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Mehrere Tage waren seit den vorstehenden Ereignissen verflossen. Noch immer saß der König in seinem Lager zwischen den beiden Flüssen, sandte Eilboten in alle Städte und Festungen in der Richtung nach Warschau und Krakau mit Befehlen, ihm Hülfstruppen zu senden. Auch Nahrungsmittel waren den Schweden aus der Weichsel zugeführt worden, doch nicht in zureichender Menge. Nach zehn Tagen war man gezwungen, die ersten Pferde zu schlachten. Verzweiflung packte den König und die Generale bei dem Gedanken, was werden solle, wenn die Reiter ihrer Tiere beraubt, und die Kanonen ohne Vorspann bleiben würden. Von allen Seiten drangen entmutigende Nachrichten in das Lager. Das ganze Land war im Aufruhr entbrannt, als hätten Pechfackeln es an allen Enden zugleich entzündet. Deshalb blieben die Hilfstruppen aus, denn die Stadtkommandanten und kleineren Präsidien wagten sich nicht hinaus. Litauen, wo Pontus de la Gardie den Aufstand bisher mit eiserner Hand niedergehalten, hatte sich plötzlich wie ein Mann gegen die Schwedenherrschaft erhoben. Großpolen, welches sich zuerst dem Feinde unterworfen hatte, ging allen anderen Provinzen in Ausdauer, Haß und Begeisterung voran, jetzt, wo es galt, sich für das Vaterland zu begeistern und den Feind zu hassen. Die Volontäre und Bauern griffen die Schweden nicht mehr blos in den Dörfern, sondern auch in den Städten an. Umsonst rächten sich die Eindringlinge schrecklich an Haus und Hof der Empörer, umsonst hackten sie den einzelnen Gefangenen die Hände ab, umsonst hingen sie sie haufenweise an Bäume und Galgen und spannten viele auf die Folter. Die Polen waren nicht mehr unterzukriegen, ihr Nationalgefühl war erwacht. Ob tausende der Empörung zum Opfer fielen, was kümmerte sie das? Der Edelmann fiel mit dem Schwert, der Bauer mit der Sense in der Hand. Das Schwedenblut durchtränkte die Erde Großpolens, die Polen zogen sich in die Wälder zurück und bauten sich dort Hütten, selbst Frauen griffen zu den Waffen und zogen gegen den Feind ins Feld. Die Strafgerichte der Schweden vertieften nur den Haß, vergrößerten nur die Rache.
Kulescha, Krystof Schegozki und der Wojewode von Podlachien fuhren mit flammenden Schwertern in der Provinz umher. Die Aecker blieben unbestellt, Hungersnot im ganzen Lande, Hungersnot und Elend aber bedrückten die Schweden mehr noch als die Polen, da dieselben hinter den geschlossenen Thoren der Städte sich viel weniger und schwieriger verproviantieren konnten, als die Polen draußen in den Wäldern.
Und zuletzt war ihnen sozusagen der Atem ausgegangen.
Ebenso ging es in Masowien zu. Dort kamen die Kohlenbrenner und Teersieder aus den Wäldern herbei, zerstörten die Wege und Landstraßen, fingen die Fouragetransporte und Eilboten auf. In Podlachien sammelte sich der Kleinadel und zog in großen Scharen zu Herrn Sapieha oder nach Litauen. Die Wojewodschaft Lublin war in den Händen der Konföderierten. Von Reußen her kamen die Tartaren und gezwungenerweise mit ihnen die Kosaken.
Die Polen waren so siegessicher; wenn auch nicht bald, so doch vielleicht in Tagen, Wochen, Monaten mußte Karolus Gustavus mit seinem Heere sich den vereinten polnischen Armeen stellen und der Ausgang des Krieges schien ihnen so gewiß, daß einige sehr sanguinische Naturen bereits Liefland der Republik als Provinz einverleibt sahen.
Da plötzlich verbesserten sich die Aussichten Karl Gustavs. Am 20. März ergab sich Marienburg, das bisher der Belagerung durch Stenbock tapferen Widerstand geleistet hatte. Seine starke, tapfere Armee konnte nun, da es in Preußen für sie nichts mehr zu thun gab, dem Könige zu Hilfe eilen. Von der anderen Seite kam der Markgraf von Baden, welcher jetzt die Formierung seiner Truppen beendigt hatte, mit noch frischen ungeschwächten Kräften gegen die Weichsel heran.
Beide feindlichen Heere fegten daher alles, was sie auf ihrem Wege antrafen, marodierend, brennend, verwüstend. Alle kleineren schwedischen Kommandos und Präsidien wurden den Armeen als Zuwachs einverleibt, deren Stärke zunahm, wie ein Fluß, der in seinem Laufe immer neue Zuflüsse aufnimmt.
Die Nachricht von dem Anmarsch der beiden Armeen gelangte sehr bald an die Ufer der Weichsel und San. Sie hatte eine ganz verschiedene Wirkung. Den Schweden schwoll das Herz von Hoffnung und neuem Mut, die Polen wurden von großer Sorge befallen. Noch war Stenbock weit entfernt, aber der Markgraf von Baden, welcher in Eilmärschen anrückte, konnte sehr bald angelangt sein und die Gestaltung der Dinge bei Sandomir bedenklich verändern.
Die polnischen Heerführer fanden sich zu einer Beratung zusammen, an welcher sich Herr Tscharniezki, der Hetman von Litauen, Herr Michael Radziwill der Truchseß, Herr Witowski, ein alter Krieger mit großen Erfahrungen, und Herr Lubomirski, der sich jenseits der Weichsel schon langweilte, teilnahmen. Es wurde beschlossen, daß Herr Sapieha mit seiner litauischen Armee hier verbleiben solle, um die Bewegungen Karl Gustavs zu überwachen und zu verhindern, daß er das Delta verlasse. Herr Tscharniezki sollte dem Markgrafen entgegenziehen und ihm so bald als möglich eine Schlacht liefern. Wenn Gott den Sieg verlieh, dann sollte er hierher zurückkehren.
