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12. Kapitel

Der Ausfall der Schweden hatte nur zum Teil seinen Zweck erreicht, und zwar den, daß die Abteilung Boguslaws die Stadt erreicht hatte, sonst war nicht viel ausgerichtet worden. Zwar hatten die Fahnen Oskierkos und Kotwitschs nicht unbedeutenden Schaden genommen, doch auch die Schweden hatten große Verluste zu verzeichnen, da die Abteilung Füsiliere, welche Herr Wolodnjowski und Wankowitsch gleich im Anfange auf das Korn genommen hatten, fast vollständig vernichtet war.

Die Litauer brüsteten sich sogar, dem Feinde mehr Schaden zugefügt zu haben, als sie erlitten, nur Sapieha härmte sich heimlich über die Niederlage, die er von neuem gehabt und die seinen Ruhm sehr schädigen mußte. Die befreundeten Hauptleute trösteten ihn, so gut sie konnten, und zu ihrer Freude hatte die gemachte Erfahrung doch einen Nutzen, denn von da ab wurden Trinkgelage nicht mehr abgehalten und hatte Sapieha wirklich einmal wieder ein Verlangen darnach, dann wurde die Vorsicht und Wachsamkeit während ihrer Dauer verdoppelt.

Schon am nächsten Tage wiederholten die Schweden den Ausfall in der Meinung, daß der Hetman nach so kurzer Frist unvorbereitet sein werde, doch kräftig zurückgeschlagen, kehrten sie unter Zurücklassung mehrerer Toten bald wieder hinter ihre Mauern zurück.

Unterdessen unterzog man im Quartier des Hetman Haßling einem Verhör, dessen Dauer Herrn Andreas in die größte Ungeduld versetzte, da er den Gefangenen am liebsten sogleich in sein Quartier genommen hätte, um sich von ihm von Tauroggen erzählen zu lassen. Er umschlich den ganzen Tag das Quartier, ging zuweilen hinein, um die Bekenntnisse Haßlings mit anzuhören und sprang jedesmal, wenn der Name Boguslaw genannt wurde, wieder von der Bank auf.

Gegen Abend erhielt er Befehl, mit einer Patrouille auszureiten; er sprach kein Wort, verbiß seinen Aerger und folgte dem Befehl, denn er hatte schon sehr gut gelernt, den Dienst des Vaterlandes über seine Privatinteressen zu stellen. Aber seine Tartaren hatten es schlimm; bei der geringsten Veranlassung loderte sein Zorn auf und der Streitkolben fiel auf ihre Rücken, daß die Knochen knackten. Und die armen Schwarzen flüsterten einander zu: »Der bagadyr ist toll geworden«, und wagten kaum zu atmen; sie hefteten nur ihre Augen fest auf das Gesicht ihres Führers, um seine geheimsten Wünsche und Gedanken zu erraten.

In sein Quartier zurückgekehrt, fand er Haßling zwar dort vor, aber so krank, daß er ihn nicht sprechen konnte. Man hatte ihn bei der Gefangennahme stark gequetscht und verletzt, das lange Verhör hatte ihn vollends ermattet; er fieberte stark und verstand nicht einmal mehr die an ihn gerichteten Fragen.

So mußte denn Kmiziz sich mit dem begnügen, was Sagloba ihm von dem Verhör erzählte, doch betrafen die Aussagen Haßlings nur öffentliche Angelegenheiten. Von Boguslaw hatte er nur so viel gesagt, daß er nach der Niederlage bei Janowo schwer erkrankt war. Die Wut und Trauer hatten ihn vollends elend gemacht, er verfiel in ein schweres Fieber, aber sobald er ein wenig zu Kräften gekommen, hatte er gleich den Zug nach Pommern unternommen, wohin Stenbock und der Kurfürst ihn eiligst berufen hatten.

»Und wo ist er jetzt?« frug Kmiziz.

»Nach dem, was Haßling sagt, befindet er sich mit dem Bruder des Königs in dem befestigten Lager zwischen der Narew und dem Bug; er hat das Oberkommando über die Reiterregimenter,« antwortete Sagloba. »Haßling hat wohl die Wahrheit gesprochen, denn wozu soll er auch lügen.«

»Ha! Sie denken zum Entsatz der Stadt Warschau zu kommen. Wir werden uns also begegnen. So wahr Gott im Himmel ist, ich muß ihn finden und sollte ich in Verkleidung zu ihm gehen!«

»Macht keine unnützen Pläne! Sie möchten wohl gern nach Warschau kommen, wenn ihnen nur Tscharniezki nicht den Weg verlegt hätte. Und nun begiebt sich etwas Eigentümliches dort. Er, Tscharniezki, kann das Lager nicht angreifen, weil er keine Füsiliere hat, sie aber haben Angst, einen Ausfall gegen ihn zu unternehmen, weil sie sich überzeugt haben, daß im offenen Kampfe ihre Soldaten gegen die Reiter Tscharniezkis nicht aufkommen können. Sie wissen nun auch, daß selbst der Fluß keinen Schutz mehr bietet, seit Tscharniezki mit seiner Armee die Piliza durchschwommen hat. Ja, wenn der König selbst im Lager wäre, da würde er den Kampf mit ihm aufnehmen, denn der Soldat schlägt sich tapferer unter seinem Kommando, im Vertrauen auf die Unüberwindlichkeit des Monarchen, aber weder Douglas, noch der Bruder des Königs, noch Boguslaw haben den Mut, ihn anzugreifen.«

