Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Der gemächlich durch die Tiefe des Pfuhles zirkulierende Strom hielt das Wasser kristallklar und süß und bewegte mit keinem noch so leisen Wellenzug den klaren Spiegel der braunschimmernden Oberfläche. Nur die sprudelnden kleinen Wasserfälle weiter landeinwärts schwemmten hin und wieder Trauben leichtflockigen Schaumes an, die langsam über die Oberfläche hintrieben. Zuweilen fiel ein Blatt, leise Ringe werfend, oder eine gierige Forelle sprang plötzlich nach einer unvorsichtig tief über die Oberfläche huschenden Fliege.
Einen besseren Aufenthaltsort als diesen Teich konnte es für Fische gar nicht geben. Er war tief und sein Zufluß eng und seicht, aber dennoch geräumig genug, um eine langsame Erneuerung des Wassers zu ermöglichen. Dazu trieben unzählige Leckerbissen wie Fliegen, Käfer, Raupen oder Beeren ein, die die Zuflußgewässer sprudelnd mitgerissen hatten. Der Teich war dunkel überschattet von starkästigem Ahorn und Wassereschen; wenn aber die Nachmittagssonne ihren Tiefstand erreicht hatte, so überfluteten ihre Strahlen in wohltuender Wärme die Oberfläche.
Der Boden des Teiches aber bot noch reichere Abwechslung. Um den Einfluß, etwas nach innen geschwemmt, lag feiner, weißer Sand, von größeren Steinen durchsetzt, während der innere Teich bis zu den senkrechten Ufern mit dem überhängenden Wurzelgewirr von Schlamm überzogen war, aus dem kleines Eintagswassergewächs und -getier reichlich Nahrung fand.
Die Fische, die diesen köstlichsten aller Teiche bevölkerten, waren ausnahmslos wohlgenährte, fette Tiere, bis auf die junge Brut, die sich vorsichtig in den äußersten seichten Ausläufern aufhielt, damit ihr die großen, gierigen Fische nicht folgen konnten. Das waren in der Hauptsache Forellen und Sauger. Die Sauger, träge, plumpe, weichliche Wesen, saßen wie gesät aus der Schlammfläche und sogen mit ihren kleinen runden, nach unten gekehrten Mäulern den fetten Schlamm unaufhörlich nach Nährbeständen aus. Die sehnigen Schwänze allein schützten sie vor den Angriffen seitens der immer raubgierigen, unersättlichen Forellen.
Denen war allerdings nichts von der Ruhe der Sauger eigen. Unablässig huschten sie über den Schlamm, den Sand, die Felsblöcke, immer auf Ausschau oder Jagd nach Beute. Häufig blitzte die eine oder andere sogar in dem hellen Strudel nahegelegener Wasserfälle auf, wohin die Aussicht auf reichere Jagdbeute sie getrieben hatte. Dann pflegte sie wohl träge – den Schwanz einer kleineren Stammesverwandten noch zwischen den Kinnbacken – unter die Uferbänke langsam zurückzukehren, um dort in Ruhe die schwere Mahlzeit zu verdauen.
Eine halbe Meile oberhalb der Wasserfälle hatten zwei Fischadler ihre Wohnstätte. Es sah aus, als wäre eine Wagenladung trockenen Holzes und Abfalls auf der Spitze einer hohen verdorrten Tanne abgeladen, so unsauber und ungleichmäßig war das große Nest gebaut. Diesen Adlern war der Teich ein ständiges Aergernis. Neidisch suchten sie auf ihren Flügeln stromauf, stromab, mit ihren kühnen Lichtern die Oberfläche ab, gierig nach den fetten Fischen, die, unter den dicht überhängenden Zweigen der Uferbäume vor ihren Angriffen sicher, ruhig in der Tiefe schwammen. Im freien Gelände konnten die geflügelten Räuber zwar pfeilschnell vom Himmel herabstoßen und eine schnellende Forelle den Wassern sozusagen von den Lippen haschen. Zu dem schmalen Spiegel des zwischen steilen, umwaldeten Ufern gebetteten Pfuhles vermochten sie sich jedoch nur vorsichtig flatternd niederzulassen, wobei selbst dem trägsten Fisch reichlich Zeit zur Flucht in die sichere Tiefe blieb.
