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8. Kapitel

Am nächsten Morgen begab sich Sagloba noch ganz verzweifelt zu Herrn Tscharniezki mit der Bitte, ihn zu den Schweden gehen zu lassen, damit er erforsche, was mit Rochus geschehen sei, ob er noch lebe, oder als Gefangener zurückgehalten, oder schon tot sei.

Tscharniezki gab seine Einwilligung ohne Bedenken, denn der alte Herr war ihm sehr wert. Er suchte ihn zu trösten, indem er bemerkte:

»Ich denke, euer Verwandter lebt, sonst hätte ihn das Wasser ausgeworfen.«

»Wolle es Gott!« antwortete Sagloba betrübt. »Aber so einen wie den, wirft das Wasser nicht leicht aus. Er hatte nicht nur eine schwere Hand, sondern auch sein Verstand war schwer, wie Blei; das hat er jetzt wieder einmal bewiesen.«

»Ihr habt recht!« sagte Tscharniezki. »Wenn er lebt, müßte ich ihn von Rechtswegen zu Tode schleifen lassen, wegen Verletzung der Disziplin. Es ist wohl erlaubt, nachts den Feind zu alarmieren, er aber hat beide Heerlager alarmiert und zudem ohne Erlaubnis. Das wäre so etwas! Besonders wenn die Volontäre und Bauern ein Beispiel daran nehmen wollten. Wenn jeder auf eigene Hand regieren wollte, da hörte jedes verständige Regiment auf.«

»Er hat sich schwer vergangen, das ist wahr! Ich will ihn hart bestrafen, wenn ich ihn nur erst wieder hätte.«

»Und ich werde ihm verzeihen im Gedenken an seine That von Rudnik. Wir haben eine Menge Gefangene, Offiziere von höherem Range wie Rochus. Setzt also über zu den Schweden und sprecht mit ihnen wegen dem Austausch; ich gebe gern zwei auch drei Mann für ihn, um euch zu beruhigen. Holt euch bei mir ein Schreiben an den König von Schweden und eilt mit der Abreise.«

Sagloba hüpfte wie ein Jüngling in das Zelt Kmiziz' und erzählte den Waffenbrüdern, was er vor hatte. Herr Andreas und Wolodyjowski erboten sich gleich freudigst, mit ihm zu gehen, denn beide brannten vor Neugier, die Schweden in der Nähe zu sehen. Außerdem konnte Kmiziz bei den Unterhandlungen von Nutzen sein, da er fließend deutsch sprach.

Die Vorbereitungen waren schnell beendet. Herr Tscharniezki hatte die Rückkehr Saglobas nicht abgewartet, sondern ihm den Brief zugeschickt. Sie nahmen nur einen Trompeter und eine weiße Fahne mit, setzten sich in einen Kahn und fuhren ab.

Anfangs verharrten sie schweigend. Man hörte nur das Knarren der Ruder, wenn sie sich an den Seiten des Kahnes rieben. Endlich wurde Sagloba unruhig.

»Laßt nur den Trompeter rechtzeitig die Meldung blasen. Die Schelme bekommen es fertig, uns trotz der weißen Fahne anzuschießen!«

»Was ihr nun wieder redet!« schalt Wolodyjowski. »Auch die Barbaren ehren Abgesandte, und wir haben es doch mit einem kultivierten Volke zu thun.«

»Ich sage euch, laßt blasen! Der erste beste Gemeine kann Feuer geben, das Bot durchlöchern, und wir sinken unter. Das Wasser ist kalt! Ich habe nicht Lust, mich einweichen zu lassen.«

»Da, dort sieht man die Wachen!« sagte Kmiziz.

Der Trompeter gab das Signal. Der Kahn flog pfeilschnell dahin. Am anderen Ufer wurde es lebendig, bald darauf erschien am Wasser ein Offizier zu Pferde, welcher einen gelben Schlapphut auf dem Kopfe hatte. Er hielt die Hand über die Augen, um besser sehen zu können, da die Sonne grell auf das Wasser schien und blendete.

Einige Schritte vom Ufer entfernt, nahm Kmiziz zum Gruß seine Mütze ab; der Offizier erwiderte denselben freundlich.