Die diesbezüglichen Befehle waren schnell ausgegeben. Am nächsten Morgen wurden in aller Stille die Signale zum Aufbruch gegeben, denn Tscharniezki wollte seinen Abmarsch vor den Schweden verheimlichen. Das Lagerterrain wurde sofort mit einigen losen Fahnen Freiwilliger und etlichen Bauernparteien belegt, welche die Lagerfeuer nachts brennend erhielten und das Geräusch, welches im Lagerleben unvermeidlich ist, tagsüber ebenfalls fortsetzen sollten, damit die Schweden keine Veränderung merkten.
Dann verließen die Fahnen einzeln das Lager. Zuerst die Laudaer, welche eigentlich bei Herrn Sapieha hätte bleiben sollen. Da aber Tscharniezki sie nicht entbehren wollte, so mochte der Großhetman sie ihm nicht vorenthalten. Ihr folgten Wonsowitschs auserlesene Krieger unter ihrem bewährten Führer, der seit einem halben Jahrhundert an den Schlachtenlärm gewöhnt war, dann die Fahne Demetrius Wisniowiezkis unter Schandarowski, dieselbe, welche bei Rudnick sich mit unsterblichem Ruhme bedeckt, ferner die zwei Dragonerregimenter Witowskis, die beiden Jaworowskis, deren eine der berühmte Stazkowski anführte, die Leibfahne Tscharniezkis, die Stammfahne unter Polanowski und die ganze Armee Lubomirskis. Man nahm weder Wagen noch Fußsoldaten mit, da diese den Marsch auf Feldwegen nur aufgehalten hätten.
Bei Sawada vereinigten sie sich wieder. Es war ein stattliches Heer voller Kraft und frischem Mute. Herr Tscharniezki ritt nun an die Spitze, ordnete die Reihenfolge der Regimenter und Fahnen an und ließ sie dann im Parademarsch an sich vorüberziehen. Das Pferd unter ihm schnaufte, warf den Kopf in die Höhe und tänzelte, als wolle es die Vorüberziehenden grüßen, und dem Kastellan selbst schwoll das Herz bei dem herrlichen Anblick, der sich ihm bot. Der General wurde in ihm wach, der Feldherr taxierte mit kundigem Blick die Kraft und das Geschick seiner Truppen, und die Siegesfreudigkeit, welche aus den Augen der Mannschaften blitzte, teilte sich auch ihm mit.
»Mit Gott zu Kampf und Sieg!« rief er aus, das Schwert schwingend.
»Mit Gott! Wir wollen siegen!« antworteten ihm die kräftigen Männerstimmen.
Mit Gott! Der Ruf pflanzte sich durch alle Glieder, bis an das Ende des Zuges fort.
Tscharniezki spornte, als er vorüber war, das Pferd, um die an der Spitze des Zuges reitende Laudaer Fahne einzuholen.
Und fort ging es! Nicht wie Menschen zogen sie, sondern wie ein Zug Vögel flogen sie durch das Land. Flüsse, Wälder, Dörfer, Städte flogen an ihnen vorüber. Die Soldaten schliefen, aßen, tranken in den Sätteln, die Pferde wurden aus der Hand gefüttert, in den Flüssen getränkt.
Wenn sie durch Dörfer kamen, stürzten die Menschen vor die Thüren der Häuser, doch ehe sie sich recht besinnen konnten, war die wilde Jagd ihren Blicken wieder entschwunden.
Endlich bei Kosieniza trafen sie auf acht schwedische Fahnen unter Torneskild. Die Laudaer hatten den Feind zuerst erblickt und waren ohne Besinnen auf ihn losgestürmt. Schandarowski und Wonsowitsch folgten, als Vierter schloß sich ihnen Stazkowski an.
Die Schweden nahmen, im guten Glauben, daß sie es nur mit einer der im Lande umherschwärmenden Parteien zu thun hätten, den offenen Kampf auf. Zwei Stunden später war nicht ein Mann mehr übrig, der dem Markgrafen hätte die Nachricht bringen können, daß Tscharniezki gegen ihn im Anzuge sei. Dann ging es weiter, wie der Sturm, der über die Felder jagt, nach Magnuschewo zu, da die ausgesandten Kundschafter mit der Nachricht zurückgekommen waren, daß der Markgraf sich mit seiner ganzen Armee bei Warka befinde.
Herr Wolodyjowski wurde auf die Nacht mit einem Vortrab ausgeschickt, um zu erforschen, wie das Heer verteilt war und wie stark es sein konnte.
Herr Sagloba beklagte sich sehr über die Expedition, er meinte, daß selbst der berühmte Wisniowiezki niemals in dieser Weise vorgegangen war. Trotzdem zog er es vor, mit Wolodyjowski auf die Nacht weiterzureiten, als beim Heere zu bleiben.
»Es war doch eine goldene Zeit bei Sandomir«, sagte er, sich im Sattel dehnend. »Man konnte ruhig essen, schlafen und tagsüber von weitem das Schwedenlager observieren. Jetzt ist nicht soviel Zeit, um einen Schluck aus der Feldflasche zu nehmen. Ich kenne die Kriegskunst nach altem Brauch, in antiker Weise nach dem Muster des großen Pompejus und Cäsars; Herr Tscharniezki erfindet eine neue Mode. Das ist gegen alle Regeln der Menschlichkeit, durch so viele Tage und Nächte den Bauch zu durchschütteln. Mein Verstand scheint sich vor Hunger ganz zu verwirren, denn es kommt vor, daß ich einen Stern für einen Graupenkorn und den Mond für eine Speckscheibe halte. Ein Hundeleben das! Ihr könnt mir's glauben! Ich bin zuweilen versucht, meinem Pferde die Ohren abzubeißen – so hungert mich!«
»Laßt gut sein! Morgen! Wenn wir die Schweden geschlagen haben, dann ruhen wir aus,« tröstete Wolodyjowski.
