Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

18. Kapitel

Nach der Abreise Anusias mit Herrn Kötschlitz blieb das Heerlager Sapiehas noch acht Tage in Biala. Kmiziz, welcher mit seinen Tartaren nach dem nahen Rokitno abkommandiert war, konnte der Ruhe pflegen, denn es war notwendig, für Roß und Mann neue Kräfte zu sammeln, da die Pferde besonders von der langen Reise sehr heruntergekommen waren. Vor einigen Tagen war auch der Grundherr Bialas, der Fürst-Truchseß Michael Kasimir Radziwill in Biala angekommen. Er war ein mächtiger und steinreicher Herr, von der Seitenlinie Nieswiersch, von der man erzählte, daß sie allein von den Kischkows siebzig Städte und vierhundert Dörfer geerbt hatten. Dieser Fürst Michael glich in nichts seinen Birzer Verwandten. Er war nicht weniger stolz als jene, aber anderen Glaubens. Ein eifriger Patriot und Anhänger des rechtmäßigen Königs, war er mit ganzer Seele der Tyschowietzer Konföderation beigetreten und unterstützte dieselbe nach Kräften. Obgleich seine ungeheuren Besitzungen durch den letzten hyperboräischen Krieg stark mitgenommen waren, so war ihm doch noch genug geblieben, um den Hetman mit einer ansehnlichen Truppenzahl zu unterstützen.

Doch war es weniger die Zahl seiner Soldaten, die hier ins Gewicht fiel, wie die Thatsache, daß hier ein Radziwill gegen den anderen stand. Aus diese Weise wurde den Handlungen Boguslaws jeder Anschein von Rechtmäßigkeit entzogen und ihnen der Stempel des Vaterlandsverrates aufgeprägt.

Darum begrüßte auch Herr Sapieha den Fürst-Truchseß mit Freuden in seinem Lager. Mit seiner Ankunft war auch dem Hetman die Zuversicht gekommen, daß er über Boguslaw siegen werde, da auch seine Streitkräfte durch die Truppen des Fürsten eine Verstärkung erhalten hatten. Seiner alten Gewohnheit gemäß machte er langsam seine Pläne, überlegte hin und her und berief seine Offiziere zu den Beratungen.

Auch Kmiziz wohnte diesen Beratungen bei. Als er das erste Mal mit dem Fürsten Michael zusammentraf, packte ihn bei seinem Anblick eine grenzenlose Wut; der Haß gegen den Namen Radziwill war zu mächtig in ihm. Aber der Fürst gewann durch den Ausdruck der Güte in seinem schönen Gesicht und durch seine hervorragenden Charaktereigenschaften die Herzen der Menschen. Die schwere Zeit, die er soeben erst durchgemacht, indem er das Land gegen die Einfälle Soltarenkas und Srebrnis geschützt hatte, seine Liebe zum Könige und zum Vaterlande, das alles machte ihn zu einem der hervorragendsten Kavaliere seiner Zeit. Seine Anwesenheit im Lager Sapiehas allein genügte, um allen zu beweisen, wie dieser junge Fürst alle seine Privatinteressen auf dem Altar des Vaterlandes opferte. Wer ihn kannte, der mußte ihn hochachten und diesem Gefühle konnte selbst Kmiziz, trotz der tiefen Abneigung gegen die Radziwills, nicht wehren.

Zuletzt gewann der junge Fürst das ganze Herz des Ritters durch die Ratschläge, die er erteilte. Er riet zum schnellen Handeln, zum schleunigen Ausrücken gegen die heranziehende Macht Boguslaws, damit dieser nicht Zeit gewinne, die verlorenen Schlösser und Vesten wieder zu besetzen. Man solle ihn angreifen, ihn nicht zu Atem kommen lassen, ihn mit seinen eigenen Waffen schlagen, und auf keinen Fall sich mit ihm in Verträge irgendwelcher Art einlassen. Nur im resoluten, schnellen Handeln erblickte er einen sicheren, schnellen Sieg.