»Ein Schreiben von Herrn Tscharniezki an Se. Majestät den König!« meldete Herr Andreas, den Brief hoch in die Höhe haltend.

Jetzt stieß der Kahn an das Land.

Die Wache am Ufer präsentierte das Gewehr. Herr Sagloba war nun vollständig beruhigt, steckte eine würdevolle Miene auf und sprach in lateinischer Sprache:

»Es ist in vergangener Nacht ein Kavalier an diesem Ufer eingefangen worden; ich bin gekommen, ihn zurück zu verlangen.«

»Ich verstehe kein Latein,« antwortete der Offizier.

»Alter Grobian!« murmelte Sagloba.

Der Offizier wandte sich an Herrn Andreas.

»Der König ist am Ende des Lagers,« sagte er. »Wenn die Herren hier warten wollen, werde ich euch anmelden.«

Damit wandte er das Pferd.

Sie aber sahen sich aufmerksam um. Das Lager dehnte sich weit hin; es bedeckte das ganze Delta zwischen San und Weichsel. An der Spitze desselben lag Pniow, als Endpunkte der unteren Breitseite einerseits Tarnogrod, andererseits Rozwadow. Man konnte den Umfang des ganzen Lagers unmöglich mit einem Blick umfassen. So weit das Auge reichte, sah man Schanzen, Laufgräben, Erdarbeiten, Faschinen, Kanonen und Menschen. Im Mittelpunkte des Lagers in Gorschyza befand sich das Hauptquartier und die Elitetruppe der Armee.

»Wenn der Hunger sie nicht von hier vertreibt, dürften wir kaum mit ihnen fertig werden,« sagte Kmiziz. »Die ganze Gegend ist gut verschanzt; es befinden sich sogar Weideplätze für die Pferde mitten im Lager.«

»Aber die Fische werden für so viele Mäuler nicht ausreichen,« versetzte Sagloba. »Uebrigens habe ich gehört, daß die Lutheraner Fastenspeisen nicht lieben sollen. Noch unlängst beherrschten sie ganz Polen, jetzt haben sie sich auf diesen kleinen Raum eingekeilt. Mögen sie gesund hier bleiben oder nach Jaroslaw zurückkehren.«

»Die Schanzen sind außerordentlich geschickt ausgebaut,« sagte Wolodyjowski, welcher die Befestigungswerke mit Kenneraugen betrachtet hatte. »Wir haben mehr gemeine Soldaten, aber weniger tüchtige Offiziere als sie; und was die Kriegstaktik betrifft, sind sie uns weit überlegen.«

»Wieso?« frug Sagloba.

»Wieso? Aus dem Munde eines Reitersmannes, welcher sein Leben lang auf dem Pferde gesessen hat, mag es vielleicht seltsam klingen, wenn ich sage: ›Die Fußsoldaten und die Artillerie bilden das Fundament einer Armee, auf welchem die anderen Truppengattungen erst mit Erfolg zu operieren vermögen. Um ein gründlich durchgebildeter Offizier zu sein, muß man eine Menge Bücher über die Kriegstaktik gelesen, und eine Menge römische Autoren verschlungen haben. Das ist bei uns nicht gebräuchlich. Noch immer rennen unsere Reiter zur Attacke, daß es hinter ihnen raucht, und wenn sie den Feind nicht überrennen, dann überrennt er uns ...‹«

»Seid doch vernünftig, Herr Michael! Welche Nation hat denn so viele glänzende Siege davongetragen, als die unsrige?«

»Weil bisher alle Nationen dieselbe Taktik übten und der Erfolg dem Stärkeren und Mutigeren zufiel. Aber man ist mit der Zeit klüger geworden; da seht hier!«

»Wir wollen das Ende abwarten. Stellen wir den gescheitesten schwedischen Ingenieur, oder den erfahrensten Deutschen unserem Rochus gegenüber, der nie ein Buch in die Hand genommen hat, und sehen wir zu, wer Sieger bleibt.«

»Wenn ihr ihn nur erst zum Hinzustellen hättet,« mischte sich Kmiziz in das Gespräch.

