Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtes Kapitel.

Die Gesellschaft war gerade zur rechten Zeit gekommen, um den letzten der noch unbesetzten Tische in dem nicht großen Restaurationssaal einzunehmen. Und auch dieser Tisch schien schon bestellt gewesen zu sein; aber ein bedeutungsvolles Stirnrunzeln des Obersten machte den widerstrebenden Kellner sofort geschmeidig. Krell hatte gebeten, ihm das Arrangement überlassen zu wollen und, ohne die Zustimmung abzuwarten, seines Amtes gewaltet, das denn freilich, wie der Erfolg zeigte, so in den besten Händen sich befand. Im Nu waren die fehlenden zwei Couverts, die nötigen Stühle herbeigeschafft, das Menu gemacht, der Champagner bestellt; und man war, während früher Gekommene noch vergeblich nach dem Kellner riefen, oder gar erst auf den versprochenen ledigen Platz warteten, bereits im stande, das Souper zu beginnen. Man hatte, soweit es ging, bunte Reihe gemacht, daß wenigstens auf jede von den Damen je zwei Herren zu ihrer Seite kamen: Hilde zwischen Krell selbst und Udo; ihr gegenüber an dem mäßig großen oblongen Tisch Poly mit Gönnich zu ihrer Linken und Adalbert zu ihrer Rechten; zwischen dem ersteren und Udo saß Kora, vis-a-vis Escheburg, der auf diese Weise seinen Platz zwischen Krell und Adalbert gefunden. Das Geschwirr der Stimmen an den anderen Tischen, das Rufen der Gäste, das Kommen und Gehen der eilenden Kellner, das Klappern von Tellern und Schüsseln, zwischendurch der Knall einer entkorkten Flasche Champagner – das alles verursachte einen Lärm, der eine allgemeine Unterhaltung beinahe unmöglich machte und eben deshalb das nachbarliche Geplauder begünstigte. Selbst Poly und Hilde, die im Anfang über den Tisch herüber ein sehr lebhaftes Gespräch angeknüpft hatten, gaben lachend und mit den Achseln zuckend den Versuch auf, zur großen Freude für Udo, der vor Begierde brannte, endlich einmal mit seiner schönen Nachbarin anzuknüpfen. Die Gelegenheit war um so günstiger, als der Oberst sich eben gerade zu Escheburg gewandt hatte. Hilde nahm die Huldigung, welche ihr der junge Offizier mit jedem seiner Blicke, jedem seiner Worte brachte, gnädig entgegen, und das aufmunternde Lachen, mit dem sie seine Scherze belohnte, gab ihm nach wenigen Minuten die volle Sicherheit zurück, an welcher es ihm zu seiner eigenen Verwunderung anfangs ein wenig gefehlt hatte. Freilich, wann wäre er auch je einem so entzückenden Geschöpf begegnet! Udo versicherte sich selbst einmal über das andere, daß »so etwas noch nicht dagewesen sei« – solche himmlischen, von Schalkhaftigkeit und Lebenslust blitzenden blauen Augen, über die es doch manchmal wie ein schwermütiger Schatten zog, um die gleich darauf folgende Helle nur noch sonniger zu machen! so zarte, von einem köstlichen Mattrot überhauchte Wangen! so schön geschwungene, wie von den Grazien und Amoretten selbst zu Scherz und Kuß geformte Lippen! Udo hatte sich in Verdacht, daß er die letztere Phrase, welche laut werden zu lassen er sich deshalb hütete, aus einem Romanschmöker der letzten Tage habe; überhaupt mußte man mit der schönen kleinen Frau sehr auf dem »qui vive« sein. Sie hatte eine verzweifelt dezidierte Manier, ihre Behauptungen aufzustellen und zu verteidigen, und ein hinreißend abscheuliches Lächeln, wenn man eine Dummheit gesagt hatte. Es war wie im Manöver, wo man vor Begierde brennt, mit seinem Zuge eine ganz großartige Sache auszuführen, und nur nicht ganz gewiß weiß, ob man sich damit nicht großartig blamieren wird. Es war gottvoll. Die »drei Gleichen« zusammen genommen verdufteten dagegen in nichts.

