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‹Versailles›. ‹Le Nôtre›. ‹Künstelei›. ‹Symmetrie›. ‹architektonisch› ‹französische Regelmäßigkeit›. ‹Hagschere› – wie oft muß ich das hören! Ich mag es aber noch so oft hören, überzeugen kann es mich nicht. Wer wollte freilich bestreiten, daß Le Nôtre die Sache auf die Spitze getrieben hat, auf eine so spitze Spitze, daß es in Geschmacklosigkeit umschlug. Das war ja überhaupt der Irrtum der französischen Renaissance, daß sie die innere Regel äußerlich faßte und hiermit chinesisch ausfiel. Indessen treiben denn wir die Reaktion gegen Le Nôtre nicht unserseits auf die Spitze, wenn wir absichtlich Unordnung im Garten pflegen wollen? Ist denn ein Garten ein zufälliger Schnitz Natur, mit einem Zaun darum? Nein, sondern eine Auslese solcher Pflanzen, welche dem Menschen besondere Freude bereiten, indem sie entweder blühen oder duften oder sonst besonders lieblich anmuten. Soll ich nun diese Pflanzen absichtlich kunterbunt untereinanderwerfen, oder soll ich sie nicht lieber in einer solchen Weise verteilen, daß sie einander gegenseitig heben, daß sie ein ruhiges Bild vorstellen, also mit einem Wort ‹regelmäßig› verteilen?
‹Regelmäßig!› Man nenne mir doch irgend etwas Schönes auf Erden, das nicht regelmäßig wäre. Nehmen Sie zum Beispiel die schönste Frau, die Sie kennen. Hat sie nicht zwei Beine, eines genau so lang wie das andere (ich hoffe wenigstens)? Und zwei Arme, je einen genau gegenüber an der Schulter, nicht den einen vorn am Halse? Und zwei Augen? Das linke haarscharf so groß wie das rechte? Ist es schön, wenn die beiden Augen verschieden blicken, also schielen? Nein, es ist schöner, wenn sie nicht schielen, sondern regelmäßig blicken. Oder ein Tanz. Ist es schöner, wenn ein Paar regelmäßig eins, zwei, drei walzt, oder schöner, wenn beide in freier Abwechslung neben den Takt hopsen? Oder ein Ton. Geben die regelmäßigen Intervalle den Wohlklang oder die zufälligen? Oder ein Gedicht. Läuft nicht ein Epos in dreißigtausend Versen so regelmäßig dahin, daß jeder Vers haarscharf genau abgemessen ist wie der andere? Wäre es schöner, wenn der eine dreizehn Füße hätte, der andere zwei und der dritte vierundzwanzig? Und die Natur selber, welche beständig als Gegensatz zur Regelmäßigkeit angerufen wird, ist sie nicht selber regelmäßig? Der Kristall? Der Diamant? Der Schnee? Ja sogar das Blatt und die Blume? Zeigen Sie mir eine Blume, die nicht regelmäßig wäre! Das Unregelmäßige hebt einzig zeitweilig der Mensch, wenn er einmal zu viele Lineale verschluckt hat, wenn er in Oppositionsfanatismus das Kind mit dem Bade ausschüttet, wenn er jahrhundertelang gedankenlos einen Gedanken wiederholt, welcher seinerzeit als Reaktion Berechtigung hatte, dagegen als ästhetischer Grundsatz gänzlich unhaltbar ist.
Wir haben nicht das letzte Wort. Bilden wir uns doch nicht ein, daß unsere Nachkommen in alle Ewigkeit den Scherz fortspinnen werden, nur ja das gerade Gegenteil von dem zu tun, was Le Nôtre tat. Vielleicht werden sie lieber das Gegenteil von unserm Gartenstil, nämlich das Gegenteil von künstlicher Unordnung, erstreben.
‹Symmetrie.› Die absolute Symmetrie des französischen Gartenstils war ein Geschmacksfehler, die Aufhebung jeder Symmetrie in den Anlagen unserer Gärten ist vielleicht ein noch größerer. Nehmen Sie ein Tor, einen Eingang, einen Weg. Jeder Mensch, der nicht mit Vorurteilen behaftet ist, wird sich befriedigt erklären, wenn links und rechts vom Eingang je ein Baum von nämlicher Art, nämlicher Höhe und Farbe steht, dagegen unbefriedigt, wenn er nur einen Baum dort sieht oder zwei von ungleicher Art und Höhe. Ebenso wird jedermann eine abgemessene Allee schöner finden als eine ungleiche, unordentliche. Das ist nicht Le Nôtre, das sind wir, das ist jedermann. Soll denn das Schreckgespenst von Le Nôtre ewig unsere natürlichsten ästhetischen Bedürfnisse zum Schweigen verurteilen? Das Bedürfnis jedes gesunden Auges nach Symmetrie und Proportion? Verhüllte, gebrochene, scheinbar aufgehobene Symmetrie, einverstanden, aber Symmetrie.
