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Ganz benommen von dem mir gestellten Ansinnen suchte ich Klarheit über meine Lage zu gewinnen. Mein Kopf wirbelte mir. Bald faßte ich den Entschluß, bald jenen. Was ich eben noch für das Richtigste gehalten, verwarf ich schon wieder im nächsten Augenblick. Endlich, nach etwa einer halben Stunde war ich mit mir einig und ging zu meiner Gefährtin.
Sie sind ja eine Ewigkeit geblieben, rief sie mir entgegen. Was für Nachrichten bringen Sie?
Wenig tröstliche, erwiderte ich niedergeschlagen. Wenn es Ihnen recht ist, gehen wir nach der Kajüte, dort werde ich Ihnen alles erzählen.
Sie folgte mir, und dicht neben ihr sitzend, machte ich sie mit allen Einzelheiten der Verhandlung bekannt. Das Ende vom Liede also ist, schloß ich, daß ich das Schiff nach der Insel führen soll.
Na, davon kann natürlich keine Rede sein, rief sie, den Kopf gebieterisch aufwerfend, nachdem sie mich bisher ohne jede Unterbrechung angehört hatte.
Leider doch, entgegnete ich fest. Ich muß mich der Zwangslage fügen und das Schiff nach dem südlichen Pazifik bringen.
Sie haben wohl den Verstand verloren? kreischte sie aufspringend. So etwas! – Mich nach dem südlichen Pazifik schleppen zu wollen! – Ich kann nur annehmen, daß Sie krank sind!
Tun Sie mir den einzigen Gefallen und bewahren Sie Ruhe und Mäßigung, erwiderte ich in strengem Ton. Ihr Aufbrausen ändert an der Sache nichts. Die Menschen sind nicht zur Vernunft zu bringen; das erträumte Gold hat eine Gier in ihnen erregt, die sie leicht zu wilden Bestien machen kann, wenn ich mich weigere, ihren Hunger zu befriedigen. Gott allein weiß, welches Schicksal uns dann bevorstände. Ich muß tun, was die Menschen wollen, oder wir sind beide verloren.
Sie starrte mich an wie gelähmt.
Zu Mittag, fuhr ich mit eisiger Bestimmtheit fort, werde ich dem Zimmermann meine Einwilligung erklären.
Aber – keuchte sie zornsprühend, doch ich fiel ihr ins Wort:
Ich flehe Sie an, suchen Sie mich nicht zu hemmen. Sie vermögen keinen Ausweg vorzuschlagen, und hochmütige Forderungen sind hier absolut nicht angebracht. Ich werde das Schiff nach jener Südseeinsel steuern. Falls die Stelle, wo sie liegen soll, leer ist, wird mich die Mannschaft jedenfalls nötigen, die ganze Gegend abzusuchen, schließlich jedoch wird sie wohl den Wahnsinn der Sache einsehen und mich auffordern, nach dem nächsten Hafen zu segeln. So ungefähr, denke ich, wird diese Irrfahrt enden, wenn alles glatt geht. Doch was kann nicht alles dazwischen kommen! Ein Sturm kann uns zum Wrack machen und uns zwingen, Hilfe zu suchen. Wir müssen eben hoffen und Geduld haben. Ich werde mich äußerlich immer freundlich und allen Anforderungen willig zeigen, im stillen aber werde ich darauf bedacht sein, die erste sich bietende Gelegenheit für uns auszubeuten. Zu dieser Politik fühle ich mich um Ihretwillen verpflichtet. Wenn wir diese rohen Menschen nicht wie gefährlichen Zündstoff behandeln, könnte es geschehen, daß die jetzige uns unerträglich vorkommende Existenz im Rückblick noch wie ein Paradies erschiene. Vergessen Sie nicht, Sie haben keinen Beschützer als mich, und ich bin einer gegen zwölf.
Sie hatte mir in stummer Qual, das Gesicht mit beiden Händen bedeckt, zugehört. Jetzt sah sie auf. Ich will mir Mühe geben, mit Ihren Augen zu sehen, aber – – –. Sie brach plötzlich schluchzend ab.
Verlieren Sie nicht den Mut, tröstete ich, ihre Hand in meine beiden Hände nehmend. Möglicherweise gibt es noch einen Ausweg. Vielleicht lassen sich die Leute überreden, Sie allein auf ein begegnendes Schiff zu bringen. Ja, ich kann darauf sogar, als auf einer Bedingung meiner Einwilligung, bestehen.
Nicht doch, schüttelte sie traurig den Kopf. Wie lange wird es wohl dauern, bis wir die Insel erreichen?
Zehn bis zwölf Wochen, denke ich.
Sie biß sich auf die Lippen und warf einen verzweiflungsvollen Blick gen Himmel. Wenn nun aber kein Gold da ist, was wird dann?