Doch einen furchtbaren Fischer gab es, dem der Teich so gerade recht war: den Luchs. Eine starke, schon vom Wasser bespülte Baumwurzel, die etwa drei Fuß in den Teich hinausragte, bot ihm einen vorzüglichen Ansitz. Hier konnte er stundenlang auf der Lauer liegen, geduldig, unbeweglich wie die Wurzel selbst. Sein rundes, schwarzes, wildes Mondgesicht mit den blaßhellen, harten Lichtern, den steifen Schnurrhaaren und den buschigen Gehören hielt er so dicht über den Wasserspiegel, daß der verwirrende Reflex der überhängenden Zweige ihm den Blick auf den Grund nicht stören konnte. Mit vollkommenster Klarheit vermochte er jede Einzelheit in der durchsichtigen Tiefe zu erkennen. Unermüdlich konnte er so liegen und auf die dicken Sauger hinabstarren, die in behaglicher Trägheit am Schlamme und an den Steinen saugten.
Besonders aber hatte er es auf die Forellen abgesehen. Aus der durchsichtigen Dämmerung des Gewässers blitzte es ihm bald silbern oder purpurn entgegen, wenn sie nach Larven oder Käfern blitzschnell über den Boden kreuzten, hin und wieder wohl auch einmal nach der Oberfläche schweifend. Dabei konnte es aber geschehen, daß der kreisende Strom sie in die Nähe der überhängenden Wurzel brachte. Dann spannten sich die Sehnen des dort regungslos Lauernden, die Krallen schoben sich aus den Scheiden der Branten, und eine grünliche Flamme schoß in die unheimlichen Lichter. Und wenn dann die Forelle in schräger Linie rot schimmernd die Wasserfläche teilte, um einen Bissen zu schnappen, schlug wie der Blitz eine scharfe Tatze herab, und im gleichen Augenblick lag der zappelnde Fisch unter den grünen Blättern am Ufer ... Der Luchs aber war ein so stiller Fischer, daß seine Jagd den Frieden des Pfuhles nicht im mindesten störte oder nur den leisesten Schatten dunkler Vorahnung über die Zurückbleibenden warf.
Eines Morgens, in drückender Schwüle, lag die große Katze wieder auf ihrer Wurzel und starrte wie gewöhnlich mit ihren kühnen Mondaugen in die Tiefe. Zu ihrer größten Enttäuschung waren an diesem siedenden Tage sogar die Forellen zu träge, sich zu bewegen. Die Hitze schien sie förmlich gelähmt zu haben. Ebenso bewegungslos und gleichgültig wie die Sauger hingen sie auf leise fächelnden Flossen und nahmen auch von den verführerischsten Bissen keine Notiz, die an der Oberfläche herumtrieben. Sie mischten sich jedoch nicht unter die Sauger, sondern hielten sich hochmütig über ihnen oder lungerten vereinzelt im Schatten der auf dem Boden verstreuten großen Steinblöcke.
Der Luchs, zwar ein geduldiger Fischer, wurde an diesem Morgen doch auf eine harte Probe gestellt; denn er war hungrig und hatte es gerade heute besonders auf Fischfleisch abgesehen. Der kurze Schwanzstummel begann ärgerlich zu peitschen. Eben wollte er die Fischjagd aufgeben und lieber nach Kaninchen spüren, als er mit einem zufälligen Seitenblick ein Bild auffing, das seine Halskrause vor Eifersucht und Wut erstarren machte. Ja, jedes Haar seines Pelzes sträubte sich! Ein Rivale, dessen Geschicklichkeit als Fischer seine eigenen Anstrengungen lächerlich erscheinen ließ, war am Eingang des Teiches erschienen und blickte mit kühnforschenden Augen in die klare Tiefe. Zum erstenmal seit einer halben Stunde bewegte sich der Luchs. Er wendete seinen Kopf voll herum und richtete seinen grünen, stieren Blick auf den Ankömmling.
