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12. Kapitel

Olenka und Anusia waren unter dem Schutze Brauns glücklich aus Tauroggen entkommen und zu der Partei des Herrn Schwertträgers gelangt, welche zu jener Zeit bei Olscha stand, also nicht allzuweit von Tauroggen.

Als der alte Edelmann die beiden Mädchen gesund und wohlbehalten erblickte, wollte er erst seinen Augen nicht trauen, dann brach er in Freudenthränen aus, und zuletzt überfiel ihn eine so kriegerische Stimmung, daß er behauptete, es nicht nur mit Boguslaw, sondern mit der ganzen schwedischen Armee aufnehmen zu wollen. Er wollte seine beiden Mädchen vor jedem Feinde schützen.

»Ich will lieber fallen, ehe ich euch ein Haar krümmen lasse. Ich bin nicht mehr der Mann, den ihr in Tauroggen gekannt habt; ich denke, die Schweden werden noch lange an die Wälder von Girlakol, an Jaswojna und an die Schwielen denken, die ich ihnen bei Roschen beigebracht habe. Es ist ja wahr, daß der Verräter Sakowitsch uns unvermutet überfallen und versprengt hat, aber ihr seht, daß wir wieder ein paar hundert Säbel beisammen sind.«

Der Herr Schwertträger übertrieb nicht; man konnte thatsächlich in ihm nicht mehr den verzagten Gefangenen von Tauroggen wiedererkennen. Er war ein ganz anderer geworden. Die alte Energie war in ihm wieder erwacht. Im Felde, zu Pferde, da befand er sich in seinem Element, und da er ein guter Soldat war, so hatte er in der That den Schweden schon einige Schlappen beigebracht.

Da er in der ganzen Gegend in großem Ansehen stand, so kam von allen Seiten her der Kleinadel gern zu ihm, um sich ihm anzuschließen, auch die Bauern und Waldläufer kamen herbei und von den Herren Billewitsch brachte ihm ab und zu auch einer etliche Leute oder Pferde zugeführt.

Die Partei des Herrn Schwertträgers bestand aus dreihundert polnischen Füsilieren, die aus den Bauern zusammengestellt waren, und aus etwa fünfhundert Mann zu Pferde. Von den Füsilieren hatten nur wenige eine Muskete, die große Mehrzahl war mit Sensen und Mistgabeln bewaffnet, die Reiter bestanden aus zusammengelaufenem begüterten Kleinadel, welcher mit seinem Gesinde in die Wälder geflüchtet war, und solchen, die die Armut in den Hütten zurückgehalten hatte. Ihre Armierung war etwas besser, als diejenige der Füsiliere, aber sehr verschiedenartig. Hopfenstangen dienten vielen als Lanzen, andere trugen ihre angeerbten Familienwaffen, deren Anfertigung vor Jahrhunderten geschehen sein mochte; die Pferde waren von so verschiedener Größe und Güte, daß sie sich schwer einreihen ließen.

Der Schwertträger konnte mit solch einer Truppe wohl schwedischen Patrouillen den Weg verlegen, größere Abteilungen angreifen und versprengen, die Wälder und Dörfer von Räuberbanden frei halten, aber er konnte keine Stadt damit belagern. Die Schweden waren mit der Zeit klug geworden. Die Polen hatten gleich nach dem Ausbruch des Aufstandes alle diejenigen schwedischen kleineren Besatzungen vernichtet, welche verstreut in Quartieren in den Dörfern lagen; jetzt hatten sich diejenigen, welche übrig geblieben waren, in den Städten festgesetzt und dieselben befestigt, von wo aus sie sich nur zu Kriegszügen in die nächste Umgebung herauswagten. So war es allmählich gekommen, daß alle kleinen Städtchen, die Dörfer und Wälder sich in den Händen der Polen befanden, während alle größeren Städte von den Schweden eingenommen waren. Sie daraus zu vertreiben, war bisher unmöglich gewesen.