Ich habe Ihnen immer philosophische Anlagen zugetraut, lieber Baron, sagte Poly lachend zu Adalbert; jetzt sehe ich, daß ich Sie unterschätzt habe: Sie sind ein großer Philosoph.

Wodurch habe ich diesen Spott verdient, gnädige Frau? erwiderte Adalbert.

Wer eine so schöne Frau hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen; flüsterte Poly, und blinzelte mit halb geschlossenen Augen zu Udo und Hilde hinüber.

Sie wollen mich eifersüchtig machen, sagte Adalbert, an seinem Glase nippend; es wird Ihnen nicht gelingen: ich habe nicht die mindeste Anlage dazu. Ich gönne Ihrem Bruder die Freude, sich mit meiner Frau unterhalten zu dürfen, von ganzem Herzen.

Sie haben recht, entgegnete Poly eifrig; Udo ist ein so guter Junge, obgleich er Papa und Mama schreckliche Sorge bereitet; das heißt eigentlich mir. Sie wissen, Papa hat kein Vermögen, und mit der Oberstleutnant-Pension kann man keine großen Sprünge machen; für Minna und Christinchen soll doch auch etwas zurückgelegt werden, und Udo braucht so entsetzlich viel. In Berlin ging es positiv nicht mehr, und wir mußten es noch als ein großes Glück betrachten, daß er nach Rastatt versetzt wurde. Natürlich schwärmt auch da bereits wieder das ganze Re'ment für ihn; aber ich fürchte, ich fürchte, es ist auch da wieder das alte leichtsinnige Treiben.

Gönnen Sie ihm seinen leichten Sinn, sagte Adalbert; die Zeit kommt so bald, wo wir uns ein bischen davon vergebens zurückwünschen.

Gott, wie das tragisch klingt! rief Poly. Das überlassen Sie uns andern, die wir nicht bloß Tragödien schreiben, sondern –

Ich hörte bereits vorhin von dem Herrn Doktor, daß Sie endlich angefangen haben, Ihr schönes Talent ernsthaft zu verwerten. Er ist ja ganz begeistert von Ihrem großen Stück, und ich ostpreußischer Maulwurf wußte noch nicht einmal etwas von Ihren Gedichten.

Mit Ausnahme hoffentlich derer, die ich an einen gewissen Herrn gerichtet hatte, dessen Namen ich jetzt allerdings nicht mehr nennen darf.

Tempi passati, murmelte Adalbert.

Vergangen, aber nicht vergessen – wenigstens nicht von mir. Um Tragödien schreiben zu können, muß man welche erlebt haben. Das wollte ich vorhin sagen.

Ich glaubte, gnädige Frau, wir wollten ein Wiedersehen feiern?

Hindert das, kann es hindern, daß in den Becher der Freude auch eine Thräne der Wehmut fällt?

Sie würde den Glanz gewisser schöner Augen nur trüben. Aber, gnädige Frau, verzeihen Sie, Ihr Herr Nachbar zur Linken hat schon dreimal den Versuch gemacht, Ihre Aufmerksamkeit für sich zu gewinnen. Sie müssen ihm wirklich einmal eine Chance geben, oder er schickt mir morgen früh seine Sekundanten.

Adalbert war sich seiner Unart voll bewußt; aber er erinnerte sich der letzten Worte Koras, glaubte zu bemerken, daß ihr Blick schon wiederholt vorwurfsvoll auf ihm geruht hatte, und wollte um ihretwillen einer Unterhaltung, die ihn doch in unheimlicher Weise reizte und fesselte, ein Ende machen. Er wandte sich zu Escheburg, innerlich zusammenschreckend, als Hilde eben über einen besonders gelungenen Scherz Udos lauter lachte, als es der Ort zu verstatten schien.