Der war im Flusse herabgekommen und nach seinem ganzen Verhalten zu schließen, war der Teich ihm unbekannt. Sein langer, sehniger, dunkler Körper lag mitten im Zufluß ausgestreckt, nur Kopf und Schultern oberhalb des Wassers. Glatt und schlüpfrig glänzend, von untersetzter schmiegsamer Gestalt, schweren Kinnbacken und geradezu doggenähnlichem Gesicht, kaum sichtbaren Gehören, dunklen Augen und langem, mächtigem Schwanz stellte er den denkbar stärksten Kontrast dar zu der großen mondäugigen Katze, wenngleich beide an Größe und Stärke nicht ungleich waren.
Der Ankömmling jedoch nahm keine Notiz von dem stillen Beobachter auf der Baumwurzel am anderen Ende des Teiches. Gespannt spähte er in die reichbevölkerte Tiefe. Die Jagd war bisher schlecht gewesen, er war hungrig. Einen Moment später glitt er plötzlich ins Wasser, das sich gluckernd wieder über ihm schloß. Die Lichter des Luchses folgten in erregter Spannung den schnellen, fischartigen Bewegungen dieses fremden Tieres.
Die schläfrigen Pfuhlbewohner stoben in panischem Schrecken nach allen Seiten davon, sogar die trägen Sauger legten eine unerwartete Lebendigkeit an den Tag. Ehe sie aber noch einen Unterschlupf finden konnten, hatte der Otter schon eine Forelle erschnappt und ihr den Rückenwirbel durchbissen. Und nun kam die Reihe an die fetteste aber auch schnellste Forelle des ganzen Pfuhles. Die schoß in ihrer Verzweiflung mit blitzartigen Wendungen von einer Seite zur anderen, in die Höhe, in die Tiefe, verfehlte jedoch immer den Ausgang, durch den sie sich hätte retten können. Dennoch gelang es ihr, kurze Zeit der unerbittlichen Verfolgung des Otters zu entgehen, der, obgleich ein vierfüßiger Marder, tatsächlich schneller und behender im Wasser war als jede Forelle.
Der Luchs rührte sich nicht, gespannt folgten seine schillernden Lichter der blitzschnellen, tumultartigen Flucht und Verfolgung. Schließlich schoß die verfolgte Forelle auf die Wurzel zu, dicht an der Oberfläche nun in ihrer wahren, strotzenden Fülle erscheinend. Im selben Bruchteil dieser Sekunde fuhr eine mächtige Tatze nieder und wirbelte sie weit das Ufer hinauf. An derselben Stelle, wo die Forelle so plötzlich verschwunden war, schoß der Kopf des Otters aus dem Wasser. Einen Augenblick blitzten die dunklen zornigen Lichter des Otters direkt in die mondbleichen des Luchses, die kaum zwölf bis achtzehn Zoll über ihm funkelten. Mit gewaltigem Satz war der Luchs jedoch ans Ufer gesprungen, sein Opfer zu töten. So viel Forellen auch noch im Teiche waren, die Empörung und Wut über die unglaubliche Dreistigkeit, die ihm die Beute vor den Fängen weggeschnappt, ließen den Otter jetzt nur noch an Rache denken. Hastig kletterte er auf die Baumwurzel hinauf und glitt lautlos am Ufer hoch. Blitzschnell sprang der Luchs herum und kauerte sich nieder – die eine Tatze auf der getöteten Beute. Seine Lichter funkelten dem sich nähernden Otter entgegen; denn auch er fühlte sich als der Beleidigte. Der Teich war bisher sein alleiniges, unbestrittenes Jagdrevier gewesen und der Otter ein frecher Eindringling.
