunkelheit des Waldes vorzudringen. Verschiedene Hasenspuren kreuzten seinen Weg. Hier und dort spürte sich das Geläuf eines Schneehuhnes oder zeigte sich die Kette von kleinen Tüpfelchen, die den Weg des Wiesels verraten. Ein einziger Blick oder flüchtiges Wittern genügte, um das Carcajou zu überzeugen, daß all diese Spuren alt waren, es schenkte ihnen deshalb keine weitere Beachtung. Eine Viertelmeile war es wohl so gewandert, als es plötzlich stutzte.
Eine Schneeschuhspur! Die einzige unter all den vielen den Schnee durchkreuzenden, die es einen Moment verwirrte. Scharf blickte das Carcajou um sich, spähte unter die Bäume und, auf den Hinterkeulen sitzend, schnüffelte es in die Luft nach den leisesten Anzeichen von Gefahr. Dann untersuchte es die Spur. Der Menschgeruch war stark und verhältnismäßig frisch, wenngleich auch nicht bedrohlich.
Infolge der ungeheuren Ausdehnung seines Jagdgebietes war dem Carcajou bisher entgangen, daß ein Mensch in seinen Bereich getreten war. Wie es aus Erfahrung wußte, konnte das nur ein Jäger oder Fallensteller sein, dessen Flinte es wohl fürchtete, dessen Fallen jedoch in seiner besonderen Gunst standen, denn sie hatten ihm oft schon reiche Beute geliefert. So folgte es denn in erregter Erwartung der Spur.
Nach kurzer Wanderung kam es an eine Stelle, wo der Schnee zertreten war und kleine Stücke gefrorenen Fisches verstreut lagen. Vorsichtig zog das Carcajou immer engere Kreise, schleckte hier und dort nach erreichbaren kleinen Bissen und verschlang sie. Mehr nach der Mitte zu lag ein Stück verführerischsten Umfangs, doch das Carcajou ahnte in listiger Schlauheit, daß gerade da, wahrscheinlich dicht daneben, eine Falle sein würde. Vorsichtig pirschte es sich heran, die Nase dicht über dem Schnee. Plötzlich stand es still. Ein Gemisch von Eisen- und Menschgeruch und dem Duft getrockneten Fisches war durch den Schnee deutlich zu ihm gedrungen. Nur ein wenig schob es den Schnee nach beiden Seiten und legte wirklich eine leichte Kette frei. Dieser folgend, kam es bald an die Falle selbst, die es vorsichtig aufdeckte. Dann verzehrte es sorglos das große, dort niedergelegte Stück Fisch. Doch weder seine Neugier noch sein Hunger waren befriedigt, und es nahm die Spur von neuem auf.
Die nächste Falle, zu der das Carcajou kam, war am Ende einer künstlich konstruierten Allee aus Tannenzweigen angebracht. Es war eine Schlinge, hinter der eine Drahtschleife hing, die kaum anders als durch die Schlinge zu erreichen war. Diese Schleife, zur Befestigung des Köders bestimmt, war jedoch leer. Das Carcajou bemerkte, daß schon jemand vor ihm dagewesen sein mußte, der ihm an Schlauheit nichts nachgab. Der Fuchs! Das Carcajou sah genau seine Spur, er hatte die Allee von außen sorgfältig abgeprüft, dann war er hinter der Schlinge durchgebrochen und hatte sich den Bissen geholt. Verächtlich wandte das Carcajou sich ab und schritt weiter. Auf Dinge, die es nicht ganz verstand, wie diese Schlingen, ließ es sich in kluger Vorsicht gar nicht ein.
Wieder nach einer dreiviertel Meile kam es an eine dritte Falle; hier lagen die Dinge anders und interessanter. Gemächlich zog das Carcajou um einen großen schneeüberhangenen Felsblock herum, als plötzlich heftiges Knurren und metallisches Rasseln ihm entgegenschlug. Blitzschnell zuckte es zurück, unmittelbar ehe die Klauen eines mächtigen Luchses vor ihm dumpf auf dem Schnee niederschmetterten. Der Luchs war in die Falle gegangen. Die stählernen Fänge hielten seinen linken Vorderlauf mit unerbittlichem Griff. Als er den fremden Räuber heranschleichen hörte, war er, blind vor Wut und Schmerz, zum Angriff gesprungen, ehe er nur überhaupt gesehen hatte, wessen Art der Ankömmling war.