Die Partei des Schwertträgers war eine der besten, andere konnten weit weniger ausrichten. An der Grenze Lieflands hatten sich die Aufständischen zwar so weit hervorgewagt, daß sie zweimal die Veste Birz belagert und bei der zweiten Belagerung die Uebergabe derselben erzwungen hatten, doch diesen Sieg hatten sie nur dem Umstande zu verdanken, daß de la Gardie, zur Verteidigung Rigas gegen die Heeresmacht des Zaren, alle Truppen aus den an Liefland grenzenden Provinzen eingezogen hatte.

Die glänzenden Siege jedoch, welche dieser General errungen hatte, gaben der Befürchtung Raum, daß der Feldzug in Liefland bald beendet sein mußte, und dann die Smudz von neuem von den siegestrunkenen Schweden überzogen werden würde. Unterdessen waren alle die zahlreichen Parteien der Aufständischen in den Wäldern wohl geborgen und wenn sie auch zu größeren Unternehmungen nicht stark genug waren, so konnten sie doch sicher sein, in ihren Verstecken von den Feinden nicht aufgesucht zu werden.

Aus diesem Grunde verwarf der Herr Schwertträger den Gedanken, in der Heide von Bialowiersch Schutz zu suchen. Der Weg dahin war sehr weit und man mußte unterwegs an zahlreichen Städten vorüber, welche starke schwedische Besatzungen hatten.

»Gott hat uns einen trockenen Herbst gegeben,« sagte er zu seinen Mädchen, »es lebt sich darum leichter unter Gottes freiem Himmel. Ich werde euch ein zierliches Zelt zurechtzimmern lassen, ein altes Weib zur Bedienung wird sich auch finden lassen, ihr bleibt hübsch im Lager. Es giebt in diesen Zeiten keine sicherere Zuflucht, als die Wälder. Mein Billewitsche ist bis auf den Grund niedergebrannt, die Gutshöfe werden von Raubgesindel heimgesucht, zuweilen auch von schwedischen Streifzüglern. Wo könntet ihr eure Häupter sicherer zur Ruhe legen, als bei mir, dem einige hundert Säbel zur Verfügung stehen? Wenn später die Herbstregen kommen, dann wird sich auch eine still verborgene Hütte in der Wildnis finden.«

Dieser Vorschlag gefiel dem Fräulein Borschobohata gar sehr, denn bei der Partei befanden sich ein paar junge Billewitsch, sehr artige Kavaliere und – man sprach unaufhörlich davon, daß Herr Babinitsch in diese Gegend kommen werde.

Anusia hoffte im Stillen, daß er dann im Nu die Schweden alle hinaustreiben würde, und dann – dann konnte kommen, was Gott wolle. Olenka glaubte sich auch soweit in den Wäldern sicher, sie wäre nur gern weiter von Tauroggen entfernt gewesen, denn im Stillen fürchtete sie noch immer die Verfolgung des Herrn Sakowitsch.

»Laßt uns doch nach Wodockt ziehen,« sagte sie. »Wir sind dort zu Hause. Sollte Wodockt auch niedergebrannt sein, so sind doch Mitrun und alle die Hufländereien des Kleinadels in der Nähe; es ist doch nicht möglich, daß die ganze Gegend dort ein Schutthaufen ist. Im Falle der Gefahr werden die Laudaer uns schützen.«

»Bah, die Laudaer sind alle mit Wolodyjowski ausgezogen,« versetzte der junge Herr Jurek Billewitsch.

