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Der Blaufuchs

Ganz im Gegenteil zu seinen zurückhaltenden, hochmütigen, roten Stammverwandten ist der Blaufuchs kein Freund der Einsamkeit. In der rauhen Unendlichkeit der arktischen Ebenen, die sich unter tiefhängendem grauen Himmel flach und trostlos bis zur nebelumflorten Linie des Horizontes entrollen und auch den mutigsten Geist durch ihre überwältigende Oede bedrücken, lebt er in behaglicher Gemeinschaft mit den Seinen. Zwanzig und mehr seiner umfangreichen weitverzweigten Bauten wird man unter verkrümmtem Buschgewirr immer beisammen finden.

Während des kurzen, aber unbeschreiblich strahlenden arktischen Sommers, der die einsame Wüstenei mit inbrünstiger Glut überflammt, ist für die Blaufüchse gute Zeit. Wenn aber der unendliche sonnenlose Winter herannaht mit seinen Schneestürmen und den jähen Frösten, dann kommen für das Blaufuchsvölkchen böse Zeiten.

Schemenhaft geistern dann die ausgemergelten Wölfe von peinigendem Hunger gejagt über die zu Stein gefrorene Schneedecke und weithin schauert ihr langgezogenes, unbeschreiblich melancholisches Klagegeheul.

Von dem unübersehbaren Morastmeer der Tundra umgeben lag eine kleine, trockene Sandinsel. Man konnte ihr kaum den Namen »Hügel« geben, aber jedenfalls erhob sie sich aus dem Sumpf, ein Strich festen Landes, von Gräsern und Buschwerk überwuchert, während die moorige Tundra sonst nur vereinzelte Büschel Gras aufwies, auf denen ihre Bewohner sich in den warmströmenden köstlichen Sonnenstrahlen baden konnten. So mächtig der arktische Sommer auch sengen und brennen mochte, niemals drang seine Glut die wenigen Fuß tief unter die Erde, wo das Gebiet der ewigen Kühle beginnt. Deshalb brauchte auch der Blaufuchs seinen Bau gar nicht so tief zu graben. In sanfter Neigung führte ein Gang nach dem Innern, das, mit feinem, trockenem Gras ausgelegt, von seinen Bewohnern peinlich sauber gehalten wurde. Warm war es hier, trocken und süß duftend.

Es war an einem jener langen, wolkenlos strahlenden Nachmittage des Frühsommers, wo man die Schößlinge wachsen zu sehen meint und die Knospen in einer Eile schwellen und springen, als könnten sie es nicht erwarten, den Liebkosungen der Schmetterlinge und Insekten ihre Blütenkelche entgegenzuöffnen. Ueberall treibendes Leben, die Einsamkeit und Stille war wie mit einem Schlage verlöscht – vergessen. Nistende Juncos und Schneeammern zwitscherten freudig erregt im Gebüsch. Reihende Enten lärmten wild längs den hell schimmernden Windungen eines sich träge durch das Marschland wälzenden Stromes. Nicht weit, auf einem versteckten Inselchen eines schilfüberwucherten Teiches, hatten sich in hochmütiger Zurückgezogenheit zwei schöne, weiße Trompeterschwäne ihr Nest gebaut. Westlich, etwa eine Meile entfernt, weideten eine Herde Renntiere an den saftigen Schößlingen des Tundragebüschs und wanderten dabei langsam nach Norden. In der windstillen Luft lag ein leises Summen von abertausend Insekten, hin und wieder verriet schwaches Gequiek die auf unsichtbaren Wegen unter dem dichten Grün dahinhuschenden Lemminge.

Vor dem Eingang zum Bau, an dem seine flaumig wolligen Jungen mit der schlanken graublauen Mutter übermütig aus und ein spielten, saß der Blaufuchs und blinzelte träge in die zitternden Glutwellen der Sommerluft, bisweilen mit zufriedenen Blicken seine kleine Familie streifend. In gleicher sorgloser Lebensfreude spielten andere Familien seiner Stammverwandten in der Nachbarschaft. Plötzlich entdeckten seine bei aller wohligen Schläfrigkeit scharf wachsamen Seher einen weißbeschwingten Vogel, der trotz seiner langsamen Flügelschläge unheimlich schnell über das Marschland näher kam Der Fuchs erkannte ihn sofort und stieß einen schrillen Warnungsschrei aus, der über die ganze Kolonie hin erwidert wurde, und blitzschnell waren die spielenden Jungen in die Baue geschlüpft oder hatten sich dicht an die Mutter gedrängt. Dann saßen sie geduckt und blickten neugierig nach dem seltsamen Flieger, den mächtige Schwingen lautlos herantrugen.

