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Escheburg und Hilde hatten, die beiden andern suchend, wohl auch flüchtig in den Saal geblickt, aber gerade, als jene die Nebensäle durchstrichen. Dann waren sie die Hauptpromenade vor der Halle noch einmal vergebens auf und ab gegangen; Escheburg schlug vor, es aufzugeben und in das Hotel zurückzukehren. Hilde habe das monotone Kurgartenvergnügen gewiß längst übersatt.
Gar nicht! erwiderte Hilde. Ich amüsiere mich königlich; ich könnte die ganze Nacht so promenieren und beobachten. Sehen Sie doch die beiden Dicken da mit den sämtlichen Gärten von Schiras Die iranische Stadt Schiras, auf etwa 1500 m Höhe liegend und so von einem relativ angenehmen, milden Klima, ist bis heute für ihre Gartenkultur berühmt (»Garten des Iran«). Ihr Blumenreichtum, die berühmten Rosenzüchtungen und die zahllreichen Gartenanlagen geben ihr ein spezifisches Gepräge. samt obligaten Papageien auf den roten Köpfen – die sind ja göttlich! Und dann der alte Beau mit dem braungeschminkten Gesicht und dem schwarzgefärbten Kotelettbart und den wunderbaren Lackschuhen, die ihn jedenfalls furchtbar drücken. Sehen Sie doch nur das verzweifelte Grinsen, während er der Blauen, die übrigens gar nicht übel ist, seine Fadaisen Plattheiten. sagt! Das ist ja unglaublich lustig.
Ich finde es eigentlich sehr melancholisch, sagte Escheburg.
Das kann Ihr Ernst nicht sein.
Mein vollkommener. Bitte, treten Sie mit mir ein wenig hierher auf die Seite – noch einen Schritt – so! daß die Kolonne gerade auf uns zukommt, und wir doch in die ersten acht oder zehn Glieder hineinsehen können. Wissen Sie, woran mich das mahnt? Nun?
An Spangenbergs Totenzug Gustav Spangenberg (1828-91), deutscher Maler. »Der Zug des Todes« (1876, in der Berliner Nationalgalerie, mit Figuren in der Tracht der Renaissance) bildet den Höhepunkt seines Schaffens. in unserem Nationalmuseum.
Sie sind nicht gescheit.
Vermutlich. Aber ist es nicht ganz dasselbe, bloß, daß auf dem Bilde die Wallfahrer tot sind und also das Recht haben, uns mit so starren Geisteraugen anzusehen, während die hier leben und – wodurch die Sache um vieles schauerlicher wird – mit vor Lebenslust glitzernden Augen dem Tode Schritt für Schritt entgegengehen, alle: die Dicken mit den Schirasgärten und der Beau mit den Lackstiefeln und der Lange hier und die Kurze da – dick und dünn, lang oder kurz, schön und häßlich – wie sie da sind. Nach so und so viel Jahren lebt auch nicht einer von ihnen mehr, ohne daß die Kolonne abreißt, sondern sich immer so weiter wälzt tausendköpfig, tausendfüßig nach dem einen identischen, unvermeidlichen, ungewollten Ziel.
Man sieht, daß Sie pathologischer Anatom sind, – heißt es ja wohl? sagte Hilde lachend. Ich sehe von all den greulichen Sachen nicht die Spur, sondern höchstens einen sehr ergötzlichen Maskenzug, wenn man doch schlechterdings etwas anderes sehen soll, als was wirklich zu sehen ist: ein paar hundert bis zur Erschöpfung im Kreise herumtrampelnder Menschen. Uebrigens ist es Ihnen mit der ganzen Totenzugs-Phantasie gar nicht ernst. Sie wollen mir nur die gute Laune verderben.
Oho!
Denken Sie denn, ich habe nicht gesehen, wie Sie sich schon die ganze Zeit über meine Lustigkeit geärgert haben? und bei meinen schönsten Witzen über die Gesellschaft an der Table d'hote nicht die Miene verzogen, trotzdem einige, zum Beispiel über die drei kleinen Engländerinnen, sehr gut waren? Ich hatte immer sehr scharfe Augen, wissen Sie, und sie sind seitdem nicht schwächer geworden, kann ich Sie versichern.