Poly war seiner Aufforderung, sich mit Gönnich zu unterhalten, für den Moment nicht gefolgt. Sie saß, in ihrem Stuhl zurückgelehnt, hinter dem vorgehaltenen Fächer die Lippen abwechselnd zwischen die Zähne klemmend. Der erste Angriff war zurückgeschlagen – sie war wohl ein wenig zu keck vorgegangen – gleichviel: der Pfeil hatte doch getroffen – er würde sonst in seiner ritterlichen Art auch noch direktere Anspielungen auf die Vergangenheit nicht so brüsk zurückgewiesen haben. Und ob Krell oder Udo, das war im Grunde gleich, vielmehr: man hatte jetzt zwei Stränge für seinen Bogen: des älteren Don Juan-Eitelkeit, oder des jüngeren Leidenschaft. Zwar Udos Leidenschaft pflegte ein Flackerfeuer zu sein. Man mußte es eben schüren und hatte ja die Mittel dazu in der Hand.

Ihre Blicke kreuzten sich mit denen des Oberst, der dann mit einem nur für sie merklichen Zwinkern nach rechts auf Udo und Hilde deutete, um sie wieder fest anzublicken. Beide lächelten. Sie hatten einander vollkommen verstanden.

Nur daß Krell den jüngern Remplaçanten doch weniger ungern sah, als Poly vermutete. Er hatte mittlerweile Zeit gehabt, sich die Situation nach allen Seiten klar zu machen, wobei seinem geübten Auge das Mißliche derselben nicht entgangen war. Seine Frau mußte in wenigen Tagen eintreffen; für eine regelrechte Belagerung blieb also keine Zeit, und die Möglichkeit einer Eroberung im Sturm hielt er für ausgeschlossen, nachdem er nur drei Worte mit Hilde gewechselt. So sprachen die Frauen nicht, so blickten die Frauen nicht, mit denen man leichtes Spiel hat. Endlich: wie von ganzer Seele er auch Adalbert die ihm zugedachte Kränkung, vielleicht Demütigung gönnte – es war just nicht nötig, daß gerade er ihm dieselbe zufügte. Nicht nötig und – nicht ungefährlich. Die alte Schuld gegen Poly – pah! seit wann hatte er es denn mit alten Schulden so gewissenhaft genommen! Nein, Poly mochte sich an Udo halten. Der war ja der Nächste dazu. Ein bischen Spaß für ihn kam jedenfalls dabei heraus.

Und er warf sich in das Wort- und Witzgeplänkel, das Udo und Hilde immer lebhafter unter sich führten, indem er scheinbar Udos Partei nahm, ohne dadurch Hilde aus der Fassung zu bringen, die es nicht mehr zu kosten schien, es jetzt mit zwei Gegnern zugleich aufzunehmen, als vorhin mit einem.

Adalbert, der bei dem schweigsamen Escheburg wenig Aufmunterung gefunden, hatte sich wieder zu Poly gewandt, diesmal mit dem festen Entschluß, nicht wieder in moralische Bedenken zurückzufallen, welche Hilde durch ihr Beispiel verspottete. Poly empfing den reuigen Ungetreuen mit verzeihender Milde und wußte sofort ein leichtes Gespräch einzuleiten, in das sie klüglicherweise auch Gönnich zog. Sie durfte den Günstling nicht zu sehr verstimmen, wollte sie sich nicht einer Brüskerie des immer Taktlosen und immer Eifersüchtigen aussetzen, und den glänzenden Triumph der koketten Rivalin drüben nur so mit anzusehen, war ja auch auf die Dauer unerträglich. Wirklich gelang es ihrer Kunst, in aller Kürze eine Scene zu arrangieren, welche der drüben zum Verwechseln ähnlich sah: eine Dame, die lachend, mit glänzenden Augen und geröteten Wangen, im lebhaften Wortgefecht einen gemeinschaftlichen Angriff ihrer Nachbarn kaum abwehren zu können scheint, und sich dabei bewußt ist, daß die Angreifer doch nur Nebenbuhler um ihre Gunst sind.