»Und wo weilt der König?«

»Er ist nach Preußen gegangen. Der König glaubt nicht, daß wir schon jetzt Warschau und Wittemberg angreifen werden. Uebrigens ist es gleichgültig, was er glaubt: er mußte aus zwei Gründen nach Preußen gehen. Einmal, weil er endlich den Kurfürsten ganz zu seinem Verbündeten haben muß, sei es auch um den Preis ganz Großpolens; zweitens aber braucht die Armee, welche mit ihm zwischen San und Weichsel eingeschlossen war, durchaus der Ruhe und Erholung, sonst ist sie völlig untauglich geworden. Die ausgestandenen Mühsale und die unausgesetzten Beunruhigungen haben ihre Kräfte so ausgezehrt, daß sie nicht mehr imstande sind, die Muskete in der Hand zu erhalten. Und doch waren sie dereinst die Auserlesenen der ganzen schwedischen Armee, die die glänzendsten Siege in allen deutschen und dänischen Ländern errungen haben.«

Weiter kam Sagloba nicht, denn Wolodyjowski trat ein.

»Wie geht es Haßling?« frug er noch auf der Schwelle.

»Er ist krank und fiebert so stark, daß er nicht drei von drei unterscheiden kann,« antwortete Kmiziz.

»Was wollt ihr denn von Haßling, Herr Michael!« mischte sich Sagloba ein.

»Thut doch nicht, als wüßtet ihr es nicht.«

»Das sollte ich meinen! Nur zu gut weiß ich, daß ihr recht viel von der Kirsche hören möchtet, die Fürst Boguslaw in seinen Garten verpflanzt hat. Fürchtet nichts! Er ist ein gar eifriger Gärtner und unter seiner Pflege bringt jeder Baum noch vor Ablauf eines Jahres Früchte,« tröstete Sagloba.

»Der Teufel lohne euch solchen Trost!« rief der kleine Ritter zornig.

»Seht nur, seht!« lachte Sagloba. »Man braucht nur den unschuldigsten Scherz zu machen, da gebärdet er sich wie ein toller Maikäfer. Was kann ich dafür! An Boguslaw nehmt Rache, nicht an mir!«

»So wahr mir Gott helfe, ich werde sie suchen und finden.«

»Genau dasselbe hat auch Babinitsch gesagt! Ich sehe es kommen, daß das ganze Heer sich wider ihn verschwört; aber hütet euch, ohne meine Beihilfe richtet ihr nichts aus.«

Beide Ritter sprangen zugleich auf.

»Habt ihr irgend einen guten Einfall?« frugen sie fast wie aus einem Munde.

»Ihr denkt wohl, man zieht die Einfälle so leicht aus dem Kopfe, wie das Schwert aus der Scheide? Wenn Boguslaw hier in der Nähe wäre, fiele mir möglicherweise etwas ein, aber auf solche Entfernung trägt selbst eine Kanone nicht. Herr Andreas gebt mir einen Becher Met; es ist heiß heute.«

»Eine ganze Tonne sollt ihr haben, wenn ihr etwas für uns ausdenkt!«

»Wozu wartet ihr eigentlich auf diesen Haßling, wie der Henker auf einen armen Sünder? Sind denn nicht mehr Gefangene da, die ihr befragen könnt?«

»Ich habe sie alle schon ausgehorcht,« sagte Kmiziz, »aber sie sind Gemeine und wissen nichts, während er Offizier ist und Zutritt bei Hofe hat.«

»Das ist wahr!« antwortete Sagloba. »Auch ich muß mit ihm sprechen, denn aus dem, was er uns etwa vom Leben des Fürsten und seinen Gewohnheiten erzählt, kann sich leicht etwas für unsere Pläne ergeben. Die Hauptsache ist, daß wir mit der Belagerung zu Ende kommen, denn dann gehen wir gegen jene Armee vor. Aber unser allergnädigster König läßt lange auf sich warten.«

»Wie?« erwiderte der kleine Ritter. »Soeben komme ich vom Hetman, welcher eben die Nachricht erhalten hat, daß der König noch heute Abend mit seiner Garde hier eintrifft, während die Hetmane mit den Stammsoldaten erst morgen nachkommen. Sie kommen ohne Ruhetage in Eilmärschen von Sokola her. Uebrigens ist es schon seit einigen Tagen bekannt, daß sie jeden Augenblick eintreffen können.«

»Bringen sie ein großes Heer mit?«

»Nahezu fünfmal soviel Mann, als wir hier in der Armee Sapiehas sind. Es kommen auserlesene reußische und ungarische Regimenter zu Fuß; auch sechstausend Tartaren unter Supanhazy. Doch die letzteren sollen so roh und gewaltthätig sein, daß man sie nicht aus den Augen lassen darf; sie verwüsten sonst alles.«

»Man müßte ihnen den Kmiziz zum Oberhaupt geben!« sagte Sagloba.

»Bah!« entgegnete Kmiziz »Ich würde sie gleich von Warschau fortbringen, denn zur Belagerung taugen sie gar nichts; an die Narew und den Bug würde ich sie führen, dort wären sie am Platze.«

»Das würde nichts nützen, gar nichts!« entgegnete Wolodyjowski. »Niemand ist wie sie imstande, zu verhüten, das Lebensmittel in die Stadt gelangen.«

»Na! es wird dem Wittemberg warm werden! Warte, alter Spitzbube!« rief Sagloba aus. »Du hast wacker gekämpft, das ist nicht zu bestreiten, aber gestohlen und geraubt hast du noch wackerer. Zwei Mäuler hast du: das eine zum Falschschwören, das andere zum Brechen von Eiden, aber alle beide werden nichts nützen, dich aus der Gefangenschaft herauszubetteln. Dich juckt die Haut von der gallischen Krankheit, dein Medikus kraut sie dir, aber wir wollen sie dir gerben, so wahr ich Sagloba heiße!«

»Bah! er wird sich dem Könige auf Gnade und Ungnade ergeben, wer sollte ihm da etwas anhaben,« antwortete Herr Michael. »Wir werden ihm dann auch noch militärische Ehren erweisen müssen.«

»Auf Gnade und Ungnade ergeben? Ja!« schrie Sagloba außer sich. »Gut! Wir wollen sehen!«

Hier schlug er mit der Faust wiederholt so heftig auf den Tisch, daß selbst Roch Kowalski, welcher soeben eintrat, erschrocken zusammenfuhr und wie gebannt stehen blieb.