»Ich will schon lieber die Schweden nicht mehr sehen, als solche Pein ausstehen! Herr! Herr! Wann wirst du diesem Lande den Frieden wiedergeben und dem alten Sagloba einen warmen Winkel hinter dem Ofen und einen Becher Warmbier ... sei es auch ohne Fettrahm ... Schaukele dich, Alter, im Sattel, schaukele dich, bis du in die Grube fährst! ... Hat jemand von euch eine Prise Tabak? Vielleicht niese ich mir die Schläfrigkeit aus den Augen ... Ich muß ja gähnen, daß mir das Maul offen stehen bleibt und der Vollmond in meinen Magen scheint. Weiß Gott, was er dort suchen mag, denn es ist nichts drinnen. Ein Hundeleben! Wahrhaftig!«
»Wenn ihr glaubt, Ohm, daß der Mond eine Speckscheibe ist, dann verschlingt ihn doch,« sagte Rochus.
»Wenn ich dich verschlingen wollte, könnte ich sagen, daß ich mich am Rindfleisch sattgegessen habe, aber ich fürchte, daß der Genuß eines solchen Bratens mich um das letzte bischen Verstand bringen würde.«
»Wenn ich ein Ochse bin und ihr seid mein Ohm, für was haltet ihr euch dann, Ohm?«
»Ich glaube gar, du Narr denkst, daß Altea ihre Söhne hinter dem Ofen empfangen hat?«
»Was geht das mich an?«
»Das geht dich so viel an, daß, wenn du ein Ochs bist, du zuvor fragen mußt, wer dein Erzeuger ist, ehe du nach der Verwandtschaft mit dem Ohm forschest. Der Stier raubte die Europa und zeugte mit ihr die Rinder, während ihr Bruder, der Ohm dieser Nachkommenschaft, deshalb doch ein Mensch blieb, verstehst du mich?«
»Die Wahrheit zu sagen, verstehe ich euch nicht. Aber essen möchte ich auch.«
»Meinetwegen iß dich an deiner Dummheit satt. Laß mich jetzt schlafen! Was giebt es, Herr Michael? Warum reiten wir nicht weiter?«
»Warka ist in Sicht!« sagte Wolodyjowski. »Da seht! Der Kirchturm glänzt im Mondenlicht.«
»Haben wir Magnuschewo denn schon hinter uns?«
»Wir ließen Magnuschewo rechts liegen. Es sollte mich wundern, wenn auf dieser Seite des Flüßchens keine Vorposten ausgestellt wären. Wir wollen in jener Schonung dort uns auf die Lauer legen; vielleicht fangen wir etwas.«
Während er das sagte, führte Herr Michael seine Abteilung der Schonung zu und stellte dieselbe zu beiden Seiten, etwa hundert Schritte vom Wege entfernt auf. Er befahl, die Pferde straff am Zügel zu halten, damit keines durch Schnaufen sie verrate.
»Stillgestanden!« befahl er dann. »Wir wollen horchen, ob wir etwas vom anderen Ufer drüben hören oder auch sehen können.«
Eine Zeitlang blieb alles still. Die müden Soldaten fingen an in den Sätteln zu nicken. Herr Sagloba hatte sich auf den Hals des Pferdes hingestreckt und war fest eingeschlafen, selbst die Pferde schlummerten.
So mochte etwa eine Stunde verflossen sein, da hörte das wachsame Ohr Wolodyjowskis etwas wie fernes Hufeklappern auf dem Wege.
»Aufgepaßt!« rief er leise dem zunächststehenden Soldaten zu. Der Soldat gab den Befehl eben so leise weiter. Er selbst ritt bis dicht an den Rand der Schonung, um den Weg übersehen zu können. Der Weg leuchtete im Mondschein wie ein silbernes Band. Zu sehen war nichts, aber das Geräusch von Pferdehufen kam deutlich näher.
»Man kommt!« sagte Wolodyjowski.
Die Soldaten faßten die Zügel fester und lauschten mit angehaltenem Atem.
Auf dem Wege kam eine Abteilung Schweden näher. Sie konnte etwa dreißig Reiter stark sein. Die Reiter ritten lose, nicht in Reihen und ließen die Zügel lässig hängen. Die einen plauderten mit einander, andere summten leise ein Lied, denn die Nacht war lau, wie eine Mainacht und wirkte erheiternd selbst auf die Herzen der Krieger. Sie ritten ahnungslos so nahe an dem am Rande der Schonung haltenden Herrn Michael vorbei, daß der Rauch aus den kurzen Tabakspfeifen der Schweden ihm in die Nase zog.
Endlich war der Reiterzug vorüber und hinter einer Biegung des Weges verschwunden. Wolodyjowski wartete bis nichts mehr von ihnen zu sehen und zu hören war, dann erst ritt er zu den beiden Skrzetuskis und sagte:
»Wir wollen sie jetzt wie die Gänse in das Lager des Herrn Kastellan treiben. Es darf keiner entkommen, damit keine Nachricht von unserer Anwesenheit zum Markgrafen getragen wird.«
»Wenn dann aber Herr Tscharniezki uns nicht Zeit zum Essen und Schlafen läßt,« sagte Sagloba, »dann kündige ich ihm den Dienst und gehe zurück zu Sapieha. Bei Sapieha heißt es: »wenn schlagen, dann schlagen, wenn aber ausgeruht wird, dann giebt es auch zu essen, so viel, daß man vier Mäuler satt füttern könnte. Das nenne ich einen Feldherrn! Und sagt mir einmal, warum sind wir eigentlich nicht bei Sapieha geblieben, wenn doch diese Fahne unter sein Kommando gehört?«
»Lästert nicht den größten Feldherrn der Republik, Vater,« sagte Johann Skrzetuski.
»Ich lästere ja nicht, nur meine Eingeweide, die in allen Tönen pfeifen, empören sich.«
»Dann laßt die Schweden nach dieser Pfeife tanzen!« unterbrach ihn Wolodyjowski. »Jetzt, meine Herren, hurtig! Ich möchte sie gern bei jener Schenke im Walde, die wir liegen sahen, einholen.«
Sie ritten auf dem Wege, den sie gekommen zurück, doch nicht zu schnell. Wolodyjowski ließ seine Reiter im Walde reiten, der sie in tiefe Dunkelheit hüllte. Die Waldschenke lag nicht allzuweit ab. Als sie sich derselben näherten, ritten sie im Schritt, vorsichtig ausspähend, um nicht vorzeitig die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Auf Kanonenschußweite von der Schenke entfernt vernahmen sie Laute menschlicher Stimmen.
