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Es war gegen zwei Uhr gewesen, als die Damen das Hotel verlassen hatten. Bis um fünf, die Stunde, in welcher der Zug von Karlsruhe kam, würde das Ausbleiben der englischen Dame sicher nicht und das Hildes nur von ihren Angehörigen bemerkt werden. Um von dieser Seite etwaigen Nachfragen zu begegnen, hatte Adalbert Frau Klump instruiert, daß sie heute bis auf weiteres bei dem Kinde allein bleiben werde, und sie gebeten, dasselbe keinen Augenblick zu verlassen, was Frau Klump mit einem vergnügten Schielen versprach. Dann hatte er, absichtlich durch den Kellner, der Generalin und Kora, die, seitdem sie aus dem Kurhause zurück war, sich oben auf ihrem einsamen Zimmer hielt, sagen lassen, daß Hilde mit Missis Douglas ausgegangen sei, vielleicht auch eine Spazierfahrt machen werde. Es würde ihm noch vor wenig Stunden schwer angekommen sein, Kora nicht in das Vertrauen zu ziehen; jetzt dachte er nicht daran, es zu thun. Ja, er mußte sich Koras Seelenadel, ihre Hochherzigkeit und Güte vor die Seele rufen, um nicht von dem Gedanken dessen, was er ihr anvertraut hatte, erdrückt zu werden. Und auch so empfand er es schwer genug und zürnte sich und zürnte Kora. Ihm deuchte, sie hätte seine Bekenntnisse nicht so entgegennehmen dürfen; nicht, ohne ihm zu sagen: ich habe mein Herz, meine Seele nicht mehr für mich allein; ich teile sie mit einem andern, vor dem ich keine Geheimnisse haben darf. Wie weit mußte es mit ihm gekommen sein, daß er sich kaum noch geschämt hatte, in der Blöße seines Unglücks vor das Auge eines Dritten zu treten, er mochte sein, wer es sei. »Du und ich – wir beide allein!« Die Worte Hildes hatten in seine Seele geschmettert, wie im Graus der Schlacht Trompetensignal, das zur Attacke ruft. Man hat Haltung, Fühlung, das Vertrauen zum Führer und sich selbst verloren. Nun ist alles wieder da: die Zügel straff, den Pallasch fest in der Faust, die Sporen eingesetzt: hurra!
Und zuerst nieder mit dem Schurken, der ein hilfloses Weib so hatte martern können! Was er selbst gegen Hilde gesündigt – er hatte es in seiner Schwäche, seiner Thorheit, seinem Unverstand gethan. Nein! er hatte nichts gemein mit diesem Schurken: er durfte mit ihm ins Gericht gehen, und er wollte es.
Glücklicherweise für die Ungeduld, welche bereits an ihm zu nagen begann, hörte er von dem Wirt, dem er im Vestibül begegnete, daß Mister Douglas mit dem Fünfuhr-Zuge zurückkommen werde. Oder er müsse eigentlich »seine Lordschaft« sagen, meinte der Wirt. Die Depesche, die er soeben aus Karlsruhe erhalten, und die er noch in der Hand trug, war »Douglas Lord Glenmore« unterzeichnet. Ein Jammer, daß seine Lordschaft nun gerade noch heute mit dem Nachtzuge definitiv abreisen wolle! Und sonderbar, daß keine Depesche an Mylady gekommen sei! Aber Mylady habe natürlich alles schon gewußt. Ob der Herr Baron nicht noch ein oder ein paar Zimmer nach vorn heraus wolle anstatt der Hinterstube, mit der er sich bis dahin begnügt? es ließe sich jetzt vortrefflich einrichten.
Adalbert dankte vorläufig und machte sich auf den Weg zu dem Bankier, bei welchem er sich durch seinen Berliner Bankier hatte akkreditieren lassen, und auf den die Anweisungen lauteten, mit denen er Mister Douglas seine Verluste im Spiel bezahlt. Auch an den Bankier war soeben eine Depesche seiner Lordschaft eingetroffen. Er solle das Geld für den Rest seiner Anweisungen bereit halten. Eigentlich sei es noch die ganze Summe, Mylord hätte erst heute morgen ein paar hundert Mark eingezogen. Herr Flaut war von den Verhältnissen Mister Douglas' soweit ganz gut unterrichtet. Mister Douglas hatte ihm schon heute morgen anvertraut, daß er wahrscheinlich als Lord Glenmore zurückkehren werde. Schade, daß er nun abreise! Aber Mylord werde dem Herrn Baron schon Gelegenheit zur Revanche geben. Ein schottischer Lord gehe nicht mit ein paar hunderttausend in der Tasche davon, wie der Fuchs vom Taubenschlage. Was der Herr Baron für heute befehle?