»Ich will nicht Sagloba sein, wenn ich diesen Kirchenschänder, Mordbrenner, diesen beutegierigen Henker frei aus Warschau ziehen lasse. Der König wird ihm auf Ehrenwort trauen, die Hetmane vielleicht auch, aber ich, so wahr ich Sagloba heiße, so wahr ich auf Erden glücklich und im Himmel selig zu werden hoffe, ich werde einen Tumult erheben, wie man ihn in dieser Republik noch nicht erlebt hat; einen Tumult will ich gegen ihn anstiften ... wehret mir nicht mit der Hand, Michael ... ich wiederhole es ... einen Tumult erhebe ich ...«

»Der Ohm erhebt einen Tumult!« donnerte Roch Kowalski dazwischen.

Da erschien das tierische Gesicht Akbah-Ulans im Rahmen der Thüre.

»Effendi!« rief er Kmiziz zu. »Die Armee des Königs steht jenseits der Weichsel.«

Die Anwesenden sprangen auf und eilten vor die Thür.

Der König war thatsächlich angekommen. Voran zogen die Tartarenhorden unter Supanhazy, aber nicht in so großer Zahl, wie man gemeldet hatte. Hinter ihnen kam das Kronenheer sehr gut bewaffnet und was das Beste war, mit dem Feuer der Begeisterung in den Blicken. Bis zum Abend hatte die ganze Armee die neu von Herrn Oskierko hergestellte Brücke überschritten. Sapieha erwartete den Monarchen mit sämtlichen Fahnen in Paradeordnung. Sie standen alle in langer Linie, eine neben der anderen, so daß das Ende kaum abzusehen war. Die Rittmeister hielten jeder vor seiner Schwadron, neben ihnen die Fähnriche mit gesenkten Fahnen. Die Trompeten, Querpfeifen, Trommeln und Triangeln machten einen unbeschreiblichen Lärm. Die Kronenfahnen stellten sich, wie sie der Reihe nach marschierten, geradeüber den Soldaten Sapiehas in ebensolcher Ordnung auf, so, daß zwischen beiden Armeen die ganze Linie entlang ein Zwischenraum von etwa hundert Schritten blieb.

Auf diesem Raume kam Sapieha, seinen Marschallstab in der Hand, zu Fuß daher. Hinter ihm schritten etliche Zivil- und Militär-Würdenträger. Von Seiten des Kronenheeres ritt auf einem herrlichen Goldfuchs, welcher noch ein Geschenk Lubomirskis, gelegentlich des Aufenthaltes des Königs in Lublin, war, der König dem Hetman zu. Der König war wie zur Schlacht gerüstet, er trug einen leichten Panzer von bläulichem Stahl mit goldenen Sternen verziert, unter welchem ein Kaftan von schwarzen Sammet mit breiter, bis auf dem Panzer herabfallender Spitzenfraise zu sehen war. Statt des Helmes trug er aber einen schwedischen breiten Schlapphut mit schwarzen Federn, Fechthandschuhe bedeckten seine Hände und Arme und braune Lederstiefeln reichten ihm bis hoch über die Kniee hinauf.

Dem Könige folgten der Erzbischof von Lemberg, der Bischof von Kamieniez, die Pröbste von Luzk und Ziezischowski, der Herr Wojewode von Krakau und derjenige von Reußen, der Baron Lisola, Graf Pöttingen, Herr v. Kamieniezki, der Moskauer Gesandte, Herr v. Grodzizki, der General der Artillerie, Tysenhaus und viele andere. Sapieha beeilte sich, dem Könige, wie ehemals der Kronenmarschall, den Steigbügel zu halten, doch der Monarch kam ihm zuvor: er sprang leicht aus dem Sattel, lief dem Hetman entgegen und ohne ein Wort zu sprechen, umarmte er denselben.

Er hielt ihn angesichts der beiden Armeen lange umschlungen. Lange konnte er kein Wort hervorbringen, die Thränen flossen ihm an den Backen herab, denn hier an seiner Brust hielt er seinen und der Republik treuesten Freund, der, wenn auch an Geist von anderen übertroffen und nicht von Fehlern frei, doch an braver, ehrlicher Denkungsart sie weit überragte, an Treue und Aufopferung der Edelsten einer, der nicht einen Augenblick gezögert hatte, sein ganzes Hab und Gut, sowie sein Leben dem Vaterlande zur Verfügung zu stellen.

Als die Litauer, welche für die Schuld an dem Entschlüpfen Karl Gustavs bei Sandomir und für die letzte Unvorsichtigkeit bei Warschau, einen scharfen Tadel, mindestens aber ein kühles Entgegenkommen seitens des Königs erwartet hatten, diese gütige Begrüßung sahen, brachen sie in laute Freudenrufe aus, in welche das Kronenheer sogleich begeistert einstimmte. Das Spiel der Kapelle laut übertönend, hörte man die Rufe:

»Vivat Joannes Kasimirus

»Vivat die Kronenheere!«

»Vivat die Litauer!«

So fand die Begrüßung bei Warschau statt. Die Mauern der Stadt erbebten bei dem Gedröhn der Vivatrufe und hinter den Mauern zitterten die Schweden.

