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Zehntes Kapitel.
Ein sonderbares Ereignis

Um bei dem Laufen vor dem Winde nicht zu weit vom Kurs abzukommen, hatte der Kapitän gegen Abend beidrehen lassen. Der Sturm war noch heftig, drückte aber nicht mehr so auf das Wasser, weshalb es sich allmählich erhob und die Wellen größer und größer wurden. Dementsprechend fing das Schiff an unerträglich zu schlingern. Die Mittagstafel war deshalb nur spärlich besetzt und nahm einen höchst ungemütlichen Verlauf; nur mit größter Geschicklichkeit brachte man es fertig, einige Bissen in den Mund zu bekommen. Gesprächsstoff wäre ja genug vorhanden gewesen, aber einerseits hatte jeder genug mit dem Balancieren des Essens zu tun, und andererseits verursachte das Getöse des heulenden Sturms und das Brüllen der Wogen einen solchen Lärm, daß die gegenseitige Verständigung sehr erschwert wurde. Zu alledem kam noch die Angst und Bestürzung über das furchtbare Hin- und Herwerfen des Schiffes. Ich hatte während meiner Seemannszeit in dieser Beziehung schon viel erlebt, doch solch schweres Wetter jemals durchgemacht zu haben, erinnerte ich mich nicht. Es gab Augenblicke, wo auch ich dachte, unsere letzte Stunde sei gekommen. Dieser Tag stellte wirklich starke Ansprüche an unsere Nerven; vom frühen Morgen ab hatte eine Aufregung die andere gejagt. Zuerst die Brigg mit der Aussicht auf abgeschnittene Kehlen, und Gott weiß was für Mord- und Schandtaten, dann das fürchterliche Gewitter und jetzt diese heillosen Wogen, die jeden Augenblick ein Kentern herbeiführen konnten. Das war selbst mir zu viel.

Still und blaß schlichen die meisten nach Beendigung des Essens in ihre Kabinen. Nur Johnson, Emmet, der kleine Saunders und ich blieben zurück. Johnson war kreidebleich; er saß unpraktischerweise ebenso wie die beiden andern an der Wetterseite und krallte sich unter den sonderbarsten Verrenkungen seiner langen, dürren Gestalt mit den Händen in seinen Sitz, um nicht bei jeder tieferen Neigung des Schiffes kopfüber zu stürzen. In ähnlicher Weise stemmte Emmet mit fest aufeinander gebissenen Zähnen die Füße gabelförmig in den Teppich und die Arme in die Polsterung seines Sessels. Der arme Saunders stand aber geradezu Todesqualen aus, da seine armen Beinchen nicht bis zum Boden reichten, und er also nur auf die Kraft seiner Arme angewiesen war; sein Gesicht war kirschrot vor Anstrengung. Ich selbst saß auf der sichereren Leeseite. Es war mir wahrhaftig auch nicht leicht ums Herz, trotzdem aber fand ich doch ein gewisses Amüsement in Beobachtung der drei.

Gegen elf Uhr kletterte ich nach Art der Papageien am Tisch entlang nach einem der hängenden Servierbretter, um mir noch einen kalten Grog zu mischen. Kaum war ich mit diesem glücklich wieder auf meinen Platz gelangt, als das Schiff sich derart überneigte, daß ich dachte, es müsse kentern. Im selben Augenblick glitt mein kleiner Saunders von seinem Sitz und kullerte wie ein Knabe, der sich eine Böschung hinabkugelt, mir direkt vor die Füße. Ich half dem erschreckten Männchen auf und gab ihm ein Glas Grog, das er mit einem dankbaren Blick leerte. Bald darauf kroch er, meinem Rat folgend, auf allen Vieren nach seiner Kabine, während ich mir ein neues Glas Grog holte.

Danach mußte ich wohl eingeschlafen sein, denn plötzlich hörte ich, wie es drei Uhr schlug. Kein Mensch war mehr in der Kajüte; es brannte nur noch eine Lampe. An den jetzt stampfenden Bewegungen des Schiffes merkte ich, daß wir wieder vor dem Wind liefen und dieser wesentlich nachgelassen hatte. Nun ging ich endlich auch zu Bett.