Adalbert wünschte nur, die genauen Beträge der noch nicht saldierten Anweisungen zu wissen, um sie mit den Notizen in seinem Spielbuche vergleichen zu können. Es stellte sich eine Differenz von achtzehntausend Mark zu Ungunsten Adalberts heraus. Adalbert bat, die Anweisungen einsehen zu dürfen, welche sämtlich auf Formulare geschrieben waren, die man im Klub zu diesem Zweck vorrätig hielt, und die Adalbert noch immer in derselben Nacht nach Beendigung des Spiels ausgefüllt hatte. Nur ein einziges Mal hatte er, da ein derartiges Formular nicht gleich zur Hand war, die Anweisung, allerdings ebenfalls mit Tinte, auf ein Blatt gekritzelt, das er aus seinem Portefeuille gerissen. Es konnte sich, den Daten in seinem Spielbuche zufolge, nur um diese Anweisung handeln, welche auf zwanzigtausend lautete, während in dem Buche nur zweitausend unter dem betreffenden Datum verzeichnet standen und nach Adalberts sehr genauer Erinnerung stehen konnten. Der Verlust jenes Abends war der weitaus geringste gewesen.
Es muß ein Irrtum Ihrerseits vorliegen, Herr Baron; sagte der Bankier.
Das ist unmöglich, entgegnete Adalbert.
Der Bankier schüttelte den Kopf und sagte lächelnd: Bedenken der Herr Baron, daß wir nur die Wahl zwischen einem Irrtum Ihrerseits und einer Fälschung haben. Ein Lord Glenmore! ich bitte Sie, Herr Baron!
Er hielt scherzend das Blatt in die Höhe gegen das helle Licht einer Gaslampe, die in dem dunkeln Kontor bereits über seinem Pulte brannte, und zuckte sichtbar zusammen.
Was haben Sie? fragte Adalbert.
Der Bankier murmelte etwas Unverständliches, während er das Blatt von neuem untersuchte, diesmal durch eine große Lupe, die er schnell aus einem Pultkasten genommen, um es dann abermals gegen das Licht zu betrachten, und schließlich, wie in Verzweiflung, auf das Pult fallen zu lassen.
Nun? sagte Adalbert ungeduldig.
Die Anweisung ist gefälscht; erwiderte der Bankier. Aus der geschriebenen zwei sind zwanzig gemacht, der Ziffer ist eine Null hinzugefügt. Es ist kein Zweifel, trotzdem es außerordentlich geschickt gemacht ist. Ueberzeugen Sie sich selbst!
Lassen Sie, sagte Adalbert; für mich bedarf es keines Beweises. Sie werden dem Herrn also diese Anweisung wenigstens nicht auszahlen können.
Diese? rief der Bankier, der vor Erregung am ganzen hageren Leibe bebte. Nur diese nicht? Nicht einen Pfennig kriegt er von mir. Das Geld, das er Ihnen abgeschwindelt hat, muß er wieder herausgeben, der schottische Lump, und wenn er zehnmal ein Lord ist. Ins Zuchthaus soll er, so wahr ich Isidor Flaut heiße!
Es kostete Adalbert keine geringe Mühe, den alten Herrn so weit zu beruhigen, daß derselbe ihm wenigstens Gehör schenkte. Er habe seine speziellen Gründe, den Mann zu schonen. Jemand, der das Opfer eines Schwindlers geworden sei, gelte immer als Dummkopf, auch wenn vorher kein Mensch an die Möglichkeit eines Schwindels gedacht habe. In seinem Falle werde die Höhe seiner Verluste den Spott der Leute noch besonders herausfordern. Sodann wünsche er Missis Douglas zu schonen, um so mehr, als dieselbe eine intime Freundin seiner Frau sei, die Dame auch mit in das Gerede gezogen würde.
Das ist alles ganz schön und gut, sagte der Bankier, sich den kahlen Schädel reibend; aber es ist doch ganz undenkbar, daß der Mensch ungestraft ausgeht, und Sie ihm noch obendrein das schöne Geld schenken, von dem es mir schon immer leid gethan hat, daß es aus dem Lande solle.