Zwischen diesen beiden heiteren Gruppen blieben Kora und Escheburg auf sich selbst angewiesen, da sie, durch die Länge des Tisches getrennt, eine Unterhaltung nicht wohl miteinander führen konnten, es hätte denn durch Blicke sein müssen. Aber sie vermieden es, einander anzusehen. Jeder meinte, daß der andere in seinen Augen das traurige Geheimnis würde lesen können, dessen Mitwisser er soeben geworden war, und dessen Wirklichkeit anzuerkennen sich die geängstigte Seele aus allen Kräften sträubte, um hier die traurigste Bestätigung ihrer schlimmsten Befürchtungen zu finden. Während Escheburg Hildes übermütiges Lachen hörte, klangen ihm die wilden Scherzworte im Ohr, mit denen das unglückliche Kind vorhin sich selbst und ihn, den alten Freund, über den Jammer ihrer zertrümmerten Liebeswelt wegzutäuschen versucht hatte; mit jedem verstohlenen Blick in Adalberts geliebtes, jetzt vom Wein und der Aufregung einer forcierten Konversation gerötetes Antlitz sah Kora es zugleich, wie sie es vorhin gesehen: bleich, gramzerrissen, von Thränen überströmt. Vergebens, daß der Gelehrte seine Philosophie zu Hilfe rief, sich erinnerte, daß, wie im Natur-, so auch im Geistes- und Herzensleben der Menschen unzählige vielverheißende Blüten mitleidslos zertreten werden; hier ja nur ein Fall vorliege, wie tausend andere. Es war nicht ein Fall wie tausend andre: was ihm auch der Verstand sagen wollte – sein Herz, das ihm jetzt in dumpfer Angst schlug und dann zornig gegen die Rippen pochte, wußte es besser. Und wieder war es ganz umsonst, wenn Kora in dem Gedanken an ihr eigenes liebeleeres, glückloses Leben eine Art von Trost zu finden suchte über diese zerstörte Liebe, dies zertrümmerte Glück. Das erschien ihr egoistisch und unedel. Es war ja doch ihre geliebte Hilde, die unglücklich war; sie durfte nicht fragen, ob sie es an Hildes Stelle auch geworden wäre, ob auch sie den geliebten Mann unglücklich gemacht hätte.

Immer trüber wurde es Kora zu Sinn, immer düsterer wurde die Wolke auf Escheburgs Stirn. Er überlegte, ob er nicht unter gleichviel welchem Vorwande die Gesellschaft verlassen sollte; Kora war schon ein paarmal auf dem Punkte gewesen, einfach zu bitten, man möge die Tafel aufheben. Dann sagten sich beide wieder – jeder in seiner Weise: daß damit doch nichts geholfen, die Flucht vielmehr eine nutzlose Feigheit sei, da Scenen wie diese sich zweifellos wiederholen würden, womöglich in noch abschreckenderer Gestalt, und die Freundespflicht ihnen gebiete, sich an diese Schrecken zu gewöhnen, waren sie denn wirklich entschlossen, die geliebten Beiden aus der schweren Verstrickung zu lösen. Auch durften sie hoffen, für heute die grausame Prüfung bald überstanden zu haben. Das Souper hatte bereits weit über eine Stunde gewährt, der Nachtisch war längst aufgetragen, die übrigen Gäste hatten schon fast sämtlich das Lokal verlassen; nur einzelne wenige saßen noch in leisem Gespräch bei einem Rest Wein oder auch stumm vor den längst geleerten Theetassen, wie das englische Paar an dem kleinen Tische in ziemlicher Nähe von der Gesellschaft. Kora erinnerte sich, dasselbe bereits an der Table d'hote ihres Hotels gesehen zu haben und daß ihr die Schönheit der Dame aufgefallen war. Jetzt während des Souper hatte sie unwillkürlich, oder auch, ihren traurigen Gedanken eine andere Richtung zu geben, auf die Beiden wiederholt ihren Blick gewandt, um sie immer genau in derselben Situation zu sehen: den Herrn in einer Zeitung lesend, die er auswendig zu lernen schien, da er, soviel sie bemerkte, immer nur die eine Seite des großen Blattes studierte; die Dame, ihm gegenüber an dem runden Tischchen sitzend, die linke Wange auf die umgebogene Hand gestützt, unbeweglich vor sich nieder in die Theetasse starrend, und mit der andern Hand von Zeit zu Zeit in ihrem Schoße an dem Zipfel ihrer Jacke drehend oder ihr Spitzentaschentuch zerknüllend. Unwillkürlich hatte sie die Unbeweglichkeit der schönen jungen Frau mit Hildes sich überspannender Rastlosigkeit verglichen. War das da drüben auch eine unglückliche Ehe? Dann hatte die Engländerin wenigstens die Kraft vor Hilde voraus, ihr Leid mit stiller, vornehmer Würde zu tragen.