Ich bin davon überzeugt, und so will ich denn nur eingestehen: ich habe mich über Ihre Lustigkeit nicht geärgert, aber –
Aber?
Sie werden einem alten Freunde nicht böse sein, gnädige Frau?
Wenn Sie mich noch einmal so anreden, läßt die gnädige Frau den alten Freund hier mitten unter den Leuten stehen und geht ihrer Wege. Das heißt nicht bloß für jetzt, sondern für immer. Also: aber –
Aber Ihre Lustigkeit hat mir nicht wohlgethan; ich fand sie nicht ganz echt.
Auf deutsch: ich habe geschauspielert?
Ich würde das Wort nicht gebraucht haben; es trifft auch die Sache nicht ganz. Sie hatten augenscheinlich ein wirkliches Verlangen, ein Bedürfnis vielleicht, fröhlich und guter Dinge zu sein. Es gelang Ihnen nur nicht, und, sehen Sie, das hat mich denn allerdings ein wenig melancholisch gemacht.
Sie waren von der Hauptpromenade abgebogen und wandelten langsam zwischen den Budenreihen einem der Ausgänge zu, an dem sie soeben anlangten. Hilde stand still.
Lassen Sie uns noch ein wenig im Garten bleiben, sagte sie. Wir können ja das Gedränge, das Ihnen so verhaßt ist, vermeiden.
Gern, erwiderte Escheburg. Hier ist gleich ein fast einsamer Gang.
Der breite Gang war freilich noch belebt genug, aber man konnte sich doch zwischen den Promenierenden und den zahlreichen dicht besetzten Bänken mit größerer Freiheit bewegen, als zwischen den Buden oder auf dem Platze vor dem Kurhause, dessen lichtbestrahlte Fassade über den großen, mit bunten Lämpchen ausgeschmückten Rasenplan herüberglänzte. Von den Papierlaternen aus den breiten Kronen der Kastanienbäume sank ein milder warmer Dämmerschein herab, der zu einer intimen Unterhaltung, zu einer vertraulichen Mitteilung einlud. Escheburg hatte durchaus die Empfindung, daß seine schöne Begleiterin es auf eine solche abgesehen habe, und er jetzt die Lösung des Rätsels erhalten werde, welches für ihn über ihrem Betragen seit dem ersten Wiedersehen heute nachmittag lag. Und zugleich sagte ihm sein Herz, diese Lösung könne keine erfreuliche sein. Das machte ihn stumm und befangen, um so mehr, als nun auch seine schöne Begleiterin gegen seine Erwartung schwieg und von ihm ein Entgegenkommen, eine Aufmunterung zu erwarten schien, die ihr zu teil werden zu lassen er sich nicht entschließen mochte. So fühlte er denn ein Beben durch den ganzen Leib, als sie, nachdem sie schweigend ein paar Minuten nebeneinander hingschritten waren, plötzlich hastig und leise, so daß er es kaum verstand, sagte:
Sie finden also meine Lustigkeit unnatürlich, und das macht Sie traurig?
So ungefähr, erwiderte er, obgleich ich schon vorhin andeutete, daß diese Ausdrücke zu stark sind, wie man denn so selten in der Unterhaltung gerade den rechten, schicklichen findet.
Darauf kommt es ja auch in der Unterhaltung zwischen Freunden weniger an, als darauf, daß man sich versteht.
Gewiß; aber um sich zu verstehen, muß man sich verständigen; und wenn ich auch gern zugebe, daß die Worte nicht unser einziges Verständigungsmittel sind, das hauptsächlichste bleiben sie doch. Wie oft hat ein unüberlegtes oder falsches Wort eine Freundschaft getrübt oder dauernd zerstört.
Dann ist es wohl keine wahre Freundschaft gewesen. Oder glauben Sie überhaupt nicht an eine wahre Freundschaft?
Ganz gewiß.
Und was nennen Sie so?
Seltsam! über dasselbe Thema habe ich heute schon mit Ihrer Schwester verhandelt. Wir kamen darüber ein, wahre Freundschaft sei: dasselbe wollen und dasselbe nicht wollen, oder – was wenigstens im Sinne Spinozas damit identisch ist: dasselbe denken und dasselbe nicht denken.
Nun, Koras Freund sind Sie?