»Sie sind da und machen Lärmen!« sagte Wolodyjowski.
Die Schweden waren zum größten Teil abgestiegen. Sie suchten und riefen, ob jemand da sei, den sie um Auskunft fragen konnten. Aber die Schenke war öde und leer. Die einen durchsuchten das Wohngebäude, andere die Stallungen, wieder andere hoben die Strohschauben von den Dächern, die Uebrigen standen im Hofe und vor dem Hause umher, die Pferde an den Zügeln haltend.
Wolodyjowski führte seine Abteilung bis auf etwa hundert Schritte heran und umzingelte die Schenke.
Die im Hofe haltenden Schweden hörten und sahen das Herankommen der Reiter ganz gut, doch da dieselben sich im Walde hielten, konnten sie im Dunkel nicht erkennen, was für einer Truppengattung sie angehörten. Sie alarmierten auch die anderen durchaus nicht, in der Meinung, es seien ebenfalls schwedische Reiter, denn wer anders hätte auch aus derselben Richtung kommen können wie sie? Erst, als die Reiter die Halbkreisschwenkung machten, wurden sie stutzig und riefen die in den Gebäuden Verstreuten an.
Da plötzlich ertönte das Geschrei »Allah! Allah!« Gleichzeitig fielen mehrere Schüsse, dunkle Gestalten tauchten überall auf, Säbelklirren, Flüche, unterdrückte Schreie wurden laut. Das alles aber währte kaum zwei pater noster lang.
Vor der Waldschenke blieben einige Menschen und Pferdekörper liegen, die Abteilung Wolodyjowskis aber zog weiter, fünfundzwanzig Gefangene mit sich führend.
Sie ritten jetzt in gestrecktem Galopp. Die Polen feuerten die schwedischen Pferde durch Hiebe mit der flachen Klinge an, gleichen Schritt mit ihnen zu halten. Mit dem Morgengrauen langten sie in Magnuschewo an. Im Lager war es schon lebendig; Tscharniezki hatte die ganze Nacht nicht geschlafen. Er selbst kam Wolodyjowski entgegen. Auf den Griff seines Degens gestützt, erwartete er ihn, bleich und abgemagert von den überstandenen Anstrengungen.
»Was giebt es draußen?« frug er den kleinen Ritter schon von weitem. »Bringt ihr viele Neuigkeiten?«
»Ich bringe fünfundzwanzig Gefangene,« antwortete Wolodyjowski.
»Sind viele entkommen?«
» Nec nuntius cladis! Wir bringen alle mit!«
»Gut! Soldatchen! Euch braucht man nur auszuschicken, gleich hat man, was man braucht. Wir wollen sie gleich in's Verhör nehmen. Ich werde sie selbst ausfragen!«
Er wandte sich zum Gehen, doch schon im Fortschreiten, sagte er noch:
»Haltet euch bereit, es wäre möglich, daß wir unverzüglich aufbrechen.«
»Warum denn?« fragte Sagloba.
»Schweigt!« gebot ihm Wolodyjowski.
Man hatte nicht nötig, die Tortur anzuwenden. Die schwedischen Gefangenen bekannten freiwillig, was sie über die Heeresstärke des Markgrafen wußten, wie viel Kanonen, wie viel Fußsoldaten und Reiter er mit sich führte. Der General wurde nachdenklich, denn er erfuhr, daß die feindliche Armee, obgleich erst neu organisiert, aus lauter alten Soldaten bestand, welche die verschiedensten Feldzüge mitgemacht hatten. Es befanden sich bei ihr eine Menge Deutsche und eine starke Abteilung Franzosen. Sie zählte mehrere hundert Köpfe mehr als die polnische. Dafür klang die Aussage tröstlicher, daß der Markgraf keine Ahnung davon hatte, daß Tscharniezki ihm so nahe sei; er glaubte den General bei Sandomir, wo die Polen den König belagerten.
Kaum hatte Tscharniezki das gehört, als er aufsprang und seinem Adjutanten zurief:
»Witowski, laßt zum Aufsitzen blasen!«
Eine halbe Stunde später war die Armee Tscharniezkis unterwegs. Sie marschierte in der Morgenkühle durch die tautriefenden Wälder und Felder. Endlich erschien Warka, oder vielmehr der Trümmerhaufen der Stadt, vor ihren Blicken, denn sie war vor sechs Jahren niedergebrannt und nicht wieder aufgebaut worden.
Die Armee mußte von hier aus durch die offene Ebene marschieren, sie konnte sich nicht mehr den Blicken der Schweden entziehen. Es währte auch nicht lange, so wurden die Heranziehenden von den feindlichen Vorposten bemerkt und dem Markgrafen die Thatsache gemeldet. Doch dieser glaubte, daß nur größere Haufen des Kleinadels und der Bauern das Lager in Alarm setzen wollten.
Erst als immer neue Schwadronen aus dem Walde auftauchten und im Trabe heranritten, griff eine fieberhafte Unruhe im Lager Platz. Von der Ebene aus konnten die Polen sehen, wie kleinere Abteilungen mit einzelnen Offizieren das Lager verließen und hin und her sprengten. Die buntgekleideten schwedischen Füsiliere formierten sich vor den Augen der Polen; sie sahen aus wie Züge bunter Vögel. Ueber ihren Köpfen erhoben sich glänzend im Strahl der Sonne die Karrees der mächtigen Speere, mit welchen die Fußsoldaten den Anprall der Reiterattacken parierten. Hinter ihnen konnte man die Menge der schwedischen Panzerreiter sehen, wie sie im Trab ihre Flügelstellungen einnahmen und zuletzt die über Hals und Kopf in das Vordertreffen eilenden Kanonen.
