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14. Kapitel

Noch an demselben Tage erhielt Akbah-Ulan Audienz bei dem Könige. Er händigte dem Monarchen die Beglaubigungsschreiben und den Brief des Chan aus. Der letztere enthielt eine Wiederholung des Versprechens, ihm hunderttausend Mann Hilfstruppen gegen die Schweden zu stellen, sofern er auf der Stelle vierzigtausend Thaler ausgezahlt bekomme und sobald das erste Gras auf den Feldern, Wiesen und Steppen groß genug sein werde, eine so große Menge Pferde zu ernähren.

Bezüglich des soeben angelangten Tschambuls schrieb der Chan: »Diesen habe ich gesandt als Beweis meiner Liebe zu dem »liebsten Bruder«, damit die Kosaken, welche noch immer widerspenstig sind, mit eigenen Augen sehen, daß die Verbrüderung zwischen uns wirklich besteht. Jede kleinste Ausschreitung gegen den schuldigen Gehorsam, die zu meiner Kenntnis gelangt, bin ich gesonnen, auf das Grausamste an den gesamten Kosakenstämmen zu strafen.«

Der König empfing Akbah-Ulan sehr artig und schenkte ihm einen schönen Dolch, indem er ihm erklärte, daß Akbah unverzüglich mit seinen Tartaren zu Herrn Tscharniezki in das Feldlager gesandt werden würde, da es sein, des Königs, Wunsch sei, die Schweden zu überzeugen, daß der Chan ihm wirklich mit Hilfstruppen zur Seite stehe. Die Augen des Tartarenhäuptlings erglänzten, als er hörte, daß er unter Herrn Tscharniezkis Oberbefehl gestellt werden sollte, denn er kannte ihn aus der Zeit der Krimkriege und zollte ihm dieselbe Hochachtung, die alle die anderen Agas dem tapferen Polen entgegentrugen.

Weniger gefiel dem Aga ein anderer Passus in dem Briefe des Chan, worin der König gebeten wurde, den Tschambul unter das Kommando eines bewährten Offiziers zu stellen, welcher das Land genau kannte und gleichzeitig imstande war, den Akbah-Ulan samt seinen Tartaren von Raub und Brandschatzungen zurückzuhalten. Es hätte dem Aga viel mehr gefallen, wenn er keinen Patron über sich bekommen hätte; da es aber nun einmal Wunsch des Königs und ausdrücklicher Befehl des Chan war, so verbarg er sorgfältig seinen Aerger darüber, verneigte sich tief vor dem Könige und hoffte im Stillen, daß nicht der Patron sein Herr, sondern er der Herr des Patrons werden würde,

Kaum war der Tartar entlassen, kaum hatten sich die Senatoren entfernt, als Kmiziz, welcher während der ganzen Audienz sich im Gemach des Monarchen aufgehalten hatte, sich diesem zu Füßen warf und flehte:

»Allergnädigster Herr! Ich bin zwar der Gnade nicht würdig, die ich für mich erbitten will, aber sie ist mir so teuer als mein Leben. Beim Vater der Barmherzigkeit flehe ich um das Kommando über diesen Tschambul und die Erlaubnis, sogleich mit demselben ausrücken zu dürfen.«

»Wir wollen dir diese Bitte nicht versagen,« entgegnete Johann Kasimir etwas verwundert, »denn einen besseren Führer wüßten Wir nicht für denselben zu finden! Um diese Banditen im Zügel und Manneszucht zu halten, dazu bedarf es eines Mutes und einer Energie, wie nur du sie besitzest. Nur das können wir nicht zulassen, daß du sogleich ausrückst, denn deine Wunden sind noch nicht heil.«

»O, ich fühle mich gesund! Streicht nur erst der Wind draußen um das Gesicht, dann schwindet auch die Schwäche, die Kraft kehrt wieder, und was die Tartaren betrifft – mit denen werde ich schon fertig, die werden in meinen Händen weich wie Wachs,« antwortete Kmiziz.

»Warum aber hast du es denn so eilig? Wohin willst du?« frug der König.

»Zu den Schweden, Allergnädigster Herr! ... Meine Mission hier ist zu Ende, denn was ich so sehnlich erstrebt, habe ich erreicht. Meine Sünden sind von mir genommen ... Ich will mit Wolodyjowski zu Tscharniezki, doch möchte ich auch auf eigene Faust nebenbei Krieg führen, d. h. den Feind hetzen und beunruhigen, wie ich einst den Chowanski gehetzt habe. Ich vertraue auf Gott, daß er mein Vorhaben gelingen läßt,« erklärte Kmiziz.

»Sprich! Dich zieht noch anderes ins Feld,« befahl der König.

Kmiziz senkte das Haupt.