»Es wird nicht fehlen,« führte der Fürst des weiteren aus, »daß auch Karl Gustav sich zu regen beginnt. Deshalb müssen wir uns freie Hand schaffen, um so schnell als möglich dem Herrn Tscharniezki Hilfe bringen zu können.«

Auch Kmiziz war dieser Ansicht; es brannte ihn schon nach dreitägiger Ruhe, thätig in die Ereignisse eingreifen zu dürfen. Am liebsten wäre er, ohne ein Kommando abzuwarten, auf eigene Faust dem Feinde entgegen gezogen.

Aber Sapieha wollte sicher gehen; er fürchtete jeden unüberlegten Schritt, er wollte erst bestimmte Nachrichten abwarten.

Und die Gründe des Hetman waren auch stichhaltig. Der Zug Boguslaws nach Podlachien konnte ebenso gut nur unternommen worden sein, um die Konföderierten irre zu führen. Vielleicht war das ganze Unternehmen nur ein fingiertes, vielleicht sandte man nur zum Schein eine Anzahl irgendwelchen Kriegsvolkes aus, um die Vereinigung des Sapiehaschen Heerlagers mit dem Kronenheere zu verhindern. Verhielt es sich so, dann würde Boguslaw vor Sapieha nur herumflanieren, eine Schlacht aber auf alle Fälle vermeiden, das Heer unaufhörlich durch Streifereien in Unruhe versetzen, während inzwischen Karl Gustav mit dem Kurfürsten gegen Herrn Tscharniezki anrücken, sein Heer mit ihrer Uebermacht erdrücken, dann dem Kronenheere entgegenziehen und so ungestört das ganze mühselig durch das Beispiel Tschenstochaus aufgerichtete Verteidigungswerk vernichten konnten.

Herr Sapieha war nicht nur ein wackerer Feldherr, er war auch ein Stratege. Er begründete seine Ansichten in den Sitzungen so klar und energisch, daß selbst Kmiziz ihm zustimmen mußte. Man mußte unbedingt erst Klarheit in die Sachlage bringen. Erwies es sich, daß Boguslaw nur zum Scheine den Kriegszug unternommen, dann genügte es, ein paar Fahnen unter fester kriegstüchtiger Leitung hier zurückzulassen, mit der ganzen Heeresmacht aber in Eilmärschen zu Herrn Tscharniezki zu stoßen, um der schwedischen Hauptmacht erfolgreich entgegen zu treten. Auf die Paar hier zurückbleibenden Fahnen konnte es hierbei nicht ankommen, denn nicht alle Streitkräfte des Hetman waren bei Biala stationiert. Der junge Herr Kschyschtof, Kschyschtofek Sapieha genannt, stand mit zwei Fahnen leichter Reiterei in Jaworowo; Horotkiewitsch trieb sich noch in der Gegend von Tykozin mit einem halben Regiment Dragoner umher, denen sich mit der Zeit etwa fünfhundert Freiwillige angeschlossen hatten, außerdem mehrere Petyhor-Fahnen und in Bialystock ein Regiment Fußsoldaten.

Wenn Boguslaws Heer, wie Sapieha mutmaßte, nur aus etlichen Hunderten Reiter bestand, dann genügte es, die letztgenannten Truppen zusammenzuziehen, um Boguslaw in Schach zu halten.

So begnügte sich denn der Hetman vorläufig damit, nach allen Richtungen hin Kundschafter auszusenden, und wartete die ersehnten Nachrichten ab.

Und endlich trafen sie ein. Wie Keulenschläge fuhren sie in die Stille des Lagers, welche um so schwerer trafen, als die ausgesandten Kundschafter fast gleichzeitig zurückkehrten.

Man hielt im Schlosse in Biala soeben wieder eine Sitzung ab, als ein Ordonnanz-Offizier eintrat und dem Hetman ein Schreiben überreichte.

Kaum hatte dieser einen Blick in dasselbe geworfen, als er auch schon ganz aufgeregt ausrief:

»Mein Verwandter in Jaworowo ist vollständig geschlagen und zwar durch Boguslaw selbst. Herr Kschyschtos selbst ist kaum mit dem Leben entronnen.«

Die Anwesenden verstummten plötzlich bei dieser eben vernommenen Kunde.