»Ja, ja! Mir thut der Kerl furchtbar leid. Sprecht doch ein wenig euer deutsches Kauderwelsch, lieber Herr Andreas, mit diesen Pluderhosen und fragt sie aus, was mit ihm geschehen ist.«

»Ihr kennt nicht die Disziplin einer regulären Heeresmacht. Hier steht euch kein Mann Rede, wenn er nicht Befehl dazu hat; es ist schade um jedes Wort, das man an sie richtet.«

»Ich weiß schon, daß sie ungefällige Schelme sind. Wenn zu unserem Adel eine Gesandtschaft kommt und mit den Gemeinen sprechen will, da geht es gleich Paperlapapp und die Branntweinflasche kreist, sie trinken einander zu, lassen sich in politische Auseinandersetzungen mit den Gesandten ein –, aber diese hier stehen wie die Holzböcke und stieren uns nur an. Daß sie das nicht überdrüssig bekommen?«

Immer mehr Soldaten kamen herzu und stellten sich im Kreise um die Gesandten, sie mit neugierigen Blicken musternd. Dieselben schienen ihnen durch ihre schöne, fast festliche Kleidung zu imponieren. Besonders war es Sagloba, der die allgemeinste Aufmerksamkeit auf sich lenkte durch das ernste, würdevolle Wesen, das er zur Schau trug. Am wenigsten fiel Wolodyjowski auf, seines kleinen Wuchses wegen.

Endlich war der Offizier, welcher sie am Ufer empfangen hatte, in Begleitung eines anderen höher chargiertem zurückgekehrt. Sie führten gesattelte und aufgezäumte Pferde lose am Zügel mit sich. Jener Chargierte verneigte sich vor ihnen und sagte in polnischer Sprache:

»Se. Majestät der König bittet euch in sein Quartier, und da es ziemlich weit bis dahin ist, so bringen wir Reitpferde mit.«

»Ihr seid Pole?« frug Sagloba.

»Nein, Herr! Ich heiße Sadowski, bin Tscheche und stehe in schwedischen Diensten.«

Als Kmiziz das hörte, war er mit einem Satze neben ihm.

»Erkennt ihr mich wieder, Herr?«

Sadowski blickte ihm scharf in die Augen.

»Wie sollte ich nicht? Ihr seid es, der bei Tschenstochau unsere große Kanone vernichtet hat, und den Miller dem Kuklinowski schenkte. Seid mir von Herzen gegrüßt, tapferer Ritter!«

»Was treibt Kuklinowski?« frug Kmiziz weiter.

»Wißt ihr nicht, was mit ihm geschehen?«

»Ich weiß nur, daß ich ihm Gleiches mit Gleichem vergalt, doch verließ ich ihn lebend.«

»Er ist erfroren!«

»Ich dachte mir eigentlich, daß es so kommen würde,« sagte Kmiziz, indem er mit der Hand eine bezeichnende Bewegung machte, als wollte er die Erinnerung davon fortscheuchen.

»Herr Hauptmann!« unterbrach jetzt Sagloba. »Befindet sich ein gewisser Rochus Kowalski im Lager?«

Sadowski lachte über das ganze Gesicht.

»Natürlich! Er ist hier!«

»Gelobt sei Gott und die heilige Jungfrau! Er lebt! Dann bekomme ich ihn auch raus! Gott sei Dank!«

»Ich weiß nicht, ob der König ihn herausgiebt,« sagte Sadowski.