Alle diese Vorbereitungen waren deutlich wahrnehmbar, denn die Morgensonne goß ihren lichten Schein über die ganze Gegend aus.
Die Piliza trennte die beiden Armeen.
Auf der Seite der Schweden wurden die Trompeten geblasen, die Kesselpauken und Trommeln geschlagen, während die eiligst herbeieilenden Soldaten einen wüsten Lärm erhoben.
Auch Herr Tscharniezki ließ die Kriegsfanfaren schmettern und rückte im Eilschritt mit allen Fahnen dem Flusse zu.
Er selbst sprengte auf seinem Schecken, daß ihm der Atem ausging, zu Wonsowitsch, welcher mit seiner Fahne der Nächste am Flusse war.
»Alter! Tapferer!« rief er ihm zu. »Besetzet die Brücke. Laßt absitzen und die Musketen in Schußbereitschaft halten. Die ganze Armee dort wird sich euch zuwenden. Auf, Marsch!«
Wonsowitsch errötete vor Vergnügen, senkte zum Zeichen des Gehorsams seinen Säbel, und wie der Wind flog er seinen Leuten voran, der Brücke zu.
Etwa dreihundert Schritte davon hielten sie an. Zwei Drittel der Reiter sprangen von den Pferden und eilten, die Musketen in der Hand, im Sturmschritt der Brücke zu.
Auch die Schweden gingen nun vor. Bald knallten die Schüsse erst vereinzelt, dann immer schneller aufeinander. Rauchwolken zogen den Fluß entlang. Zurufe der Ermutigung tönten von beiden Seiten. Die Aufmerksamkeit beider Armeen konzentrierte sich auf die Brücke, welche schwer zu nehmen, aber leicht zu verteidigen war. Dennoch! – Man konnte nur über sie zu den Schweden gelangen.
Eine Viertelstunde später schickte Tscharniezki die Dragoner Lubomirskis dem Wonsowitsch zu Hilfe.
Aber schon hatten die Schweden die Kanonen zur Stelle. Immer neue Geschütze wurden aufgefahren; die Geschosse flogen pfeifend über die Köpfe der Stürmenden, schlugen in die Wiese und wühlten den lockeren Boden, daß Rasen und Schmutz umherflogen.
Der Markgraf von Baden stand im Hintertreffen der Armee; er beobachtete durch ein Fernglas das Gefecht. Von Zeit zu Zeit setzte er das Glas ab und blickte staunend auf seine Stabsoffiziere.
»Sie sind wahnsinnig,« sagte er. »Sie wollen die Erstürmung der Brücke erzwingen. Zwei bis drei Fahnen und ein paar Kanonen genügen, dieselbe zu halten.«
Je wütender Wonsowitsch angriff, desto wütender ward die Verteidigung. Die Brücke wurde zum Mittelpunkte der Schlacht, welchem sich allmählich die ganze Linie der Schweden zuwandte. Eine halbe Stunde darauf hatte die ganze Armee ihre Stellung verändert, sie war keine Frontstellung mehr, sondern eine seitliche. Die Brücke wurde unaufhörlich mit einem Kugelregen überschüttet. Die Mannschaften des Wonsowitsch fielen haufenweise; trotzdem kam Befehl über Befehl, die Brücke weiter zu stürmen.
»Tscharniezki hat es auf unser Verderben abgesehen,« schrie plötzlich der Kronenmarschall.
Witowski, als erfahrener Soldat, erkannte die Unhaltbarkeit der Position und die Gefahr, die seine Mannschaften bedrohte. Er bebte vor Zorn und Ungeduld, und da er das nicht länger mehr mit ansehen konnte, wandte er sein Pferd und sprengte, was es ausgreifen konnte, zu Tscharniezki, welcher während der ganzen Zeit zur Verwunderung aller seine Leute dem Flusse zu drängte.
»Ew. Erlaucht!« schrie Witowski, »das dort ist unnützes Blutvergießen, wir bekommen die Brücke nicht!«
»Ich will sie auch gar nicht haben!« antwortete Tscharniezki.
»Was also wollen Ew. Erlaucht denn? Was sollen wir thun?«
»Macht, daß ihr zu eurer Fahne kommt und die Brücke stürmt! Fort mit euch!«
Die Augen Tscharniezkis sprühten Feuer. Witowski prallte vor dem Ausdruck in diesen Augen zurück und machte Kehrt, ohne ein Wort zu erwidern.
Unterdessen hatte der General sämtliche Fahnen bis auf zwanzig Schritt dem Flusse nahe gebracht und dieselben in langer Linie am Bett der Piliza aufgestellt. Niemand konnte sich erklären, was er damit bezweckte.
Plötzlich stellte er sich vor die Front der Fahnen; sein Gesicht glühte, die Augen schossen Blitze. Ein heftiger Wind hatte sich erhoben, die Flügel seiner Burka flatterten um ihn, wie die Flügel des Adlers, das Pferd unter ihm bäumte sich unter den Sporen des Reiters und riß die Nüstern weit auf. Tscharniezki ließ den Säbel sinken, riß die Mütze vom Kopfe; das dichte Haar flog im Winde um die schweißtriefende Stirn.
»Meine Herren!« schrie er der Division zu. »Der Feind glaubt sich jenseits des Flusses sicher; er spottet unser! Er ist über das Meer zu uns gekommen, unser Vaterland zu zerstören und er denkt, daß wir zögern werden, zur Rettung desselben dieses Flüßchen zu durchschwimmen!«
Er warf die Mütze zu Boden, riß den Säbel in die Höhe und, flammende Begeisterung in seiner ganzen machtvollen Persönlichkeit, schrie er noch lauter:
»Wer Gott liebt und seinen Glauben! Wer das Vaterland liebt! Mir nach!«
Er gab dem Pferde die Sporen, daß es hoch in die Luft sprang und mit einem mächtigen Satze in die Fluten der Piliza tauchte. Hoch auf brausten die Wogen; einen Augenblick lang waren Roß und Reiter in dem Schaum und Gischt verschwunden, tauchten aber bald wieder auf.