Der Blaufuchs selbst, ebenso wie seine anderen erwachsenen Brüder, bewegte sich nicht von der Stelle, doch seine Seher waren unverwandt auf die geheimnisvoll näher schwingende Gestalt gerichtet.

Es war eine große arktische Eule, weiß und dunkelbraun gefleckt. Ihre nachlässige Art zu jagen ließ erkennen, daß es sich im Augenblick nicht um Befriedigung ihres Hungers handelte, sondern um Stillung eines unbezwingbaren Mordgelüstes. So zog sie direkt auf die Kolonie zu, tiefer und tiefer herabgleitend. Der alte Blaufuchs spannte jeden Muskel an, bereit, ihr an die Kehle zu springen, falls sie es wagen sollte, einen der Seinen anzugreifen. Dicht über seinem Kopf flog sie dahin. Ihren schrecklichen Hakenschnabel halb geöffnet, blickte sie mit weit aufgerissenen, hart wie Juwelen blitzenden Augen in stiller Drohung auf ihn hinab, aber es schien ihr doch nicht ratsam, hinabzustoßen. So nahm sie eine Schwingung im Halbkreis um die ganze Kolonie und steuerte direkt nach dem Teich der weißen Schwäne. Schon am Rande desselben stieß sie plötzlich hinab, mitten in dichtes Schilf und stieg im nächsten Moment – ein schlankes Etwas in den Klauen – aus dem wilden Tumult der aufgescheuchten Wasservögel still in die Lüfte.

Der Blaufuchs ließ sich wieder von der Sonne bestrahlen, doch plötzlich kam eine unerklärliche Unruhe über ihn, als habe er irgendeine Pflicht versäumt. Er war nicht hungrig, denn nie hatte sich die Jagd so leicht angelassen wie jetzt, wo die weiten Ebenen von nistenden Vögeln, schwärmenden Lemmingen und ihren fetten kleinen Stammverwandten, den Wühlmäusen, wimmelten. Er brauchte nicht einmal der Fuchsmutter in der Sorge für die Jungen behilflich zu sein. Doch dämmerte in ihm eine schwache Vorstellung langer dunkler Nächte, wo die ganze Welt unter der tödlichen Intensität der Kälte zu platzen schien, wo es außer einigen wenigen Schneehühnern keine Vögel gab, die fetten Wühlmäuse sicher unter der gefrorenen Decke in ihren Löchern saßen und die kühnsten Jagdzüge oft vergeblich waren. Vielleicht war es doch angebracht, Vorrat zu sammeln? Er schüttelte seine Trägheit ab, stand auf, streckte sich ausgiebig und trottete nach der Tundra hinab.

Mit beinahe gezierter Elastizität im Gang nahm er seinen Weg über die weiten, feuchten Moosflächen – kein Laut verriet sein Nahen. Schon belebte erregtes Gepieps und Geraschel die Moosdecke. Wie eine Katze duckte er sich, schlich vorwärts und sprang im nächsten Moment mit unbeschreiblich behender Leichtigkeit nach vorn, mit Kopf und Vorderläufen im Moos verschwindend. Er war in einen der überdeckten kleinen Gänge des Moosvölkchens eingedrungen und als er seinen Kopf wieder hob, hing ein fetter Lemming zu beiden Seiten seiner feinen schmalen Schnauze herab. Er legte die Beute nieder und inspizierte sie befriedigt. Es war ein schönes rundes Tierchen, etwa sechs Zoll lang, grau mit rotbraunen Tupfen, einem geradezu lächerlichen Schwanzstümpfchen, das zu den fast übertrieben entwickelten Vorderpfoten, seinem Grabwerkzeug, in seltsamem Gegensatz stand. Einige Sekunden wälzte der Fuchs sein Opfer mit den Vorderpfoten spielend hin und her. Dann trug er es nach einer trockenen Stelle, die er am Rande der Insel ausfindig gemacht hatte.