»O, warum nicht?«

»Weil er ein großes Wohlgefallen an ihm hat. Der König erkannte in ihm gleich seinen grimmigen Verfolger von Rudnick wieder. Wir hielten uns die Seiten vor Lachen bei dem Verhör des Gefangenen. Der König frug: »Warum hast du es gerade auf Mich abgesehen?« und er antwortete: »Ich habe es mir gelobt, den König zu töten!« Und der König frug weiter: »So willst du auch fernerhin auf der Verfolgung bestehen?« »Selbstverständlich!« war die Antwort. Der König lachte: »Gieb dein Gelöbnis auf, dann lasse Ich dich mit heilen Gliedern in Freiheit setzen!« »Das geht nicht!« sagte der Edelmann. »Warum nicht?« »Weil mein Ohm mich einen Narren schimpfen würde!« »Und bist du so sicher, mich im Zweikampf zu besiegen?« »Ich würde es mit Fünfen gleich Euch aufnehmen!« Da frug der König noch: »Aber wie kannst du es wagen, die Hand gegen die Majestät zu erheben?« »Euer Glaube gefällt mir nicht!« Wir übersetzten dem Könige wortgetreu, was Rochus gesprochen und der König wurde immer heiterer, während er ein über das andere Mal rief: »Der Mann gefällt nur!« Aber er wollte sich überzeugen, ob der Gefangene wirklich so stark sei; er suchte zwölf der stärksten Gardisten aus und befahl ihnen, einer nach dem andern mit ihm zu kämpfen. Aber der scheint Sehnen von Stahl zu haben. Als ich fortritt, hatte er zehne von ihnen schon so über den Haufen geworfen, daß sie nicht mehr aufzustehen vermochten. Inzwischen wird er wohl mit den letzten beiden auch fertig geworden sein.

»Daran erkenne ich meinen Rochus! Er kann die Blutsverwandtschaft mit mir nicht verleugnen,« rief Sagloba. »Wir haben zwei bis drei höhere Offiziere für ihn zu bieten.«

»Ihr trefft den König bei guter Laune, was jetzt selten der Fall ist,« antwortete Sadowski.

»Das will ich glauben,« versetzte der kleine Ritter.

Unterdessen hatte sich Sadowski wieder zu Kmiziz gewandt und ihn gefragt, auf welche Weise es ihm gelungen, zu entkommen und den Kuklinowski an seine Stelle zu bringen. Er hörte mit immer steigender Bewunderung den Bericht des Ritters und als dieser geendet, drückte er ihm noch einmal kräftig die Hand, während er sagte:

»Glaubt mir! Wenn ich auch den Schweden diene, so freut sich doch das Herz eines wackeren Soldaten, wenn ein echter Kavalier einen Schuft überlistet oder niederschmettert. Ich bekenne euch gerne, daß man einen Tapferen wie ihr, zum zweiten Mal im Weltall kaum finden würde.«

»Ihr versteht Artigkeiten zu sagen!« sagte Sagloba.

»Ein berühmter Soldat seid ihr!« warf Wolodyjowski dazwischen.

»Ich habe Artigkeit und Tapferkeit bei euch gelernt!« entgegnete Sagloba, artig salutierend.

Unter solchen Gesprächen, immer einer den anderen an Artigkeit übertreffend, waren sie in Gorschytz, dem Quartier des Königs, angelangt. Das Dorf war mit Soldaten aller Truppengattungen angefüllt. Neugierig betrachteten unsere Freunde die Haufen Soldaten, welche hinter dem Dorfe in den Obstgärten umher lagen. Der Tag war sonnig und warm. Daher lagen viele, die den Hunger etwas verschlafen wollten, in den Wasserfurchen, andere würfelten auf den als Tisch dienenden Trommeln, während sie Dünnbier dabei tranken, wieder andere hingen ihre Uniformen in die Sonne oder putzten mit Ziegelmehl ihre Helme und Panzer, skandinavische Lieder dazu singend.

An anderen Stellen wurden Pferde umhergeführt, gewaschen und gestriegelt, kurz, es wogte und lärmte im Lager überall unter freiem Himmel. Zwar hatten Hunger und Entbehrungen vielen der Gesichter ihre Spuren aufgedrückt, doch die Sonne vergoldete das Elend und die bevorstehenden Tage der Ruhe flößten neuen Mut ein.

Herr Wolodyjowski bewunderte im Stillen diese Männer, besonders die Fußsoldaten, welche durch ihre Ausdauer und ihre unerreichbare Tapferkeit sich einen Weltruf erworben hatten.

»Das ist das samländische Garderegiment. Dieses die dalekarlischen Füsiliere, die besten, die wir haben,« erklärte Sadowski.

»Ums Himmelswillen! was sind das für monströse Gestalten,« rief plötzlich Sagloba, auf ein Häuflein kleiner Menschlein mit olivfarbener Haut und lang herabhängenden Haaren deutend.