»Ich will Ew. Majestät wie einem eigenen Vater meine Seele offenbaren. Fürst Boguslaw, nicht zufrieden damit, daß er mich schmählich verleumdet hat, entführte das Mädchen, das ich liebe, von Kiejdan nach Tauroggen, ja er thut Schlimmeres als das, er stellt ihrer Unschuld nach, er beabsichtigt, sie zu entehren, oder er hat es schon gethan! ... Allergnädigster Herr! ... Ich verliere den Verstand bei dem bloßen Gedanken, in wessen Händen die Unglückselige sich befindet ... Bei den Leiden Christi! Die Wundmale, die ich am Körper trage, schmerzen weniger als die Seelenpein, die ich leide ... Er hat sie glauben gemacht, daß ich ihm Ew. Majestät Leben verkaufen wollte; er hat mich zum Königsmörder gestempelt! ... Ich ertrage das nicht länger, ich werde nicht ruhen, bis er in meinen Händen ist, bis ich sie von diesem Ungeheuer befreit habe ... Gebt mir, Allergnädigster Herr, diese Tartaren, und ich will schwören, daß ich nicht nur meine eigenen Interessen verfolgen, sondern auch so viel Schwedenköpfe Ew. Majestät zu Füßen legen will, daß dieser Schloßhof mit ihren Schädeln gepflastert werden könnte.«

»Beruhige dich!« sagte der König.

»Wenn ich über meinen Privatsachen das wichtigste, die Verteidigung der Republik und der Majestät je versäumen könnte,« fuhr Kmiziz fort, »würde ich nicht wagen, um dieses Glück zu bitten ... Hier läßt sich beides vereinigen ... Wird sich Gelegenheit bieten, die Schweden zu schlagen, so will ich an nichts anderes denken ... Finde ich aber den Verräter, so werde ich ihn verfolgen, sei es nach Kurland, sei es sogar bis über das Meer nach Schweden.«

»Wir empfingen heute Nachrichten, daß Boguslaw mit Karolus im Begriff stehen, Elbing zu verlassen,« erzählte der König.

»So will ich ihnen entgegen ziehen!« rief Kmiziz begeistert.

»Mit dem kleinen Tschambul? Du würdest gut zugedeckt werden!«

»Chowanski hatte Achtzigtausend bei sich und vermochte mich doch nicht zuzudecken.«

»Was Wir an treuen Männern Unser nennen, das befindet sich bei Tscharniezki. Sie werden ante omnia gegen ihn losziehen.«

»Um so nötiger braucht er Sukkurs, Allergnädigster Herr; ich will mich beeilen, zu ihm zu stoßen.«

»Wohl! zu Herrn Tscharniezki sollst du ziehen. Doch verbiete Ich dir, mit so geringen Streitkräften den Versuch zu machen, nach Tauroggen vorzudringen. Der Fürst hat alle seine Schlosser in Smudz dem Feinde zur Verfügung gestellt; überall haben sich dort schwedische Kommandos eingenistet und Tauroggen liegt, wenn Ich nicht irre, dicht an der preußischen Grenze, unweit Tilsit,« sagte der König.

»Das ist richtig,« wagte Kmiziz einzuwerfen. »Ganz nahe der Grenze, doch auf polnischem Gebiet, vier Meilen von Tilsit. Warum sollte ich nicht dorthin gelangen können. Ich denke, daß ich nicht nur nicht Leute verlieren werde, sondern auf dem Wege dahin eine Menge Zuzügler aufnehmen könnte. Auch das bitte ich Ew. Majestät in Betracht zu ziehen. Wo ich mich werde blicken lassen, dort wird die ganze Gegend aufsässig gegen die Schweden werden. Ich möchte der Erste sein, der den Ausruf zur Erhebung nach Smudz, mitten in das Nest der Feinde trägt; o, laßt mich gewähren, Allergnädigster Herr! Ich bin es gewöhnt, mich in Gefahren zu bewegen.«

»Du bedenkst nicht, daß die Tartaren sich weigern könnten, dir so weit zu folgen?«

»Sie sollten es nur wagen,« sagte Kmiziz zähneknirschend. »Seien es ihrer auch Vierhundert, so lasse ich alle Vierhundert aufhängen. Bäume giebt es genug! ... Sie sollen es nur wagen, zu mucksen! ...«

»Androsch!« sprach da der König gutgelaunt, während er mit den Augen zwinkerte, »wahrhaftig! einen besseren Hirten konnte Ich dieser Herde nicht geben. Nimm sie nur und führe sie, wohin du Lust hast.«

»Ich danke, Allergnädigster Herr, mein gütiger Vater!« rief der Ritter, die Kniee des Monarchen umfassend.