Ich hoffe es wenigstens.
Und meiner sind Sie nicht? Sie waren es doch einmal?
Wenn man es so nennen darf. Bedenken Sie, liebe Hilde, Sie waren damals so jung und ich so alt. Da ist es schwer und wohl unmöglich, dasselbe zu wollen oder zu denken.
Adalbert ist nur um ein Jahr jünger als Sie, und ich habe ihn geheiratet.
Das ist etwas anderes. Sie liebten einander ja.
Das heißt, wenn ich Sie recht verstehe, zur Liebe gehört die Freundschaft nicht?
Im Gegenteil: nach meiner innigsten Ueberzeugung ist Freundschaft der Liebe bester Teil.
Aber Sie sagten eben erst, Freundschaft habe mit Liebe nichts zu schaffen.
Keineswegs. Ich habe nur gesagt, oder wollte doch sagen: die Freundschaft braucht noch nicht wirklich, noch nicht in Kraft getreten zu sein, wenn man sich heiratet. Aber latent vorhanden ist sie allerdings auch schon in diesem Augenblicke. Sie ist eben ein integrierender Teil der Liebe und entwickelt sich aus derselben mit derselben Folgerichtigkeit und Notwendigkeit, mit der –
Sagen wir, aus der Wärme Licht hervorgeht.
Vortrefflich.
Das hieße: man könne wohl einander wahrhaft freund sein, ohne sich zu lieben; aber man könne nicht wahrhaft lieben, ohne daß Eines des Anderen Freund wäre –
Oder mit der Zeit würde –
So daß – wenn das letztere nicht eintritt, man schließen darf, daß es von vornherein keine wahrhafte Liebe gewesen ist? Genau so.
Rede und Gegenrede waren einander schnell und immer schneller gefolgt. Escheburg hatte alle Befangenheit verloren. Er hatte Hilde nicht zum wenigsten wegen der Munterkeit ihres Geistes, ihrer oft drolligen und nicht selten geistreichen Einfälle, der Schärfe ihrer Beobachtung, der Beweglichkeit ihrer Phantasie, der Trefflichkeit ihrer Bilder und Vergleiche geliebt. Aber wie schien das alles sich jetzt noch so prächtig in den zwei Jahren entfaltet zu haben! Es war ja eine Lust, mit dem holden Geschöpf zu plaudern, zu debattieren! Er würde sich zusammennehmen müssen, nicht den Kürzeren zu ziehen!
Sehen Sie, sagte er, da haben wir uns noch dazu über ein schwieriges Thema verständigt und den Beweis geliefert, daß, wenn wir noch keine Freunde waren, wir jetzt auf dem schönsten Wege dazu sind.
Gar nicht haben wir uns verständigt, rief Hilde heftig.
Das wäre! sagte Escheburg betroffen.
Ganz und gar nicht, fuhr Hilde erregt fort. Das heißt: mit der Freundschaft an sich mögen Sie recht haben, aber Ihre Theorie von der Freundschaft, die sich aus der Liebe entwickeln soll – das ist, mit Ihrer Erlaubnis, Nonsens. Freundschaft und Liebe haben in Ewigkeit nichts miteinander zu schaffen; sie schließen einander aus. Wo Freundschaft ist, kann keine Liebe sein und umgekehrt. Ihre Liebe, die zur Freundschaft wird, ist eben darum keine Liebe mehr.
Oder ist nie welche gewesen, gewiß keine wahre; warf Escheburg ein.