»Ich muß heulen! So wahr Gott lebt, ich heule laut aus!« rief Sagloba gerührt. »Ich halte es nicht länger aus! Sehet da, unser Herr, unser Vater! – meine Herren! ich schluchze schon! – Vater! Unser König, unlängst noch ein Vertriebener, von allen Verlassener, und jetzt ... und jetzt ... stehen ihm hunderttausend Säbel zu Diensten! ... O barmherziger Gott! ... ich kann nicht mehr vor Thränen ... Gestern ein Flüchtling, heut ... der deutsche Kaiser hat kein solches Heer! ...«

Die Thränenschleusen Saglobas öffneten sich; er schluchzte und schnaufte ein über das andere Mal. Plötzlich wandte er sich an Rochus:

»Sei stille!« sagte er, »warum heulst du?«

»Heult ihr etwa nicht, Ohm?« entgegnete Rochus.

»Es ist ja wahr, es ist ja wahr! ... Ich schämte mich für die Republik ... aber jetzt möchte ich mit keiner Nation tauschen ... Hunderttausend Säbel ... Das sollen uns andere nachmachen ... Gott hat uns zur Vernunft gebracht ... Gott! Gott!«

Herr Sagloba irrte nicht zu sehr, denn tatsächlich stand hier, ohne die Division Tscharniezkis ein nahezu siebenmal hunderttausend Mann starkes Heer bei Warschau, ungerechnet die Bedienungsmannschaften beider Armeen.

Nach der Begrüßung und der Besichtigung des Heeres dankte der König den Truppen Sapiehas, unter den begeisterten Zurufen der Soldaten, für ihre treuen Dienste und brach dann nach Ujazdowo aus, während den verschiedenen Regimentern ihre Positionen angewiesen wurden. Etliche Fahnen blieben auf Praga, die anderen wurden rings um die Stadt plaziert. Ein unabsehbarer Wagenzug setzte noch bis zum folgenden Mittag über die Weichsel.

Am anderen Morgen war die Ebene um Warschau dicht mit schneeweißen Zelten bedeckt. Unzählige Pferde wieherten auf den angrenzenden Auen. Die dem Heere nachziehenden armenischen, türkischen und tartarischen Handelsleute bildeten eine zweite Stadt, in welcher es lebhafter und fröhlicher herging, als in der belagerten.

Die Schweden erschraken über die Ankunft der Heeresmacht des Polenkönigs, wagten in den ersten Tagen gar keinen Ausfall, so daß Herr Grodzizki in aller Ruhe die Stadt umreiten und einen Belagerungsplan anfertigen konnte. Es wurden nach seiner Anordnung hier und da kleine Schanzen aufgeworfen und kleinere Geschütze aufgepflanzt; die großen konnten erst in einigen Wochen nachkommen.

Der König sandte eine Botschaft an den alten General Wittemberg mit der Aufforderung, die Waffen zu strecken und die Stadt zu übergeben. Die Bedingungen, die er hierbei stellte, waren so gnädige, daß sie die Unzufriedenheit des ganzen Heeres hervorriefen, als ihr Wortlaut allgemein bekannt wurde. Die Unzufriedenheit ward von Sagloba geschürt, welcher Wittemberg haßte.

Wie man vorausgesehen, verwarf Wittemberg die Bedingungen und erklärte, die Stadt bis zum letzten Blutstropfen halten zu wollen. Lieber wollte er unter ihren Trümmern begraben werden, als sie dem Könige ausliefern. Die große Zahl der Belagerer schreckte ihn nicht, denn er wußte aus Erfahrung, daß ein Zuviel eher hinderlich sei, als nützen könne. Man hatte ihm zudem bald hinterbracht, daß die königliche Armee nicht ein einziges Belagerungsgeschütz besaß, während die Stadt eine ganze Anzahl der besten Kanone» und unerschöpfliche Vorräte an Munition hatte.

Es war um so gewisser, daß die Schweden sich bis zur Verzweiflung wehren würden, da Warschau der Lagerplatz für alle die kostbare Kriegsbeute war, die sie im Laufe der Zeit angesammelt hatten. Alle die unermeßlichen Schätze, den vielen Schlössern, Kirchen und Städten der Republik geraubt, waren in die Hauptstadt gebracht, von wo sie auf der Weichsel nach Preußen und von dort nach Schweden transportiert wurden. Besonders aber hatte man in der letzten Zeit des Aufstandes im ganzen Lande zusammengerafft, was mitzunehmen ging und in Warschau aufgestapelt, da die kleineren Städte und Schlösser keine Sicherheit mehr für die Beute boten. Die Schweden aber ließen eher das Leben als ihre Beute. Dem gemeinen Soldaten war beim Anblick der Schätze dieses Landes eine unermeßliche Habgier erwacht; Schweden war ein armes Land und nie hatte einer von ihnen solche Reichtümer gesehen, wie hier. Daher war die Beutegier selbst der Generale und des Königs, bis auf den gemeinen Soldaten, so groß, daß alle, ihre Würde vergessend, zu gemeinen Räubern wurden, deren größter jedoch Wittemberg war. Wo es sich um ein Beutestück handelte, da vergaß der Feldmarschall alles andere, Rang, Ehre, nichts vermochte ihn vom gemeinen Diebstahl zurück zu halten; er nahm alles, was zu nehmen ging. In Warschau selbst entblödeten sich die schwedischen Hauptleute und Offiziere nicht, öffentlich Branntwein und Tabak zu verkaufen, nur, um am Solde des Gemeinen einen Gewinn zu erzielen.