»Das sind Lappländer, welche den im höchsten Norden wohnenden Hyperboräern entstammen.«

»Sind sie denn in der Schlacht zu verwenden? Ich glaube, ich könnte immer ihrer dreie mit einem Handgriff fassen, ihre sechs Köpfe dann zusammenschlagen, bis mir der Atem ausginge.«

»Gewiß bekämt ihr das fertig, Herr! Aber sie kommen gar nicht in das Feld. Die Schweden führen sie teils zur Bedienung im Lager, teils als Kuriosum mit sich. Dafür sind sie exquisite Zauberer und jeder von ihnen hat wenigstens einen, mancher bis fünf Teufel im Leibe.«

»Wie kommen sie denn zu dieser Gemeinschaft mit den bösen Geistern?« frug Kmiziz, sich bekreuzend.

»Weil sie fast unaufhörlich in Finsternis und Nacht leben, der größte Teil des Jahres bei ihnen zu Lande ist Nacht, und es ist ja bekannt, daß die Nacht des Bösen Freund.«

»Haben sie denn eine Seele?«

»Das hat noch niemand ergründen können; aber ich denke, sie stehen den Tieren näher, als den Menschen.«

Kmiziz ritt nahe an das Häuflein heran, bückte sich und einen der kleinen Männer am Kragen fassend, hob er ihn hoch in die Höhe und betrachtete ihn von allen Seiten genau. Dann setzte er ihn nieder und sagte:

»Wenn der König mir ein solches Männlein schenken wollte, würde ich es räuchern lassen und als Rarität in der Orschaner Kirche aufhängen, wo unter anderen Sehenswürdigkeiten bereits ein Paar Straußeneier sich befinden.«

»Und in Lubitsch befindet sich in der Pfarrkirche der Kinnbackenknochen eines Walfisches oder eines Riesenmenschen,« setzte Wolodyjowski hinzu.

»Reiten wir weiter,« sagte Sagloba, »sonst lesen wir zuletzt hier noch etwas Lästiges auf.«

»Vorwärts!« wiederholte Sadowski. »Eigentlich hätte ich den Herren die Augen verbinden lassen sollen, wie es üblich ist; aber wir haben nichts zu verbergen und daß ihr unsere Schanzen gesehen, kann für uns nur von Nutzen sein.«

Sie waren nun im Herrenhofe von Gorschytz, dem Hauptquartier, angelangt. Vor dem Thore stiegen sie von den Pferden und schritten entblößten Hauptes dem Hause zu, vor dessen Thüre der König saß.

Eine große Anzahl Generale in großer Uniform befand sich bei ihm. Da war der alte Wittemberg, Douglas, Loewenhaupt, Miller, Erickson und viele andere. Sie alle saßen im Laubengange des Hauses, etwas zurück hinter dem Könige, dessen Stuhl weit vorgeschoben war, und sahen zu, wie der Gefangene eben den zwölften Gardisten bezwang. Jetzt hatte er ihn zu Boden geworfen und stand, keuchend von der Anstrengung mit zerfetztem Wamse vor dem Könige. Als er plötzlich den Ohm in Begleitung der Herren Kmiziz und Wolodyjowski ankommen sah, glaubte er nicht anders, als sie seien ebenfalls in Gefangenschaft geraten. Mit glotzenden Augen und offenem Munde wollte er auf sie zueilen, doch Sagloba winkte ihm mit der Hand, stille zu stehen, während er mit den Gefährten auf den König zuschritt.

Sadowski präsentierte die Gesandten, sie verbeugten sich tief, wie gute Sitte und die Etikette es vorschrieben, darauf händigte Sagloba das Schreiben Tscharniezkis aus.