Als ich erwachte, schien die Sonne durchs Fenster. Das Schiff schwebte ziemlich glatt dahin. Colledges Beine sah ich über mir baumeln, er mußte also auf dem Rande seiner Koje sitzen.

Guten Morgen! rief ich.

Morgen, Morgen, antwortete er fröhlich. Gott sei Dank, wieder schönes Wetter. Schwerenot, war das eine grausame Nacht! Lustig, was? Finden Sie immer noch Vergnügen an dieser herrlichen Wasserfahrt?

Warum denn nicht? Gewiß, es war ein gesunder Sturm und nicht gerade lustig, wie Sie sagen, aber auf See muß man so was mit in Kauf nehmen und nun ist das Wetter ja auch glücklich überstanden.

Na, ich wollte, die ganze Reise wäre erst überstanden, murrte Colledge, auf den Boden springend.

Nur Geduld, Freund, tröstete ich – ebenfalls mein Bett verlassend – wie alles auf der Welt wird auch die Reise ihr Ende nehmen.

Wenn nur nicht auf dem Meeresgrunde. Wissen Sie, eine einzige Rute Land ist mir lieber als dreißigtausend Morgen Schiffsbord. Uebrigens, sagen Sie mal, Sie kamen ja gestern merkwürdig vertraulich mit Fräulein Luise an, als ich gerade nach ihr ausschauen wollte. Ich traute meinen Augen nicht, sie Arm in Arm mit Ihnen zu sehen.

Tja, erwiderte ich geheimnisvoll, wenn Sie eher auf Deck gekommen wären, hätten Sie noch ganz anderes sehen können, wie das schöne Mädchen hing, zum Beispiel.

Hing? schrie er.

Ja, hing. An einem veritablen Strick.

Er trat dicht vor mich und sah mich an. Bitte, machen Sie keine schlechten Witze; reden Sie vernünftig. Was war mit ihr? War sie in Gefahr?

Na, Ihnen zum Troste: am Halse hing sie nicht, aber sie baumelte mit den Händen an einem Tau, und ich rettete sie. Auf meinen Armen trug ich sie nach einem Hühnerkäfig.

Dies Mädchen hätte sich von Ihnen tragen lassen?

Wahr und wahrhaftig.

Er starrte mich einen Augenblick finster an, dann hellte sich sein Gesicht aber wieder auf, und er sagte freundlich: Ah, ich verstehe. Die Not hatte es geboten, wegen des Sturmes, nicht wahr?

Mich belustigte seine Eifersucht. Hm, wer weiß, antwortete ich, ihn aus einem Auge anblinzelnd.

Das machte ihn wieder düster und stutzig. Verdammt, knurrte er, Sie lieben sie am Ende auch. Sollten Sie so indiskret gewesen sein und ihr verraten haben, daß ich verlobt bin?

Dieser Zweifel an meiner Ehrenhaftigkeit verletzte mich. Gereizt erwiderte ich daher: Bester Colledge, reden Sie kein Blech, und schritt zur Tür hinaus, während er hinter mir her schrie: Haben Sie es getan? Haben Sie es getan?

Ich ging mein gewohntes Morgenbad zu nehmen. Ueber Deck schreitend verwischte mir der herrliche Anblick des Ozeans den augenblicklichen Unmut. Die mächtig langen Wogen glänzten im schönsten Blau, und nah und fern funkelten ihre schaumgekrönten Häupter im Sonnenschein. Der Wind blies zwar noch kräftig, doch da das Schiff vor ihm herlief, merkte man seine Gewalt nicht so sehr.