Wohin blicken Sie denn so eifrig, gnädiges Fräulein? fragte Udo, der sich seit einer Viertelstunde zum erstenmal wieder zu ihr wandte. Ah, jetzt begreife ich; die schöne Engländerin! Sie wohnt in Ihrem Hotel; hat Ihre Frau Schwester sie auch schon bemerkt?

Ich weiß es nicht; ich glaube kaum.

Dann muß ich mir erlauben, sie darauf aufmerksam zu machen. Gnädige Frau –

Udo wandte sich wieder zu Hilden: sie möge die Gnade haben, seinem unsicheren Geschmacke zu Hilfe zu kommen, und zugleich einen Streit zwischen ihm einer- und seiner Schwester und Doktor Gönnich andrerseits zu entscheiden, indem sie erkläre, ob es verstattet sei, die Dame da drüben eine auffallende Schönheit zu nennen oder nicht.

Hilde wandte ihre großen Augen ein paar Sekunden schweigend auf die Bezeichnete und sagte dann entschieden: Es ist die schönste Frau, die ich je gesehen habe.

Wer? fragte Poly.

Sieh Dich nicht um, flüsterte Udo über den Tisch herüber seiner Schwester zu; die Engländerin von vorhin!

Ja so!

Der englische Herr hatte seine Zeitung zusammengeklappt, in die Tasche gesteckt und sich erhoben; mit ihm die Dame. Sie mußten dicht an dem Tisch der Gesellschaft vorüber: der Herr mit langen Schritten voran, gerade vor sich hinblickend, die Dame ihm auf dem Fuße folgend mit niedergeschlagenen Augen.

Sapristi! murmelte der Oberst und ließ das Lorgnon fallen, durch das er der Vorüberschreitenden in das Gesicht gestarrt hatte. Lächerliche Ähnlichkeit!

Mit wem? fragten drei Stimmen zugleich.

Der Oberst hatte, ohne zu antworten, das Lorgnon wieder eingeklemmt, um auf die Dame, die eben in der Thür verschwand, noch einen Blick zu werfen. Man wiederholte die Frage; der Oberst lächelte.

Pardon, meine Damen! sagte er; ich erinnere mich, daß vor Gericht niemand gezwungen ist, eine Frage zu beantworten, durch deren wahrheitsgemäße Beantwortung er sich selbst belasten würde.

Sie sind hier nicht vor Gericht, rief Poly.

Es hilft Ihnen nichts, Herr Oberst; sagte Udo.

Sie haben sich durch Ihre Ausrede schon belastet, sagte Hilde.

Bravo! bravissimo! rief Udo.