Langsam schleichend kreiste das Carcajou in wohlabgemessenem Abstand um den wutfauchenden Gefangenen, der jeden Moment vergeblich in behinderten Sprüngen gegen es anstürmte. Wenngleich das Carcajou dem Luchs an Kraft überlegen war, so war es doch kleiner als er und zu einem Kampfe weniger mörderisch ausgerüstet. Unnötigerweise würde es sich deshalb nie den tiefpflügenden Krallenschlägen des Luchses ausgesetzt haben, es sei denn in der Verteidigung seines Baues oder seiner Brut. Unermüdlich schlich es leise, langsam immer im Kreise um den wilderregten Gefangenen herum, ließ ihn ruhig in wildem, unnützem Toben seine Kraft vergeuden und wartete auf den geeigneten Moment, ihn tödlich fassen zu können. Plötzlich flutete ein langgezogener Laut durch die stille Luft, der sie beide erstarren ließ. Es war ein gedehnter, dünner, schwingender Schrei, der mit unbeschreiblich melancholischer Kadenz erstarb. Der Luchs hatte sich zusammengekauert, die Lichter entsetzt weit aufgerissen, gespannt in die Ferne lauschend. Auch das Carcajou lauschte unbeweglich, wenngleich nicht erschrocken. Es hatte sich aufgerichtet, all seine Sinne auf die Deutung dieses mysteriösen Lautes gespannt. Wieder und wieder tönte es schauerlich herüber, kam näher und näher und zerbrach endlich in vielstimmigem Geheul.
Mit verzweifeltem, konvulsivischem Ruck versuchte der Luchs, das eingeklemmte Glied freizumachen, erkannte jedoch die Unabänderlichkeit seines Geschicks. Ein Todesschauer durchbebte seinen Leib, als er sich mit drohender Gebärde niederkauerte. Seine buschigen Gehöre waren zurückgelegt, ein grünliches Flackern zuckte in den Lichtern. Fänge und Krallen waren zum letzten Kampf entblößt. Das Carcajou stand mit vor Wut über die voraussichtliche Vereitelung seiner Jagd gesträubtem Pelz. Es wußte jetzt, woher der Laut kam, und daß die Wölfe nicht ihnen auf der Spur waren. Wahrscheinlich würde die Rotte an ihnen vorüberstreichen und sie gar nicht entdecken.
Die Lauscher sollten nicht lange im Ungewissen bleiben! Die Wölfe waren einem Elch auf der Spur, das sich in einer Entfernung von etwa vierzig bis fünfzig Meter mühselig durch den hohen Schnee vorangearbeitet hatte. In eng geschlossener Reihe kamen fünf Wölfe aus den dunklen, hohen Tannenstämmen herausgefegt, sahen nicht rechts noch links, jagten vor wütendem Hunger blind der frischen Fährte nach. Schon begann der Luchs wieder Herz zu fassen – als ihn der Anführer des Rudels noch eben mit einem Seitenblick entdeckte. Mit exaltiertem Geheul wandte er sich noch im Sprunge, und das ganze Rudel fegte auf den Gefangenen hinab. Das Carcajou, fauchend vor Empörung, flüchtete auf den nächsten Baum. Der Luchs war kein Opfer, das sich ohne weiteres der Uebermacht ergab. Fänge und Klauen gezückt, warf er sich dem Ansturm der Rotte entgegen und trotz der schmerzvollen Behinderung durch das Fangeisen, rechnete er kräftig ab. Die Wölfe und ihre Beute waren mehrere Minuten ein einziger keifender, bellender Haufen. Als sie sich endlich auseinanderfanden, waren drei der Wölfe schrecklich zugerichtet. Trotzdem war in wenigen Minuten nichts weiter von dem unglücklichen Luchs übrig als das Fetzchen Pelz und Fleisch, das in den Zähnen der Falle saß und wenige starke Knochen.
Als das Carcajou sah, wie die Mahlzeit, auf die es gehofft, vor seinen Augen nach und nach verschwand, lief es erregt am Baumstamm hinab, als wolle es sich auf das bankettierende Rudel stürzen. Schon aber war es vom Leitwolf entdeckt, der nach ihm am Baumstamm, so hoch er nur konnte, in die Höhe sprang. Das Carcajou, noch außer dem Bereich der fletschenden blutigen Fänge, schnappte seinerseits nach dem Gegner, giftig knurrend und versuchte, dessen Nasenspitze zu fassen. Als das nicht gelang, schlug es blitzartig mit seiner mächtigen Brante nach ihm, und traf seine Schnauze so derb, daß er aufheulend zurückfiel. Im nächsten Moment war die ganze Rotte verschwunden; noch unbefriedigten Hungers, fegte sie der Spur des Elchs nach.
Das Carcajou sprang von seinem Baum hinab, beschnüffelte ärgerlich die abgenagten Knochen und eilte dann den Wölfen nach.