»Die Alten und die Knaben sind aber doch dort geblieben,« warf Olenka ein. »Im Notfalle greifen da auch die Weiber zur Waffe. Die Heide ist dort auch größer als hier; die Jäger-Domaschewitsch, die Rauch-Gostschiewitsch werden uns in die Rogowoer Heide bringen, wo uns kein Feind ausfindig machen kann.«

»Und ich werde euch ein sicheres Lager aufbauen, werde Ausfälle gegen die Schweden machen und alle diejenigen fern halten, welche es wagen sollten, bis an die Grenze der Heide vorzudringen,« sagte der Herr Schwertträger. »Das ist ein vortrefflicher Gedanke, Olenka! Fort mit uns! Dort können wir mehr nützen als hier. Wer weiß, ob der Herr Schwertträger nicht auch darum den Gedanken Fräulein Alexandras so schnell aufgriff, weil auch er im Stillen ein wenig die Rache des Herrn Sakowitsch fürchtete, welcher in der Wut zu allem Möglichen fähig war.

Der Ratschlag war aber auch an und für sich ein kluger; er wurde von allen gleich freudig angenommen. Der Herr Schwertträger schickte noch an demselben Tage unter dem Befehl des Herrn Jurek die Füsiliere voraus, damit sie in der Richtung nach Krakinow zu einen Weg durch die Wälder bahnten. Er selbst brach mit den Reitern erst zwei Tage später auf nachdem er zuvor genaue Nachrichten eingezogen hatte, daß von Kiejdan oder von Roschen aus, zwischen welchen beiden Orten der Weg durchführte, keine größere Streifpatrouille ausgezogen war.

Sie marschierten langsam und mit Vorsicht. Die beiden Fräuleins fuhren auf Bauernwagen, zuweilen ritten sie auf Kleppern, welche der Schwertträger ihnen besorgte.

Anusia hatte von Jurek einen kleinen leichten Säbel als Geschenk erhalten. Sie trug denselben an einer seidenen Säbelschnur übergehängt und eine kleine Soldatenmütze keck nach der Seite auf dem Kopfe. Sie sah so ganz allerliebst aus, wie ein Fahnenrittmeister. Der Zug mit den in der Sonne blitzenden Säbeln und nachts die Lagerfeuer bereiteten ihr viel Vergnügen. Sie warf ihre klaren Aeugelein nach allen Seiten hin, die Zöpfe hingen ihr lang am Rücken herunter, nur damit sie dieselben mindestens dreimal täglich flechten konnte, wobei ihr die Bächlein und Seen, an denen sie vorüberkamen, als Spiegel dienen mußten. Die jungen Offiziere waren entzückt von ihr. Oft verlangte sie, eine Schlacht mitzumachen, um durch ihre Tapferkeit zu glänzen; aber das war nur leeres Gerede, um alle die Offiziere zu bestricken, denn im Grunde ihres Herzens fürchtete sie sich vor einer Schlacht.

Olenka lebte aufs neue auf, nachdem sie Tauroggen verlassen hatte. Dort hatte sie die Unsicherheit ihres Geschickes fast zu Tode geängstiget, hier fühlte sie sich geborgen. Die frische, gesunde Luft stärkte ihre geschwächten Kräfte. Der Anblick der Krieger, das Geklirr der Waffen, das Treiben im Lager, das alles war Balsam für ihre kranke Seele. Auch ihr machte das Marschieren Freude; die mögliche Gefahr schreckte sie nicht, denn es floß Ritterblut in ihren Adern. Sie ließ sich weniger vor den Soldaten sehen, machte keine übermütigen Kunststückchen auf dem Klepper, wenn sie vor dem Gliede ritt, deshalb zog sie weniger die Augen auf sich. Dafür wurde sie mit der größten Hochachtung behandelt.

Die bärtigen Gesichter der Soldaten überzog ein Lachen beim Anblick Anusias, wenn aber Olenka sich den Lagerfeuern nahte, da flogen die Mützen von den Köpfen. Diese Hochachtung verwandelte sich später in Bewunderung. Es gab keinen, dessen Herz nicht für sie geschlagen hätte, nur wagte keiner, sie so dreist anzublicken, wie die kleine Schwarzbeere aus der Ukraine.