Es soll nicht aus dem Lande, sagte Adalbert, und ungestraft soll er auch nicht bleiben, verlassen Sie sich darauf. Ich spreche noch heute abend, spätestens morgen früh wieder vor. Adieu inzwischen.
An der Thür des Kontors, zu der ihn der Bankier begleitet hatte, blieb er stehen:
Apropos, Herr Flaut, können Sie mir sagen, was auf englisch heißt: Sie sind ein Schurke.
You are a scoudrel; sagte Herr Flaut; man kann auch › a rascal‹ sagen.
Ich danke Ihnen.
Er reichte dem alten Mann nochmals die Hand und ging.
Der Besuch bei dem Bankier hatte doch längere Zeit in Anspruch genommen. Der Fünfuhr-Zug war schon herein, Mylord bereits auf seinem Zimmer. So berichtete der Wirt, den Adalbert wieder im Vestibül traf. Mylord hatte sich sehr gewundert, als er gehört, daß Mylady bereits seit drei Uhr mit der Frau Baronin ausgegangen und noch nicht wieder zurück sei. Mylord erwarte die Rückkehr von Mylady jede Minute. Er habe es sehr eilig, da er bereits mit dem Baseler Siebenuhr-Zuge fort wolle, um morgen in Montreux für die Ueberführung der Leiche seines verstorbenen Herrn Bruders nach England die nötigen Ordres zu geben. Mylady werde vorläufig hier bleiben, das heiße: wahrscheinlich; bestimmt habe sich Mylord darüber nicht ausgesprochen.
Adalbert sagte, daß er sich sofort zu dem Herrn begeben wolle, mit dem er eine Geschäftsangelegenheit zu besprechen habe, in welcher vielleicht die Anwesenheit des Herrn Wirts auf eine Minute oder so erwünscht sein würde. Ob er in diesem Falle den Herrn Wirt bitten lassen dürfe? Der Wirt versicherte, etwas erstaunt, seine Dienstwilligkeit zu jeder Zeit. Er habe, so wie so, gerade jetzt in der ersten Etage zu thun.
Adalbert dankte und war bereits auf den ersten Treppenstufen, als jener ihm nachrief, daß Herr von Wolfsberg inzwischen nach dem Herrn Baron gefragt habe und jetzt sich oben bei dem Herrn Professor befinde. Ob er hinaufsagen lassen solle, daß der Herr Baron nun zurück sei? Adalbert bat, damit zu warten, bis er seinen Besuch bei Mister Douglas beendet, und schritt langsam die Treppe vollends hinauf, bei sich murmelnd: Sie und ich, wir beide allein.
Auf dem sonst so vornehm stillen ersten Flur ging es eben ein wenig lärmend zu. Hausdiener und Mägde schleppten mit Betten und Sofas, irgend ein plötzlich notwendig gewordenes Arrangement auszuführen. Adalbert meinte, der Lärm könne nicht schaden, im Fall bei der bevorstehenden Begegnung doch einer oder der andre die Stimme lauter erheben sollte, als es sonst bei nachbarlichen Besuchen zwischen gebildeten Herren in einem Hotel ersten Ranges Sitte ist.
Der Lärm verhinderte ihn auch, zu vernehmen, ob man auf sein Klopfen von drinnen geantwortet habe. Er trat deshalb ohne weiteres in das Zimmer, und da Douglas in dem zweiten Zimmer war, wo er ihn zwischen Koffern oder dergleichen unter halblaut ausgestoßenen Flüchen, wie es schien, kramen hörte, benutzte er die Gelegenheit, sich in dem Gemache zu orientieren. Auf der Konsole vor dem Spiegel zwischen den beiden Fenstern brannten zwei Lichter, die das mäßig große Zimmer hinreichend erhellten. Die Wand gegenüber dem Schlafgemach hatte keine Thür nach dem Nebenzimmer. Daß das Schlafgemach keinen andern Ausgang hatte, als eben nach dem Wohnzimmer, wußte er zufällig aus der Unterhaltung der Damen: ein Entrinnen für den Hallunken gab es also nicht. Eine Waffe lag wenigstens nicht offen da; falls der Sekretär an der geschlossenen Wand in seinen zum Teil halb herausgezogenen Kästen eine barg, so würde er ihn verhindern, bis dahin zu gelangen, indem er seine Stellung vor dem Möbel nahm. Nur, daß er dann seinem Gegner die Rückzugslinie in das Schlafzimmer frei ließ, in welchem er sich verbarrikadieren konnte. Aber warum sollte der Hallunke zu seinen übrigen Lastern noch das der Feigheit haben? Der nächste Moment würde es entscheiden.