»Meinem Herrn nach!« rief Michalek, derselbe, welcher bei Rudnick seine ersten Lorbeeren verdient, und sprang ebenfalls in den Fluß.
»Mir nach!« ertönte die dünne Stimme Wolodyjowskis. Auch er war in der nächsten Sekunde im Wasser.
»Jesus, Maria!« brüllte Sagloba, sein Pferd zum Sprunge spornend.
Und nun stürzten sie alle hinterdrein, die Laudaer Fahne zuerst, dann die Wisniowiezkische, die von Witowski, Stazkowski und alle die anderen. Nach dem ersten Staunen war eine Begeisterung ohnegleichen über diese Reiter gekommen. Eine Fahne drängte die andere; das Wasser des Flusses trat aus den Ufern und verwandelte sich schnell in eine dicke milchige Flüssigkeit. Zuerst schien es, daß das Wasser die Last der Tiere und Menschen nicht tragen wolle, bald aber schwammen die Pferde ruhig und dicht bei einander durch die wogende Flut, wie eine unabsehbare Schar Delphine, eine Brücke bildend, auf welcher ein Mann ruhig hätte hinüberschreiten können.
Tscharniezki war der erste, welcher das jenseitige Ufer gewann. Noch ehe er das Wasser etwas aus den Kleidern geschüttelt hatte, waren die Laudaer ihm gefolgt und Schandarowski führte soeben seine Fahne das Ufer herauf.
»Auf! Schlagt zu! Vorwärts!« kommandierte der General.
Er ließ eine Fahne nach der anderen an sich vorüber, der letzten stellte er sich an die Spitze und vorwärts ging es, den anderen nach.
Die ersten zwei Abteilungen schwedischer Reiter, welche dem Flusse zunächst standen, bemerkten zwar, was geschah; die Verwegenheit der Polen verblüffte sie jedoch so sehr, daß sie wie angewurzelt standen und ehe noch ihre Offiziere recht zur Besinnung kamen, brausten die Laudaer schon so gewaltig daher, daß die Schweden, unvorbereitet wie sie waren, dem Anprall nicht Stand zu halten vermochten und die erste Fahne im nächsten Augenblick vom Erdboden verschwunden war.
Inzwischen war auch Schandarowski herangesaust. Ein kurzer verzweifelter Kampf begann, die Glieder der Schweden wurden durchbrochen, in regelloser Flucht ohne Deckung eilten sie zur Hauptarmee zurück, von den Fahnen Tscharniezkis unbarmherzig verfolgt und niedergehauen.
Endlich war allen klar geworden, warum Tscharniezki so fest auf der Einnahme der Brücke beharrt hatte, obgleich er sie nicht zum Uebergange benutzen wollte. Er hatte nur die ganze Aufmerksamkeit der feindlichen Armee von sich ab, dem einen Punkte zulenken wollen, um sich den ungestörten Uebergang durch das Flußbett zu sichern. Zudem hatte er erreicht, was er gewünscht, nämlich, daß die Stellung der Geschütze eine für ihn günstige geworden, er beim ersten Ansturm auf das feindliche Heer von ihnen unbehelligt blieb, und Zeit gewann, indem eine ganz neue Formierung der Schlachtlinie am Flusse nach rückwärts stattfinden mußte.
Was der Feldherr vorausgehofft, geschah. Ein entsetzliches Getümmel entstand bei der Brücke. Bei der Wendung der Füsiliere und Reiter nach rückwärts lösten sich die Glieder der einzelnen Abteilungen; im Lärmen des Durcheinander wurden die Kommandorufe überhört oder falsch verstanden. Umsonst suchten die Offiziere mit fast übermenschlicher Anstrengung die Ordnung wieder herzustellen, umsonst entsandte der Markgraf Hilfstruppen – noch ehe die Füsilierbataillone ihre Lanzenschäfte befestigt, um sie der Attacke der Feinde entgegenrichten zu können, war die Laudaer Fahne mit gespensterhafter Eile bis in die Mitte derselben vorgedrungen, Tod und Verderben säend. Die zweite, dritte, vierte Fahne der Polen war der ersten gefolgt. Pulverdampf verhüllte das Schlachtfeld, aus der grauen Wolke, die alles den Blicken entzog, klang nur das Geklirr der Säbel, die Verzweiflungsschreie der Gefallenen, Triumphgeschrei der Sieger. Nur zuweilen sah man im Glanz der leuchtenden Sonne einen Lanzenschaft oder den Knauf eines Schwertes durch die Dampfwolken blitzen.
Jetzt fiel von der Brücke her Wonsowitsch mit den Ueberbleibseln seiner Fahne dem Feinde in die Flanke; er hatte die Brücke überschritten und sein Einschreiten entschied den vollständigen Sieg über die Füsiliere des Markgrafen.
Es lösten sich ganze Haufen Fliehender aus den zerrissenen Gliedern und suchten in wilder Flucht den Wald zu erreichen, wo der Markgraf mit der Hauptarmee hielt. Planlos, ohne Kopfbedeckung und Waffen rannten sie umher, den Schwerthieben der Verfolger zum Opfer fallend. Artillerie, Füsiliere und Reiter, alles in buntem Gemisch durcheinander, strebte dem rettenden Walde zu, die polnischen Reiter immer dicht auf den Fersen, zu beiden Seiten, mitten zwischen ihnen, ja sogar vor ihnen, die Flucht abschneidend. Keiner wehrte sich mehr, die ganze Ebene dröhnte vom Gestampf der Pferde, ohne Barmherzigkeit fielen die Schwertstreiche, die Schlacht war zum Gemetzel geworden.
Von dem Teil der Armee, die am Flusse gestanden und dem Walde zu floh, blieb nichts übrig, als ein paar vereinzelte Reiterhäuflein, welche den Wald erreichten. Doch wie überall, so auch hier, vollendeten die im Dickicht verborgenen Bauern das Werk der Vernichtung.