Als ich später am Frühstückstisch erschien, fand ich die Unterhaltung recht lebhaft. Der alte Keeling, dessen Gesicht die Spuren der auf Deck durchwachten Nacht und der Sorgen und seelischen Aufregungen der letzten vierundzwanzig Stunden trug, konnte sich der von seiten der Damen auf ihn einstürmenden Fragen kaum erwehren. Er antwortete aber, bald hierhin, bald dorthin sich wendend, mit der ihm eigenen altväterischen Höflichkeit und dem ihm so wohlstehenden freundlich verbindlichen Lächeln. Johnson saß mit einem braun und blau geschlagenen Auge da, und Doktor Hemmeridge mit einem großen Stück Heftpflaster auf der Stirn. Sie waren beide von den heftigen Bewegungen des Schiffes aus dem Bett geschleudert worden. Auch Oberst Bannister hatte wohl etwas ähnliches erlebt, denn er klagte über ein verstauchtes Handgelenk. Ebenso sah man einigen Damen das Wetter der Nacht an. Die dicke Frau Hudson schien noch gar nicht recht erwacht zu sein; ihre Augen waren verschwollen, und ihre Perücke saß windschief. Ihre hübsche Tochter sah aus, als wäre sie eine ganze Woche lang nicht ins Bett gekommen. Man konnte sich gar nicht vorstellen, daß dies blasse Mädchen mit den matten, von dunkeln Schatten umringten Augen dasselbe frische, muntere, kokette, kleine Geschöpf vom Morgen des vergangenen Tages sei. Dagegen schien Fräulein Temple von der furchtbaren Nacht gänzlich unberührt geblieben. Tadellos angezogen wie immer, plauderte sie mit dem ihr gegenübersitzenden Colledge so heiter, als wenn nicht das geringste passiert wäre. Ja, sie schien gar keine Erinnerung mehr daran zu haben. Ganz bestimmt hatte ich diesmal wenigstens auf einen flüchtigen Gruß von ihr gerechnet, doch mit keinem Blick streifte sie auch nur die Seite, an der ich saß. Ich war für sie einfach nicht vorhanden.

Töricht genug, geriet ich dadurch in eine so ärgerliche, bissige Stimmung, daß es zu einem häßlichen Streit zwischen mir und Johnson kam. In seiner Nähe am unteren Ende des Tisches sitzend, hörte ich, wie er im Laufe der Unterhaltung äußerte:

Jetzt tut es mir doch leid, daß es mit der Brigg zu keinem Kampfe kam. Donnerwetter, was würde das für ein Stoff für meine Feder gewesen sein!

So. Meinen Sie? mischte ich mich lachend ein. Dazu hätte doch vor allen Dingen gehört, daß Sie auch selbst etwas gesehen hätten.

Gewiß. Alles würde ich gesehen haben. Oder zweifeln Sie daran? entgegnete er hitzig.

Ich zweifle nicht, spottete ich, daß Sie im Kielraum viel Ratten gesehen hätten. Weiter gibt es unten nichts.

Herr, was soll das heißen? Glauben Sie, daß ich mich versteckt haben würde? fuhr er mich blaß vor Wut an. Ich verbitte mir solche Redensarten. Niemand sucht etwas hinter dem Ofen, der nicht dort Bescheid weiß.

Aber, meine Herren, meine Herren, beschwichtigte Prance leise. Denken Sie doch an die Damen.

Diese Mahnung erschien mir so richtig, daß ich hinunterschluckte, was ich entgegnen wollte, und mich nur mit einem verächtlichen Achselzucken begnügte. Emmet aber konnte sich nicht der höhnischen Bemerkung enthalten:

Vermutlich hat Herr Dugdale als früherer Seemann gestern gleich von vornherein erkannt, daß die Brigg nur ein harmloses Handelsschiff war, und da hatte er es freilich sehr billig, sich als Helden aufzuspielen.