Er sagte laut auf französisch – der Sprache, in welcher er noch immer mit dem Schotten gesprochen hatte, trotzdem derselbe deutsch soweit ganz gut verstand: Haben Sie eine Minute für mich, Herr Douglas?
In dem Schlafzimmer, dessen Thür nur angelehnt war, wurde es still. Douglas mochte in Hemdsärmeln gewesen sein, denn er zupfte noch an dem Rock, als er jetzt die Thür vollends aufstieß und hereintrat mit verstörtem Gesicht, dem er vergeblich ein Lächeln abzuzwingen suchte, als er sah, wer der unwillkommene Besucher war.
Mein Gott, lieber Baron, Sie sind es! Ich habe Ihre Stimme gar nicht erkannt! rief er, ebenfalls auf französisch, indem er auf Adalbert mit ausgestreckter Hand zukam. Was führt Sie zu mir?
Er war bis auf zwei Schritte herangetreten und blieb stehen, verwundert, daß der andere seine dargebotene Hand nicht nahm, die er nun langsam sinken ließ, während er demselben mit einem mißtrauischen Blick in das ernste Gesicht spähte.
Ich möchte heute ausnahmsweise deutsch mit Ihnen reden, sagte Adalbert. Vorher nur vier Worte, die ich mir eben von meinem Bankier habe sagen lassen, auf englisch, damit Sie dieselben in Ihrer eigenen Sprache hören. Ich hoffe, daß ich sie richtig behalten habe: You are a scoundrel!
Das hagere Gesicht des Schotten überzog jäh Leichenblässe, während er ein paar Zoll zurückzuckte, aber nur, um zu dem Faustschlage auszuholen, den er nun mit furchtbarer Gewalt nach dem Gesicht des Gegners führte. Aber Adalbert war darauf vorbereitet gewesen. Den Schlag mit der linken Hand parierend, hatte er im nächsten Moment den Mann mit beiden Armen gepackt, emporgehoben und rücklings auf den Boden geschleudert, daß das ganze Zimmer krachte, die Leuchter erklirrten und der Staub aus dem Teppich in dicken Wolken aufstieg.
Zuerst glaubte Adalbert, er habe den Mann getötet. Derselbe lag regungslos mit weit von sich gestreckten Armen und halb offenen verglasten Augen. Aber, als er sich über ihn beugte, fühlte er, daß sich die Brust, wenn auch in unregelmäßigen Bewegungen, hob. Er ging in das Schlafgemach, in welchem Licht brannte, und kehrte mit einer Schüssel voll Wasser zurück, von dem er reichlich in das Gesicht des Ohnmächtigen sprengte. Es währte auch nur kurze Zeit, als derselbe wieder zu sich kam, sich mühsam auf dem Ellbogen emporzurichten versuchte, indem seine verstörten Blicke durch das Zimmer irrten, um endlich auf Adalbert haften zu bleiben mit einem Ausdruck, in welchem sich Haß und Verwunderung seltsam mischten. Offenbar konnte der erprobte Boxer, der unübertreffliche Lawn-Tennis-Mann nicht begreifen, daß ihm ein anderer an Körperkraft so weit überlegen sei. Adalbert, den es schon längst gereut hatte, seine Stärke so ausgiebig angewandt zu haben, half dem Manne, der im physischen Sinne länger kein Gegner für ihn war, vollends empor, führte ihn nach einem Fauteuil, wo er ihn Platz nehmen ließ, bot ihm Wasser aus der Karaffe auf dem Tisch, die er vorhin hinter seinem eigenen Hut und Ueberzieher nicht gesehen hatte und zog dann für sich selbst einen Stuhl heran.
Er wollte sich jetzt in den Worten mäßiger halten, als eben im Handeln, und jede direkt beschimpfende Wendung vermeiden, wenn es möglich war. Daß es sehr schwer sei, merkte er oft genug, während er nun – doch wieder auf französisch, um dem bleichen Mann, der noch immer von Zeit zu Zeit schwer aufatmete, das Verständnis nicht unnötig zu erschweren – sagte, was er zu sagen hatte.