In den nächsten Tagen fegte ein arktischer Sturm über die Ebene, eisiger Regen peitschte in Strömen fast wagrecht über die Flächen, auf denen der Himmel mit seinen zerrissenen Wolkenfetzen zu schleifen schien. Die Füchse hielten sich still im Bau, bis die Sonne wieder Siegerin war. Dann kehrten sie zu ihrer Jagd zurück ...

Aber bald waren die Tage auf ein, zwei Stunden Sonnenlicht zusammengesunken und die Tundra zu Stein gefroren, ein blendendes Gestöber feinen Schnees umfegte die Füchse auf ihren Streifzügen nach dem täglichen Bedarf. Voll glühender Luft betrieben sie die schwierige Hasenjagd. Es war keine leichte Sache, diese langläufigen schnellen Springer zu stellen, aber gerade deshalb recht nach ihrem rastlosen Unternehmungsgeist.

Inzwischen waren die verschiedenen Blaufuchshaushaltungen der kleinen Kolonie kleiner geworden. All die nunmehr herangewachsenen Jungen waren ausgewandert. Für sie gab es jetzt weder Raum noch Nahrung genug in den heimatlichen Höhlen. Das Gefühl der Verantwortlichkeit und der Fürsorge, sich eigene Höhlen zu graben, war in ihnen noch nicht erwacht, als sie zart aber mit aller deutlichen Bestimmtheit vor die heimatliche Tür gesetzt wurden. Und so blieb ihnen nichts übrig, als sich der Wanderung des Wildes südwärts anzuschließen. Leichten Herzens taten sie das, aber der harte Winter kam heran, ehe sie recht gelernt hatten, mitzujagen und Fallen und andere Uebel zu umgehen. Im Frühjahr aber kehrten sie zurück, an Weisheit und Erfahrung reich, gruben sich ihren eigenen Bau neben denen der anderen.

Die immer deutlicher drohenden Anzeichen nahender Kälte konnten den in der Gewißheit tiefvergrabener, reichlicher Vorräte befriedigt schlummernden Blaufuchs nicht beunruhigen. Die Sonne war inzwischen verschwunden und die oft strahlend hellen aber schrecklichen arktischen Nächte hielten die Ebene fest umklammert. Das Wild zeigte sich nur vereinzelt und hielt sich scheu verborgen, so daß selbst ein listiger Jäger wie der Blaufuchs oft einen ganzen Tag operieren mußte, ehe es ihm gelang, ein Schneehuhn oder einen Hasen zu erwischen. Beide waren zu dieser Jahreszeit schneeweiß, und auch der Fuchs würde kaum Glück bei seinen Jagden gehabt haben, wenn ihm die Sommerlivree geblieben wäre. Mit Beginn des Schneefalles hatte sich aber sein Fell gebleicht und deshalb gelang es ihm bei seiner Geschicklichkeit, seinem scharfen Geruchssinn und unübertrefflichen leichten Schritt, den schnellen Hasen im Schlafe zu überraschen und ein Schneehuhn zu überfallen, noch ehe es erschreckt die Flügel zur Flucht entfalten konnte. Auch wenn er sein Ziel fehlte, was oft genug geschah, fühlte er sich in keiner Weise entmutigt. Er genoß die Erregung solcher Jagden, die Befriedigung, im scharfen Lauf über den hartgefrorenen Schnee die starken, geschmeidigen Muskeln zu spannen. Wenn aber die Sturmwolken bis auf die Erde hingen und die starken Polarwinde wie böse Geister mit grimmiger Erbitterung gen Süden rasten – dann lag der Blaufuchs, behaglich blinzelnd, in der Tiefe seines Baues.

So glücklich der Blaufuchs sich im allgemeinen dünken durfte, auch er konnte nicht ganz sorglos leben. Er hatte zwei Feinde, deren Stärke und List wie eine ständige Drohung ihm im Unterbewußtsein saß. Der Wolf war der eine. Er war dem Blaufuchs an Stärke weit überlegen und verfolgte ihn, von Hunger und Haß getrieben, mit unerbittlicher Zähigkeit. Der andere war der Vielfraß, der mit unübertrefflicher List und wilder Grimmigkeit ständig auf der Suche nach ihm war.