Inzwischen war der Schneeschuhjäger einen weiten Kreis gelaufen, der die Fallenreihe in der Nähe seiner Hütte wieder schloß. Plötzlich stand er dem fliehenden Elch gegenüber. Das große Tier war vollkommen erschöpft. Als es plötzlich auch noch des Menschen ansichtig wurde, der noch fürchterlicher war als die Verfolger hinter ihm, riß es sich verzweifelt herum und stürzte seitlich durch die Tannen davon. Doch der Fallensteller, von seinen Schneeschuhen schnell getragen, hatte es im selben Moment schon überholt, schoß es nieder und stieß ihm das gezückte lange Jagdmesser durch die schweratmende Kehle. Mit einem Schauder verendete das riesige Tier auf dem rotbesudelten Schnee.
Der Jäger wußte wohl, daß ein derart gejagter Elch Feinde auf der Fährte gehabt haben mußte. Es konnten nur Wölfe oder ein anderer Jäger sein. Im Umkreis von zwanzig Meilen war kein anderer Jäger zu finden, also waren es Wölfe! Und er hatte nur sein Jagdmesser und seine leichte Axt bei sich! Ohne Flinte aber war es gefährlich, ein Rudel Wölfe seiner Beute zu berauben. Das frische Elchwildbret wollte er sich trotzdem nicht entgehen lassen, und schnell und geschickt löste er die besten Teile aus Keulen und Lende. Er war eben an die Arbeit gegangen, als das Geheul der Wölfe schon zu ihm herübertönte. Er arbeitete in wilder Hast und verwahrte eilig das Wildbret. Dann trugen ihn seine Schneeschuhe in der Richtung seiner Hütte davon. Nach etwa hundert Metern jedoch hielt er an und trat in das Gestrüpp zu Füßen einer riesigen Schierlingstanne, um nach den Wölfen auszuspähen. Er sah das Rudel gerade auf den Körper des Elches zufegen. Plötzlich jedoch, nur wenige Schritt vor der Beute, hielten sie kurz an und zogen sich mit argwöhnischem Geknurr zurück. Sie hatten die Spuren und den Geruch des Menschen, ihres ärgsten Feindes, bemerkt. Außerdem war sein Handwerk – das glatte Ausschneiden des Fleisches – deutlich sichtbar. Ihr erster Impuls war: Vorsicht! Eine Falle vermutend, umkreisten sie den Körper, behutsam forschend. Als sie sich aber von der Gefahrlosigkeit überzeugt hatten, fielen sie in wütender Gier über die Reste des Körpers her.
Während der Fallensteller die Rotte von seinem Versteck aus beobachtete, bemerkte er plötzlich, daß sich in den Zweigen einer Tanne, unweit der Rotte, etwas bewegte, und bald konnten seine geübten Augen die gedrungene Gestalt eines großen Carcajous erkennen, das von Baum zu Baum sprang in der Absicht, zu den Wölfen zu gelangen. Was ein Carcajou trotz aller List gegen fünf Wölfe auszurichten sich erhoffte, war dem Fallensteller unbegreiflich.
Vorsichtig lief es von Baum zu Baum, bis es schließlich einen erreicht hatte, dessen tiefere Zweige sich direkt über den Kadaver des Elen neigten. Zwischen diesen kroch es vorwärts und äugte boshaft auf seine Feinde hinab. Endlich wollten die Wölfe davonlaufen, da stutzten sie plötzlich, sie witterten den gehaßten Vielfraß. Sie sammelten sich im Kreise um den Baum und fletschten – jedoch aus sicherer Entfernung – die Fänge nach dem Feinde. Sie schienen vorbereitet, bis in alle Ewigkeit zu stehen, um das Carcajou auszuhungern, oder es zu einem Ausfall zu veranlassen. Als das Carcajou sich dessen bewußt wurde, drehte es dem Wolfsgesindel den Rücken, kletterte den Baum hinauf, um es sich in einem behaglichen Eckchen bequem zu machen. Es wußte, daß es trotz seines Hungers aus diesem Kampfe doch als Sieger hervorgehen würde.