Und nun begann die schreckliche, regellose Flucht und Verfolgung der Hauptarmee auf der Warschauer Landstraße. Der jüngere Markgraf Adolf versuchte zweimal die Flüchtigen zum Stehen zu bringen, doch beide Male wurde sein Vorhaben vereitelt, zuletzt geriet er selbst in Gefangenschaft.
Die Abteilung seiner französischen Leibgarde in der Stärke von vierhundert Mann streckte freiwillig die Waffen. Dreitausend der auserlesensten Musketiere und Reiter flohen bis nach Mnischewo. Die Musketiere wurden in Mnischewo eingeholt und ausgerottet, die Reiter wurden bis Tscherstkow verfolgt, so lange, bis dieselben vollständig versprengt, einzelne in den Wäldern, dem Röhricht und Unterholz Schutz suchten, wo sie am nächsten Tage von den herumziehenden Bauern aufgestöbert und aufgehängt wurden.
Noch ehe die Sonne unterging, hatte die Armee des Markgrafen Friedrich von Baden aufgehört zu existieren.
Auf dem Platze des ersten Treffens waren nur die Fähnriche mit den blanken Fahnen zurückgeblieben, alles, was zur polnischen Armee gehörte und noch lebte, jagte den Feinden nach. Die Sonne stand schon tief am Himmel, als die ersten Abteilungen vom Walde her, und aus Mnischewo zurückkehrten. Sie nahten singend und lärmend, warfen jubelnd ihre Mützen in die Luft und feuerten Freudenschüsse ab. Fast alle führten Gefangene mit sich, welche neben den Pferden herlaufen mußten, ohne Kopfbedeckung, blutbefleckt, mit zerfetzten Kleidern, durch die Bewegungen der Pferde oft aneinander geschleudert. Das Schlachtfeld bot einen entsetzlichen Anblick. Wo der Kampf am ärgsten gewütet hatte, lagen die Leichen haufenweise übereinander; viele von ihnen hielten noch die Lanzen fest in den erstarrten Händen. Halb oder ganz zerbrochene Lanzen, Trommeln, Trompeten, Gürtel und Blechgerät lagen überall umher. Arme und Beine der übereinander gehäuften Toten starrten in die Höhe, ein wirres Durcheinander, so daß es schrecklich anzusehen war.
In der Nähe des Flusses lagen die nun erkalteten Geschütze, teils umgestürzt von dem Andrange der Menschen, teils schußbereit, nur des Abbrennens harrend; neben ihnen, im tiefen Todesschlaf die Kanoniere. Der Glanz der Abendsonne spiegelte sich in den Blutlachen, die überall sich angesammelt hatten und die, verbunden mit dem Duft des verbrannten Pulvers, über das ganze Schlachtfeld einen scharfen Geruch ausströmten.
Tscharniezki kam mit den Stammsoldaten zurück, noch bevor die Sonne ganz untergegangen war. Die Truppen begrüßten ihn mit donnernden Hochrufen. Die Begrüßungen und Beglückwünschungen wollten kein Ende nehmen. Der General hielt auf seinem Schecken mitten auf dem Schlachtfelde, er sah unendlich erschöpft, aber strahlend im Bewußtsein des Sieges aus. Das Haar aus dem entblößten Haupt wurde von der Luft leise hin und her bewegt, das Abendrot goß einen rosigen Schimmer über die müden Züge und spiegelte sich in dem Knauf des Säbels, während er auf alle die Vivatrufe nur die eine Antwort hatte: »Nicht mir, meine Herren, gebührt der Dank und die Ehre, sondern dem Namen des allmächtigen Gottes.«
Neben ihm hielten Witowski und Lubomirski, der letztere strahlend wie die Sonne, denn sein vergoldeter Panzer leuchtete weithin, sein Gesicht und die Hände rot gefärbt vom angetrockneten Blute der Feinde, die er eigenhändig, wie ein gemeiner Soldat, getötet hatte. Doch seine Züge nahmen einen immer unzufriedeneren Ausdruck an, als selbst seine eigenen Leibsoldaten zu rufen begannen:
»Vivat Tscharniezki, dux et victor!«
Der Neid begann schon an der Seele des Marschalls zu nagen.
Unterdessen waren von allen Seiten her die verstreuten, noch fehlenden Fahnenabteilungen zurückgekehrt; eine jede von ihnen legte dem General eine eroberte Feindesfahne zu Füßen. Bei diesem Anblick erhoben sich immer mehr Jubelrufe, man ließ den Feldherrn immer von neuem hochleben.
Die Sonne war untergegangen. Da läutete in der einzigen nach jenem Brande wieder aufgebauten Kirche in Warka die Abendglocke. Alle Häupter entblößten sich, eine feierliche Stille trat ein; der Feldprediger Piekarski intonierte den englischen Gruß und tausend rauhe Männerstimmen fielen in den Gesang ein, daß der Hymnus mächtig über das Schlachtfeld hinaus ertönte.
Die Augen all der bluttriefenden Krieger waren dem Himmel zugewendet, der im Westen von der Abendröte tief rot gefärbt, ein Widerschein dieses blutigen Schlachtfeldes zu sein schien, während das fromme Lied sich erhob zu dem immer dunkler werdenden Gewölbe des Zenithes.
Eben als man den Gesang beendet, sprengte die Laudaer Fahne heran, die im Eifer des Gefechtes am weitesten hinter dem Feinde hergesetzt war. Auch sie brachte dem Feldherrn ein Paar eroberte Fahnen und Herr Tscharniezki, welcher sich über diese Fahne stets am meisten freute, sprengte dem Herrn Wolodyjowski lebhaft entgegen.
»Sind euch viele entkommen?« frug er.