Während sie durch die Wälder und Schonungen kamen, sandte der Schwertträger oft Kundschafter aus, um die Sicherheit des Weges zu prüfen. Endlich am siebenten Tage langten sie spät in der Nacht in Lubitsch an, welches an einem Einschnitt der Laudaer Grenze lag, gleichsam das Thor zu diesem Landesteile bildend. An diesem Tage waren durch den übermäßig langen Marsch die Pferde so ermüdet, daß den Vorstellungen Olenkas ungeachtet, der Schwertträger hier übernachten wollte. Der alte Herr wurde ärgerlich, verbot dem Mädchen ihre Launenhaftigkeit und befahl den Parteien, sich für die Nacht einzurichten.

Seltsamerweise war der Gutshof nicht niedergebrannt. Wahrscheinlich hatte der Feind denselben infolge eines Befehls des Fürsten Janusch Radziwill verschont, weil er Kmiziz gehörte. Später nach dem Abfall Kmiziz' mochte der Fürst vergessen oder nicht Zeit gehabt haben, den Befehl aufzuheben.

Die Aufständischen dagegen betrachteten die ganze Gegend als Eigentum der Billewitsch und duldeten nicht, daß Raubgesindel sich an den Grenzen der Lauda umhertrieb. Es hatte sich also hier nichts verändert. Olenka überschritt mit einem schrecklichen Schmerz- und Bitterkeitsgefühl im Herzen die Schwelle dieses Hauses. Sie kannte jeden Winkel desselben und an jeden Winkel knüpfte sich für sie die Uebelthat Kmiziz'. Da, hier, der Eßsaal mit den Ahnenbildern und den Schädeln der Waldtiere. Letztere hingen noch halbzerschmettert an den Wänden, die ersteren, die alten von den Säbelhieben verunstalteten Gesichter blickten düster herunter, als wollten sie sagen: »Sieh, Mädchen, sieh, unsere Enkelin, so hat er mit schändlicher Hand die Bildnisse unserer leiblichen Gestalten, die schon längst im Grabe modern, zugerichtet!«

Olenka fühlte, daß sie in diesem befleckten Hause kein Auge würde schließen können. Aus jedem Winkel schienen die schrecklichen Gestalten der Kumpane Kmiziz' hervorzukriechen, wie Höllenteufel, Feuer schnaubend.

O, wie schnell war der von ihr so geliebte Mann gesunken; von Uebelthat zu Uebelthat, zu immer schwereren Verbrechen, vom Zerstören dieser Bilder bis zur Verbrennung Upits, zum Mädchenraube, als er sie selbst geraubt, weiter – zum Dienst bei den Radziwills, bis zum geplanten Königsmörder ...

Die Nacht verrann, der Schlaf floh den Augen Olenkas. Alle Wunden ihrer Seele wurden aufs neue geöffnet, von neuem brannte die Scham auf ihren Wangen, flossen die Augen von Thränen über und ihr Herz wurde von solcher Trauer erfüllt, daß dasselbe zu springen drohte ...

Um was trauerte sie eigentlich? Um das, was anders hätte sein können, wenn er anders gewesen wäre? Ach, wenn er bei allen Leidenschaften, aller Wildheit und allem Uebermut nur die Ehre, die Reinheit des Herzens bewahrt hätte! Wenn er doch Maß gehalten hätte im Verbrechen, wenn doch eine Grenze für ihn dagewesen wäre, die er zu überschreiten nicht gewagt hätte. Ihr Herz hatte ja so viel verziehen ...

Anusia konnte die Qual der Genossin nicht entgehen. Der alte Schwertträger hatte ihr die Geschichte in allen Tonarten vorgesungen. Da sie nun ein gutes Herz hatte, schlich sie sich zu Olenka hin, legte ihre Arme um den Hals der Freundin und sagte:

»Olenka! Du windest dich im Schmerz in diesem Hause ...«

Zuerst konnte und wollte Olenka gar nicht sprechen; sie bebte am ganzen Körper wie Espenlaub, zuletzt brach sie in lautes, verzweifeltes Schluchzen aus. Sie faßte krampfhaft die Hand Anusias, stützte ihr blondes Haupt auf den Arm der Freundin und schüttelte sich, wie der Sturm den Strauch rüttelt.