Auch darum mußte Warschau bis aufs Letzte verteidigt werden, da zu jener Zeit die vornehmsten Schweden sich in der Stadt befanden. Zuerst also Wittemberg, der bedeutendste Kriegsheld nach dem Könige von Schweden, derjenige, welcher als erster den Fuß auf den Boden der Republik gesetzt und der als Triumphator in Schweden auf einen großen Empfang zu rechnen hatte. Außerdem befand sich Oxenstjerna, der Kanzler, in Warschau, der als größter Staatsmann der Welt galt und in ganz Europa unter dem Namen »die Minerva des Königs« gefürchtet war. Ihm hatte Karl Gustav alle jene Vorteile zu danken, welche ihm beim Schließen von Verträgen erwuchsen, denn, obgleich selbst bei den Feinden als der Ehrlichste und Uneigennützigste der Schweden hochgeehrt, verstand er den jeweiligen Vorteil seines Vaterlandes zu wahren, ohne sich einer unehrenhaften Handlung schuldig zu machen. Von Generalen waren noch in der Stadt: Wrangel der Jüngere, General Horn, Ericksen, der zweite Loewenhaupt und eine Menge schwedischer Damen aus altadeligen Geschlechtern, welche ihren Männern hierher gefolgt waren, um die Besitzergreifung dieses Landes vollständig zu machen.

So hatten die Schweden alle Ursache, die Verteidigung Warschaus nicht aufzugeben. Johann Kasimir begriff samt seinen Hetmanen und Hauptleuten recht gut, daß bei dem Mangel an Belagerungsgeschützen die Belagerung eine sehr langwierige und blutige werden mußte, aber das Heer mochte oder konnte die Lage der Dinge nicht begreifen. Kaum hatte Grodzizki einige kleine Schanzen aufwerfen lassen, kaum waren sie den Mauern etwas näher gerückt, da kamen schon von allen Fahnen Deputationen mit der Bitte einer großen Schar Freiwilliger, den Sturm auf die Stadtmauern zu erlauben. Lange mußte der König mit Bitten und Vorstellungen den Deputierten klar machen, daß keine noch so große Anzahl Reiter mit dem blanken Säbel in der Hand eine Festung stürmen könne, ehe die Begeisterung sich legte.

Man beschleunigte die Belagerungsarbeiten so viel als möglich. Da ein Sturm nicht gewagt werden konnte, nahm das ganze Heer lebhaften Anteil an diesen Arbeiten. Selbst die Offiziere der vornehmsten Garderegimenter karrten Erde und schleppten Faschinenkörbe herbei. Die Schweden versuchten oft diese Arbeiten zu zerstören; es verging kein Tag ohne größere und kleinere Ausfälle, die sie machten, aber kaum hatten die schwedischen Musketiere die Thore verlassen, da warfen die Polen bei den Schanzen ihr Arbeitszeug hin, griffen nach den Säbeln und hieben so tollwütig auf die Feinde ein, daß diese schleunigst kehrt machten. Dabei ging es freilich nicht ohne Tote ab und die Laufgräben und freien Plätze zwischen den Schanzen und den Festungsmauern füllten sich mit Grabhügeln, da hier die Gefallenen, während der kurzen Dauer des zu diesem Zwecke gewährten Waffenstillstandes begraben wurden.

Trotz großer Gefahren und Schwierigkeiten schlichen sich täglich Bewohner der Stadt in das königliche Lager, um zu berichten, was in der Stadt vorging, und flehentlich um Beschleunigung der Erstürmung zu bitten. Die Schweden hatten wohl noch Vorräte an Lebensmitteln für sich, das Volk aber lebte im Elend und starb in den Straßen vor Hunger. Täglich wurden Bürger der Stadt, welche man des Einvernehmens mit den Belagerern überführt hatte, erschossen. Kranke Frauen, Neugeborene, Greise, Kinder, lagen in den Straßen umher, da man sie ihrer Wohnung beraubt hatte, welche die Besatzung bezog; sie waren Wind und Wetter preisgegeben, litten tagsüber von den heißen Strahlen der Sonne und nachts von der Kälte. Es war ihnen nicht erlaubt, ein Feuer anzuzünden, sie konnten und durften sich nichts Warmes zum Essen bereiten, Krankheiten verschiedener Art rafften Tausende dahin.

Wenn die aus der Stadt Entkommenen im Lager von diesen Gräuelthaten erzählten, dann blutete dem Könige das Herz. Er sandte Boten um Boten, um die Ankunft der Geschütze zu beschleunigen. Auf diese Weise vergingen Tage und Wochen, ohne daß etwas ernsthaftes vorgenommen werden konnte; die Belagerer tröstete nur der eine Gedanke, daß der Besatzung endlich auch die Lebensmittel fehlen müßten, da ihnen jede Zufuhr abgeschnitten war. So schwand auch wirklich den Belagerten von Tag zu Tag der Mut und die Hoffnung auf Entsatz durch die so nahe liegende Armee unter Douglas, da die große Uebermacht der Polnischen Truppen sie bei einem Versuch, die Festung zu befreien, zermalmen mußte.

Man hatte endlich begonnen, noch vor Ankunft der großen Geschütze die Festung mit den kleinen zu beschießen. Herr Grodzizki hatte sich von der Weichsel her, mit der Geschicklichkeit eines Maulwurfs unaufhörlich Erderhöhungen vor sich aufwerfend, bis auf sechs Schritt vom Laufgraben entfernt durchgearbeitet und beschoß von hier aus die unglückliche Stadt unaufhörlich. Das schöne Palais der Kasanowski wurde vollständig demoliert. Man bedauerte das auch keineswegs, da es Eigentum des Verräters Radziejowski war. Seine Mauern mit den leeren Fensterhöhlen hielten kaum noch zusammen; Tag und Nacht fielen die Kugeln auf die wunderschönen Terrassen, in die herrlichen Gärten, die Fontainen, Brücken, Altane und Marmorfiguren in Trümmer legend. Mit kläglichem Geschrei verkündigten die aufgescheuchten Pfaue das traurige Geschick dieses schönsten der Paläste.