Ich weiß nicht, wie sich hiernach die Sache noch weiter gesponnen und welchen Ausgang sie genommen hätte, würde sie nicht plötzlich mit einem höchst lächerlichen Knalleffekt ihr Ende gefunden haben. Johnson nämlich, der auf einem Drehsessel saß, dessen einziger zylindrischer Fuß am Boden befestigt war, warf sich bei der läppischen Aeußerung Emmets laut lachend so heftig hintenüber, daß der, wahrscheinlich beim Sturm locker gewordene Fuß krachend zusammenbrach, und Johnson, eingezwängt in die ziemlich enge Rundlehne, in der einen Hand das Messer, in der andern Hand die Gabel, strampelnd auf der Erde lag. Der Kapitän, die Stewards und die zunächst befindlichen Herren sprangen herzu, um ihm aufzuhelfen, die Sache war aber so komisch, daß die ganze übrige Gesellschaft vor Lachen fast erstickte.

Für mich hatte das Intermezzo das Gute, daß mein Zorn völlig verrauchte. Ich nahm die günstige Gelegenheit wahr, mich nach oben zu begeben.

Um nicht bald wieder mit den beiden seelenverwandten Freunden zusammenzutreffen, ging ich nach dem Vorderdeck, wo ich den ganzen Vormittag herumschlenderte und ab und zu mit dem Bootsmann schwatzte.

Die Unterhaltung mit dem alten treuen Burschen erheiterte mich zwar, im Grunde genommen aber blieb ich verstimmt. Es nutzte mir nichts, mich dumm und töricht zu schelten, ich konnte nicht anders, als in Gedanken fortwährend mit diesem Mädchen hadern, das mir nicht aus dem Kopf wollte. Was war sie mir eigentlich, was gingen wir beide uns an? Ihre Kälte und offenbare Mißachtung konnten mir völlig gleichgültig sein. Sie hatte keine Ahnung von dem Zauber, den ihre Reize auf mich ausübten. Ja, hätte sie davon gewußt, dann allerdings wäre ich berechtigt gewesen, mir ihr Benehmen zu Herzen zu nehmen, so aber war ich doch der reine Esel, mich überhaupt darüber zu grämen. Ich gab mir alle Mühe sie zu hassen, doch das wollte mir auch nicht gelingen. Hundertmal konnte ich mir vordeklamieren: Kerl, hast du gar keinen Stolz, bist du nicht blödsinnig, dir ein Wesen nicht aus dem Sinn schlagen zu können, vor dessen Hochmut du Staub bist? Ja, das sagte ich mir alles, dennoch aber ertappte ich mich immer und immer wieder, wie ich unter der Wölbung des großen Segels hinweg sie verstohlen mit meinen Blicken verfolgte, während sie auf dem Hinterdeck, mit Colledge heiter plaudernd, hin und her spazierte.

Meine Laune wurde den ganzen Tag nicht besser; ich ging möglichst jedem aus dem Wege. –

Am Abend befand ich mich mit Prance auf dem Kampanjedeck. Der Wind hatte sich zu einer angenehmen Brise gestaltet; alle Segel standen voll. Das Schiff wiegte sanft über die schwache Dünung. Der Westen glühte in der Pracht des Sonnenunterganges, und alle Passagiere erlabten sich an der warm fächelnden Luft. Auf dem Vorderdeck tanzte ein Matrose, umgeben vom größten Teil der Mannschaft, einen Hornpipe nach den Klängen einer Fiedel, in die sich das leise Plätschern des Wassers mischte. Ein gewissermaßen ländlich stiller Frieden ruhte auf dem Schiff.

Prance und ich amüsierten uns über den tanzenden Burschen. Da plötzlich hielt derselbe inne, weil der Geiger mitten im Takt abbrach, von den Spieren, auf denen er gesessen, herabsprang und mit der Nase in der Luft schnüffelte. Dann schüttelte er den Kopf, horchte, sagte etwas und schritt, gefolgt von den andern, zur Vorderluke. Hier neigte er sein Ohr tief hinab bis zum Deckel und sagte wieder etwas.

Was haben die nur? Was kann denn da los sein? meinte Prance.

Gleich darauf sahen wir einen Bootsmannsmaat mit langen Schritten auf uns zukommen, und als er über dem Deckrand auftauchte, fragte Prance: Was gibt es?

Mit verhaltener Stimme und verstörtem Blick murmelte der Mann: Es riecht da vorn nach Rauch und dann – fügte er scheu hinzu – klingt es, als ob unter der Luke jemand pochte.