»Wann willst du ausrücken?«

»So Gott mir beisteht, morgen!«

»Vielleicht wird das dem Aga noch zu früh sein; möglicherweise will er die Pferde noch schonen.«

»Wenn es ihm leid um seinen Gaul sein sollte, dann nehme ich ihn am Strick an den Sattelknopf, da kann er neben mir hertraben.«

»Es scheint, du willst sehr streng ins Zeug gehen. Versuche es mit Milde, solange es angeht, lasse Milde walten ... Und nun ... Androsch ... es ist heute schon spät, Wir sehen dich morgen noch vor deiner Abreise ... Unterdessen nimm hier diesen Ring ... Sage deiner Königstreuen, du habest ihn von deinem Könige bekommen; er ließe ihr befehlen, seinen treuen Diener standhaft und treu zu lieben ...

»Das walte Gott!« sagte Kmiziz, während seine Augen sich vor Rührung mit Thränen füllten. »Helfe mir Gott, keines anderen Todes zu sterben, als den Heldentod für König und Vaterland!«

Der König zog sich in seine Gemächer zurück. Kmiziz ging in sein Quartier, um Reisevorbereitungen zu treffen und zu überlegen, wohin zuerst er seine Schritte lenken sollte. Ihm fiel der Rat Charlamps ein, Olenka ruhig in Tauroggen unter dem Schutze der Fürstin zu belassen, falls sich herausstellen sollte, daß Boguslaw sich nicht dort befand. Bei der großen Nähe der Grenze konnte es nicht schwer fallen, in der höchsten Bedrängnis nach Tilsit zu entkommen. Uebrigens war anzunehmen, daß die Schweden immerhin die Witwe Radziwills respektieren würden, wenngleich sie auch ihren Bundesgenossen schmählich verlassen hatten. Reiste aber die Fürstin mit ihrem Gefolge nach Kurland, dann um so besser. Nach Kurland aber durfte Kmiziz seine Tartaren nicht führen, das war schon fremdes Gebiet.

Stunde um Stunde verrann unter diesen Vorbereitungen und Ueberlegungen. Noch immer dachte Kmiziz nicht an ein Ausruhen. Der Gedanke an den neuen Feldzug belebte ihn so sehr, daß er keine Müdigkeit spürte, vielmehr die Elastizität seines Körpers sich zu heben begann.

Endlich, gegen Morgen, waren die Knappen mit dem Verschnüren der Gepäckstücke fertig; sie schickten sich soeben an, zur Ruhe zu gehen, da kratzte plötzlich jemand an der Thüre herum.

»Wer ist da?« frug Kmiziz

Da keine Antwort erfolgte, befahl er dem Pagen:

»Sieh nach, wer dort ist!«

Der Page ging und nachdem man hinter der Thür einen kurzen Wortwechsel vernommen, kehrte er zurück:

»Es steht ein Soldat draußen,« meldete er, »der Ew. Liebden gleich zu sprechen wünscht; er sagt, Soroka sei sein Name.«

»Laß ihn eintreten, schnell, schnell!« rief Kmiziz erregt.

Ehe noch der Page die Thür öffnen konnte, hatte er selbst sie schon aufgerissen und zog den Draußenstehenden herein.

»Soroka! alter Soroka! Herein!«

Der Soldat wollte, dem ersten Impulse folgend, seinem Hauptmann zu Füßen fallen und seine Kniee umklammern. War er ihm doch mehr Freund als Diener, ebenso treu, wie anhänglich. Doch das Subordinationsgefühl des Soldaten überwog; sich stramm in die Höhe richtend, sprach er:

»Ich melde mich gehorsamst zum Dienst!«

»Sei mir willkommen, lieber Waffenbruder!« rief Kmiziz mit vor Freude blitzenden Augen. »Ich dachte, sie hätten dich bei Tschenstochau zu Mus gestampft!«

Er preßte den Kopf des Alten in seinen Händen, schüttelte und tätschelte ihn, was er sich wohl erlauben durfte, ohne sich selbst zu nahe zu treten, da Soroka von dem litauischen Kleinadel abstammte.

Jetzt erst wurde auch der alte Wachtmeister zutraulich.

»Woher kommst du?« frug Kmiziz.