Das bestreite ich eben, rief Hilde. Was ist denn wahre Liebe? Wenn zwei sich so zu einander hingezogen fühlen, daß sie ohne einander nicht sein mögen, daß sie, um bei einander zu sein, ihr Leben freudig aufs Spiel setzen. Das heißt: sie kann nur zwischen Mann und Weib stattfinden. Zwei Herzen und ein Schlag – sehr schön! aber: zwei Seelen und ein Gedanke: Unsinn! Was fragen die Herzen danach, wie es in den Köpfen aussieht? Sieht es in Faust und Gretchens Köpfen gleich aus? – »Du mußt dran glauben!« – »Liebes Kind!« – Da haben Sie's! Er: ein skeptischer Philosoph, sie: ein gläubiges Kind – und doch lieben sie sich. Warum? wer das sagen könnte! Oder doch gewiß nur sie ihn wegen seines hohen Ganges, seiner edlen Gestalt und seiner gewaltigen Augen, und weil er so herzhaft küssen kann; und er sie – nun, Ihr Männer werdet ja wissen, weshalb Ihr uns liebt. Aber Freundschaft – dasselbe wollen und nicht wollen, denken und nicht denken! – gehen Sie doch! Wie wäre das möglich zwischen zwei Geschöpfen, die von Natur aus verschieden sind? im Alter verschieden sind; in ihrer Erziehung, Bildung, Empfindung, Geschmack, in ihren Neigungen und Abneigungen verschieden sind; von denen das eine auf die Jagd gehen, das andere zu Hause bleiben; das eine handeln, das andere träumen will und so mit Grazie weiter; das eine egoistisch ist, das andere aufopfernd, das eine grausam, das andere weichherzig und wieder so weiter ins Unendliche? Nein, lieber Escheburg, diese beiden Geschöpfe können sich lieben – aber Freunde können sie nicht sein – nimmermehr!
Nun gut, sagte Escheburg heiter, so lassen wir's bei der Liebe. Und wenn die beiden grundverschiedenen Geschöpfe, in welchen ich nach Ihrer Analyse einen Tiger und ein Lamm vermuten zu sollen glaube, obschon ich nicht genau weiß, ob er der Tiger ist und sie das Lamm, oder umgekehrt – ich sage, solange die Beiden nur fest in ihrer Liebe bleiben, mögen sie in Himmelsnamen der Freundschaft entbehren.
Hilde war plötzlich stehen geblieben, und jetzt, dicht vor ihn hintretend, sagte sie mit dumpfer, heftiger Stimme:
Wenn sie nun aber nicht fest in ihrer Liebe bleiben? oder schlimmer: es sich herausstellt, daß diese Liebe nie da war, nie? Alles nur Lug und Trug war? Selbstlüge, Selbstbetrug meinetwegen! Und das sich nun so anstarrt, nachdem die Masken gefallen, mit enttäuschten, entsetzten Augen! Ist das nicht fürchterlich?
Escheburg war sprachlos vor Ueberraschung und Schrecken. Er hatte in der Wonne des Wortgefechtes, in welchem doch seinerseits jeder Streich eine Liebkosung und jeder Widerspruch eine Huldigung gewesen war, gar nicht mehr an die Wolke gedacht, die ihm vorhin das geliebte Antlitz überschattet und so auch einen Schatten in sein eigenes Gemüt geworfen hatte. Und nun war aus der Wolke ein Blitz herabgefahren, grell, vernichtungsfroh, und hatte mit fürchterlicher Klarheit den Abgrund erfüllt, an dessen Rande er in seinem verliebten Unverstand noch eben hatte scherzen können.
Sie sprechen nicht von sich, stammelte er.
Von mir? rief sie in demselben, vor leidenschaftlicher Erregung atemlosen Tone. Wie sollte ich dazu kommen? Ich, die ich mit kaum siebzehn Jahren eine ausgezeichnete Partie gemacht habe, wie alle Welt sagt? Und zu der Ihr, Sie und Kora, mir so zugeredet habt? Mein Gott, Ihr mußtet doch wissen, daß ich glücklich werden würde! Ihr waret ja so viel klüger als ich. Und ich bin ja glücklich. Mit neunzehn Jahren Mutter von einem acht Monate alten Baby – ist das nichts? Und alles haben können, wonach das Herz begehrt? Haus und Hof, Equipage und Dienerschaft! – Von mir? Ei, Escheburg, das muß ich wirklich Adalbert sagen. Gott, wie der Sie auslachen wird!
Sie lachte selbst – ein rauhes, gequältes Lachen, das gar nicht aus dem süßen Munde zu kommen schien und Escheburg das Herz zerriß. Auch brach sie plötzlich ab und rief:
Warum lachen Sie denn nicht und sehen mich so ernsthaft an, als wäre ich eines von den armen Tieren, die Sie vivisezieren? Jammer und schade, daß ich kein Mann geworden bin! Ich könnte jetzt gerade auf die Universität gehen und glaube, ich hätte Ihnen Ehre gemacht. Das muß eine Lust sein, so mit klugen Männern zu verkehren, die doch alle nicht so klug sind, wie man selbst. Das heißt, vorher wäre ich ein flotter Student gewesen, so recht gründlich flott – Weiber, Wein und Schulden! Meinen Sie nicht?
