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Erstes Kapitel.
Durch den Kanal

Wir hatten um vier Uhr Morgens Gravesend verlassen und befanden uns jetzt, halb neun Uhr abends, in Höhe von Süd-Foreland. Bis hierher hatten wir viel lavieren müssen, nun aber blies uns der Wind mit vollen Backen in geradem Kurs den Kanal hinab.

Es war eine beinah winterlich kalte Septembernacht. Ueber den am Himmel stehenden Vollmond fegten zerfetzte, dampfartige Federwölkchen. In blassem Schimmer erhoben sich auf Steuerbord die hochgetürmten finsteren Massen von Foreland. Hoch herab von ihnen strahlte, wie ein großer Stern, das Licht des Leuchtturms. Weiterhin flimmerten, gleich einem Schwarm von Leuchtkäfern, die Lichter von Dover. Dahinter bezeichnete ein matt nebliger Schein Folkestone. Ueber Backbord blinkte flackernd wie ein fernes Feuer die Laterne des Feuerschiffs von Süd-Sand-Head.

Stampfend und schlingernd schoß das Schiff dahin. Masten und Stangen ächzten unter den böartigen Windstößen; der Bug begrub sich manchmal förmlich in den schäumenden Wellenbergen. Der ganze Rumpf erzitterte unter dem Anprall der Wogen, die ihr Spritzwasser bis zu mir aufs Kampanjedeck Aufbau auf dem Hinterdeck. schleuderten, von wo aus ich das Nachtgemälde betrachtete.

Das Schiff war der Dreimaster »Gräfin Ida«, ein damals wohlbekannter Ostindienfahrer. Seine Reise ging nach Bombay; er hatte in Gravesend eine Menge Passagiere an Bord genommen.

Von diesen war ich augenblicklich der einzige, der sich außer dem Kapitän, dem ersten Maat und der Deckwache oben befand.

Der Kapitän bewegte sich regelmäßig wie ein Uhrpendel vom Kreuzmast bis zum Kompaßhäuschen, dessen Lampe den wettervermummten Mann am Ruder gespenstisch beleuchtete. Der erste Maat stampfte überall umher, da und dort zum Rechten sehend. Aus der offenen Tür der mittschiffs befindlichen Küche fiel ein heller Lichtstreifen quer über Deck, unter dessen Schein sich dunkel das mit Spieren angefüllte lange Großboot, sowie drei kleine Kanonen abhoben, deren Mündungen aus den Stückpforten der Schanzkleidung unheimlich hervorlugten wie ein paar auf der Lauer liegende Raubtiere. Mich begann zu frieren und ich stieg die Kampanjetreppe hinab, um mich in meine Kabine zu begeben. Mein Weg dahin führte durch die große Kajüte, oder, wie man heute sagt, den »Salon«. Er nahm die ganze Breite des Schiffes ein und war sehr elegant ausgestattet. So aus der stürmischen Nacht eintretend, konnte man glauben, sich plötzlich in einen Festsaal versetzt zu sehen. Bronzene Kronleuchter verbreiteten ein sanftes Licht, und zwischen ihnen – von den Kuppeln der Oberlichter herab – hingen Ampeln mit Schlinggewächsen; darunter befand sich eine lange Tafel. Die mit Bildern und Spiegeln geschmückten Wände waren getäfelt. In der Mitte des Raumes stieg der Schaft des Kreuzmastes empor, bis zur Decke mit einem Mantel kunstvoller Holzschnitzerei umkleidet. An ihm stand ein an die Plankung befestigtes schönes Piano. Kostbare Teppiche bedeckten den Boden; bequeme Sofas und Sessel reihten sich an den Wänden. Das hinterste Ende des Salons, unter dem Steuerrade, war durch eine getäfelte Querwand abgeschlossen. Hinter dieser lag die Kajüte des Kapitäns, und daran anstoßend noch ein kleiner Raum, das Kartenzimmer, in welchem die Navigation festgestellt wurde und einige an Bord befindliche Seekadetten Unterricht erhielten. Der erste und zweite Maat hatten ihre Kabinen am Eingang zum Salon. Die Kabinen der Passagiere lagen weiter nach vorn zu beiden Seiten eines Ganges, zu dem vom Salon aus ein paar breite Stufen abwärts führten. Während ich meine Schritte vorsichtig dahin lenkte, um bei dem fürchterlichen Schwanken des Schiffes nicht hinzuschlagen, hörte ich einen Teil des Gesprächs von drei an der Tafel sitzenden Herren. Der augenblicklich, das Wort führte, war ein ostindischer Oberst namens Bannister, ein kleiner Mann mit quittegelbem, galligem Gesicht, aus dem unter buschigen überhängenden Brauen ein Paar giftige Augen hervorfunkelten; sie paßten ganz zu dem grauen Schnurrbart, der hart und drahtähnlich, wie ein Katzenbart abstand. – Er spottete, zum Schiffsarzt, Doktor Hemmeridge, gewandt, über die ärztliche Kunst, die nicht einmal ein Mittel gegen die Seekrankheit besitze, wobei der dritte Herr, ein beleibter Holländer, Peter Hemskirk in seiner breiten Sprache bemerkte:

's sind dä Nerven.

Dä Nerven, echote der Oberst, mit einem Blick auf das Embonpoint des Holländers, na, werter Herr, da scheint Ihnen der Unterschied zwischen Nerven und Magen nicht bekannt zu sein.

Ach, ist ja alles eins! fiel Doktor Hemmeridge besänftigend ein. Die Seekrankheit geht jedenfalls vom Kopf aus, und bitte, Herr Oberst, was ist denn das Gehirn anders als – – –.

Ha, ha! unterbrach ihn mit wieherndem Lachen der Angeredete. Da haben wir's. Wenn die Seekrankheit vom Gehirn ausgeht, nun dann – ha, ha! – dann ist es wohl kein, Wunder, daß Mynheer hier, trotz seiner ersten Seereise, wie er sagt, dagegen gefeit ist.

Das waren die letzten Worte, die ich von der interessanten Unterhaltung vernahm. Sie trafen noch mein Ohr, nachdem ich schon den breiten Gang erreicht hatte, an dessen beiden Seiten entlang sich die Passagierkajüten reihten. Aus einigen derselben klangen gedämpfte Klagelaute. Vor einer Tür hockte eine Negerin mit einem Ring durch die Nase, den Kopf in einer weißen, turbanähnlichen Verhüllung. Sie stöhnte zum Erbarmen, während gleichzeitig ein Kind, das sie auf ihren Armen wiegte, schrie, als ob es am Spieße steckte.

Gerade als ich an ihr vorbeiging, wurde die gegenüberliegende Tür heftig aufgerissen. Ein junger Mann mit kreidebleicher Gesicht steckte den Hopf heraus und brüllte: Zum Donnerwetter! Halt's Maul, Kröte! Das verdammte Geschaukel von diesem alten Troge ist schon ohne das Geplärre genug, um verrückt zu werden! He! Steward.! Stew … Das übrige blieb ihm im Halse stecken, Das Schiff neigte sich, stark zur Seite; die Tür flog auf und der nur mit Hemd und Hose bekleidete junge Mann mir beinahe in die Arme.

Sind Sie der Steward? schnaubte er mich an.

Nein, lachte ich, aber schreien Sie nur weiter, vielleicht kommt er dann.

Wird nicht jemand dies Weib erwürgen! fuhr er fort zu toben. Und wer weiß, was er sonst noch für Untaten gewünscht haben würde, hätte das Schiff nicht plötzlich wieder nach der anderen Seite übergeholt und ihn, mit der zuschlagenden Tür in seine Kabine zurückgeworfen. Im nächsten Augenblick vernahm ich von drinnen einen Ton, der mir verriet, daß das Elend ihn gepackt hatte.