Der König nahm den Brief und las. Währenddessen betrachteten ihn die Gesandten genau, denn keiner von ihnen hatte ihn vorher gesehen. Er war ein Mann in den besten Jahren; sein Gesicht so braun, als wäre er nicht in Nordland, sondern in Italien oder in Spanien geboren. Dichtes, rabenschwarzes Haar hing hinter den Ohren lang bis auf die Schultern herab. Der Glanz und die Farbe, auch der Ausdruck seiner Augen erinnerte an Jeremias Wisniowiezki, nur die Brauen hatte er mehr in die Höhe gezogen, wie vom angestrengten Denken. An der Stelle aber, wo die Brauen zusammenzutreffen pflegen, war die Stirn frei und sehr hoch gewölbt. Das gab dem Gesicht einen bedeutenden Ausdruck; eine Längsfalte über die Nase, welche sich selbst dann nicht glättete, wenn er lachte, ließ ihn ernst und strenge erscheinen. Die Unterlippe war weit vorgeschoben, wie bei Johann Kasimir, nur war das Gesicht Karl Gustavs voller, das Kinn kräftiger entwickelt, wie bei jenem, der schmale Schnurrbart lief an den Enden etwas breiter aus. Der ganze Kopf war der eines Mannes von außergewöhnlichen Eigenschaften, einer von denen, die eine Welt unter ihre Füße treten und dem Erdboden blutige Spuren aufdrücken. Großmut, Fürstenstolz, strotzende Kraft und ein hochstrebendes Genie, das alles konnte man in diesem Königsantlitz schauen, nur, trotz des gnädigen Lächelns nicht jene Güte des Herzens, welche von innen heraus das Menschenantlitz durchglüht, wie die Lampe die Alabasterurne, in deren Innerem sie steht.

Der Monarch saß mit übereinandergeschlagenen Beinen im Lehnstuhle. Die Form der mächtigen Waden trat deutlich aus den eng anliegenden schwarzen Strümpfen hervor. Gewohnheitsmäßig mit den Augen blinzelnd, las er lächelnd den Brief Tscharniezkis. Plötzlich schlug er die Augen auf, heftete den Blick fest auf Wolodyjowski und sprach:

»Ich erkannte euch auf den ersten Blick. Ihr seid es, der Kanneberg getötet hat.«

Aller Augen wandten sich dem kleinen Ritter zu, der mit der Oberlippe zuckend, sich tief verneigte und antwortete:

»Zu dienen, Majestät!«

»Welchen Rang bekleidet ihr?«

»Hauptmann der Laudaer Fahne.«

»Unter wessen Kommando früher?«

»Unter dem Wojewoden von Wilna.«

»Ihr habt ihn mit den anderen verlassen? Ein Verräter also an ihm und mir.«

»Ich war nur meinem Könige verpflichtet, nicht Ew. Majestät.«

Der König erwiderte nichts; die Augen der Generäle schienen Herrn Michael durchbohren zu wollen, doch er blieb vollkommen ruhig.

Plötzlich sagte der König:

»Es ist Mir angenehm, einen so ausgezeichneten Kavalier kennen zu lernen. Kanneberg galt unter Uns für unbesiegbar im Zweikampf. Ihr müßt in diesem Reiche das schneidigste Schwert haben ...«

» In universo!« sagte Sagloba.

»Nicht das stumpfste,« verbesserte Wolodyjowski bescheiden das Lob des Monarchen.

»Ich heiße die Herren höflich willkommen!« wandte sich der König an die anderen beiden Gesandten. »Für Herrn Tscharniezki hege Ich aufrichtige Hochachtung; Ich schätze in ihm den großen Feldherrn, obgleich er Mir sein Wort nicht gehalten hat. Er hatte Mir versprochen, sich in Siewiersch ruhig zu verhalten.«

»Majestät!« entgegnete Kmiziz. »Nicht Herr Tscharniezki, sondern General Miller ist wortbrüchig geworden, indem er das Wolfsche Regiment, Königliche Stammsoldaten, aufhob.«

General Miller trat einen Schritt vor und flüsterte dem Könige etwas zu. Dieser hörte immer mit den Augen blinzelnd aufmerksam zu, von Zeit zu Zeit dem Herrn Andreas einen Blick zuwerfend. Endlich sprach er:

»Wie ich sehe, hat Herr Tscharniezki Mir die auserlesensten seiner Kavaliere hergesandt. O Ich weiß seit langem, daß es bei euch an entschlossenen Männern nicht fehlt. Nur die Treue fehlt euch; der Mangel an Mut, geleistete Schwüre und gegebene Versprechen zu halten, haftet euch an.«

»O Majestät! Das sind Worte heiligster Wahrheit!« rief Sagloba aus.