Ich meine, sagte Escheburg traurig, daß Sie jetzt wirklich eine Komödie spielen, bei der Ihnen nicht wohl ist, und die mich mehr schmerzt, als ich Ihnen ausdrücken kann.
Das thut mir herzlich leid, erwiderte sie leichthin. Uebrigens, weshalb soll ich in dem Leben nicht eine Komödie sehen, wie Sie vorhin in der Schafherde von Menschen einen Zug des Todes?
Sie sollten den Einfall nicht ernsthafter nehmen, als er gemeint war.
Ich will nun aber meinen Einfall ernsthaft nehmen. Wenn er auch vielleicht nicht ganz so originell ist, als der Ihre, hat er doch mindestens ebensoviel Berechtigung.
Gar keine hat er, sagte Escheburg heftig.
Und das wollen Sie behaupten, rief Hilde lachend, während da zehn Schritt von uns eine richtige Komödienfigur steht? Ach, wo sehen Sie denn hin? den Jägerianer Gustav Jäger (1832-1917), Zoologie-Professor in Hohenheim. Sein besonderes Interesse galt der Entwicklung gesundheitsfördernder, wollener Reformkleidung, die er »Normalkleidung« nannte und auch unternehmerisch vertrieb. Damit schuf er nicht nur ein neues Bewusstsein für Gesundheit und Lebenswandel, sondern erreichte auch Kultstatus. Seine Kleidung wurde im In- und Ausland verkauft. Seine Anhänger bezeichneten sich als »Jägerianer« (darunter Robert Bosch, Oscar Wilde und George Bernard Shaw)., meine ich, mit den Trikots und Schnallenschuhen. Eigentlich ein hübscher Mensch mit seinem großen blonden Vollbart, das heißt, nicht so hübsch, wie sein schlanker Begleiter. Wenn das kein Offizier in Zivil ist! Den muß ich schon mal gesehen haben.
Lassen Sie uns gehen, sagte Escheburg ungeduldig.
So, nun haben Sie mir durch Ihren bösen Blick meine beiden Lieblinge verscheucht. Ich weiß gar nicht, was Sie eigentlich haben? Es ist so lustig hier, und ich bin so lustig. Sehen Sie nur diese köstlichen Perlen! Ach, und das Diamanten-Kollier! Sie verstehen nichts davon – schlimm genug – ein Mann wie Sie muß alles verstehen. Schauen Sie, verehrter Herr Professor, das nennt man à jour gefaßt; dies hier –
Trifft man Euch endlich? sagte Adalbert hinter ihnen.
Mit einem Gefühl des Schreckens fast hatte sich Escheburg zu Adalbert und Kora umgewandt; auch Hilde wandte sich langsam. Und abermals erschrak Escheburg, der sie sofort wieder angesehen hatte, als er bemerkte, daß auch nicht eine Miene in ihrem lächelnden Gesicht sich verändert hatte.
Endlich? sagte sie, ja, das können wir zurückgeben. Wir suchen schon seit einer halben Stunde nach Euch herum, und eben sind wir wieder hierher unter die Buden gekommen. Sieh nur, Kora, diese entzückenden Sachen! Schöner habt Ihr sie in Berlin nicht. So solltest Du mir die Diamanten von Deiner Großmama fassen lassen, Adalbert.
Wenn Du es wünschest, sehr gern, sagte Adalbert.
Nun wünsche ich es schon nicht mehr. Aber diesen Ring mußt Du für Kora kaufen!
Mit tausend Freuden. Darf ich, Kora? fragte Adalbert, bereits mit einem Schritt nach der Thür des Ladens.
Um Gotteswillen, rief Kora, ihn zurückhaltend. Du weißt – Ihr wißt, ich trage dergleichen nie.
Adalbert versuchte lachend sich loszumachen; Hilde eiferte Adalbert noch an; sie bemerkten nicht, daß eine Gruppe hinter sie getreten und stehen geblieben war, bis ein Herr aus derselben mit höflich leiser, etwas schnarrender Stimme sagte: Darf ich Ihnen Sukkurs bringen, Herr Kamerad?