Ja, das weiß allein der liebe Gott. Es ist ganz sicher keins da, selbst falls die Insel wirklich vorhanden sein sollte, woran ich aber, wie gesagt, auch nicht glaube.
Und dazu monatelang sich auf dem Meere unter so unerträglichen Verhältnissen umhertreiben müssen! Ach es ist zu viel – zu viel!
Sie barg den Kopf zwischen ihren Armen auf dem Tisch und weinte zum Erbarmen. Mir zerriß fast das Herz über diesem Jammer, doch was konnte ich tun? Ihr zu viel Mitleid bezeigen, mochte ich nicht, um ihr die Gefahr unserer Lage nicht noch größer erscheinen zu lassen, als sie in der Tat war. Nachdem sie sich einigermaßen beruhigt hatte, versank sie in tiefes Brüten. Nachdem ich mich vergeblich bemüht hatte, sie durch alle möglichen Hoffnungen neu zu beleben, versuchte ich einen andern Weg, sie ihrer Trostlosigkeit zu entreißen. Ich sagte:
Wissen Sie, ohne meine Sorge für Sie würde mir das Abenteuer den größten Spaß machen.
Das zog. Sie sah mich auf einmal tief forschend an. Seien Sie ehrlich. Glauben Sie wirklich nicht an das Vorhandensein des Schatzes?
Wie können Sie das fragen? Nicht mit einem Gedanken.
Könnte ich doch in Ihr Herz sehen! Ich bin nicht sicher, daß Sie am Ende doch heimlich daran glauben und Ihr Entschluß, den Leuten zu Willen zu sein, damit zusammenhängt.
Ich lachte laut heraus. Nein, was Sie mir auch alles zutrauen! Im stillen halten Sie mich sicher schon für einen Piraten. Wahrhaftig, so reizvoll auch jedem Mann eine Unterhaltung mit Ihnen im Guten wie im Bösen sein muß, manchmal stellen Sie doch die Geduld auf eine harte Probe. Uebrigens wollte ich, Sie könnten in mein Herz sehen, selbst auf die Gefahr hin, daß Sie darin etwas entdecken, was Ihren Abscheu erregen könnte.
Ich verstehe Sie nicht, sagte sie rauh.
Nun, ich meine Abscheu gegen einen Ihnen unsympathischen Menschen, der Ihnen die höchste Bewunderung zollt.
Wie fade, grollte sie mit einem fast verächtlich verzogenen Mund. Ist wohl jetzt die Zeit für ein so läppisches Geschwätz, das selbst unter anderen Umständen und in aller Behaglichkeit kaum erträglich wäre?
Donnerwetter, dachte ich, das war ein kalter Strahl, und beeilte mich zu erwidern: Ja, Sie haben ganz recht, ich war sehr einfältig. Kommen Sie, wir wollen jetzt auf Deck. Ich muß nun die Messungen vornehmen.
Ich holte den Sextanten, und dann verließen wir die Kajüte.
Lush schritt auf der Wetterseite einher. Die Leute kauerten rauchend und mit von der Hitze hochgeröteten Gesichtern in jedem Fleckchen Schatten der Segel.
Der Zimmermann blieb stehen, als er meiner ansichtig wurde, und ich ging sogleich mit Fräulein Temple am Arm zu ihm.
Ich habe mir die Sache überlegt, redete ich ihn an, und werde die Führung des Schiffes übernehmen.
Freut mich, das zu hören, antwortete er, indem ein schwaches Lächeln sein mürrisches Gesicht erhellte. Wenn Sie etwas Schriftliches wünschen – – –
Nein, unterbrach ich geringschätzig. Ich halte mehr von gegenseitigem Vertrauen. Wenn Sie nicht gewissenhaft jeden Punkt unseres mündlichen Uebereinkommens halten, trete ich zurück.
Er schielte mich von der Seite an, doch ohne scheinbar meinen hochfahrenden Ton übel zu nehmen.
Wir verlangen nichts, als daß Sie uns nach der Insel bringen. Aber das müssen Sie tun. Verstehen Sie mich? Sonst – – –. Er behielt das übrige für sich, sein Blick aber sprach deutlich genug.
Das Mädchen drängte sich erschrocken an mich. Mir war es lieb, daß sie Zeuge dieses Blickes und der vorangegangenen Worte gewesen war. Besser als alles, was ich ihr hätte sagen können, mußte sie dies drohende Wesen belehren, daß ich richtig gehandelt hatte.
Ihre Drohungen lassen mich kalt, entgegnete ich, ihm fest in die Augen sehend. Ich kenne Sie und zweifle nicht, daß Sie fähig sind, noch einmal zu vollbringen, was Sie früher schon vollbracht haben, wie mir der Kapitän sagte.