Doch auch der Glockenturm der Bernhardinerkirche wurde stark beschossen, denn an dieser Stelle sollte nach Grodzizkis Meinung der erste Sturm stattfinden.

Unterdessen hatten die Troßknechte des königlichen Lagers nicht aufgehört zu bitten, daß der König ihnen erlauben sollte, die Stadt anzugreifen. Ihr Verlangen, als die ersten zu den schwedischen Schätzen zu gelangen, war zu groß. Nach längerem Zaudern gab der König endlich nach. Einige höhere Offiziere beschlossen, das Kommando dieser Freiwilligen zu übernehmen, unter ihnen auch Kmiziz, welchem die langdauernde Unthätigkeit lästiger wurde als allen anderen und der außerdem von innerer Unruhe fast aufgezehrt wurde, da Haßling seit jenem Tage seiner Gefangennahme noch immer in schweren Fieberphantasien darniederlag und er bis jetzt kein Wort mit ihm hatte sprechen können.

Man rief sich also untereinander, ohne Aufsehen zu machen, zum Sturm auf. Herr Grodzizki wehrte bis zuletzt heftig dem Unternehmen, da er der Ansicht war, daß die Stadt nicht zu nehmen sei, selbst von den regulären Füsilieren nicht, geschweige denn von diesen Troßknechten, bevor nicht die Festungsmauer eine Bresche erhalten. Da aber der König bereits seine Erlaubnis dazu gegeben hatte, mußte er nachgeben.

Am fünfzehnten Juni traten also etwa sechstausend dieser Troßknechte zusammen. Man bereitete Leitern, Bündel trockenen Reisigs, Sandsäcke und Feuerhaken vor und gegen Abend zog die nur mit Säbeln bewaffnete Menge nach jener Stelle, wo die Erderhöhungen und Schutzwälle am nächsten zu den Laufgräben hinreichten. Sobald die Finsternis vollständig eingetreten war, rannten die Knechte auf ein gegebenes Zeichen dem Laufgraben zu und begannen ihn zuzuschütten. Sie erhoben dabei ein fürchterliches Geschrei, so daß die ohnehin wachsamen Schweden sie mit einem mörderischen Musketenfeuer empfingen. Auch die Kanonen eröffneten ein mächtiges Feuer, die ganze östliche Seite der Stadt schien in heftigem Kampfe entbrannt.

Im Schutze der Dunkelheit hatten die Troßknechte im Nu den Laufgraben verschüttet und stürmten, eine ordnungslose Masse, den Mauern zu. Herr Kmiziz warf sich mit gegen zwei Tausenden der Knechte auf das »Kalte Fort,« welches in der Nähe des Krakauer Thores gelegen und von den Polen »Der Maulwurfshaufen« benannt worden war, und nahm es trotz der verzweifelten Abwehr im ersten Anlauf. Die Besatzung wurde niedergehauen, niemand geschont. Kmiziz befahl, die Geschütze zum Teil dem Krakauer Thor zuzuwenden, zum Teil den Mauern, wo die anderen Polen die Leitern anlegen wollten, um ihnen zu Hilfe zu kommen und Schutz zu geben.

Es ging jenen nicht so gut wie ihm, bei der Erstürmung der Bastion. Obgleich die Knechte bereits die Leitern angelegt hatten und, ohne sich von irgend einem Hindernis zurückschrecken zu lassen, fest darauf losstürmten, richteten die Schweden großen Schaden unter ihnen an, denn sie rissen die Planken aus der Erde und schlugen von oben auf sie ein, schütteten ihnen fließendes Pech in die Gesichter und warfen schwere Steine und Holzkloben auf die Leitern herab, daß sie krachend zerbrachen, endlich stießen sie die Stürmenden mit langen Lanzen hinab, gegen die ihre Schwerter nichts auszurichten vermochten.

Ueber fünfhundert der besten Troßknechte blieben unter den Mauern, die anderen zogen sich unter dem ununterbrochenen Feuer der Musketen und Geschütze hinter den Laufgraben und die Schutzwälle zurück.

Der Sturm war abgeschlagen, aber die Bastion war in polnischen Händen geblieben. Umsonst wurde sie während der ganzen Nacht von den Schweden mit ihren schwersten Geschützen beschossen, Kmiziz erwiderte dieses Feuer energisch mit den eroberten Geschützen. Erst gegen Morgen, als es schon licht geworden war, zertrümmerten ihm die Schweden dieselben vollständig. Wittemberg, welchem sehr viel an jener Bastion gelegen war, sandte nun eine Abteilung Füsiliere dorthin ab, mit dem Befehl, daß keiner sich unterstehen solle, zurückzukehren, ohne den Verlust wieder wett gemacht zu haben. Herr Grodzizki aber hatte inzwischen Hilfsmannschaften abgesandt, welche bei Herrn Kmiziz zu rechter Zeit eintrafen. Er warf also die schwedischen Angreifer nicht nur zurück, sondern verfolgte sie bis an das Krakauer Thor.

Herr Grodzizki war so erfreut über den Ausgang der Sache, daß er persönlich dem Könige Bericht zu erstatten eilte.