Teufel auch! Brandgeruch? Wie sollte denn das kommen? brummte Prance erschreckt und schritt sogleich schnell, aber sich den Anschein vollkommener Ruhe gebend, nach vorn. Natürlich folgte ich ihm.

Die Vorderluke ist ein großer viereckiger Deckausschnitt, der durch einen entsprechenden Deckel verschlossen ist. Ueber ihm liegt eine durch Eisenstäbe festgehaltene Teerdecke. Die Luke wird auf See selten geöffnet, da unter ihr die Ladung verstaut ist, die in der Regel bis zum Deckrand reicht.

Als wir angelangt waren, verspürten wir wohl Brandgeruch, doch er war so schwach, daß eine feine Nase dazu gehörte, ihn zu bemerken. Noch schnüffelten wir da und dort, als auf einmal unmittelbar unter dem Deckel deutlich und unverkennbar ein Pochen hörbar wurde, das von einem schweren Instrument herrühren mußte.

Wir sahen uns alle an, als ob wir unsern Sinnen nicht trauten, doch Prance schwankte nicht lange und sagte zum Zimmermann: Da unten ist jemand. Oeffnen Sie die Luke! Aber ohne viel Lärm, damit die Passagiere nichts merken und nicht beunruhigt werden.

Lautlos und in ängstlicher Erwartung standen die Leute umher, während die Eisenstäbe beseitigt wurden. Und die allgemeine Spannung erhielt neue Nahrung, als beim Zurückschlagen der Teerdecke das Pochen so heftig ertönte, daß die Arbeiter entsetzt zurückfuhren. Es dauerte eine Weile, bis sich vier Mann auf Befehl des Zimmermanns entschlossen, den Deckel zu fassen und abzuheben.

Der freigelegten Oeffnung entstieg ein dünner bläulicher Rauch und in ihm eine Gestalt, bei deren Erscheinen sich Schreie des Entsetzens erhoben – der vor Wochen begrabene Matrose Crabb stand vor uns.

Bei dem Anblick des Totgeglaubten wichen die meisten unwillkürlich zurück. Auch ich fühlte, wie ich blaß wurde, ein beinahe lähmendes Grausen hatte mich erfaßt. Es ist in der Tat keine Kleinigkeit, plötzlich einem Menschen zu begegnen, den man mit eigenen Augen tot vor sich hat liegen sehen und dessen Begräbnis man beigewohnt hat. Und doch, da stand er, weit abschreckender noch, als ich ihn je gesehen, und wandte sein von Rauch und Schmutz geschwärztes Gesicht von der sanften Abendröte ab, als ob seine an die Dunkelheit des Kielraums gewöhnten Augen keinen Lichtschein ertragen könnten. Sein Hemd hing ihm in Fetzen vom Leibe, seine Hosen zeigten viele Risse, Arme und Brust waren voll blutiger Kratzwunden, die er sich wohl beim Durchquetschen durch die eisenbeschlagenen Holzkisten zugezogen hatte, kurz, es war ein grauenhafter Anblick. Er sprach kein Wort, sondern hustete und prustete nur, während er wie schwindlig hin und her taumelte.

Schmalridge, ergreift den Mann, befahl Prance, der seine momentane Starrheit bald abgeschüttelt hatte. Legt ihn in Eisen und sperrt ihn vorläufig in Eure Kammer. Dann sich an die Mannschaft wendend: Vorwärts, an die Vorderpumpe! Schnell Schläuche und Eimer herbei!

Die gewaltige Hand des Bootsmanns legte sich wie ein Schraubstock an die Kehle Crabbs. Doch war keine Gewalt nötig, da der vom Rauch fast Betäubte sich willenlos abführen ließ.

Dies und die Befehle des ersten Maats wirkten auf die Mannschaft wie ein Zauber. Jeder sprang eilfertig davon, die Befehle auszuführen. Bald waren die Schläuche gelegt und eine Eimerkette gebildet; die Pumpe rasselte.