Anusia mußte lange warten, bis der Weinkrampf vorüber war.

Als Olenka sich endlich zu beruhigen begann, da flüsterte sie leise:

»Wir wollen für ihn beten, Olenka ...«

Doch diese verdeckte ihr Gesicht mit beiden Armen.

»Nein! ... Ich kann nicht! ...« rief sie fast entsetzt.

Nach einer Weile strich sie mit fieberhafter Eile die Haare zurück, welche ihr auf die Stirn gefallen waren, dann sagte sie mit müder Stimme:

»Siehst du ... ich kann nicht ... du Glückliche ... Dein Babinitsch ist edel, berühmt ... vor Gott ... und dem Vaterlande ... du Glückliche! ... Ich darf nicht einmal beten ... Ueberall sehe ich Menschenblut ... Trümmerstätten! Wenn er wenigstens das Vaterland nicht verraten hätte, wenn er nicht den König hätte verkaufen wollen! ... Alles Vorangegangene hatte ich schon verziehen ... denn ich dachte ... in Kiejdan ... denn ich liebte ihn ... von ganzem Herzen! ... Aber jetzt kann ich nicht ... barmherziger Gott! ich kann nicht! ... Ich wollte, ich wäre tot ... und er wäre tot!«

»Es ist erlaubt, für jede Seele zu beten, denn Gott ist barmherziger als die Menschen. Er kennt die Ursachen unserer Handlungen, wie die Menschen sie oft nicht erkennen können.

Während sie das sagte, kniete Anusia zum Gebet nieder, Olenka warf sich zu Kreuze und verharrte so bis zum Morgen.

Am Morgen verbreitete sich schnell die Nachricht, daß der Herr Billewitsch, Schwertträger von Reußen, in die Lauda eingezogen sei. Was da lebte, strömte zu seiner Begrüßung herbei. Greise und Weiber mit kleinen Kindern kamen aus ihren Waldverstecken hervor. Zwei lange Jahre hatte niemand mehr in den Hufeländern den Acker bebaut und gesäet. Die Ortschaften waren teilweise verbrannt und verödet. Die kräftigen Männer waren mit Wolodyjowski fortgezogen, nur halbwüchsige Jünglinge behüteten und verteidigten den Rest der Habe im Schutze der Heide.

Man begrüßte daher den Schwertträger als »Befreier« mit Freudenthränen, denn die einfachen Menschen dachten, daß, wenn der alte Herr und das »Fräulein« wieder in das alte Nest zurückkehrten, der Krieg zu Ende sein müsse. Sie begannen nun auch gleich ihre halb verwilderten Viehherden aus dem Walde herbeizutreiben und in die noch übrig gebliebenen Hütten zurückzukommen.

Die Schweden saßen zwar noch in der Nähe, in dem gut befestigten Poniewiersch, aber angesichts der Streitkraft des Herrn Thomas und anderer benachbarten Parteien, welche im Falle der Not schnell herbeizurufen waren, fürchteten sich die Leute nicht mehr vor ihnen.

Herr Thomas hatte sogar die Absicht, Poniewiersch anzugreifen, um den Kreis gänzlich zu säubern; er wartete nur noch auf neuen Zuzug von Freiwilligen, besonders aber darauf, daß seine Füsiliere mit Gewehren ausgestattet werden sollten, welche die Jagd-Domaschewitsch im Walde verborgen hielten. Unterdessen besichtigte er die Gegend, indem er von Ort zu Ort ritt.