Von diesem Tage an nährten die Wölfe unermüdlichen Groll gegen das Carcajou und vergeudeten manche kostbare Stunde, um seiner habhaft zu werden. Die Wölfe haben ein gutes Gedächtnis, und die erklärte Fehde verlor nicht an Schärfe, während die Winterwochen mit wilden Stürmen und klirrendem Frost, tödlich kalt, vorüberzogen. Eine Zeitlang konnte sich das Carcajou von dem Fleisch, das die Wölfe übriggelassen hatten, notdürftig nähren. Als aber eines Tages der Vorrat zu Ende ging, machte es sich wieder listig plündernd an die Fallen des Jägers heran und hatte nun, außer den Wölfen, den Herrn der Wildnis zum Feinde. Doch auch die Uebermacht seiner Gegner beeinträchtigte seine Gefräßigkeit und Furchtlosigkeit nicht im mindesten. Gewandt wußte es sich Nachstellungen zu entziehen, bis endlich das Frühjahr herannahte und nicht nur die Hungersnot des Waldes minderte, sondern auch dem Fallenstellen des Menschen ein Ende machte. Der Pelz der wilden Tiere verlor Glanz und Dichte, und so lud der Fallensteller seine Felle aus einen Handschlitten, verschloß vorsichtig seine Hütte und machte sich nach den Siedlungen auf den Weg. Nachdem sich das Carcajou von seinem Abzug überzeugt hatte, richtete es sein ganzes Augenmerk auf die Hütte, wie es wohl in sie einzudringen vermöchte. Endlich, nach unendlicher Geduld und Anstrengung, gelang es ihm, durch das Dach einzudringen. Welche Vorräte! Mehl, Speck und getrocknete Aepfel, alles sehr nach seinem Geschmack. Es schwelgte in tausend Wonnen, bis es Privatpflichten gebieterisch zurückriefen.
Der Frühling kommt spät in diesem Lande des großen Schnees, wenn er aber kommt, kommt er schnell und mit Gewalt. Und gleich eilt auch der Sommer über die Ebenen, durch die Tannenwälder.
Etwa drei Meilen hinter der Hütte an einem trockenen kleinen Hügel im Herzen eines wilden Sumpfes grub sich das alte Carcajou eine bequeme und versteckte Höhle. Hier warf es eine Anzahl winziger Junge. In seiner leidenschaftlichen, unermüdlichen Mutterliebe unternahm es keine größeren Jagdausflüge, die es allzuweit von dem Bau entfernen konnten, sondern stillte seinen Appetit mit Mäusen, Schnecken, Würmern und Käfern, die es in unmittelbarer Nachbarschaft unter dem Moos oder in verfaulten Baumstümpfen fand.
Während es in dieser Zurückgezogenheit lebte, verloren seine Feinde völlig seine Spur. Die Wolfsrotte hatte sich aufgelöst, wie es die Wölfe während des Sommers zu tun pflegen. Aber dennoch verband sie alle der Haß gegen das Carcajou. Der alte graue Führer hatte nicht weit von der Ansiedlung des Carcajous entfernt eine Höhle. Zufällig kam er eines Tages, während er, mit einem Kaninchen im Fang, auf dem Rückweg nach seinem Bau den kürzesten Weg durch das Sumpfgebiet einschlug, plötzlich auf die Spur seines lange gesuchten Feindes, ja, sogar mehrere Spuren entdeckte er – und wußte Bescheid! Im Augenblick hatte er weder Zeit noch Neigung, der Sache näher zu kommen, aber seine klugen Seher glühten vor Rachedurst, als er seine Wanderung fortsetzte.
Ungefähr zu derselben Zeit – die Sommersonnenwende war soeben vorüber – kehrte der Fallensteller nach seiner Hütte zurück, um die Vorräte für die langen harten Monate des kommenden großen Schnees zu ergänzen. Als er die Hütte erreichte, sah er, daß trotz seiner Vorsichtsmaßregeln das gefräßige Carcajou eingebrochen war. Sein Zorn kannte keine Grenzen. Er fluchte in allen Tonarten und machte sich sofort an die Verfolgung des Räubers. Es galt nicht nur Rache, sondern Selbstverteidigung. Das Carcajou war ihm gefährlicher geworden als alle Tiere der Wildnis zusammen.
Mehrere Tage schlich der Fallensteller in immer weiteren Kreisen um die Hütte, um frische Spuren seines Feindes zu entdecken. Endlich, es war schon spät am Nachmittag, fand er eine Fährte am Ausläufer des Sumpfes. Es war schon zu spät, der Spur nachzugehen. Doch am nächsten Tage zog er frühzeitig mit der Flinte, Axt und Spaten los, um der ganzen Carcajoufamilie an den Leib zu gehen, denn er wußte ebenso gut wie der alte Wolf, weshalb sich der alte Vielfraß in dem Sumpfgebiet aufhielt.