»Der Brief ist auf der Flucht in Bransk geschrieben,« fuhr der Hetmann fort. »Wahrscheinlich war die Konfusion groß, denn es steht nichts in dem Briefe von der Stärke der Boguslawschen Armee ... Ich denke, sie muß schon bedeutend sein, da sie die zwei Fahnen nebst allen Fußsoldaten vollständig aufgerieben hat! ... Möglich ist aber auch, daß Fürst Boguslaw sie unversehens überrumpelt hat ... Man kann dem Briefe gar nichts Sicheres entnehmen ...«

»Herr Hetman!« entgegnete der Fürst Michael. »Ich bin dessen gewiß, daß Boguslaw ganz Podlachien für sich okkupieren will, um es dann mittels eines Vertrages, entweder als festes Eigentum, oder als Lehen an sich zu bringen ... Dazu aber braucht er eine große Truppenmacht. Ich habe für meine Behauptung zwar keinen anderen Beweis, als meine Kenntnis der Charaktereigentümlichkeiten Boguslaws, doch das genügt mir. Nicht um Schweden und Brandenburg ist er besorgt, sondern um seine eigene Habgier ... Er ist ein Feldherr von außerordentlichen Fähigkeiten und vertraut dabei seinem guten Stern. Er will eine Provinz für sich erobern, den Tod Januschs rächen, Ruhm ernten; zu alle dem braucht er ein Heer, ein großes Heer. Wir müssen ihn schleunigst überrumpeln, sonst überrumpelt er uns.«

»Zu allen Unternehmungen ist Gottes Segen vonnöten,« sagte Oskierko, »und dieser Segen ist bei uns!«

»Herr Hetmann!« sagte Kmiziz. »Wir entbehren noch sicherer Nachrichten, bitte schickt mich aus mit meinen Tartaren; ich will bald bringen, was uns zu wissen not thut.«

Oskierko, welcher in das Geheimnis eingeweiht war und wußte, wer Babinitsch war, unterstützte diesen Antrag kräftig.

»Bei Gott! Das ist ein ausgezeichneter Gedanke! Einen solchen Kundschafter und solche Helfer sind dort am Platz. Wenn nur die Pferde ausgeruht sind ...«

Oskierko stockte ... Wieder trat eine Ordonnanz in das Gemach.

»So, Herr Hetman,« sagte Sapieha, sich mit den Händen auf die Kniee stützend, »nun bekommen wir näheres zu hören ... Laßt den Boten herein!« rief er dem Offizier zu.

Gleich darauf betraten zwei Petyhor-Ulanen das Gemach. Ihre Uniformen waren zerrissen und ganz beschmutzt.

»Von Horotkiewitsch?« rief Sapieha ihnen fragend entgegen.

»Von Horotkiewitsch! Zu Befehl!«

»Wo ist er jetzt?«

»Erschlagen! Und wenn nicht erschlagen, dann weiß Gott allein, wo er sich befindet.«

Der Wojewode erhob sich, setzte sich aber sogleich wieder nieder und forschte anscheinend ruhig weiter.

»Wo befindet sich die Fahne?«

»Sie ist vernichtet durch den Fürsten Boguslaw.«

»Sind viele von euch gefallen?«

»Es sind unserer nicht «viele übrig geblieben. Die wenigen, die am Leben sind, gerieten in Gefangenschaft. Einige wollen behaupten, daß der Hauptmann auch entkommen sei. Daß er verwundet ist, habe ich selbst gesehen. Wir sind aus der Gefangenschaft entflohen.«

»Wo seid ihr überfallen worden?«

»Bei Tykozin.«

»Warum habt ihr euch nicht hinter die Mauern des Schlosses verschanzt, da ihr in der Minderzahl wäret?«

»Tykozin ist in den Händen der Feinde.«

Der Hetman bedeckte einen Augenblick die Augen mit der Hand. Dann rieb er sich die Stirn.

»Ist das Heer Boguslaws stark?«

»Etwa viertausend Reiter, außer den Fußsoldaten und den Geschützen. Die Füsiliere sind ganz marode; sie blieben zurück. Die Reiter gehen vorwärts, die Gefangenen mit sich führend. Wir sind ihnen glücklich entwischt.«

»Wo seid ihr entflohen?«

»In Drohotschyn.«

Sapieha riß die Augen weit auf.