In meiner Kabine fand ich die Lampe angezündet und meinen Schlafkameraden auf dem Rande seiner Bettstelle sitzend, die über der meinen angebracht war. Er ließ seine Beine herabbaumeln und blickte unruhig zu Boden. So kurz unsere Bekanntschaft war, hatten wir uns doch schon ganz gut ineinander gefunden. Bei der gegenseitigen Vorstellung erfuhr ich, daß er Stephan Colledge hieß, ein Sohn von Lord Sandown war und nach Indien ging, um dort zu jagen. Noch jung, mit blondem Schnurrbart, weißen Zähnen, freundlichem Gesicht und einnehmendem gemütlichem Wesen hatte er etwas sehr Ansprechendes.

Verteufelt stürmisch, nicht wahr, Herr Dugdale, redete er mich an. Und wie der Regen gegen das kohlschwarze Fenster prasselt! – Scheußlich! Es regnet gar nicht, erwiderte ich indem ich an meinen Koffer trat und auszupacken begann. Was Sie für Regen halten, ist der anschlagende Gischt.

Widerwärtiges Wasser, murmelte er. Warum, zum Kuckuck, kann sich der Ozean nie ruhig verhalten? Wenn ich gewußt hätte, daß das Schiff derartig schaukelt, würde ich ruhigeres Wetter abgewartet haben. Er seufzte tief. Dann bat er: Ach, wollen Sie die Freundlichkeit haben, einmal den Deckel meines Koffers aufzuklappen. Sie werden da eine Flasche Brandy sehen. Um keinen Preis möchte ich mich vom Flecke rühren; bereue, daß ich mir keine Hängematte mitgebracht habe, so unbequem die Dinger auch beim Rein- und Raussteigen sind.

Ich fand die Flasche und gab sie ihm. Er tat einen kräftigen Zug, und ich merkte dabei an seinen schon etwas glasierten Augen, daß es innerhalb der letzten Stunde gewiß nicht der erste war.

Fühlen, Sie sich denn nicht auch elend? fragte er.

I wo.

Ah, richtig, Sie sind ja wohl mal Seemann gewesen. War's nicht so?

Ja, ein paar Jahre.

Wollte, ich wäre auch mal Seemann, gewesen, stöhnte er. Natürlich gewesen, denn immer auf See zu sein – barmherzige Güte! – Stellen Sie sich vor – vier oder vielleicht fünf Monate so wie jetzt!

Oh, lassen Sie's gut sein, suchte ich ihn zu ermutigen, morgen oder übermorgen werden Sie so seefest sein wie ich, oder sonst ein alter Seebär.

Kann's mir nicht recht vorstellen.

Eine Weile träumte er vor sich hin, dann fing er wieder an: Sagten Sie nicht, Sie gingen nach Indien, um zu malen?

Nein, lachte ich, das muß Ihnen ein anderer erzählt haben. Ich will eine alte Tante besuchen; ich reise zu meinem Vergnügen.

So? Zum Vergnügen? wiederholte er fast ungläubig. Aber warum denn auch nicht? Hätt's bald vergessen, daß, ja auch ich, zum Vergnügen reise. Ist das nicht verrückt, Dugdale? – Pardon – das entschlüpfte mir so; aber es hat doch wirklich keinen Sinn, einen Menschen mit Herr anzureden, dessen Schlafkamerad man Monate hindurch sein soll. Nennen Sie mich Colledge, alter Junge, da läßt sich viel vertraulicher miteinander schwatzen.

Er sah mich dabei freundlich an; seine Augen fielen ihm aber vor Müdigkeit beinahe zu, und wie schon halb im Traume fuhr er fort:

Sagen Sie, haben Sie seit Mittag jenes Mädchen mit den wunderbaren Augen wiedergesehen? Ach, diese Augen! Diese Augen!

Hiermit zog er, ohne eine Antwort abzuwarten, seine Beine herauf und legte sich auf die Seite.

Bald darauf zeigten mir seine tiefen Atemzüge, daß' er eingeschlafen war.

Ich stopfte mir meine Pfeife, um sie auf Deck zu rauchen.

Als ich den Salon durchschritt, lag Oberst Bannister mit einem Glas Grog in den Händen auf einem Sofa. Da und dort saßen noch einige Herren, die alle stumm mit finsterem Gesicht in die Lampen starrten.