»Aus Tschenstochau, Ew. Liebden.«

»Und du hast mich gesucht?«

»Jawohl!«

»Wer hat euch dort denn gesagt, daß ich lebe?«

»Die Leute Kuklinowskis haben es erzählt. Der Herr Probst Kordezki hat einen Dankgottesdienst für eure Errettung abgehalten. Als später die Kunde zu uns drang, daß ein gewisser Babinitsch den König im Engpaß vom Tode errettet hat, da wußte ich gleich, daß niemand sonst als Ew. Liebden das sein konnte.«

»Wie geht es dem Herrn Probst? Ist er gesund geblieben?«

»Er ist gesund. Nur fürchten wir, daß eines Tages die Engel vom Himmel herniedersteigen und ihn uns bei lebendigem Leibe fortholen, denn er ist ein wahrer Heiliger.«

»Das ist er,« stimmte Kmiziz zu. »Wie hast du erfahren, daß ich bei dem Könige in Lemberg bin?«

»Ich dachte mir, daß, wenn Ew. Liebden den König über die Berge geleitet haben, ihr auch hierher mitgegangen sein werdet. Aber ich hatte schon Furcht, zu spät zu kommen.«

»Morgen wäre es zu spät gewesen. Wir rücken morgen mit den Tartaren aus.«

»Das trifft sich gut, denn ich bringe Ew. Liebden zwei Geldkatzen; die eine, die ich stets tragen mußte, die andere, die ihr trugt. Sie sind beide noch gefüllt. Außerdem habe ich jene glänzenden Steinchen mitgebracht, welche wir einmal den Bojaren abgenommen, und auch diejenigen, welche wir der Schatzkammer Chowanskis entnommen haben,« sagte Soroka.

»Ach, das waren gute Zeiten,« versetzte Kmiziz. »Doch viel kann davon nicht mehr vorhanden sein, denn ich habe ein paar Handvoll davon dem Probst Kordezki für das Kloster dagelassen.«

»Ich weiß nicht, wie viel noch da ist,« entgegnete Soroka, »aber der Herr Probst sagte, man könne gut noch zwei große Güter dafür kaufen.«

Während er das sagte, näherte der Wachtmeister sich dem Tische und begann die Geldkatzen abzuschnallen.

»Die Steinchen sind in dieser Blechflasche,« setzte er hinzu, indem er neben die beiden Ledersäcke eine Blechbüchse stellte, wie die Soldaten sie zur Aufbewahrung von Branntwein hatten.

Kmiziz sprach nicht. Er schüttete aus einem der Säcke eine Handvoll Goldgulden und reichte sie, ohne sie zu zählen, dem Wachtmeister hin.

»Da nimm!«

»Ich lege mich Ew. Liebden zu Füßen!« sagte dankend Soroka. »Ach, wenn ich doch unterwegs mir einen einzigen solchen Dukaten gehabt hätte.«

»Was willst du damit sagen?« frug der Ritter.

»Ich bin vom Hungern ganz schwach geworden. Man wird in jetziger Zeit selten mit einem Bissen Brot traktiert, denn jeder fürchtet selbst den Hunger. Da konnte ich vor Schwäche kaum noch meine Beine erschleppen.«

»Aber Mensch! Du hattest doch alles das bei dir,« sagte Kmiziz.

»Ohne Erlaubnis durfte ich nichts davon nehmen,« entgegnete Soroka barsch.

»Halt fest!« rief Herr Kmiziz, ihm noch eine Handvoll reichend. Dann herrschte er die Knappen an:

»Hurtig, ihr Schelme! Schafft Essen her! Seid ihr nicht bald damit da? Ich reiße euch die Köpfe ab.«

Die Knappen rannten einander in der Eile fast um; in wenigen Augenblicken darauf stand vor Soroka eine große Schüssel mit geräucherter Bratwurst und eine Flasche Branntwein.

Der Soldat verschlang mit den Augen die begehrte Stärkung; er wagte aber nicht, in Gegenwart des Hauptmanns sich zu sättigen.

»Setz' dich nieder! Iß!« kommandierte Kmiziz.

Kaum war das Kommando gesprochen, da knackte auch schon die Wurst zwischen den Zähnen Sorokas. Verwundert schauten die Knappen ihm zu.

»Macht, daß ihr fortkommt,« schnauzte Kmiziz sie an.

Die Jungen verschwanden augenblicklich hinter der Thür. Kmiziz ging stillschweigend in der Stube auf und nieder, denn er wollte den treuen Diener nicht beim Essen stören. Dieser schielte jedesmal, wenn er einen Schluck aus der Flasche nehmen wollte, seitwärts nach dem Hauptmann, um zu sehen, ob dieser auch nicht darüber zürne, zuletzt drehte er sich der Wand zu und leerte die Flasche in einem Zuge.

Kmiziz wanderte unaufhörlich auf und nieder. Er schien die Anwesenheit Sorokas ganz vergessen zu haben, denn er begann im Selbstgespräch zu reden:

»Es hilft nichts!« murmelte er. »Ich muß jenen hinschicken ... Ich werde ihr sagen lassen ... Das wird nichts nützen! ... Sie wird nicht glauben! ... Einen Brief wird sie nicht lesen wollen, weil sie mich für einen schlechten Hund hält ... Er soll ihr nicht unter die Augen treten ... nein, ... nur sehen soll er und mir berichten, was dort geschieht.«

Hier rief er plötzlich:

»Soroka!«

Der Soldat sprang so hastig auf, daß er fast den Tisch umgeworfen hätte, und stand stramm.