Auf der anderen Seite war es ihm eine große Erleichterung, als er im Lauf der Rede bald herausfand, daß dies viel weniger sei und sich in viel weniger Worten abmachen ließ, als er vorher gemeint. Er brauchte sich nur auf die Details gar nicht einzulassen, nur die Thatsachen aneinander zu reihen, welche in der verbrecherischen Laufbahn des Mannes gleichsam die Hauptetappen waren: sein erster Diebstahl an dem Kameraden, sein zweiter an Mister Swalwell, schließlich – mit einer flüchtigen Hindeutung auf den Pariser Skandal, der ihm aus dem Berichte Hildes nicht ganz klar geworden war – die Fälschung, die er mit der Anweisung verübt.
Den ersten Fall, fuhr er fort, will ich als verjährt betrachten. Er würde indessen doch wieder zur Sprache kommen müssen, wenn Sie die beiden andern nicht unbedingt einräumten. Aber ein Ableugnen würde Ihnen nicht helfen. Zur Konstatierung des zweiten brauche ich nur Herrn Swalwell her zu bemühen. Für die des dritten hat Herr Flaut das Dokument in seinem eisernen Schrank; ich meinesteils würde die Veränderung, die Sie mit den ursprünglichen Ziffern vorgenommen, mit meinem Eid erhärten können. Es fragt sich nun, ob Sie, was ich Ihnen hier zur Last gelegt habe, einräumen?
Er machte eine Pause. Die Antwort des Schotten war ein schneller, tückischer, von Haß vergifteter Blick.
Ich nehme das also an, fuhr Adalbert fort. Auf eine Handfertigkeit, wie sie in dem letzten, mich speziell betreffenden Falle zur Anwendung gebracht ist, steht in Deutschland eine entehrende Strafe. Es ist – vorausgesetzt, daß Sie sich in alles, was ich Ihnen vorschlagen werde, gutwillig fügen – nicht meine Absicht, die Gerichte mit unsern Angelegenheiten zu behelligen. Ebensowenig aber, Ihnen das Geld, das Sie mir abgenommen haben, zu lassen. Ich selbst will es nicht wieder haben; es würde mir keinen Segen bringen. Sie werden also einen Revers unterschreiben, in welchem Sie auf die Gesamtsumme der bei Herrn Flaut liegenden Anweisungen in ihrem wirklichen Betrage verzichten. Diesen Revers behalte ich für mich. Dagegen werde ich in Ihrer Gegenwart dem Hotelier eine Anweisung in genau demselben Betrage auf Herrn Flaut übergeben zum Besten der milden Stiftungen dieses Ortes. Sind Sie damit einverstanden?
Wieder kam als einzige Antwort derselbe tückische haßerfüllte Blick.
Gut; sagte Adalbert. So erlauben Sie, daß ich die betreffenden Dokumente aufsetze. Ich finde wohl in Ihrem Sekretär das Nötige?
Er erhob sich, nahm eines der Lichter vom Spiegel, trug es zum Sekretär, schrieb bedächtig die beiden Stücke und kam mit denselben und dem Lichte zu dem Tisch zurück.
So! sagte er; dies wäre für Sie zur Unterschrift; Sie haben Zeit, es ruhig zu überlesen, während ich den Hotelier kommen lasse.
Er klingelte und ließ durch den alsbald eintretenden Kellner den Wirt bitten, der dann auch eilfertig kam, augenscheinlich höchlichst verwundert über den Anblick, der sich ihm bot: seine Lordschaft, der mit bleichem, verzerrten Gesicht in dem Fauteuil mehr lag als saß, und den Herrn Baron, der an dem Tische, auf welchem ein einsames Licht brannte, hoch aufgerichtet stand, in der Hand ein Papier, das dieser ihm jetzt überreichte, mit der Bitte, den Inhalt laut vorzulesen:
»Ich, Kurt Adalbert, Baron von Osseck auf Ossecken, Hauptmann z. D., überweise hiermit der Stadt Baden-Baden zur geeigneten Verwendung für ihre wohlthätigen Anstalten die Summe von –«
Der Wirt war so erschrocken über die Höhe der Summe, daß er das Blatt sinken ließ, um erst seine Lordschaft, dann den Herrn Baron anzustarren. Aber seine Lordschaft regte sich nicht, und der Baron sagte ruhig:
Bitte, weiter!