Alle Vorsicht außer acht lassend, kam der Otter schnell näher, dann aber hielt er inne, als hätten ihn die bleichen, drohend ihm entgegenstarrenden Lichter des am Boden kauernden Gegners verwirrt. Seinem Blick begegnete er jedoch ruhig, unerschrocken. Dann kroch er langsam vorwärts, ganz langsam, Schritt um Schritt.
Dem wilden, ungezügelten Temperament des Luchses war diese überlegene, langsame Annäherung aufreizender als der wildeste Ueberfall. Er fieberte vor Angriffslust. Weit riß er seine Fänge auseinander zu heiserem Fauchen. Das schien jedoch auf den heranschleichenden Feind keinerlei Eindruck zu machen. Da riß dem Luchs die Geduld. Mit plötzlichem Sprung schoß er in die Luft, um auf dem Rücken des Otters zu landen, doch blitzschnell war der Otter bereits zurückgewichen und fuhr nun ins Wasser zurück. Fauchend stand der Luchs eine Sekunde lang still. Die tote Forelle lag glitzernd vor ihm. Plötzlich fuhr der Otter nach ihr hin und im selben Moment auch der Luchs, wütend knurrend. Erschreckt zuckte der Otter zurück. Je länger er die graue, schleichende, schattenhafte Gestalt des Luchses mit den aufgerissenen Lichtern, mächtigen Hinterkeulen und mörderischen Krallen betrachtete, je mehr erkühlte seine Kampfeslust. Gern hätte er sich aus dem zweifelhaften Unternehmen zurückgezogen, doch sein Stolz ließ nicht einmal leises Zögern verraten. Der Luchs dagegen war sprunghafteren Temperaments und gewohnt, seinen Launen nachzugeben. Diese kleine, glatte Kreatur war ihm unsympathisch, ja wurde es immer mehr, je länger er den niedrig gebauten, sehnigen, dunklen Körper, die scharfbewaffneten Fänge prüfte. Knurrend zog er sich zum Ufer zurück. Dort stand er still und blickte plötzlich in eine Baumkrone hinauf, als ob er dort etwas ganz Ungewöhnliches entdeckt habe, das weit interessanter war als sein Rivale. Der schnüffelte seinerseits aus dem Wasser hervor, mit ernster, versunkener Forschermiene. Die Forelle schien vergessen. Glitzernd lag sie mitten in einem Sonnenfleck, eine große, blauschimmernde Schmeißfliege hatte sich auf ihr niedergelassen.
Eine halbe Minute später trollte der Luchs ruhig ab, setzte sich jedoch dreißig bis vierzig Schritt entfernt auf die Keulen und blickte mit ausgesuchtester Gleichgültigkeit nach seinem Rivalen hinüber, was der wohl tun würde. Sollte er etwa die leiseste Herausforderung zeigen, so war er bereit, die Sache auszufechten. Doch der Otter dachte gar nicht daran. Er schwang sich herum, glitt in den Teich zurück, bald darauf eine bereits getötete Forelle an das andere Ufer schnellend, wo er mit Genuß über die Mahlzeit herfiel. Knurrend kam der Luchs näher, setzte die Tatze auf die noch soeben umstrittene Beute, mit funkelnden Lichtern und herausforderndem Knurren über den Teich blickend. Keine Antwort! Der Gegner war im Augenblick viel zu beschäftigt. Der Luchs riß die Forelle hoch, hielt sie, erneut knurrend, im Fang. Keine Antwort! Den Schwanzstummel steif in der Luft, trollte er in hochmütiger Haltung davon, um in dem stillen, schattigen Grün des Waldes seine Beute zu verzehren. Der Otter aber beachtete ihn garnicht.