Vorderhand schwebte der Rauch zwar immer noch träge aus der Luke empor, doch wer konnte wissen, ob er sich nicht plötzlich in dicke schwarze Wolken verwandeln würde? Feuer auf See! Barmherziger Himmel, das ist etwas, wobei selbst den Mutigsten kaltes Entsetzen erfaßt.

Doch Prance war nicht der Mann, zu zaudern, wo es galt, schnell zu handeln. Rasch ließ er die obersten Lagen der Kisten auf Deck räumen, stieg dann, gefolgt von mehreren Leuten in die Tiefe und nahm denselben Weg, den Crabb sich gebahnt hatte.

Währenddem kam der Kapitän mit Cocker eiligen Schrittes heran; letzterer begab sich sofort ebenfalls in die Luke. Der alte Keeling war vollkommen ruhig, da er sich auf die beiden Maats unten ganz verlassen konnte. Ohne ein Wort zu sprechen, sah er dem fortgesetzten Aufholen der Ladung und den andern Vorbereitungen so gelassen zu, wie ein an der Sache ganz Unbeteiligter. Der kluge alte Mann wußte gar wohl, daß er damit das beste tat, was er tun konnte, um auf die arbeitenden Leute beruhigend zu wirken.

Es war merkwürdig, wie ihnen seine bloße Anwesenheit jeden Gedanken an eine Gefahr benommen zu haben schien. Das einzige, was er nach einer Weile anordnete, war, daß er eine Postenkette querschiffs ziehen ließ, um zu verhindern, daß sich einer der furchtsam und angstvoll auf dem Hinterdeck zusammengedrängten Passagiere der Feuerstelle nähere. Mich sah er auch einen Augenblick an, wie wenn er mich fortschicken wollte, doch mochte er, da ich einmal da war, denken: Mag er bleiben, und sagte deshalb nichts.

Das Ausräumen der Ladung ging jetzt so ruhig von statten, als ob es nur gälte, einige Kisten des Passagiergepäcks herauf zu befördern. Inzwischen fuhr der Rauch fort, sich langsam empor zu kräuseln.

Auf einmal tönte ein dumpfer Ruf von unten: Hier ist es, und gleich darauf tauchte, wie eine Ratte aus ihrem Loch, mit rauchgeschwärztem Gesicht der Kopf Cockers aus der Luke auf und verlangte einen Schlauch.

Wo brennt es? fragte der Kapitän.

Ach, es ist gar kein Brand, entgegnete der Maat sorglos. Die Sache hat nicht viel zu bedeuten, es glimmt nur da unten in der Nähe des Hauptmastes etwas, gerade an der Stelle, wo das Zwischendeck durch eine Bretterwand nach vorn zu abgeschlagen ist. Ein wenig Wasser wird genügen.

Im nächsten Augenblick war er schon wieder mit dem Schlauch in der Tiefe verschwunden. Bald darauf entstieg der Luke ein schwarzer Qualm, der sich aber verzog.

Etwa eine Viertelstunde später erschien Prance, schwarz wie ein Schornsteinfeger, und meldete dem Kapitän mit militärischem Gruß: Das Feuer ist gelöscht!

Was war es eigentlich, Prance? Wie in aller Welt kann das Feuer entstanden sein?

Es glimmte ein Ballen Decken. Ich denke mir, daß Crabb – – – –

Crabb? unterbrach der Kapitän. Wie kommen Sie auf den?

Na, hat der Bootsmann noch nicht gemeldet, daß Crabb da unten gesteckt hat und ich ihn inzwischen habe in Eisen legen lassen?

Der Alte runzelte die Stirn. Sie sprechen in Rätseln. Ich weiß von nichts; der Crabb, der einst hier war, ist tot und längst begraben, kann also mit dem Feuer nichts mehr zu tun haben. Ich verstehe Sie nicht.

Dann allerdings muß ich erst den Vorgang berichten, erwiderte Prance, erzählte was sich ereignet und schloß mit den Worten: Ich zweifle nicht, daß er den Brand verursachte, als er sich eine Pfeife ansteckte. Mehr weiß ich vorderhand noch nicht, da mir keine Zeit blieb, ihn zu vernehmen. Wenn es Ihnen recht ist, können wir dies jetzt aber gleich tun.