»Mensch! du bist betrunken!« rief er. »Wie sollte Boguslaw nach Drohotschyn kommen. Wann hat er euch denn ausgehoben?«

»Vor zwei Wochen.«

»Und er befindet sich in Drohotschyn?«

»Seine Vorschübe sind dort: er selbst ist noch zurückgeblieben, denn man hat einen Reisetransport aufgefangen, welchen Herr Kotschütz führte.«

»Kotschütz mit Fräulein Borschobohata!« rief Kmiziz aus.

Das Stillschweigen, welches nun eintrat, währte länger, als zuvor, niemand wagte zu sprechen. Das rasche erfolgreiche Vorgehen Boguslaws hatte alle Köpfe verwirrt. Gleichzeitig suchten die Gedanken eines jeden im Stillen im Hetman den Schuldigen: hätte er nicht so lange überlegt, sondern rasch gehandelt, wie ihm geraten worden – doch niemand wagte seine Meinung laut zu äußern.

Sapieha aber war sich bewußt, recht und vorsichtig gehandelt zu haben. Er überwand auch zuerst den niederdrückenden Eindruck der erhaltenen Mitteilungen. Mit einer Handbewegung entließ er die beiden Ulanen, dann sprach er:

»Das alles sind Unfälle, die jeder Krieg mit sich bringt, die uns auch nicht entmutigen dürfen. Glaubt nur nicht, daß wir schon eine Niederlage erlitten haben, meine Herren. Schade, schade, um jene unglücklichen Fahnen, das ist wahr. Doch der Schaden hätte größer werden können, wenn Boguslaw uns listiger Weise in entfernte Provinzen gelockt hätte. Er kommt zu uns ... Gut! als freigebige Wirte wollen wir ihm entgegengehen.«

Hier wandte er sich an die Hauptleute.

»Ich befehle also, alle Truppen marschbereit zu halten.«

»Sie sind es bereits,« sagte Oskierko, »die Pferde dürfen nur aufgezäumt und zum Aufsitzen geblasen werden.«

»Noch heute Abend soll es geschehen ... Wir rücken morgen mit dem ersten Tagesgrauen aus ... Herr Babinitsch kann mit den Tartaren voraus sprengen, um möglichst bald und viel auszukundschaften.«

Kaum hatte Kmiziz das gehört, so war er auch schon hinter der Thür. Einige Augenblicke nachher sprengte er in vollem Galopp auf der Landstraße Rokitno zu.

Auch Herr Sapieha zauderte nun nicht länger. Es war noch diese Nacht, als die Trompeten in langgezogenen Tönen zum Aufsitzen bliesen und gleich darauf Reiter und Fußvolk in langen Zügen aus der Stadt dem Schlachtfelde zu marschierten. Hinterdrein fuhren knarrend eine ganze Reihe beladener Wagen. Die ersten Morgenlichter spiegelten sich in den Läufen der Musketen und in den Lanzenschäften.

Ein Regiment nach dem anderen, eine Fahne nach der anderen zogen zierlich und wohlgeordnet dahin. Die Reiter sangen die Tagzeiten und die Pferde schnauften in der Morgenkühle, was die Soldaten für eine gute Vorbedeutung kommenden Sieges hielten. Die Zuversicht auf bessere Tage erfüllte die Herzen der Krieger, denn sie wußten, daß Herr Sapieha, wenn er auch lange kopfschüttelnd zu erwägen liebte, doch ein großer Feldherr war, wenn es galt, loszuschlagen.

In Rokitno waren inzwischen die Lagerstellen der Tartaren schon kalt geworden, die waren längst über alle Berge. Herr Sapieha wunderte sich nur, daß er nichts über sie erfahren konnte, trotz vieler Nachfragen. Man wollte sie nirgends gesehen haben, obgleich es eigentlich undenkbar war, daß eine Abteilung von mehreren hundert Mann unbemerkt durch die Ortschaften gekommen sein sollte.