Es traf sich, daß am selben Tage auch die Wölfe ihre Fehde austragen wollten. Der Anführer – sein Weibchen war mit ihren Jungen beschäftigt – hatte sich mit zwei anderen früheren Mitgliedern der Rotte zusammengefunden, die ein ebenso gutes Gedächtnis hatten wie er. Ihren feinen Nasen war es ein leichtes, die verwickelten Spuren auseinanderzufinden, die sie auch bald nach dem Bau in dem trockenen warmen Hügel des Sumpfgebietes führten. Ehe sie ihn aber aufgruben, umschlichen sie ihn mehrmals prüfend.
Als der Fallensteller, dessen Tritte in weichen Mokassins keinen Laut verrieten, in die Nähe des Hügels kam, wurde er plötzlich der Szene ansichtig und trat schnell hinter die schützenden Zweige einer Tanne zurück. Er wußte sofort, wonach die Wölfe gruben.
Diese hatten gleich die junge Brut gewittert, waren jedoch nicht ganz sicher, ob auch die Alte im Bau war. Die trockene Erde spritzte in hohen Bogen unter ihren wütend grabenden Pfoten nach allen Seiten. Da schoß eine dunkle, runde Schnauze aus der Eingangsöffnung hervor und war blitzschnell wieder verschwunden. Aufheulend und hinkend zog sich einer der jüngeren Wölfe mit durchbissenem Vorderlauf zurück und legte sich winselnd nieder, um die Wunde zu belecken.
Die beiden anderen Wölfe schienen vorsichtiger geworden, sie hielten sich vom Eingang zurück und unterminierten ihn von der Seite. Wieder und wieder schoß die dunkle Schnauze aus dem Loch, jedesmal aber konnten die Wölfe noch rechtzeitig zur Seite springen. Und weiter flog die Erde! Plötzlich – wie aus einer Pistole geschossen – flog das alte Carcajou aus dem Bau und schnappte dem zunächst stehenden Wolf nach der Schnauze. Der sprang zurück, doch nicht weit genug, und das Carcajou saß ihm an der Kehle. Ein tödlicher Biß! Der Wolf stieg auf den Hinterläufen empor und versuchte verzweifelt, den Feind abzuschütteln. Der jedoch riß ihn mit der riesigen Kraft seiner machtvoll umklammernden Branten über sich nieder, um sich mit seinem Körper gegen die Fänge der anderen Wölfe zu decken. Ein Knäuel, rollten die beiden den kleinen Hügel hinab.
Unglücklicherweise war es aber der jüngere Wolf, den das Carcajou zu packen bekommen hatte, sonst wäre der Sieg sein gewesen. Der alte Wolf jedoch war vorsichtig. Er sah, daß er seinem Kameraden nicht mehr helfen konnte und wartete ruhig, bis ein günstiger Moment für ihn kommen würde. Schließlich wurden die Anstrengungen des sich verzweifelt Wehrenden schwächer, und nun sprang er vor, dem Carcajou eine mächtige Wunde über die Lenden reißend. Doch sie war nicht tödlich. Das Carcajou ließ sein Opfer fallen und wandte sich mutig gegen ihn. Der Wolf faßte es hoch oben im Rücken und hielt es so zwischen seinen knochenzermalmenden Fängen. Das wurde dem Carcajou zum Verhängnis, doch ergab es sich lebend nicht. Seine kühnen Seher begannen schon zu verglasen, doch es wand sich und wand sich, bis e6 ihm gelang, den Vorderlauf des Siegers zu fasten. Mit Aufbietung der letzten Kräfte, aller Wut und allen Hasses biß es seine Fänge zusammen, bis sich die Zähne durch Fleisch, Sehnen und zermalmte Knochen trafen. – Schlaff fiel es dann zusammen. Mit einem Schwung seines massigen Halses warf der Wolf den leblosen Körper zur Seite.
Nachdem er sich überzeugt hatte, daß das Carcajou tot war, hinkte er auf drei Läufen durch den Sumpf davon und hielt das blutende, zermalmte Glied so hoch er nur irgend konnte.
Der Fallensteller trat aus seinem Versteck hervor und schoß. Nun sprang auch der zuerst verwundete Wolf auf und hinkte mit erstaunlicher Behendigkeit davon. Da der Trapper aber nur eine einläufige Flinte besaß, mußte er ihn laufen lasten. Der Getötete lag mit durchbissener Kehle nur einige Schritt von seinem nun auch toten Würger entfernt. Achtlos stieß der Fallensteller den Wolf mit dem Fuß zur Seite – Wolfspelze waren jetzt nichts wert. Dann stand er sinnend vor dem Carcajou. Es war nur ein stinkiger, gefräßiger Dieb, besten ganze Sippschaft ausgerottet werden mußte, aber wenn es darauf ankam, doch ein tapferer Kerl, vor dem man Respekt haben mußte.