Die Treppe hinaufsteigend, hörte ich das Trillern der Pfeife des Bootsmannsmaats und die schweren Tritte der auf dieses Signal zusammenlaufenden Mannschaft. Herr Prance, der erste Maat, hatte soeben das Reffen einiger Segel angeordnet.

Ich setzte mich an einen geschützten Platz und sah der Arbeit zu. Dabei kam mir die Zeit ins Gedächtnis, wo ich selber Seemann war. Sie erschien mir so weit in der Vergangenheit und doch lag sie erst sechs Jahre zurück. Das Ausholen der Refftaljen, das Aufentern der Leute in den Wanten, ihr Hingleiten auf den schwanken Tauen der Raaen, ihre gegenseitigen Zurufe beim Reffen und Einbinden der Segel, das alles war mir so wohlbekannt und versetzte mich so in meine Seemannszeit, daß mir war, als müßte ich zuspringen und helfen. Doch war ich froh, daß ich das nicht brauchte und beschaulich meine Pfeife rauchen konnte. Als sie ausgebrannt war, stopfte ich mir eine neue, stand auf und schlenderte etwas umher. Das Land nach Steuerbord war nur noch hier und da an flimmernden Punkten zu erkennen, die vielleicht aus einer Stadt oder einem Dorf kamen. Fern über der Backbordseite blinkte das Licht eines französischen Leuchtturms.

Da ich Stimmen aus dem Salon hörte, trat ich an das Oberlicht und blickte hinunter. Ich sah, wie sich soeben der Kapitän an den Tisch setzte und der Oberst sich ihm zugesellte. Bald darauf stellte ein Steward einen kleinen dampfenden Kessel, eine Flasche Rum und mehrere Gläser auf das vor den beiden schwebende Hängebrett. Das sah ganz gemütlich aus und ich würde mich gern zu ihnen gesetzt haben, wenn mir nicht der Oberst so unsympathisch und ich augenblicklich nicht lieber allein gewesen wäre, da mir das Herz noch schwer war vom Abschied von all den Lieben, die ich vielleicht zum letztenmal gesehen hatte. So blieb ich also oben und betrachtete Kapitän Keeling, von dem ich! bei Tage noch wenig gesehen hatte, weil er erst gegen Abend, nach Abgang des Lotsen, zum Vorschein gekommen war. Nach allem, was ich an Land schon von ihm gehört hatte, sah ich ihn mit besonderem Interesse an. Er genoß einen großen Ruf unter den Reedern, weil er einst sein Schiff in der Bai von Bengalen gegen eine stark bemannte Seeräuberbrigg tapfer verteidigt und glücklich gerettet hatte. Diese Tat hatte ihn zu einem berühmten Mann gemacht, und sowohl von der Reederei wie auch von seinen Passagieren war er mit kostbaren Ehrengaben überschüttet worden. Er mochte etwa sechzig Jahre alt sein; hoch gewachsen und von kräftiger Gestalt erschien er als das Vorbild eines Seemanns. Seit fünfundvierzig Jahren auf allen Meeren heimisch, hatten Klima und Stürme seinem Gesicht ein rotgebräuntes, wettergehärtetes Aussehen gegeben. Sein kurz geschorenes Haar war silberweiß, ebenso ein schmaler Streifen kurz gehaltenen Backenbartes, der sich von den Ohren bis zur Mitte der Wangen herabzog. Er hatte eine etwas stulpige Nase von bläulichroter Färbung. Seine kleinen, tiefliegenden Augen wurden fast verdeckt von buschigen, silbernen Augenbrauen. Er trug einen dunkelblauen Ueberrock mit goldenen Knöpfen, schwarzem Sammetkragen und ebensolchen Aermelaufschlägen. Den Hals umschloß eine schwarze, mit einer kostbaren Nadel geschmückte Atlasbinde, aus welcher hohe, spitze Vatermörder ragten, die ihn nötigten, den Kopf in steifer militärischer Haltung zu tragen.

Er mußte mein Anstarren wohl gemerkt haben, denn er hob plötzlich den Kopf nach dem Oberlicht. Dies veranlaßte mich, weiter zu schreiten. Ich stieg wieder auf das Kampanjedeck, um noch einen Blick auf die See zu werfen.


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