Die erfahreneren Offiziere bewunderten die Geschicklichkeit, mit welcher Babinitsch einen solchen Zug in lautloser Disziplin zu halten verstand.

»Er schleicht wie ein Wolf und beißt wie ein Wolf,« sagte man untereinander. »Er muß ein schlauer Praktikant sein.«

Und Herr Oskierko sagte heimlich zu Herrn Sapieha, da er doch wußte, wer Babinitsch war:

»Chowanski hat nicht umsonst einen Preis auf seinen Kopf ausgesetzt. Wer kann wissen, wem Gott den Sieg zugedacht hat, aber Boguslaw wird den Krieg mit uns bald überdrüssig sein.«

»Schade nur, daß Babinitsch wie in einen Abgrund versunken scheint,« sagte der Hetman.

So waren drei Tage vergangen, ohne daß etwas neues vorgefallen wäre. Die Hauptarmee Sapiehas hatte den Bug überschritten, Drohitschyn erreicht und noch immer war vom Feinde keine Spur zu finden. Der Hetman fing an unruhig zu werden. Nach den Berichten der Petyhors waren doch die Vorposten Boguslaws schon bis Drohitschyn vorgedrungen. Da man sie nicht fand, mußte Boguslaw sie wohl zurückgezogen haben. Was aber hatte dieser Rückzug zu bedeuten? Hatte der Fürst von der Uebermacht Sapiehas gehört und fürchtete er dieselbe, oder wollte er den Hetman dennoch weit hinauf nach dem Norden locken, um dem Könige von Schweden den Ueberfall Tscharniezkis zu erleichtern? Babinitsch mußte schon einen Kundschafter haben, um den Hetman benachrichtigen zu können. Die Angaben der Petyhors über die Stärke der feindlichen Heeresmacht konnten irrige sein, es war durchaus notwendig, bald sichere Berichte zu empfangen.

Aber es vergingen weitere fünf Tage, ohne daß Babinitsch ein Lebenszeichen gegeben hätte. Der Frühling war im Anzuge, die Tage wurden immer wärmer. Der Schnee schmolz. Die Gegend stand fast ganz unter Wasser, das sumpfige Erdreich erschwerte ungeheuer die weitere Bewegung. Der Hetman mußte eine Anzahl Geschütze nebst einigen Wagen in Drohitschyn zurücklassen, was kleine Unbequemlichkeiten zur Folge hatte.

In Bransk wurden die Wege so schlecht, daß auch die Fußsoldaten nicht mehr weiter konnten. Der Hetman requirierte unterwegs Pferde von den Bauern und ließ die Musketiere aufsitzen. Andere wurden von den Ulanen mitgenommen. An ein Zurück war nicht zu denken; der Hetman wußte, daß nur eins zu thun blieb, »Vorwärts« galt die Losung.

Boguslaw wich immer weiter zurück. Man traf jetzt hier und da schon Spuren seines Durchzuges, bald ein niedergebranntes Dorf, bald einige arme Erhängte, deren Körper noch an den Bäumen baumelten. Wohl brachte der ansässige Kleinadel Nachrichten über Boguslaw in das Lager Sapiehas, aber sie widersprachen sich und beruhten eben nur auf Erzählungen von Menschen, die vom Kriegshandwerk keine Ahnung hatten. Manche von ihnen wollten auch hier und da Tartaren gesehen haben, aber gerade bezüglich ihrer lauteten die Berichte am unwahrscheinlichsten. Bald hatte man sie hinter, bald vor dem fürstlichen Heere gesehen.

Herr Sapieha war wütend, wenn jemand nur den Namen Babinitsch nannte und sagte zu Oskierko:

»Ihr habt ihn zu früh gelobt! Ich habe Wolodyjowski sehr zur Unzeit fortgeschickt, wenn ich ihn hier hätte, so wüßte ich lange, woran ich bin; dieser hier ist ein Wirbelwind oder Schlimmeres ... Wer weiß, vielleicht haben gar die Menschen recht, welche seine Tartaren an der Spitze des feindlichen Heeres gesehen haben wollen, vielleicht macht er mit Boguslaw gemeinschaftliche Sache.«

Oskierko wußte selbst nicht, was er denken sollte. Wieder war eine Woche verstrichen, das Heer war in Bialystock angelangt.