»Zu Befehl!«

»Du bist eine treue Seele und zuverlässig in der Not. Du sollst einen weiten Weg machen, doch nicht dabei hungern.«

»Zu Befehl!«

»Du gehst nach Tauroggen an der preußischen Grenze ... dort wohnt das Fräulein Billewitsch ... beim Fürsten Boguslaw ... Du wirst auskundschaften, ob er selbst dort ist und alles genau sehen und behalten, was dort vorgeht ... Dem Fräulein wirst du nicht unter die Augen treten, es sei denn, daß der Zufall es fügt ... Dann kannst du ihr auf Eid versichern, daß ich es war, der den König durch das Gebirge brachte, und daß ich bei der Person des Königs bin. Sie wird dir zwar nicht glauben wollen, denn der Fürst hat ihr gesagt, daß ich dem Leben des Königs nachstelle, was eine hundsföttische Lüge ist.«

»Zu Befehl!«

»Du trittst ihr nicht unter die Augen, denn sie wird dir doch nicht glauben ... Aber sollte der Zufall es fügen, daß sie dich sieht, dann sage ihr alles, was du weißt. Und habe ein wachsames Auge und Ohr! Und sei vorsichtig bezüglich deiner, denn wenn der Fürst dort ist und er oder einer seiner Hofschranzen dich erkennt, dann kannst du sicher sein, daß sie dich pfählen! ...«

»Zu Befehl!«

»Ich hätte den alten Kiemlitsch geschickt, doch der ist in jener Welt; er ist im Engpaß tot geblieben und seine Söhne sind zu dumm zu solch einer Mission, die sollen bei mir bleiben. Warst du schon einmal in Tauroggen?«

»Nein, Ew. Liebden!«

»Du gehst also nach Schtschutschin, von dort immer die Grenze entlang bis nach Tilsit hinauf ... Tauroggen wird etwa vier Meilen davon, gradeüber liegen ... auf unserer Seite ... Bleibe dort in Tauroggen, bis du alles gut ausgekundschaftet hast, dann kehre zu mir zurück ... Du wirst mich finden, wo ich bin ... Frage nur nach den Tartaren und nach dem Herrn Babinitsch ... Und nun mache, daß du schlafen kommst; gehe zu den Kiemlitsch! ... Morgen reiten wir!«

Nach diesen Worten entfernte sich Soroka. Kmiziz konnte noch lange nicht einschlafen: endlich übermannte ihn die Müdigkeit, er schlief fest, wie ein Stein.

Am Morgen erwachte er erfrischt und gestärkt; er fühlte sich kräftiger als am Tage zuvor. Bei Hofe war schon alles auf den Beinen, die täglichen Beschäftigungen in vollem Gange. Kmiziz lenkte seine Schritte der Kanzlei zu, um sich seine Ernennung zum Kommandanten des Tschambul ausfertigen und den Geleitschein aushändigen zu lassen. Dann ging er zu Subaghasi-Bei, dem Führer der Gesandtschaft des Chan in Lemberg, mit welchem er eine lange Unterredung hatte.

Im Verlaufe dieser Unterredung waren die Hände des Herrn Andreas zweimal in die Tiefen seiner Rocktasche verschwunden und gefüllt wieder daraus aufgetaucht. Dafür tauschte der Gesandte beim Abschied mit ihm den Helm und händigte ihm ein Szepter mit grünem Federbusch an der Spitze und etliche Ellen gleichfarbige seidene Schnur ein.

So ausgestattet ließ Kmiziz sich beim Könige melden, welcher soeben von der heiligen Messe aus der Kathedrale zurückgekehrt war. Noch einmal dankte er seinem Wohlthäter fußfällig für die empfangenen Gnaden, sodann begab er sich mit den beiden Kiemlitsch und seinen Knappen direkt zu Akbah-Ulan, welcher mit seinem Tschambul außerhalb der Stadt lag.

Der alte Tartar legte bei seinem Anblick die Hand an Stirn, Lippen und Brust, zum Zeichen der Ergebenheit. Als er aber erfuhr, wer Kmiziz war und zu welchem Zweck er hier erschienen war, verdüsterte sich sein Angesicht und nahm den Ausdruck hochmütigen Stolzes an.