»Allergnädigster Herr!« sagte er. »Ich war gestern gegen den Angriff auf die Mauern, heute sehe ich ein, wie viel Nutzen er uns brachte. So lange jene Bastion in Feindeshand war, konnte ich nichts gegen das Thor hin unternehmen. Wenn jetzt nur bald die schweren Geschütze ankommen, dann wird schnell eine Bresche in die Mauer gemacht sein.

Der König, welcher sehr bekümmert um den Verlust so vieler guter Burschen war, wurde durch den Bericht Grodzizkis sehr erfreut. Er frug eilig:

»Welcher der Offiziere führte das Kommando bei dem Sturm auf die Bastion?«

»Herr Babinitsch!« antworteten ein paar Stimmen zugleich.

Der Monarch schlug die Hände zusammen.

»Der muß überall der Erste sein!« rief er aus. »Herr General, den kenne ich! Der läßt sich dort nicht ausräuchern.«

»Es wäre eine unverzeihliche Schuld, wenn wir es dazu kommen ließen. Ich habe ihm schon Sukkurs an Mannschaften und ein paar kleine Geschütze hinübergeschickt. Man wird es an Versuchen nicht fehlen lassen, ihn auszuräuchern; es handelt sich um Warschau, Majestät! Doch der Kavalier ist Goldes wert, mindestens so viel, als er selbst wiegt.«

»O, er ist viel, viel mehr wert!« sagte der König. »Es ist dies hier nicht seine erste, nein, nicht seine zehnte That.«

Der König befahl, sofort sein Pferd vorzuführen, nahm das Fernrohr und ritt fort, die Bastion zu besichtigen. Man konnte sie gar nicht sehen, so sehr war sie in Rauchwolken gehüllt, denn mehrere Kartaunen schleuderten unaufhörlich Feuer, Granaten, Bomben und Eisenstücke auf sie hernieder. Die Bastion lag so nahe dem Thor, daß ein Musketenschuß sie von dort aus erreichen konnte. Man sah genau, wie die Granaten in Gestalt kleiner Wölkchen in die Hohe stiegen, einen sehr scharfen Bogen beschrieben und in die große Rauchwolke fielen, die die Bastion umhüllte, und dort donnernd platzten. Viele von ihnen fielen bis weit hinter die Bastion und diese verhinderten, daß fernere Hilfstruppen an Kmiziz gesandt werden konnten.

»Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes!« rief der König. »Tysenhaus! Seht doch!«

»Es ist nichts zu sehen wie Rauch, Majestät!«

»Ein Häuflein aufgewühlter Erde wird von der Bastion übrig bleiben! Tysenhaus! Wißt ihr, wer dort drinnen sitzt?«

»Ich weiß es, Majestät! Es ist Babinitsch! Wenn der lebend von dort wiederkehrt, so kann er mit Recht sagen, daß er bei lebendigem Leibe in der Hölle war.«

»Man muß ihm frische Streitkräfte senden, Herr General!«

»Der Befehl ist schon ausgegeben, aber es wird schwer sein, hinzukommen, denn die Granaten überholen die Bastion und fallen dicht nach dieser Seite zu.«

»Laßt von allen Seiten, aus allen Geschützen auf die Mauern feuern, damit ihre Aufmerksamkeit geteilt wird.«

Grodzizki gab dem Pferde die Sporen und sprengte zu den Schanzen zurück. Bald darauf dröhnte der Kanonendonner auf der ganzen Linie. Gleichzeitig sah man eine Abteilung masurische Fußsoldaten die Schutzwälle verlassen und im Laufschritt der Bastion zueilen.

Der König beobachtete unausgesetzt den Kampf um die Bastion. Plötzlich rief er:

»Es ist Pflicht, den Babinitsch im Kommando abzulösen. Wer von euch, meine Herren, will freiwillig die Ablösung übernehmen?«

Von Kmiziz' näheren Freunden befand sich keiner in der Nähe, weder Wolodyjowski noch die Skrzetuskis. Es blieb einen Augenblick still nach dieser Frage des Königs.

»Ich!« hörte man endlich die Stimme des Herrn Topor Grylewski melden. Er war Offizier bei den leichten Reitern des Erzbischofs.

»Ich!« sagte nun auch Tysenhaus.

»Ich! Ich! Ich!« rief es nun von verschiedenen Seiten.

»Der erste, welcher sich erboten hat, soll gehen!« entschied der König.

Herr Topor Grylewski bekreuzte sich, nahm einen kräftigen Schluck aus der Feldflasche und ritt davon.

Der König blickte unverwandt auf die Rauchwolken, welche noch immer die Bastion verhüllten und sich hoch über ihr in langen Streifen, von der Luft getragen, wie eine Brücke hinüberzogen bis zu den Mauern. Da die Bastion nahe der Weichsel lag, so überragten die Mauern dieselbe, daher wirkte das Feuer so schrecklich.

Plötzlich verstummte der Donner der Geschütze etwas, nur die Granaten zogen noch ihre scharfen Bogen, dafür ertönte ein fürchterliches Knattern unzähliger Musketenschüsse; es war anzuhören, als ob Tausende von Bauern mit Dreschflegeln auf die Tenne schlagen.

»Sie gehen wieder zum Sturm über,« sagte Tysenhaus. »Wenn der Rauch nicht so dicht wäre, könnten wir die schwedischen Füsiliere sehen.«

»Reiten wir etwas vor,« sagte der König, sein Pferd in Bewegung setzend.

Andere folgten ihm. Die kleine Karawane gelangte von Ujazdowo her am Ufer der Weichsel entlang fast bis Solez, und da die Obstgärten der Paläste und Klöster, die bis an die Weichsel herabreichten, noch im Winter von den Schweden kahl geschoren worden waren, so war der Ausblick frei. Man konnte hier ohne Fernrohr sehen, wie die Schweden sich anschickten, die Bastion von neuem zu stürmen.