Die gnädige Frau hat, wie immer, recht, sagte der Oberst mit einer galanten Verbeugung zu Hilde; ich habe mich bereits belastet, und muß versuchen, mich zu entlasten. Ich hoffe, es wird mir gelingen durch ein ehrliches Eingeständnis: daß ich die englische Lady dringend um Verzeihung bitte, wenn ich sie auch nur einen Moment mit einer jungen Französin verwechselte, die ich – übrigens nur ein einziges Mal und auch dann nur sehr flüchtig – in einem jener Spielsalons gesehen habe, in welche sich die Pariser jeunesse dorée vor den Augen des Gesetzes zu flüchten gezwungen ist. Sie – ich meine jene wirklich nur sehr flüchtige Aehnlichkeit – wurde mir damals als die Tochter der Besitzerin des Salons bezeichnet.

Und wie lange ist das her? fragte Hilde eifrig.

Ich erröte zu gestehen, meine Gnädigste: es war vor zwei Jahren auf meiner Hochzeitsreise.

Der Oberst drückte wie verschämt die Augen ein; Udo brach in ein Gelächter aus.

Sie Abscheulicher! rief Poly, dem Oberst mit dem Finger drohend.

Ich finde das gar nicht abscheulich, sagte Hilde; ich finde es sogar sehr hübsch von dem Herrn Oberst, daß er so ehrlich ist; viel hübscher, als wenn er, wie andere Herren, den Tugendhaften spielte, der nie den Fuß in einen Spielsalon gesetzt hat, nie in der Lage gewesen ist, eine schöne– Frau mit einer andern zu verwechseln; nie –

Ich denke, wir brechen nun auf, sagte Kora, indem sie sich zugleich erhob. Ich bitte um Entschuldigung, aber mein Kopf schmerzt mich sehr.

Escheburg war sofort aufgesprungen, langsamer folgten die andern; am langsamsten Udo und Hilde.

Ich hätte bis morgen früh so sitzen mögen, sagte Udo mit einem brennenden Blick in Hildes Augen. Hilde lachte und eilte zu Kora, der Escheburg beim Umnehmen ihres Umschlagetuches behilflich war. – Ist es arg, Kora?

Ja.

Kurz und bündig. Nun, meine ausführliche Lektion bekomme ich ja wohl morgen früh.

Sie drehte sich lachend zu Udo um, der bereits mit ihren Sachen hinter ihr stand.

Ich bitte Sie, lassen Sie sich nichts merken, flüsterte Escheburg.

Ich bin außer mir, murmelte Kora, mit Mühe ihre Thronen verschluckend.

Eben deshalb.

Er hatte ihren Arm genommen; auch die andern waren jetzt bereit, Udo führte Hilden, Poly hatte sich von dem Oberst, Gönnich und Adalbert umwerben lassen und dann den letzteren gewählt.

Ihr seid zu schlecht, sagte sie; eine ehrbare Frau kann sich Euch nicht anvertrauen; der Baron ist der einzige von Euch, der Grundsätze hat.

Sie werden mich noch vollends um allen Kredit bringen, rief Adalbert.

Desto besser, erwiderte Poly laut; und dann, leise und seinen Arm pressend: – so kommen Sie zu mir! mein Glaube an Sie ist unbegrenzt.

Man war draußen in der lauen Nacht. Die Paare gingen in ziemlichen Distanzen. Auch wurde von niemand laut gesprochen; nur einmal ließ sich Hildes helles Lachen kurz vernehmen.

Vor dem Hotel d'Angleterre, an welchem auch die im Hotel de l'Europe Wohnenden vorüber mußten, trennte man sich; Poly wollte durchaus Adalberts Begleitung nicht länger annehmen. Im letzten Augenblick flackerte die allgemeine Unterhaltung noch einmal auf: Lachen, Scherzworte hinüber und herüber.

Lassen Sie uns gute Nachbarschaft halten! flüsterte Poly Adalbert zu.

Auf Wiedersehen, gnädige Frau! murmelte Udo, Hildes Hand pressend.

Und morgen wieder lustig! rief der Oberst.



 << zurück weiter >>