Herr Wolodyjowski schüttelte nur den Kopf zum Zeichen der Verneinung. Er war so außer Atem, daß er kein Wort hervorzubringen vermochte und nur nach Luft schnappte. Er wies mit der Hand nach dem Munde, um anzudeuten, daß er nicht reden könne, und Tscharniezki verstand ihn; er nahm den Kopf des kleinen Ritters zwischen seine Hände und indem er ihn fast zärtlich preßte, sagte er:
»Der hat sich müde gearbeitet.«
Sagloba, der etwas eher zu Atem kam, begann nun zähneklappernd mit unterbrochener Stimme:
»Mich friert! Wahrhaftig! Es zieht über den erhitzten Körper! Ein Schlagfluß wird mich treffen! Zieht einem dicken Schweden den Ueberrock aus, damit ich ihn anziehen kann, denn ich bin ganz naß. Ich kann fast nicht mehr unterscheiden, was an mir Wasser, Schweiß oder Schwedenblut ist ... Wenn ich je gedacht habe, daß ich im Leben noch eine solche Menge dieser Schelme hinschlachten würde, dann bin ich keinen Pferdeschwanz wert ... Der heutige Sieg ist der größte dieses Krieges ... Aber ins Wasser gehe ich nicht wieder ... Nicht essen, nicht trinken, nicht schlafen und dann ein Bad ... Das ist zu viel für mein Alter ... Die Hand erlahmt mir ... Der Schlagfluß packt mich! ... Branntwein her ..., um Gotteswillen! ...«
Als Tscharniezki das hörte und den alten Mann sah, ergriff ihn tiefes Mitleid; er reichte ihm seine Feldflasche.
Sagloba setzte sie an die Lippen und leerte sie auf einen Zug. Als er sie dem General zurückgab, sagte er:
»Ich habe so viel Wasser der Piliza verschluckt, daß ich fürchten muß, nächstens den Magen voll Fische zu haben Ach! Das Getränk hat jetzt aber wohlgethan.«
»Und zieht euch schnell um, wechselt die Kleider, im Notfall nehmt sie von den Schweden,« sagte Herr Tscharniezki.
»Ich werde einen dicken Schweden suchen, von dem euch die Kleider passen könnten, Ohm,« sagte Rochus.
»Wozu von einem Toten die blutigen Sachen abnehmen,« antwortete Sagloba. »Ziehe schnell den dicken General aus, den ich gefangen genommen.«
»Wie? Ihr habt einen General gefangen?« frug Tscharniezki lebhaft.
»Wen hätte ich nicht gefangen, was hätte ich nicht vollbracht!« brüstete sich der Alte.
Jetzt hatte sich auch Wolodyjowski so weit erholt, daß er berichten konnte:
»Wir haben den jüngeren Markgrafen Adolf, den Grafen Falkenstein, die Generale Weger, Poter, Benzy und andere Offiziere in Gefangenschaft genommen.«
»Und der Markgraf Friedrich?« frug Tscharniezki hastig.
»Wenn er nicht etwa hier auf dem Schlachtfelde geblieben ist, so muß er in die Wälder entkommen sein; dort aber ist er den Bauern rettungslos verfallen!«
Hierin täuschte Wolodyjowski sich. Der Markgraf Friedrich hatte, nachdem er zuerst in den Wäldern umhergeirrt war, noch in der Nacht mit den Generalen Ehrensheim und Schlipenbach Tschersk erreicht, dort in der alten Schloßruine drei Tage und Nächte bei Hunger und Kälte heimlich zugebracht, dann waren sie nachts ebenso heimlich nach Warschau geflüchtet. Das schützte sie zwar nicht vor späterer Gefangenschaft, doch waren sie vorläufig geborgen.
Die Nacht war angebrochen, als Tscharniezki das Schlachtfeld verließ und nach Warka aufbrach. Es war die fröhlichste und glücklichste seines Lebens, denn seit Beginn der Erhebung hatten die Schweden eine so große Niederlage nicht erlitten. Außer dem Generalfeldmarschall selbst waren alle Generale und Offiziere, alle Fahnen, alle Geschütze in ihre Hände gefallen, die Armee des Markgrafen war vernichtet. Es war nun erwiesen, daß die Schweden, welche sich in offener Feldschlacht für unbesiegbar gehalten hatten, der Taktik des polnischen Generals und dem feurigen Angriff der Reiter unterlegen waren. Außerdem mußte dieser Sieg die besten Folgen nach sich ziehen. Der Mut der anderen polnischen Armeen mußte dadurch gehoben, zur flammenden Begeisterung angefacht werden. Tscharniezki sah in nicht zu langer Zeit die ganze Republik von dem Druck der Schwedenherrschaft befreit, triumphierend als Siegerin ... vielleicht auch schwebte seiner Seele ganz in der Ferne das goldene Szepter des Großhetman des polnischen Reiches vor.
Es war kein Unrecht, wenn er auch ein wenig daran dachte, denn er strebte diesem Ziele mit der Kraft und dem Mute eines ehrlichen Soldaten zu; er war der Besten einer, die sich um das Vaterland verdient machten, einer der wenigen, deren Größe aus bitterem Leid, aus Schmerz und Seelenqual erstanden war.
Fast konnte er die Fülle des Glückes und der Freude, die nach diesem Siege seine Brust schwellte, nicht ertragen; er mußte ihr Worte leihen. Darum wandte er sich dem neben ihm reitenden Marschall zu und sagte:
»Jetzt auf nach Sandomir! nach Sandomir! so schnell als möglich. Das Heer hat heute die Feuerprobe bestanden; es kann uns weder die San noch die Weichsel mehr schrecken!«
Der Marschall erwiderte kein Wort darauf. Dafür konnte Sagloba sich nicht enthalten, laut zu sagen:
»Geht, wohin ihr wollt, aber ohne mich; denn ich bin keine Wetterfahne, die Tag und Nacht weder Speise, noch Trank, noch Schlaf braucht.«
Tscharniezki war so fröhlich gestimmt, daß er diesen Ausbruch der Unzufriedenheit nicht nur nicht übel nahm, sondern den Alten noch neckte:
»Ihr gleicht eher einem Glockenturm, wie einem Wetterhahn, denn ihr habt Spatzen im Kopfe. Aber, – alles, was wahr ist, Schlaf und Nahrung benötigen wir alle.«
Darauf murmelte Sagloba nur noch vor sich hin:
»Die Spatzen spuken einem im Kopfe herum, weil die Zunge am Gaumen klebt.«