»Da der König dich mir als Führer sendet,« sagte er in gebrochenem Reußisch, »so wirst du mir die Wege weisen, auf denen wir dorthin gelangen, wohin wir gehen sollen, obgleich ich auch ohne dich meinen Weg finden würde. Du scheinst mir noch jung und unerfahren.«

»Er schreibt mir die Stellung vor, die er mir zu geben gedenkt,« dachte Kmiziz, »ich will politisch mit ihm verfahren, so lange es angeht.«

Dann sagte er laut:

»Höre Akbah-Ulan! Der König hat mich als Kommandierenden und nicht als Wegweiser hierher gesandt ... Ich sage dir, du thätest gut, dich dem Willen des Königs zu fügen.«

»Ueber die Tartaren hat der Chan, nicht der König das Oberkommando!« antwortete Akbah-Ulan.

»Akbah-Ulan! merke dir!« wiederholte Kmiziz mit Nachdruck. »Der Chan hat dich dem Könige geschenkt, so wie man etwa einen Hund oder einen Falken verschenkt, darum widersetze dich ihm nicht, sonst könnte geschehen, daß man dich wie einen Hund an den Strick nimmt.«

»Allah!« schrie der Tartar empört auf.

»Mäßige dich und reize mich nicht!« warnte Herr Andreas.

Die Augen Akbah-Ulans unterliefen mit Blut, die Adern in seinem Nacken schwollen an, daß sie wie dicke Stricke hervortraten, seine Hand fuhr nach dem Krummsäbel. Er konnte lange keinen Laut hervorbringen, endlich preßte er zwischen den Zähnen hervor:

»Ich morde dich! – Ich morde dich!«

Herr Andreas war als Hitzkopf bekannt. Er hatte lange genug politisiert; seine Geduld war am Ende. Wie von einem giftigen Insekt gestochen fuhr er empor, faßte mit der Hand den Kinnbart des Tartaren, riß ihm das Kinn in die Höhe, so daß das Gesicht desselben nach der Stubendecke gerichtet war, und rief zähneknirschend:

»Jetzt höre, du Hundesohn! Du möchtest niemanden über dir wissen, damit du brandschatzen, rauben, morden kannst! ... Zum Wegweiser möchtest du mich degradieren! Da, hier hast du den Wegweiser! hier hast du ihn!«

Während er das sagte, schlug Kmiziz den Kopf Akbah-Ulans ein über das andere Mal an die Wand.

Endlich ließ er ihn los. Der Aga war ganz betäubt; er griff nicht mehr nach der Waffe. Kmiziz hatte, seinem Impulse folgend, das rechte Mittel gefunden, den Morgenländer von seinem Abhängigkeitsverhältnis zu überzeugen. So konnte Akbah-Ulan trotz seiner Wut und seinem zerschlagenen Kopfe doch dem Gedanken nicht wehren, wie mächtig und siegesgewohnt dieser junge Ritter sein müsse, da er es wagte, mit ihm, dem Akbah-Ulan, auf diese Weise umzuspringen. Seine bluttriefenden Lippen abwischend, wiederholte er dreimal das Wort:

»Bagadyr! Bagadyr! Bagadyr!«

Inzwischen hatte Kmiziz sich den Helm Subaghasis aufgestülpt und das grüne Szepter, das Abzeichen der tartarischen Oberfeldherren, welches er bisher im Gürtel seines Wamses verborgen gehalten hatte, hervorgezogen.

»Sieh' hier, Kanaille! und hier!«

»Allah!« schrie Ulan entsetzt.

»Und hier!« setzte Kmiziz hinzu, während er die grüne Schnur aus der Tasche zog.

Aber Akbah-Ulan lag schon zu den Füßen seines Herrn und Meisters und berührte demütig den Boden mit seiner Stirn.

Eine Stunde später bewegte sich der Tschambul in langem Zuge auf der Landstraße, welche von Lemberg nach Groß-Otschy zu führt. Kmiziz saß auf einem herrlichen Streitroß, welches der König ihm beim Abschied geschenkt, und umkreiste den Zug, wie ein Schäferhund seine Herde. Akbah-Ulan verwandte keinen Blick von dem jungen Ritter; in seinem Angesicht malte sich ein Gemisch von Schrecken und Bewunderung.

Die Tartaren, meist große Kenner kriegstüchtiger Männer, hatten auf den ersten Blick das Uebergewicht des Helden erkannt; sie wußten im voraus, daß ihnen unter seiner Leitung reiche Beute sicher sei, daher zogen sie fröhlich mit ihm, singend und pfeifend. Kmiziz aber schwoll das Herz beim Anblick dieser Gestalten vor Freude. Glichen sie doch den Tieren des Waldes, da sie mit Pelzen und Elefantenhäuten bekleidet waren, deren haarige Seite nach außen gekehrt war. Ein Meer zottiger Köpfe wogte, den Bewegungen der Rosse nach, vor ihm her. Er zählte sie und überlegte dabei, was alles sich mit diesen Wilden unternehmen und erreichen lassen würde.