»Ich wollte lieber diese Position aufgeben, als daß Babinitsch mir verloren geht!« sagte plötzlich der König.

»Gott wird ihn beschützen!« sagte der Probst Tschiezischowski.

»Und Herr Grodzizki wird nicht verfehlen, ihn zu unterstützen,« setzte Tysenhaus hinzu.

Da unterbrach die Unterredung ein Reiter, welcher im gestreckten Galopp von der Stadt her geritten kam. Bei seinem Anblick rief Tysenhaus, welcher ein sehr scharfes Auge hatte, erschrocken aus:

»Grylewski! Da kommt Grylewski! Babinitsch muß tot, die Bastion gefallen sein!«

Der König bedeckte die Augen mit der Hand, während Grylewski dicht vor ihm sein Pferd parierte und fast außer Atem meldete:

»Allergnädigster Herr!«

»Was ist? Ist er tot?« unterbrach ihn der König hastig.

»Herr Babinitsch sagte zu mir: ›Mir ist sehr wohl zu Mute, ich brauche keine Ablösung, nur etwas zu essen möchte ich haben, denn seit gestern Abend habe ich nichts im Munde gehabt‹«.

»So lebt er also?« frug der König freudig.

»Er sagt, es geht ihm gut!« wiederholte Herr Grylewski.

Das Gefolge des Königs erholte sich langsam von seinem Staunen.

»Das ist Rittermut!« riefen die einen.

»Welch' ein Soldat!« sprachen andere.

Und späterhin sagten welche zu Herrn Grylewski:

»Es wäre aber doch gut, wenn er abgelöst würde. Habt ihr euch nicht geschämt, zurückzukommen? Hat euch die Angst befallen? Ihr hättet euch lieber gar nicht melden sollen.«

Darauf wandte sich Grylewski an den König:

»Allergnädigster Herr!« bat er. »Denjenigen, die mich einen Feigling nennen, will ich jederzeit beweisen, daß ich es nicht bin. Vor Ew. Majestät aber muß ich mich rechtfertigen. Ich war mitten in dem ›Maulwurfshaufen‹, was mancher von diesen Herren hier nicht zustande gebracht haben würde. Babinitsch sprang mir wie eine bissige Katze entgegen, als ich ihm den Befehl brachte, sich ablösen zu lassen. ›Geht zum Kuckuck,‹ schrie er mich an. ›Ich arbeite hier, daß der Schweiß an mir herunterrennt,‹ sagte er, ›zum Plaudern habe ich keine Zeit, und keine Lust, mit irgend jemanden meinen Ruhm und mein Kommando zu teilen. Ich befinde mich wohl,‹ sagte er, ›ich bleibe hier, und euch werde ich von der Bastion werfen lassen! Schert euch fort!‹ sagte er. ›Hunger haben wir, aber anstatt etwas zu fressen, schickt man uns einen Kommandanten!‹ Was blieb mir zu thun, Allergnädigster Herr! Ich kann mich über seine Laune auch nicht wundern; sie müssen arbeiten dort oben, daß ihnen die Hände abfallen möchten!«

»Meint ihr,« frug der König, »daß er sich dort wird halten können?«

»Welche Stellung würde der wohl aufgeben! Ich vergaß noch zu berichten, was er mir nachschrie: ›Ich bleibe hier, und sei es eine ganze Woche; ich ergebe mich nicht! – nur schickt uns etwas zu essen!‹«

»Ist es denn dort wirklich auszuhalten?« frug der König wieder.

»Man glaubt den Tag des letzten Gerichtes gekommen da oben! Granate fällt auf Granate, Eisenstücke sausen um die Ohren und wühlen sich tief in die Erde ein, der Rauch benimmt einem den Atem, man kann nicht sprechen! Die Kugeln wirbeln Sand und Erde in die Höhe, die man fortwährend abschütteln muß, um nicht Augen und Ohren voll zu haben. Es sind viele der Unsrigen gefallen, doch diejenigen, welche leben, liegen in Furchen und machen aus Kanonenrädern Zäune, die sie mit Erde und Sand befestigen, als Schutzvorrichtung gegen die Anpralle der Stürmenden. Die Schweden haben die Bastion sehr sorgfältig befestigt, nun dienen ihre Maßregeln gegen sie selbst. Jetzt kämpfen die oben wieder mit den Schweden.«

»Da man nicht auf die Mauern kommen kann, ohne zuvor eine Bresche gemacht zu haben,« sagte der König, »so werden wir noch heute die Paläste in der Krakauer Vorstadt angreifen, das wird der beste Entsatz sein.«

»Die Paläste sind aber auch stark befestigt, fast in kleine Festungen umgewandelt,« bemerkte Tysenhaus.

»Man wird die Besatzung dort aber von der Stadt aus gar nicht oder wenig unterstützen, denn ihre ganze Wut ist dem Babinitsch zugewendet,« sagte der König. »Ich werde gleich den Befehl zum Stürmen geben, nur will ich zuvor Babinitsch meinen Segen hinterlassen.«

Indem er das sagte, nahm Johann Kasimir aus der Hand des Probstes das kleine Kruzifix, welches dieser stets bei sich trug und in welches Splitter des heiligen Kreuzes eingefaßt waren. Während er sich hoch emporrichtete, machte er das Zeichen des Kreuzes nach der Bastion hin und betete:

»Du Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, erbarme dich deines Volkes und errette diese hier aus der großen Gefahr. Amen! Amen! Amen!«


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