Ach, es war eine traurige Besichtigung. In Wodockt war der Gutshof und das halbe Dorf abgebrannt; ebenso Mitrun. Wolmontowitsch und Butrymow, welche seiner Zeit Kmiziz niedergebrannt hatte, waren nach dem Brande wieder aufgebaut und merkwürdigerweise auch erhalten worden. Dafür waren Droschejkidny und Morgi, welche den Domaschewitsch gehörten, total, Pazunel zur Hälfte, Morezy ganz niedergebrannt. Das schrecklichste Los war dem Orte Goschtschuny widerfahren, denn auch die Menschen waren zum größten Teil totgeschlagen, und allen Männern, von den Greisen angefangen bis zu den kleinen Knaben herab, auf Befehl des Hauptmanns Roßy, die Hände abgehauen.

So hatte der Krieg mit grausamem Fuß diese Gegend zertreten, das war die Folge des Verrats des Fürsten Janusch Radziwill.

Doch ehe noch der Schwertträger seine Besichtigung beendet und seine Füsiliere bewaffnet hatte, kamen wieder Nachrichten freudiger Art und dennoch gräßlich in diese Gegend, welche schnell von Hütte zu Hütte getragen wurden.

Jurek Billewitsch, welcher mit einer Abteilung Berittener einen Streifzug nach Poniewiersch zu unternommen und einige Schweden aufgefangen hatte, vernahm zuerst die Kunde von der Schlacht bei Prostki. Darauf jagte eine Neuigkeit die andere; man hörte nach und nach Einzelheiten, welche so wunderbar klangen, daß man sie für Märchen halten konnte.

»Herr Goschewski,« so hieß es, »hat den Grafen Waldeck, Israel und den Fürsten Boguslaw geschlagen. Das Heer sollte vernichtet, die Generale gefangen, ganz Preußen ein Flammenmeer sein!«

Einige Wochen später flog noch ein Name von Mund zu Mund. Es war der Name Babinitsch.

»Babinitsch ist eigentlich der Sieger von Prostki,« sprach man in ganz Smudz. »Babinitsch hat den Fürsten Boguslaw mit eigener Hand geschlagen und gefangen genommen.«

Und weiter:

»Babinitsch trägt den Brand nach Preußen, kommt wie der Tod der Grenze Smudz's zu, und verwüstet alles, was zwischen Himmel und Erde ist.«

Endlich:

»Babinitsch hat Tauroggen verbrannt. Sakowitsch ist entflohen und hat sich in den Wäldern versteckt.«

Der letzte Vorfall hatte sich so nahe vollzogen, daß man über die Wahrheit des Berichtes nicht lange in Zweifel bleiben konnte. Er erwies sich als vollständig wahr.

Anusia Borschobohata war während der ganzen Zeit, wo diese Nachrichten kursierten, wie im Traume befangen. Sie lachte und weinte abwechselnd, stampfte zornig mit den Füßen, wenn jemand einer Neuigkeit keinen Glauben schenken wollte; sie erzählte, was sie wußte, immer wieder, gleichviel, ob einer zuhörte oder nicht.

»Ich kenne den Herrn Babinitsch! Er hat mich von Samoschtsch zum Herrn Sapieha gebracht. Er ist der größte Krieger der Welt. Ich weiß nicht, ob Herr Tscharniezki ihm gleichkommt. Er war es, welcher unter dem Herrn Hetman dienend, den Fürsten Boguslaw bedrängt hat. Ich bin gewiß, daß kein anderer als er den Fürsten bei Prostki niedergeschlagen hat. Er wird es dem Sakowitsch, ja zehn solchen Sakowitschen heimleuchten ... In einem Monat wird er die Schweden hinausgefegt haben.«

Die Versicherungen Anusias bewahrheiteten sich schnell. Es blieb kein Zweifel mehr, der große Krieger, genannt Babinitsch, rückte thatsächlich von Tauroggen her in das Innere des Landes vor.