»Ein seltsames Kriegsheer,« dachte er. »Mir ist als stünde ich an der Spitze einer Herde raubgieriger Wölfe. Aber gerade sie brauche ich. Warte Boguslaw, warte!«

Er war stets sehr selbstbewußt. So kamen ihm auch jetzt Gedanken, die dieser Charaktereigenschaft entsprangen.

»Gott hat mich mit Besonnenheit und Entschlossenheit ausgestattet,« sagte er für sich – »auch mit Glück! Gestern noch war ich nur Befehlshaber meiner beiden Kiemlitsch – heut bin ich Kommandant über vierhundert berittene Leute ... Wenn erst der Tanz beginnt, hoffe ich bald ein Tausend oder zwei solcher Vagabunden unter mir zu haben, die den früheren Genossen gleich kommen ... Warte nur, Boguslaw! Warte!«

Gleich darauf suchte er sein böses Gewissen zu beruhigen:

»Dabei soll das Vaterland und die Majestät nicht zu kurz kommen; ich will ihnen redlich dienen.«

Seine gute Laune nahm zu, je länger er unterwegs war. Es machte ihm Vergnügen, zu sehen, wie die Juden, die Bauern, selbst Adlige und sogar größere Abteilungen der Mannschaften vom allgemeinen Aufgebot sich beim Anblick seiner Soldateska entsetzten. Es war neblig, die Luft von feuchten Dünsten erfüllt; da geschah es, daß Entgegenkommende erst ganz in der Nähe erkannten, wen sie vor sich hatten. Schreckensrufe wurden alsdann laut:

»Das Wort ist Fleisch geworden!«

»Jesus, Maria, Josef!«

»Die Tartaren! Eine Horde!«

Aber die Tartaren zogen friedlich an den Britschkas, den Frachtwagen, Pferdekoppeln und Vorüberziehenden vorbei. Ihr Kommandant erteilte die Erlaubnis zum Rauben nicht; er hatte es verboten und ihm hatten sie zu gehorchen, denn sie hatten mit eigenen Augen gesehen, wie Akbah-Ulan ihm beim Aufsteigen auf das Pferd den Steigbügel gehalten hatte.

Lemberg lag schon weit hinter ihnen im Nebel. Die Tartaren hatten aufgehört zu singen. Sie zogen schweigend ihres Weges, ganz eingehüllt in die Wolken, die den dampfenden Pferden entstiegen. Plötzlich ertönte lautes Pferdegetrappel hinter ihnen.

Gleich darauf erschienen zwei Reiter, welche schnurstracks an dem Zuge vorüber auf Kmiziz zu ritten. Es war Herr Wolodyjowski und der Pächter von Wonsotsch.

»Halt! halt!« rief der kleine Ritter.

Kmiziz hielt sein Pferd an.

»Ihr seid es?« frug er erstaunt.

Wolodyjowski riß sein Pferd, daß es auf dem Fleck stille stand.

»Meine Reverenz!« sagte er. »Hier sind Briefe vom Könige. Einer an euch, einer an den Wojewoden von Witebsk,«

»Ich bin doch auf dem Wege zu Herrn Tscharniezki und nicht zu dem Herrn Sapieha.«

»Lest nur erst den Brief!«

Kmiziz erbrach das Siegel und las wie folgt:

»Wir erfahren soeben durch einen Eilboten vom Herrn Wojewoden von Witebsk, daß der Herr Wojewode seinen Zug nach Kleinpolen nicht fortsetzen kann und nach Podlachien zurückkehren muß, weil Fürst Boguslaw mit einer ungeheuren Heeresmacht nicht beim Könige von Schweden geblieben ist, sondern gen Tykozin zieht, um den Herrn Sapieha zu überfallen. Da nun Herr Sapieha viele seiner Truppen auf Stationen hat verteilen müssen, so befehlen Wir Dir, mit Deinen Tartaren dem Herrn Wojewoden zu Hilfe zu eilen, und da mit dieser Aenderung des Reiseplanes auch Deinem Wunsche Genüge geschehen muß, so brauchen Wir Dir Eile wohl nicht erst anzuempfehlen. Der zweite Brief ist an den Herrn Wojewoden gerichtet. Wir empfehlen in demselben Unseren treuen Diener, den Herrn Babinitsch, dem Wohlwollen des Herrn Wojewoden auf das Wärmste und stellen Euch beide unter den Schutz Gottes.