Es war um Mittag. Etwa zwei Stunden später meldeten die Vorposten, daß eine Abteilung Soldaten sich dem Orte nähere.

»Vielleicht Babinitsch!« rief der Hetman. »Er soll nur kommen, ich habe schon das pater noster für ihn bereit.«

Aber es war nicht Babinitsch selbst. Im Lager entstand bei Ankunft jener Trupps ein so großer Auflauf, daß Herr Sapieha selbst hinausging, um zu sehen, was geschehen war.

Etliche Offiziere verschiedener Abzeichen kamen ihm entgegen geeilt.

»Von Babinitsch!« meldeten sie. »Gefangene! Eine große Anzahl! Er muß viele Menschen umgebracht haben.«

Bald sah auch der Hetman eine Anzahl Menschen vor sich, auf abgemagerten, struppigen Kleppern hockend. Sie umringten etwa dreihundert an den Händen gefesselte Gefangene, welche sie mit ledernen Riemen peitschten. Die Gefangenen boten einen schrecklichen Anblick. Sie glichen eher Schatten, denn lebenden Wesen. Abgerissene Lumpen schlotterten um die halbnackten Leiber, die so mager waren, daß die Knochen aus der stellenweise blutig geschlagenen Haut hervorsahen. Kaum noch imstande, sich fortzuschleppen, ließen sie gleichgültig alles über sich ergehen.

»Was sind das für Leute?« frug der Hetman.

»Vom Heere Boguslaws,« antwortete einer der Volontäre Kmiziz', welcher mit den Tartaren die Gefangenen hergebracht.

»Wo habt ihr ihrer so viele her?«

»O, fast die Hälfte davon ist vor Erschöpfung unterwegs liegen geblieben.«

Ein alter Tartar, der bei dem Tschambul das Amt eines Wachtmeisters bekleidete, näherte sich nun dem Hetman und nachdem er mit der Stirn den Boden berührt, überreichte er ihm einen Brief Kmiziz'.

Ohne zu zaudern, erbrach der Hetman das Siegel und begann laut zu lesen:

»Erlauchter Herr Hetman!

Daß ich bis jetzt keine Nachrichten und auch keinen Kundschafter gesandt habe, liegt daran, daß ich anstatt hinter dem Heere Boguslaws an der Spitze desselben ritt und lieber gleich mit einer größeren Anzahl Kundschafter vor Euch erscheinen wollte ...«

Der Hetman unterbrach das Lesen.

»Er ist ein Teufel!« sagte er. »Anstatt ihm zu folgen, hat er ihn umgangen und seine Frontstellung angegriffen!«

»Da schlage doch das Wetter drein! ...« setzte Herr Oskierko hinzu.

Der Hetman las weiter:

»Denn, obgleich das eine schwierige Operation war, da die Vorschübe überall in breiter Linie gingen, quetschte ich mich, nachdem ich zwei derselben vollständig ausgehauen hatte, doch nach vorn durch und stellte mich plötzlich der Front des feindlichen Heeres entgegen. Das verwirrte den Fürsten vollkommen; er begriff sogleich, daß er umgangen worden und in eine Falle geraten war ...«

»Daher der plötzliche Rückzug!« rief der Hetman ... »Er ist ein Teufel, der reine Teufel!«

Seine Neugier wuchs immer mehr; er las weiter:

»Der Fürst, welcher sich jedenfalls nicht erklären konnte, wie das zugegangen war, verlor ganz die Besinnung. Er sandte Patrouillen über Patrouillen aus, welche wir stets abfingen und dafür sorgten, daß sie vollzählig nie zu ihm zurückkehrten. Da ich dem Heere vorauseilte, nahm ich ihm die Fourage vorweg, zerstörte die Wälle und ließ die Zugbrücken niederreißen, so daß er nur mühselig weiter marschieren konnte, und ließ ihm Tag und Nacht weder Zeit zum Essen noch zum Schlafen. Keiner wagte es, das Lager einen Augenblick zu verlassen, denn die Unvorsichtigen wurden von meinen Tartaren sogleich aufgegriffen; wenn die müden Soldaten endlich eingeschlafen waren, dann stimmten meine Leute in ihren Verstecken ein entsetzliches Geheul an, sodaß die Schläfer entsetzt emporfuhren, weil sie glaubten, eine große Armee rücke gegen sie an. Sie hielten dann die ganze Nacht Wachtfeuer. Dadurch ist der Fürst der Verzweiflung nahe gebracht; er weiß nicht, wohin er sich wenden, wohin er sich begeben soll. Daher ist es notwendig, daß bald gegen ihn vorgegangen wird, damit er nicht seinen Irrtum erkennt und nicht zu Atem kommt. Er hatte etwa sechstausend Mann bei sich, aber nahezu ein Tausend hat er schon verloren. Die Pferde fallen ihm. Die Reiterregimenter sind sonst gut imstande, die Fußsoldaten gut bewaffnet. Doch half Gott den Haufen etwas schmelzen; es werden von Tag zu Tag weniger, und wenn unsere Armee ihn nur bald erreicht, dann wird sein Heer beim ersten Anprall zerschellen. Die Karossen des Fürsten, sechs Kredenzwagen mit verschiedenen Kostbarkeiten habe ich in Bialystock weggenommen, samt zwei Geschützen, welche ich jedoch, weil sie zu schwer sind, ins Wasser versenken mußte. Der fürstliche Verräter ist vor Aerger schon bedenklich erkrankt; er kann sich kaum mehr auf dem Pferde halten, das Fieber verläßt ihn Tag und Nacht nicht. Fräulein Borschobohata wird im Lager festgehalten, doch da der Fürst krank ist, wird er ihrer Tugend nicht gefährlich werden. Diese Nachrichten von der Verzweiflung des Fürsten habe ich von den Gefangenen, welche meine Tartaren durch Ansengen der Haut zum Sprechen zwangen. Sie werden ihre Aussagen wiederholen, wenn man das Experiment wiederholen wollte. Damit empfehle ich Ew. Erlaucht meine unterthänigen Dienste und bitte um Verzeihung, wenn ich in etwas gefehlt haben sollte. Die Tartaren sind gute Jungen und hauen, wenn sie reiche Beute wittern, kräftig zu.«

»Ew. Erlaucht bedauert wohl jetzt schon weniger, den Herrn Wolodyjowski fortgeschickt zu haben,« sagte Oskierko. »Ich glaube, er hätte es diesem Teufel nicht gleichgethan.«

»Es ist zum Staunen!« rief Sapieha, indem er sich den Kopf hielt.

»Lügt er nicht etwa doch?«

»O, er besitzt zuviel Stolz dazu! Hat er doch selbst dem Fürst-Wojewoden in das Gesicht gesagt, was er über ihn dachte, und nicht darnach gefragt, ob es ihm angenehm war oder nicht. Er wiederholt dieselbe Prozedur an Radziwill, die er an Chowanski erprobt, nur daß der letztere fünfzehnmal mehr Soldaten hatte, als dieser,« verteidigte Oskierko.

»Wenn er die Wahrheit schreibt, dann ist es notwendig, sogleich weiter zu marschieren,« überlegte der Hetman.

»Gewiß! Ehe der Fürst zur Besinnung kommt.«

»Auf also! Jener zerstört ihm die Brücken, holen wir ihn ein.«

Inzwischen waren die Gefangenen, als sie vernommen, der Hetman stehe vor ihnen, in Klagelaute ausgebrochen. Sie schilderten ihr Elend in den verschiedenen Dialekten der litauischen Zunge unter Thränen und flehentlichen Bitten. Es befanden sich unter ihnen auch Schweden, Deutsche und Schotten von der Leibgarde Boguslaws. Herr Sapieha befahl, ihnen Speise und Trank zu reichen, dann ohne Martern ein Verhör mit ihnen vorzunehmen.

Ihre Aussagen bestätigten die Wahrheit des von Kmiziz Gesagten. So marschierte denn die Armee Sapiehas in Eilmärschen vorwärts.


 << zurück weiter >>