Was war das? knurrte er, mich offen ansehend, ohne jede Spur eines bösen Gewissens, woraus ich zu meiner großen Beruhigung schloß, daß der Kapitän ihm unrecht getan hatte, als er ihn eines Mordes zieh.
Das werde ich vorläufig noch für mich behalten, entgegnete ich kalt abweisend. Ich wiederhole Ihnen nur, ersparen Sie sich für die Folge alle Drohungen, Sie erreichen bei mir dadurch nichts. Und nun will ich Ihnen meine Bedingungen sagen. Erstens, dieses Ende des Schiffes steht nur der jungen Dame und mir zur ausschließlichen Verfügung.
Er nickte zustimmend.
Zweitens, die Kapitänskajüte, sowie die an diese grenzende Kabine werden von mir und der Dame bewohnt.
Ja, ja.
Drittens, Wilkens bedient uns wie bisher. Unsere Mahlzeiten werden uns in der Kajüte angerichtet.
Versteht sich, brummte er.
Viertens, werden Sie darauf halten, daß kein Tropfen Alkohol verabfolgt wird, außer in dem bis jetzt üblichen Maß. Sollte auch nur ein Punkt dieser Bedingungen von Ihnen oder einem andern nicht innegehalten oder verletzt werden, so sage ich Ihnen – und damit hob ich den Sextanten hoch in die Luft – so fliegt das Ding hier über Bord, und Sie mögen dann sehen, wie Sie allein den Weg um das Kap Horn finden.
Na, das wird ja nicht vorkommen, grunzte er mit einem gewissen Respekt, als ob meine energische, furchtlose Sprache Eindruck auf ihn gemacht hätte.
Ferner, fuhr ich mit erhobener Stimme fort, verlange ich, daß ich vollständig als Kapitän angesehen werde, und alles, was ich befehle und anordne, unweigerlich geschieht.
Ja wohl, aber Sie dürfen kein Schiff ansprechen und keinen Hafen anlaufen wollen. Das würden wir nicht zulassen.
Denke auch gar nicht dran. Der Punkt ist ja schon zwischen uns abgemacht. Wer sagen Sie, ist es nicht unnütze Grausamkeit, die Dame ums Kap Horn in den Pazifik mitzuschleppen? Sie hat nichts anzuziehen, als was Sie an ihr sehen; ihre Mutter ist krank; sie verzehrt sich danach, so schnell als möglich zu ihr zurückzukehren. Die Mannschaft kann doch kaum etwas dagegen haben, daß wir ein Schiff ansprechen, nur um das Fräulein von diesem mitnehmen zu lassen.
Nein, schrie er auf, kommen Sie uns damit nicht! Das ist ganz umsonst.
Aber ich würde ruhiger sein, Ihnen besser dienen können, wenn ich sie sicher aufgehoben auf der Heimreise wüßte.
Nein! wiederholte er, mit dem Fuße stampfend. Sie ist bei uns ganz sicher. Wir werden doch nicht so töricht sein, sie los zu lassen, wo sie alles von dem Golde weiß. Sie wird ja auch gar nicht wünschen, sich jetzt von Ihnen zu trennen, fügte er grinsend hinzu.
Ich hätte den Kerl hinter die Ohren hauen können, doch erwiderte ich ruhig: So hätten wir nun alles miteinander besprochen und wissen gegenseitig Bescheid. Ich werde jetzt meine Messungen machen. Damit begab ich mich nach einer anderen Seite des Decks.
Während ich nach der Sonne äugte, flüsterte ich meiner Gefährtin zu: Sie haben nun selbst gesehen und gehört, wie es steht. Ich bin überzeugt, wenn ich nicht auf die Wünsche der Leute eingegangen wäre, würde ich vielleicht jetzt schon weitab treiben, ganz allein, in einem Boot. Verstehen Sie – allein?
Ja, er ist ein furchtbarer Mensch und gewiß zu allem fähig. Aber Sie sprachen tapfer mit ihm.
Na, ich mußte ihm doch zeigen, daß ich ihn nicht fürchtete.
Während meiner weiteren Arbeit schwiegen wir beide. Als ich fertig war, gingen wir hinunter in die Kapitänskajüte, wo ich in ihrem Beisein meine Observationen ausarbeitete und den Kurs auf der Karte zeichnete. Mit letzterer kehrte ich allein zum Zimmermann zurück, der mich anscheinend schon zu seiner Ablösung erwartet hatte, um nach vorn zum Mittagessen gehen zu können.
Dies ist unsere heutige Lage, sagte ich, auf die Karte deutend. Sehen Sie, hier ist Kap Horn. Der Kurs, den wir halten, ist also der richtige.
Er starrte dumm auf die Karte, fuhr mit dem Finger darauf umher und meinte dann: Na ja, das wird schon stimmen.