»Wie soll ich das verstehen?«

»Wenn unsere Nation diesen Charakterfehler nicht hätte, dann wären Ew. Majestät nicht bei uns!«

Wieder schwieg der König eine Weile, die Generale runzelten die Stirn über die Dreistigkeit der Gesandten.

»Johann Kasimir hat euch selbst eures Eides entbunden, als er flüchtig die Grenzen seines Vaterlandes verließ.«

»Von einem Eide kann uns nur der Statthalter Christi in Rom lösen, der aber hat es nicht gethan.«

»Das ist Mir einerlei!« sagte der König, indem er auf sein Schwert schlug. »Da hier! Damit habe Ich Mir dieses Königreich erobert, damit werde Ich es Mir erhalten. Ich brauche weder eure Bischöfe, noch eure Statthalter und Eide. Ihr wollt den Krieg, darum sollt ihr ihn haben. Ich glaube, Herr Tscharniezki hat alle Ursache, noch an die Schlacht bei Golembin zu denken.«

»Er hat sie auf dem Wege nach Jaroslaw schon wieder vergessen,« antwortete Sagloba.

Statt zu zürnen, lachte der König.

»Ich werde sie ihm wieder in Erinnerung bringen.«

»Gott regiert die Welt.«

»Ich lasse bitten, er soll Mich besuchen. Ich werde ihn freundlich aufnehmen, aber er muß sich beeilen, denn sobald sich die Pferde etwas erholt haben, will Ich weiterziehen.«

»Dann werden wir die Ehre haben, Ew. Majestät zu empfangen!« sagte Sagloba, indem er wie von ungefähr mit der Hand den Säbelgriff berührte.

Darauf der König:

»Ich merke, Herr Tscharniezki hat nicht nur seine besten Kämpen, sondern auch seinen gewandtesten Redner hergeschickt, Ihr pariert schlagfertig jede Anspielung. Schade, daß der Krieg nicht mit Worten ausgefochten werden kann, ihr wäret Mir ein würdiger Gegner. Aber zur Sache! Herr Tscharniezki schreibt Mir, Ich möchte jenen Gefangenen dort entlassen; er offeriert Mir für ihn ein paar höhere Offiziere. Ich schätze Meine Offiziere nicht so gering, wie ihr zu glauben scheint, und will sie nicht für so billiges Lösegeld zurückkaufen, das würde weder Mein, noch ihr Ehrgefühl gestatten. Da Ich aber außer Stande bin, Herrn Tscharniezki etwas zu versagen, so mache Ich ihm jenen Kavalier zum Geschenk.«

»Majestät!« antwortete Herr Sagloba. »Herr Tscharniezki wollte den schwedischen Offizieren durchaus keine Demütigung bereiten, sondern nur eine Bitte erfüllen, denn dieser Mann ist mir verwandt und ich – ich bin, Ew. Majestät zu dienen, der vertraute Ratgeber Herrn Tscharniezkis.«

»Eigentlich sollte Ich ihn nicht freigeben,« sagte der König lachend »denn er hat Mir den Tod geschworen, es wäre denn, daß er diesem Schwur entsagt.«

Er winkte dem vor dem Gange stehenden Rochus mit der Hand, näher zu treten.

»Komme einmal her, du Kraftmensch!« rief er ihn an.

Rochus trat ein paar Schritte näher und richtete sich gerade auf.

»Sadowski!« sagte der König, »fragt ihn doch, ob er seine Rache preisgiebt, wenn ich ihn frei lasse.«

Sadowski wiederholte die Worte des Monarchen.

»Das kann ich nicht!« rief Rochus.

»Wie, also nicht?« sprach Karl Gustav, welcher auch ohne Dolmetsch den Sinn der Antwort verstanden hatte. »Wie soll Ich ihm dann die Freiheit wiedergeben, wenn er auf seinem Schwure beharrt? Zwölf Meiner Leute hat er zu Boden gestreckt, Mich hat er als dreizehnten ausersehen. Der Mann gefällt Mir! Ist er etwa auch ein Ratgeber Tscharniezkis? In diesem Falle würde Ich ihn noch lieber freigeben.«

»Halt's Maul!« murmelte Sagloba.