Johann Kasimir, König.«

»Beim allmächtigen Gott! Das ist eine Nachricht für mich!« rief Kmiziz aus. »Wie soll ich das meinem Herrn und Könige danken!«

»Das dachte ich mir!« entgegnete der kleine Ritter. »Darum habe ich mich erboten, euch selbst die Nachricht zu bringen, aus purer Liebe zu euch und aus Barmherzigkeit, denn ich habe ja eure Verzweiflung mit angesehen und ich wollte die Briefe sicher in euren Händen wissen.«

»Wann kam der Bote des Wojewoden an?«

»Wir waren beim Könige zu Tische geladen; die beiden Herren Skrzetuski, Herr Sagloba, Charlamp und ich. Ihr könnt euch nicht vorstellen, was Sagloba dort aufgeschnitten hat; wie er von der Unbeholfenheit Sapiehas sprach und seine eigenen Verdienste hervorhob. Dem Könige rannte vor Lachen das Wasser über die Wangen und die beiden Hetinane hielten sich unaufhörlich die Seiten. Da trat der Kammerdiener mit einem Briefe in der Hand ein. Der König fuhr ihn an: ›Laßt Mir doch eine Stunde Ruhe, scheer dich zum Henker jetzt mit dem Briefe bis auf später; vielleicht enthält er schlimme Nachrichten‹. Erst als der Kammerdiener meldete, der Brief sei von Herrn Sapieha durch einen Eilboten gesandt, las er ihn. Es waren wirklich schlechte Nachrichten, denn der Brief bestätigte das, was man schon lange befürchtet hatte. Der Kurfürst hat sich, allen seinen Versprechungen zum Trotz, mit den Schweden verbunden.«

»Also ein neuer Feind!« rief Kmiziz. »Als ob wir ihrer nicht ohnehin genug hätten«

Er faltete die Hände.

»Großer Gott!« seufzte er. »Herr Sapieha soll mich nur auf acht Tage nach Kurpreußen schicken. Man sollte dort bis ins zehnte Glied meiner und meiner Tartaren gedenken!«

»Es ist nicht unmöglich, daß es geschieht,« antwortete Herr Wolodyjowski. »Doch zuvor müßt ihr Boguslaw aus dem Wege räumen, der, durch kurfürstliche Truppen stark unterstützt, den Zug nach Podlachien angetreten hat.«

»Ich werde ihn treffen, so wahr Gott im Himmel ist!« schwor Kmiziz mit leuchtenden Augen. »Hättet ihr mir die Ernennung zum Wojewoden von Wilna gebracht, eine größere Freude wäre mir nicht dadurch widerfahren, als durch den erhaltenen Befehl!«

»Das sagte der König auch. Seine Majestät meinte gleich: ›Das ist etwas für Androsch, dem wird das Herz im Leibe hüpfen vor Vergnügen!‹ Der Kammerdiener sollte sofort mit der Botschaft an euch fortreiten, doch ich erbot mich sogleich dazu, indem ich betonte, daß ich noch Abschied von euch nehmen müsse.«

Kmiziz beugte sich vom Pferde herab und küßte den kleinen Ritter.

»Kein Bruder hätte das für mich gethan, was ihr mir schon Gutes erwiesen,« sagte er gerührt. »Ich hoffe zu Gott, daß ich euch einmal alles danken kann!«

»Bah!« entgegnete Wolodyjowski. »Ich wollte euch ja einst erschießen lassen!«

»Weil ich damals nichts Besseres wert war. Mir wäre nur recht geschehen! Gott soll mich gleich in der ersten Schlacht umkommen lassen, wenn ich unter allen Rittern einen mehr liebe als euch!«

Sie herzten sich wieder. Beim Abschiednehmen sagte Wolodyjowski noch:

»Hütet euch vor Boguslaw! Hütet euch! Mit ihm ist nicht gut Kirschen essen!«

»Einer von uns beiden muß sterben!«

»Gut!« sprach Wolodyjowski.

»Ach, daß ihr mir doch etwas von eurer Fechtkunst lehren könntet!« seufzte Kmiziz. »Ihr seid ein genialer Fechtmeister! Doch dazu fehlt uns die Zeit! ... Aber die Engel im Himmel werden mir beistehen. Sein Blut muß ich sehen; es sei denn, daß Gott vorher schon meine Augen auf ewig schließt.«

»Gott stehe euch bei! ... Glückliche Fahrt! ... Und übt gute Rache an den Feinden!«

»Das soll geschehen!« rief Kmiziz. »Lebt wohl!«

Herr Wolodyjowski winkte Rzendzian herbei, welcher sich unterdessen mit Akbah-Ulan über die Heldenthaten Kmiziz' und seinen Sieg über Chowanski unterhalten hatte. Sie traten den Rückweg nach Lemberg an, während Kmiziz auf dem Flecke seine Tartaren schwenken ließ und mit ihnen dem Norden zuzog.


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