Während ich die Karte wieder zusammenrollte, bemerkte ich: Es wäre doch gut, wenn wir noch einen Dritten zur Wache hätten. Jetzt zum Beispiel möchten wir beide Mittag essen, und keiner kann uns vertreten. Was meinen Sie zu Wetherley, der scheint doch ein ruhiger, vernünftiger Mann zu sein.
I ja, zu ner kurzen Vertretung, das ginge schon, aber so als Dritter regelmäßig mit uns die Wache teilen, dafür bin ich nicht. Zu viel Herren an Bord, das taugt nichts. Wir beide genügen. Ich will also sagen, er kann immer die Wache übernehmen, wenn wir beide gleichzeitig aus irgend einem Grunde unten sein müssen. Darüber will ich mit ihm und der Mannschaft sprechen.
Gut, gut, tun Sie das, sagte ich in der gebieterischen Art, in der zu dem Manne zu sprechen ich mir vorgenommen hatte. Sie haben ja nun Ihre Wache beendet und können gehen. Ich erwarte, daß Wetherley, sobald er fertig gegessen hat, kommt und für die Zeit meines Mittagessens mich vertritt.
Hiermit machte ich eine entlassende Handbewegung, er aber sagte:
Noch eine Frage. Wie hoch würden Sie sich wohl Ihren Anteil denken? Der Kapitän hatte Ihnen ein Drittel zugesagt, wir meinen jedoch, so viel werden Sie wohl nicht erwarten, weil wir doch zwölf zum Teilen sind.
Ach, machen Sie sich darüber doch keine Sorgen, wehrte ich ab; ich werde zufrieden sein mit dem, was Ihr für recht haltet. Schicken Sie mir nur Wetherley.
Er blieb hartnäckig noch stehen.
Die Dame wird doch nicht auch einen Anteil fordern?
Ich mußte lachen. Sie denkt nicht dran. Ihr könnt über diesen Punkt ganz ruhig sein.
Schön, rief er, indem sich sein verdrossenes Gesicht verklärte. Nun bloß noch ein Wort. Was war es, das der Kapitän über mich gesagt hat?
O, zum Teufel, lassen Sie mich damit jetzt ungeschoren, heuchelte ich einen Zornesausbruch. Machen Sie, daß Sie endlich fortkommen und mir Wetherley schicken.
Er sah mich einen Augenblick ganz verblüfft an und brummte etwas in den Bart, trollte sich aber fort.
Wenige Minuten später erschien Wetherley. Ich schritt ihm entgegen und sprach ihn an: Wetherley, wie stehen Sie zu dieser höllischen Angelegenheit?
Ja, höllisch is sie, Herr. Und wie ich dazu stehe? Na, als der Teufel die Jungens gepackt hatte und alle gleich schrien, se wollten das Gold holen, war ich der einzige, der still war. Da fragten se mich, was ich meinte, und ich sagte: Macht, was Ihr wollt, mir is egal. Ich dacht' nämlich, ob's nach Isle de France oder nach der Insel des Verrückten geht, verschlägt mir nichts. Wenn das Geld da is, um so besser; wenn nich, kann ich's nich ändern. Seh'n Se, ich allein gegen zehn hätt doch nichts ausgericht't.
Sie glauben also nicht an das tolle Hirngespinst des Kapitäns?
Nu, wissen Se, Herr Dugdale, ich hab' nich dran geglaubt, aber seit dem Verlesen der Schriftstücke heute morgen bin ich irre geworden. Da sagt' ich mer, es kann nich anders sein, er hält das ganze Garn für wahr!
Aber Mann! Alter Wetherley, wie können Sie nur so etwas denken! Wenn keiner mir glaubt, so glauben Sie mir wenigstens, daß ich alles nur tat, um den Wahnsinnigen in seiner Absicht zu bestärken, nach Rio zu segeln, wo ich mit der Dame dann heimlich die Bark verlassen wollte.
I, nu ja, das mag schon so sein, antwortete er, wie mir aber schien, immer noch nicht ganz überzeugt. Es is doch am Ende für Sie und die Dame 'ne schlimme Sache, so in den Händen von Leuten zu sein, die in der Wut nicht wissen, was se tun. Ich kann Ihnen verraten, Se haben klug getan, daß Sie einwilligten, das Schiff nach der Insel zu bringen. Mit der Zeit spreche ich offener, denn Sie und die Dame tun mir leid, aber ich muß vorsichtig sein. Er warf hierbei unruhige Blicke nach dem Mann am Steuer, und den Wink verstehend, trennte ich mich sogleich von ihm, indem ich ihm nur noch mit wenigen Worten versicherte, wie beruhigend und tröstend es mir sein würde, ihn als Freund und Berater betrachten zu dürfen.