»Genug der Scherze,« sagte der König plötzlich ernst. »Nehmt ihn als neuen Beweis meiner Achtung. Als König dieses Landes kann Ich wohl verzeihen, wenn Ich gnädig sein will, doch in Unterhandlungen mit aufständischen Unterthanen werde Ich mich niemals einlassen.«

Das Gesicht des Königs hatte sich während der letzten Worte ganz verfinstert.

»Wer gegen Mich die Hand erhebt,« fuhr er fort, »der ist ein Empörer gegen seinen rechtmäßigen Herrn. Nur aus Barmherzigkeit bin Ich bis jetzt milde gegen euch verfahren; Ich wollte euch Zeit lassen zu Verstande zu kommen. Doch die Zeit naht, wo Meine Barmherzigkeit ihr Ende erreicht haben wird und die Strafe euch ereilt. Euer Uebermut hat die Kriegsflamme im Reiche entfacht, eure Wortbrüchigkeit das Blutvergießen verschuldet. Aber Ich sage euch: noch wenige Tage und statt väterlicher Ermahnungen, statt milder Gesetze, soll euch die ganze Wucht meines Schwertes und der Tod am Galgen treffen.«

Die Augen des Königs schossen Blitze. Sagloba blickte den Zürnenden erstaunt an; er konnte nicht begreifen, woher plötzlich nach heiterem Wetter dieses Gewitter heraufgezogen war. Endlich faßte er sich ein Herz und sich tief verneigend stammelte er die Worte:

»Wir danken Ew. Majestät!«

Darauf wandte er sich zum Gehen und verließ mit Kmiziz, Wolodyjowski und Roch Kowalski das Hauptquartier.

»Gnädig! Gnädig!« brummte Sagloba im Fortgehen, »und ehe du dich's versiehst, brüllt dir der Löwe in das Ohr. Das ist ein schöner Abschluß der Unterhaltung! Andere setzen einen Becher Wein vor und laden zum Sitzen ein, er verheißt den Galgen! Mag er nur seine Hände darauf hängen, die polnischen Adligen sind so leicht nicht zu haben. Mein Gott! wie schwer hat Polen an seinem Könige gesündigt, der uns ein Vater war, ist und bleiben wird, denn das Herz der Jagiellonen schlägt in seiner Brust. Einen solchen Herrn haben die Verräter verlassen, um sich mit den Ungeheuern jenseits des Meeres zu verbrüdern. Es ist uns schon recht. Wir verdienen nichts Besseres. Den Galgen! den Galgen! ... Er sitzt so im Gedränge; wie der Quark im Sacke wird er von uns gequetscht, und der will noch mit dem Galgen drohen! Warte! Der Kosak packt den Tartaren am Schopf, doch der Tartar den Kosaken am Kopf. Ihr kommt bald noch mehr ins Gedränge. Rochus! Ich hatte dir für deinen Ungehorsam eigentlich ein paar derbe Maulschellen und fünfzig Stockhiebe auf die Rückseite deines Körpers zugedacht; ich verzeihe dir aber, weil du dich tapfer gehalten und die Rache gegen ihn nicht abgeschworen hast. Laß dich umarmen; ich freue mich über dich.«

»Galgen und Schwert!« sagte Sagloba nach einer Weile. »Und er hat es gewagt, mir das ins Gesicht zu sagen. Das nennt er Protektion? ... Ebenso gut kann der Wolf von Protektion und Barmherzigkeit reden, wenn er im Begriff steht, das Schaf zu zerreißen ... Und diese Redensarten zu einer Zeit, wo ihm bereits das Fell über die Ohren gezogen werden soll. Mag er nur seine Lappländer protegieren! Uns aber wird die heilige Jungfrau schützen und uns helfen wie dem Bobele in Sandomir, dessen Korpus sie samt dem Pferde, das er ritt, über die Fluten der Weichsel trug, ohne daß er den mindesten Schaden litt. Als er sich umblickte, wo er sei, da fand er sich im Pfarrhofe des nächsten Dorfes und brauchte sich nur an den Tisch zu setzen, der bereits für ihn gedeckt stand. Mit solcher Hilfe werden auch wir sie alle hier wie die Aale aus dem Netze ziehen.«


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