Bei Koltyn schlug er den Hauptmann Baldon und vernichtete dessen Abteilung vollkommen. Bei Warna bekriegte er die schwedische Infanterie, welche sich vor ihm bis nach Telsch zurückzog. Bei Telsch lieferte er eine größere siegreiche Schlacht den beiden Hauptleuten Normann und Hudenskjöld, in welcher Hudenskjöld fiel und Normann mit den Uebriggebliebenen flüchtete, bis nach Sagorsche, dicht an der Grenze von Smudz.

Von Telsch aus zog Babinitsch gen Kurschan, kleinere schwedische Abteilungen vor sich hertreibend. Sie suchten mit aller Gewalt in größere schwedische Lagerplätze zu entkommen.

Von Tauroggen und Polongi nach Birz und Wilkomiersch scholl sein siegreicher Name. Man erzählte sich auch von den Greuelthaten, die er sich gegen die Schweden zu schulden kommen ließ. Es hieß, daß sein Heer, welches anfangs nur aus einem Tschambul Tartaren und einer Fahne Volontarier bestanden hatte, von Tag zu Tag wuchs; denn wer da lebte lief ihm zu, alle Parteien vereinigten sich mit ihm und er umfaßte sie mit eiserner Hand und führte sie gegen den Feind.

Die Sinne aller waren so sehr mit seinen Siegen beschäftigt, daß die Kunde von der Niederlage, welche Goschewski gegen Stenbock erlitten hatte, lautlos verhallte. Babinitsch war näher, mit Babinitsch beschäftigte man sich unaufhörlich.

Anusia flehte täglich den Schwertträger an, er möge doch eilen, sich mit dem berühmten Krieger zu vereinigen. Auch Olenka drängte dazu, die Offiziere, der Adel, alle baten, denn die Neugier spornte alle dazu an.

Das war aber keine leichte Sache. Erstens war Babinitsch in einer anderen Gegend; zweitens war er oft wochenlang spurlos verschwunden. Niemand wußte dann, wo er zu finden war. Drittens lagen alle schwedischen Abteilungen und Besatzungen in den Städtchen und Städten, welche am Wege zu ihm lagen. Endlich hatte man erfahren, daß hinter Roschen Sakowitsch mit einer größeren Abteilung das Land unsicher machte. Er sollte, laut den kursierenden Gerüchten, alles töten, was ihm in den Weg kam, die Menschen entsetzlich quälen und sie über den Verbleib der Billewitschen Partei ausforschen.

Der Schwertträger konnte also nicht nur nicht dem Heere Babinitsch entgegenziehen, sondern er mußte auch fürchten, daß ihm die Lauda zu enge werden könnte.

So im Hin- und Herschwanken begriffen, vertraute er eines Tages dem Herrn Jurek Billewitsch an, daß er die Absicht habe, nach Osten zu gehen und in den Wäldern der Rogowoer Heide Schutz zu suchen. Jurek plauderte diese Neuigkeit sogleich an Anusia aus, diese aber lief schnurstracks zum Schwertträger.

»Liebster Oheim,« sagte sie zu ihm – denn so pflegte sie ihn zu nennen, wenn sie etwas von ihm herausschlagen wollte – »ich habe gehört, daß wir fliehen sollen. Ist das nicht eine Schande für einen so berühmten Soldaten, wenn er die Flucht ergreifen will beim Herannahen des Feindes?«

»Daß ihr doch euer Näschen überall dabei haben müßt,« entgegnete der Schwertträger verdrossen. »Das geht euch gar nichts an.«

»Gut! – Dann zieht ihr euch zurück; ich bleibe hier.«

»Damit Sakowitsch euch einfängt? Ihr werdet ja sehen.«

»Sakowitsch wird mich nicht einfangen, denn Herr Babinitsch wird mich beschützen.«

»Der wird gerade wissen, wo ihr seid. Ich habe schon einmal gesagt, daß wir nicht zu ihm können.«