Mein Gott, Oberst Krell? rief Adalbert, sich schnell wendend und mit einem gewissen inneren Widerstreben die Hand ergreifend, die ihm entgegengestreckt wurde.
Zu Befehl! erwiderte der Oberst. Ihr ergebenster Diener, meine Damen! Gnädige Frau, ich mache Ihnen mein Kompliment: schönere Rosen können Ihnen die Heilquellen hier auch nicht auf die Wangen zaubern. Mein gnädiges Fräulein – ich hatte noch immer nicht das Glück –
Da bin ich glücklicher gewesen, sagte Poly, Kora begrüßend, und sich dann zu Hilde wendend: Ich weiß nicht, gnädige Frau, ob ich noch die Ehre habe, von Ihnen gekannt zu werden. Wirklich? Sie entzücken mich. Dann wollen Sie mir auch erlauben, Ihnen meinen Bruder ins Gedächtnis zu rufen, der Ihnen wohl einmal in Berlin über den Weg gelaufen ist.
Ich hätte Sie allerdings kaum wieder erkannt, Herr von Wolfsberg, sagte Hilde.
Natürlich, sagte Udo; wie sollte die gnädige Frau! einen obskuren Leutnant! und jetzt noch dazu in Zivil –
Darf ich auch um die Gnade bitten? sagte Gönnich zu Poly mit einem finsteren Blick.
Ich bitte um Verzeihung! gnädige Frau, verstatten Sie mir: Herr Dr. Gönnich, Privatdozent in Straßburg.
Hilde wandte sich, mit Mühe das laute Lachen, das in ihr aufstieg, in ein höfliches Lächeln verwandelnd, indem sie Gönnichs tiefe Verbeugung mit einem anmutigen Kopfnicken erwiderte.
Und nun, sagte der Oberst, der unterdessen mit Escheburg, den er »bereits von der Kampagne her« kannte und neuerdings »zu seiner großen Freude« wiederholt in der anthropologischen Gesellschaft getroffen, die Hände geschüttelt; einen Vorschlag, meine Damen und Herren! Halten Sie denselben mir, als dem ehrwürdigen Senior dieser Gesellschaft zugute, auch wenn er sich Ihres Beifalls nicht zu erfreuen haben sollte. Wie wär's? Wollen wir nicht dies für mich wahrhaft beglückende und ich hoffe für alle nicht unerfreuliche Wiedersehen durch ein ganz bescheidenes Souperchen in dem Kurgarten-Restaurant feiern? Ich verspreche solide Bedienung bei völlig unsoliden Preisen. Die gnädige Frau lächeln? So ist die Sache entschieden. Heute Abend hat die gnädige Frau das Preh, wie Onkel Bräsig Figur des niederdeutschen Dichters Fritz Reuter (s. Anm. 1), z.B. in »Ut mine Stromtid« (1862): »Herr Kammerrath haben ümmer das Preh!« sagt. Lieber Baron, möchten Sie Frau Geheimrat den Arm geben? Leutnant von Wolfsberg Fräulein von Remberg, wenn ich bitten darf! Die beiden gelehrten Herren decken den Rückzug, der übrigens, gnädige Frau, in Wirklichkeit Punkt elf Uhr stattfinden soll. Ich verspreche es Ihnen und verbürge mich dafür. Mit fünfzig Jahren schwärmt man wohl noch – c'est plus fort que nous! aber man geht zur rechten Zeit nach Hause. Also: avanti, meine Herrschaften, avanti!
Der Oberst ging mit Hilde an seinem Arm voran, die anderen folgten.
Glauben Sie, daß alle gern von der Partie sind? fragte Hilde, mit einer leichten Wendung des Kopfes nach hinten. – Mir deucht, ich sah einige grillenhafte Mienen.
Wer wollte sich mit Grillen plagen, solang noch Lenz und Jugend blüh'n Die ersten beiden Verse des Gedichts »Aufmunterung zur Freude« (1777) von Ludwig Heinrich Christoph Hölty.; erwiderte der Oberst mit einem feurig bewundernden Blick in die schönen, lächelnd zu ihm aufblickenden Augen.