Dieser Vielfraß, einsam und mürrisch, langsam in der Bewegung und sogar gegen den Polarsturm voll Verachtung, lungerte in allen Wettern herum. Eines Tages führte ihn ein glücklicher Zufall nach einem der Baue des Blaufuchses. Der Schnee war kürzlich erst weggescharrt worden, das sah und verstand er sofort. Gierig machte er sich ans Graben. Das ging erstaunlich leicht. Unter seinen kurzen, mächtigen Vordertatzen flogen trockene Torferde, Blätter usw. nur so aus der Höhlung, und da lagen auch ein paar gefrorene Lemminge. Doch bevor sein Riesenappetit noch befriedigt war, wurde er schmählich in seiner Mahlzeit unterbrochen.

Trotzdem der Blaufuchs den Sturm von seinem Bau aus draußen fauchen hörte, war ihm eine Ahnung gekommen, die ihn hinaustrieb, seinen Bau zu revidieren. Und richtig, er fand den Vielfraß mit dem Kopf in seinem Bau.

Heiß kochte die Wut in ihm empor, doch hier hieß es Vorsicht üben, um das Uebel gleich mit der Wurzel zu beseitigen. Er wußte, ein vertriebener Vielfraß würde zurückkommen und die ganze Gegend nach und nach ihrer Lemminge berauben.

Der Blaufuchs schlich zurück und alarmierte sämtliche Blaufüchse der umliegenden Baue. Innerhalb zweier Minuten schlich etwa ein Dutzend wütender Füchse durch den Sturm und fiel laut kläffend über den Dieb her, der in ruhiger Nachlässigkeit seine Mahlzeit hielt. So wild der Vielfraß sich auch verteidigte, er wurde von den wütenden Füchsen buchstäblich auseinandergerissen.

Die Gefahr der Wölfe jedoch war schrecklicher, furchterregender. Die ganze erste Hälfte des Winters war kein einziges Anzeichen von ihnen in der ganzen Nachbarschaft zu bemerken. Zweifellos hatten die Spuren der wandernden Renntiere sie ostwärts gelockt. Aber als eines Tages der Blaufuchs mitten in wilder Jagd hinter einem Hasen her über die weite in tausend Lichtern sprühende eisige Schneefläche herfegte, hörte er plötzlich ein dünnes, schwingendes Geheul durch die morgenstille Luft zittern. Kurz hielt er inne und blickte über die Schulter zurück. Ein grauer Fleck bewegte sich mit großer Geschwindigkeit durch die ständig wechselnden Morgenlichter, anscheinend ihm auf der Spur. Den sicheren Tod im Nacken raste der Blaufuchs, weit ausholend, daß der Leib beinahe den Erdboden streifte, dem schützenden, heimatlichen Bau zu. Die tanzenden Lichter am hohen Himmelsbogen schienen ein kaltes, hohnlachendes Frohlocken über die einsame verzweifelte Flucht.

Der Blaufuchs konnte rasen, aber seine Schnelle schien nichts im Vergleich zu der Geschwindigkeit seiner Verfolger. Ein Blick zurück überzeugte ihn, daß die grauen Gestalten ihn bald einholen würden, doch er wußte, daß sein Bau nicht mehr allzu weit war und das genügte, seinen mutigen Geist anzufeuern. Er raste, daß ihm beinahe die Lungen barsten. Und dennoch entriß er ihnen ein gellendes Warnungskläffen, das das nahende Unheil über die ganze Kolonie verkündete.

Immer näher kamen die Wölfe, der Flüchtling hörte das Aufschlagen ihrer Läufe auf dem harten Schnee – eine halbe Minute später schon das Keuchen ihrer Lungen das Klappen ihrer Fänge. Er sah sich nicht um, er durfte nicht den leisesten Bruchteil einer Sekunde verlieren. Die gräßlichen Laute schienen ihn bereits zu packen – er raste – erreichte einen Bau – es war noch nicht sein eigener – er tauchte jedoch unter und stahlharte Fänge schlugen nach seiner Lunte, als er verschwand.

Mit wütendem Geheul warfen sich die enttäuschten Wölfe zurück, einige fielen über den Bau her, andere über die umliegenden, um sie aufzugraben. Doch vergebens! Die Erde war fest und widerstand selbst den schärfsten Wolfsklauen. Durch Zufall kamen die Räuber an einen Lemmingsbau und fielen streitend über die wenigen Bissen her, die er enthielt. Als endlich der dumpfe rhythmische Schlag der weiterjagenden Rotte in der Stille der Ferne erstarb, kamen die Füchse wieder aus ihrem Bau hervor und blickten unter den tanzenden Lichtern den grauen abziehenden Gestalten in stiller überlegener Verächtlichkeit nach.


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