»Aber er kann zu uns kommen. Ich bin seine Bekannte; wenn ich nur einen Brief an ihn absenden könnte, dann wäre ich sicher, daß er hierher kommt, indem er unterwegs den Sakowitsch bekriegt. Er war mir ein wenig gewogen, deshalb würde er die Hilfe nicht versagen.«

»Und wer würde es unternehmen, ihm den Brief zu bringen?«

»Man kann den ersten besten Bauern damit fortschicken ...«

»Schaden könnte das auf keinen Fall, nein, nein. Olenka hat einen scharfen Verstand, ich sehe, daß er euch auch nicht fehlt. Selbst wenn wir uns augenblicklich vor der Uebermacht in den Wald flüchten müssen, so wäre es immerhin gut, wenn Herr Babinitsch seinen Weg hierher nähme, wir kämen dann eher zusammen. Versucht es, Fräulein! Ein Bote wird sich finden.«

Die erfreute Anusia machte sich sogleich an das Werk; sie fand nicht nur einen, sondern zwei Boten. Der eine war Jurek Billewitsch, der andere war Braun. Ein jeder sollte einen gleichlautenden Brief mitnehmen, damit, wenn nicht der eine, so doch der andere in die Hände Babinitschs käme. Der Brief selbst machte Anusia weit mehr Kopfzerbrechen. Endlich brachte sie ihn zu Stande, wie folgt:

»In der höchsten Not schreibe ich Euch, wenn Ihr Euch meiner erinnert, (was ich bezweifle, denn, wie solltet Ihr Euch erinnern!) denn Ihr sollt mir zu Hilfe kommen. Nur weil Ihr Euch mir geneigt gezeigt habt, auf dem Wege von Samoschtsch, wage ich es zu hoffen, daß Ihr mich im Unglück nicht verlassen werdet. Ich bin bei der Partei des Herrn Billewitsch, des Schwertträgers von Reußen, der mir Schutz gewährt; denn ich habe seine Verwandte, das Fräulein Billewitsch, aus der Gefangenschaft in Tauroggen befreit. Ihn und uns beide umgiebt überall der Feind, besonders die Schweden und ein gewisser Sakowitsch, vor dessen sündhafter Zudringlichkeit ich fliehen und im Feldlager Schutz suchen mußte. Ich weiß, daß Ihr mich nicht leiden mochtet, obgleich ich, Gott weiß es, nichts Böses gethan habe und Euch immer nur Gutes wünschte und noch wünsche. Aber auch wenn Ihr mich nicht leiden mögt, so beschützt eine arme Waise und befreit sie aus den Händen der Feinde, Gott wird es Euch tausendfach lohnen und ich werde für den beten, welchen ich heute noch meinen gütigen Vormund, später aber, bis zu meinem Tode, meinen Retter nennen werde ...«

Nachdem die Boten das Lager verlassen hatten, fiel es Anusia erst schwer aufs Herz, welchen Gefahren beide sich aussetzten; sie schrak vor dem Unternehmen zurück, nur von dem einen Wunsche beseelt, die Boten zurückzuhalten. Mit Thränen in den Augen bat sie den Herrn Schwertträger, dieselben nicht fort zu lassen, da die Briefe eben so gut von Bauern besorgt werden könnten und die Bauern leichter durchschlüpften.

Doch Braun und Jurek Billewitsch widersetzten sich dem so sehr, daß keine Vorstellungen sie zurückzuhalten vermochten. Einer wollte den anderen an Dienstwilligkeit übertreffen. Hätten sie doch nur geahnt, welchem Schicksal sie entgegen gingen.

Eine Woche später fiel Braun in die Hände des Sakowitsch, welcher ihn zu Tode peinigte. Der arme Jurek wurde von einer schwedischen Streifpatrouille bei Poniewiersch erschossen.

Beide Briefe fielen in die Hände der Feinde.


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