Keeling hatte stumm und starr zugehört. Jetzt sagte er nur düster: Führen Sie mich zu ihm, und schritt mit dem Maat nach der Kammer des Bootsmanns.

Bald, nachdem sie gegangen waren, stieg Cocker aus der Luke und befahl das Wiederverstauen der auf Deck geschafften Güter.

Das Feuer ist also gelöscht, redete ich ihn an. Ich hörte eben, wie Prance dem Kapitän Meldung darüber machte und die Meinung äußerte, daß Crabb es wohl beim Rauchen verursacht haben würde.

Ja, da brate mir einer 'nen Storch, rief er, als wenn er das Unerhörte noch nicht zu fassen vermöchte. Sagen Sie um Gottes willen, es ist doch kaum glaubhaft, daß der tote Kerl wieder da sein soll?

Davon können Sie sich gleich selbst überzeugen; der Kapitän und Prance sind eben zu ihm gegangen. Mir geht jetzt ein Licht auf, wenn ich daran denke, wie die über Bord gekippte Leiche durchaus nicht untergehen wollte. Prance und ich haben sie lange mit den Augen verfolgt, dachten aber damals, sie wäre nicht genug beschwert. Nun denke ich anders; hier liegt ein ganz raffinierter Betrug vor. Wie er aber möglich gemacht wurde, durch wen und zu welchem Zweck – denn Crabb muß doch Helfershelfer gehabt haben – das zu erfahren, bin ich wirklich begierig. Wer weiß, welch höllischer Plan hinter der Geschichte verborgen liegt und in welcher Gefahr das Schiff und wir alle geschwebt haben, mit dem alten Seeräuber da unten.

Herrgott, er war doch aber mausetot, wie Hemmeridge sagte, und Sie selbst sollen ja auch seine Leiche gesehen haben.

Gewiß. Er war tot wie ein Mumienknochen, und trotzdem ist er jetzt so lebendig wie Sie oder ich. Ja ja, das ist ein Rätsel, das viel zu denken gibt. Ich bin auf die Lösung verdammt gespannt.

In diesem Augenblick wurde Cocker zum Kapitän gerufen. Er eilte weg und ich schlenderte nach hinten.

Hier wurde ich von den ungeduldig und ängstlich auf Nachrichten harrenden Passagieren mit Fragen bestürmt. Der Oberst schrie mich an: Wo bleibt der Kapitän? Es ist unerhört, uns hier ohne jede Aufklärung über unsere Lage zu lassen. – Ist das Feuer gelöscht? – Ist Gefahr vorhanden? riefen andere Stimmen.

Das Schiff ist in diesem Augenblick so sicher, wie es nur jemals auf der Themse war, erwiderte ich, ohne mich aufhalten zu lassen, und schritt weiter, um mir aus meiner Kabine neuen Tabak zu holen.

Als ich an die Kajütstreppe kam, stolperte mir von unten der Doktor entgegen; er sah verwirrt und verschlafen aus.

Sagen Sie, redete er mich verstört an, es soll brennen, was? Und der Steward erzählt, Crabb wäre wieder da? Der Mensch muß verrückt geworden sein.

Alles ist wahr, das heißt das Feuer ist schon bewältigt, Crabb aber liegt in Eisen.

Ach, machen Sie einem andern was weis, mich aber lassen Sie mit solchen Räubergeschichten ungeschoren. In meinem ganzen Leben ist mir kein Toter vorgekommen, der – – –

Der Herr Doktor soll gleich zum Kapitän kommen, unterbrach uns hier ein Matrose, der eilig angelaufen kam. Er ist bei Crabb im Bootsmannlogis.

Na, da schlag Gott den Teufel tot, fluchte der Doktor dem schnell davonspringenden Matrosen folgend, während ich mich nach meiner Kabine begab.