Der Hotelier las stotternd bis zu Ende.
Ich danke Ihnen, sagte Adalbert, ihm das Blatt aus der Hand nehmend; unterschreiben wollte ich in Ihrer Gegenwart. So!
Er setzte seinen Namen unter das Dokument und überreichte es dem Hotelier mit der Bitte, dasselbe sofort an die Adresse des Magistrats zu befördern, auch in seinem Namen hinzuzufügen, daß das Geld jeder Zeit bei dem Bankier Flaut erhoben werden könne. Ob der Herr Wirt die Güte haben wolle?
Der Wirt war vor Verwunderung keiner zusammenhängenden Rede mächtig. Er stotterte nur einige halb unverständliche Worte von beispielloser Großmut und tiefgefühltem Danke und zog sich zurück mit mehrfachen Verbeugungen gegen Adalbert und einem unsichern Blick nach seiner Lordschaft, der noch immer regungslos vor sich hin brütete und zweifellos in der seltsamen Verhandlung eine Rolle spielte, deren genauere Kenntnis zu den Pflichten eines diskreten Hoteliers nicht gehörte.
So, sagte Adalbert, als sich die Thür hinter dem sich Entfernenden geschlossen hatte, das wäre so weit in Ordnung. Nun das übrige.
Er strich sich über die Stirn. Bei der Erinnerung an das schöne, unselige Weib, welches er nun doch, bevor sie mit Hilde das Hotel verließ, einen Augenblick gesehen hatte, ihr zu sagen, daß ihr die Gastfreundschaft von Ossecken alle Zeit zu Gebote stehe, wollte die innere Empörung zu ihrem Rechte kommen. Aber er hatte sich vorhin das Wort gegeben, fortan wenigstens äußerlich ruhig zu bleiben, und so sagte er denn ruhig mit zuckenden Lippen:
Die Dame, welche in Ihrer Gesellschaft war, hat sich in meinen Schutz begeben. Sie hat bereits seit mehreren Stunden das Hotel verlassen und ist jetzt unterwegs nach einem Orte, wo sie vor Ihnen sicher ist. Wie ich Sie beurteile, liegt Ihnen nichts ferner, als der Wunsch, das grauenhafte Unrecht, das Sie an jener Dame begangen haben, wieder gut zu machen, soweit das überhaupt denkbar ist. Die Dame ihrerseits hat nur einen Wunsch, den: Ihnen niemals wieder im Leben zu begegnen. Um Ihnen für Ihren Teil die Respektierung dieses Wunsches zu erleichtern, ersuche ich Sie, sobald Sie wieder in Ihre Heimat gekommen sein werden, wozu ich Ihnen acht Tage gebe, die Grenzen derselben nicht wieder zu verlassen. Ich möchte Ihren Landsleuten die Ehre Ihrer Gesellschaft vorbehalten sehen. Jedenfalls würde ich, sobald Sie meinen Weg wieder kreuzten, jede Rücksicht außer Augen setzen und ohne Gnade und Barmherzigkeit ein Exempel an Ihnen statuieren. Ebenso würde ich verfahren, sobald Sie die Stirn hätten, eine Ehe eingehen zu wollen. Die Männer mögen sich selber vor Ihnen hüten, die Frauen, wenigstens die anständigen, will ich vor Ihnen schützen. Glauben Sie nicht, daß dies leere Drohungen sind. Ich habe sehr weitreichende Verbindungen bis in die höchsten Kreise. Ein Wort von mir über Sie an gewisse Persönlichkeiten – ein Wort, dem man unbedingtesten Glauben schenken würde – und Sie sind ein verlorener Mann trotz Ihrer Lordschaft. Ich mache mir so schon Skrupel, daß ich Ihnen auch nur den Schein von Respektabilität lasse. Aber ich denke, ich kann es verantworten, wenn ich Sie in die Welt schicke mit einer Kette am Bein, die ich fester halten werde, als der gute Herr Swalwell.
Er sah nach der Uhr und erhob sich, indem er zugleich Hut und Ueberzieher vom Tische nahm.
Es ist sechs Uhr, sagte er. Sie wollen mit dem Siebenuhr-Zuge fort. Ich nehme an, daß Ihre Kräfte soweit hergestellt sind. Die Sachen der Dame finden Sie wohlverpackt in den betreffenden Koffern; die Schlüssel stecken dran. Sie mögen darüber disponieren. Die Dame selbst ist in dem Anzuge fortgegangen, in welchem sie vor zwei Jahren in Paris das Unglück hatte, Ihnen sich und ihre Zukunft anzuvertrauen. Leben Sie wohl.
Er schritt nach der Thür und hatte dieselbe fast erreicht, als er ein Geräusch hinter sich hörte und alsbald der Schotte vor ihm stand. Das hagere Gesicht des Mannes war völlig verzerrt, seine Lippen zuckten über den langen Zähnen, er schnappte krampfhaft nach Atem, ehe er mit heiserer Stimme herausstieß:
Diesmal haben Sie die Partie gewonnen; das nächste Mal –
Die Wut ließ ihn nicht weiter sprechen. Adalberts Antwort war ein verächtliches Lächeln, das er mit einer Handbewegung begleitete. Der Elende wich auf die Seite, aber ohne völlig Raum zu geben, und fuhr jetzt mit etwas festerer Stimme fort:
Noch einen Moment! Sie haben mir in dieser Stunde so viel Freundlichkeiten erwiesen – ich möchte mich doch gern ein wenig revanchieren, indem ich Sie vor einem guten Freund warne: vor dem Oberst Krell. Sie erwähnten vorhin desselben nicht. Dennoch spielt er in meinem Leben eine wichtige Rolle. Er ist zugegen gewesen bei der Affaire in Paris, auf die Sie hinzudeuten beliebten. Wenn er sich hier den Anschein gegeben hat, mich nicht wieder zu erkennen, so ist das nur gewesen, um ruhig zusehen zu dürfen, wenn Sie sich ruinierten. Er hat mich wieder erkannt, so gut wie ich ihn. Auf mein Wort!
Ein Wort, erwiderte Adalbert gelassen, das aus solchem Munde kommt, gilt mir nichts gegen die Ehre eines preußischen Edelmannes und Offiziers. Gehen Sie aus dem Wege!
Der Schotte stieß, nun ganz zur Seite weichend, ein heiseres Gelächter aus, das noch hinter Adalbert herschallte, als er bereits auf dem Korridor war.
Gott sei Dank! murmelte er; das hätte ich hinter mir. Und nun zuerst waschen! waschen!
Er ging mit langen Schritten den Korridor hinab, als Friedrich hinter ihm hergelaufen kam mit einer Depesche, die soeben eingetroffen sei. Adalbert riß das Blatt auf und las:
»Sie reist um sieben weiter. Bleibe bis zuletzt bei ihr. Komme sofort auf demselben Wege zurück. Hilde.«
Er starrte auf das Blatt, und Friedrich bemerkte, daß die Hand, in der er das Blatt hielt, zitterte. Friedrich hätte schwören mögen, daß die Depesche von der gnädigen Frau war, und daß sie sich das Leben genommen habe, oder zum wenigsten davongegangen sei, um nicht wieder zu kommen.
Und die Frau Generalin läßt den Herrn Baron bitten, doch sogleich zu ihr zu kommen; sagte er. Die Frau Generalin ängstigt sich sehr, weil die Frau Baronin bis zur Stunde nicht zurück sind.
Noch immer starrte der Baron in das Blatt; aber seine Miene war nichts weniger als bestürzt oder traurig; er lächelte vielmehr so in sich hinein und schien sich an der vertrackten Depesche nicht satt sehen zu können. Er hatte wohl nicht einmal die Botschaft gehört.
So erlaubte sich denn Friedrich, dieselbe zu wiederholen mit der Nüance, daß die Frau Generalin über das Ausbleiben der Baronin »sich ganz furchtbar ängstige.«
Es ist schön; sagte der Herr, ich gehe sogleich zu ihr. Und, Friedrich, ich komme nicht zu Tische. Lege mir einen Anzug zurecht – zum Ausgehen – die hohen Stiefel und das übrige! – Du weißt schon.
Friedrich sagte: Zu Befehl, Herr Baron! und ging den Korridor hinab. Als er in den Quergang eingebogen war, blickte Adalbert sich vorsichtig um, faltete die Depesche wieder auseinander und drückte seine Lippen auf das letzte Wort.