Als ich nach einiger Zeit auf Deck zurückkehrte, war die letzte Spur der Abendröte verschwunden, und das Schiff schwebte fast geisterhaft in dem nächtigen Dunkel dahin. Im Schein der offenen Küchentür standen gruppenweise die Mannschaften. Ihr lebhaftes summendes Gemurmel ließ leicht den Unterhaltungsstoff erraten. Der wohl eben erst erschienene Kapitän war von den Passagieren umdrängt und hielt geduldig wie ein Opferlamm den Salven von Fragen stand, mit denen er überschüttet wurde.

Während ich mich noch an diesem vielgestaltigen lebenden Bild ergötzte, bemerkte ich Prance, der gewaschen und in frischem Anzug von unten herauf kam. Er war gerade der Mann, den ich zu sprechen wünschte, denn ich brannte vor Neugier, Näheres über die rätselhafte Geschichte zu erfahren. Ich ging ihm entgegen und sagte: Na, hören Sie, das war wieder einmal eine nette kleine Ueberraschung.

Ja das war es und ein hübsches Stück Arbeit dazu, aber – fügte er hinzu – ein Glück noch, daß es so kam. Die Sache hätte grundfaul werden können. Zum bloßen Spaß hat sich doch dieser dreimal destillierte Teufel nicht tot gestellt.

Was meint denn Hemmeridge dazu?

Hm. – Ich sollte eigentlich nicht aus der Schule schwatzen, aber im Vertrauen auf Ihre Verschwiegenheit will ich Ihnen sagen, der Doktor hat Arrest.

I was! Warum denn? fragte ich gespannt.

Ja, erwiderte er, sich vorsichtig umsehend, ob auch die Luft rein sei, Sie werden sich wohl denken, daß dem Wiedererscheinen Crabbs ein von langer Hand vorbereitetes, schlau angelegtes Komplott zugrunde liegen muß.

Freilich, freilich, wie könnte es anders sein. Mithelfer muß er gehabt haben.

Sehen Sie, das ist es. Und man kann doch unmöglich glauben, daß Hemmeridge nicht Tod und Leben zu unterscheiden weiß. Dazu kommt das Einnähen der Leiche; das hat der Segelmacher besorgt, der natürlich auch gleich in Eisen gelegt wurde. Was er an Stelle der Leiche eingenäht hat, wird die Untersuchung ergeben, jedenfalls ist dieser Betrug aber das, was den Kapitän am meisten empört. Er ist ein frommer Mann, und der Gedanke, für ein Stück Holz oder sonst einen Plunder gebetet und die Einsegnung vollzogen zu haben, erfüllt ihn geradezu mit Entsetzen.

Kann ich mir denken. Nun sagen Sie aber, was in aller Welt können die Menschen geplant haben?

Ohne Zweifel einen Raub. Die Stelle, an der wir Crabbs Lager fanden, liegt nämlich an dem Abschlag, hinter dem man zu dem die Post- und Wertsachen bergenden Raum gelangt. Es befinden sich bedeutende Geldsummen darunter und ein Kästchen mit Diamanten, das allein einen Wert von siebzigtausend Pfund repräsentiert. Ich bin überzeugt, daß behufs Erlangung dieses Schatzes das ganze Komplott geschmiedet wurde.

Potztausend, ist das eine Geschichte! Und Hemmeridge der Mitschuld verdächtig? Nein, wissen Sie, da tut man ihm unrecht. Hat er mich doch selbst zu dem Toten geführt und er wollte ihn ja sogar sezieren.

Was, das hat er gewollt? unterbrach mich Prance.

Gewiß. Und ich glaube bestimmt, er hätte es getan, wenn es die Leute zugelassen hätten.

Das spricht allerdings sehr für seine Unschuld. Ihre Aussage kann ihm von großem Nutzen sein, und ich will dem Kapitän gleich davon Meldung machen.

Damit verließ er mich, und ich stieg wieder auf meinen Lieblingsplatz auf das Kampanjedeck, wo ich noch längere Zeit über das seltsame Ereignis nachdachte.


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