‹Französischer Gartenstil›, ‹englischer Gartenstil›. Warum vergißt man denn immer die Hauptsache: den italienischen Gartenstil, also den Gartenstil der wahren Renaissance, an welcher sonst wahrlich nicht der Vorwurf der Geschmacklosigkeit haftet?
Die italienische Renaissance hat die erste wichtigste Grundregel des Gartenbaues betätigt, jene Grundregel, welche später von Le Nôtre durch Übertreibung diskreditiert wurde, die Regel, daß der Garten mit dem Hause ein Gesamtbild darzustellen hat, in der Weise, daß der Garten das Haus hebt, recht eigentlich aus dem Boden heraushebt. Diese Regel aber fanden die Italiener durch die Wahrnehmung, daß ein schlecht oder planlos angelegter Garten das Haus entwertet, an ästhetischem Eindruck schädigt, ja geradezu verpöbelt, ein planvoll angelegter Garten dagegen dem Hause Vornehmheit verleiht. Darum überantworteten sie ihre Gartenanlagen dem Architekten, der auch das Haus ersonnen hatte, damit es zusammenstimme. Und hiermit taten sie gescheit, gescheiter als wir, die wir mit unseren englischen Parkwildnissen oder Wildparken keine höhere Aufgabe mehr leisten können, als das Haus zu verstecken.
Sehen Sie sich einmal so eine architektonische Gartenanlage vor den Palästen um Genua an, wo aus dem Garten die Treppen steigen, mit Palmen und Orangen in den Winkeln, und über den Treppen das Haus! Ist das geschmacklos? Ich bitte um recht viel solcher Geschmacklosigkeit. Wenn man an ein Haus planlos einen Garten fügt, der rein nach botanischen, nicht nach architektonischen Grundsätzen geordnet ist, so klebt das Haus auf dem Erdboden wie ein Baukasten, wie dahingeblasen, ohne Notwendigkeit und ohne Zusammenhang mit der Umgebung. Vernünftig mit dem Garten zusammengedacht, wächst es aus dem Garten majestätisch hervor.
Wir brauchen übrigens nicht nach Genua zu gehen. Sehen Sie sich in der Nähe um. Pflanzen Sie zum Beispiel neben ein Haus links und rechts je eine Wellingtonia, so erhält das Haus eine viel größere Glaubwürdigkeit, es steht ästhetisch fester vor Augen als ohne derartige Bäume oder als in einer Baumgruppe.
Hier liegt nun die Unentbehrlichkeit der Nadelhölzer: in ihrer architektonischen Kraft. Wenn dem Architekten seine künstlerische Inspiration sagt: «hier an dieser Stelle bedarf der Garten, um als Gesamtbild voll zu wirken, eines dunklen Tons», so können Sie mit zwanzig Laubhölzern nicht den dunklen Ton erzielen wie mit einem einzigen Nadelstrauch. Wenn ein Nadelstrauch irgendwo steht, so steht er. Er ist wie in Marmor ausgeführt, so fest, so ruhig, so wirksam; so innig vermählt sich der Eindruck mit dem Bilde des Hauses. Nadelholz wirkt wie Säulen und Pfeiler, also architektonisch. Nicht bloß durch die Gestalt, sondern auch durch Farbe und Schattenbildung. Eine Mitte, ein Oben und Unten, ein Vorn und Hinten im Garten, kurz Proportion und Perspektive gelingt überzeugend, das heißt einfach und übersichtlich nur mit Koniferen.
Ferner: Zum Hintergrund von Blumen ist Nadelholz ganz unersetzlich. Wer Laubgebüsch verwendet, um den Rosen eine wirksame dunkle Folie zu verschaffen, tappt fehl. Er mag noch so dick Busch hinter Busch setzen, er erhält stets ein unsauberes, wirkungsloses Düster, niemals einen geschlossenen, dunklen Hintergrund. Dagegen ein einziger Taxus oder Cupressus oder eine Thuja, meinetwegen sogar eine gelbe Thuja, läßt die Rosen sofort aufs herrlichste leuchten. Blumengärten ohne Nadelholzfolie, mögen sie auch wahre Paradiese sein, wirken wie Farbengewimsel ohne feste Zeichnung. Sie behalten etwas Schnellfertiges, Oberflächliches, Provisorisches und zugleich etwas Ländliches; das paßt für Försterwohnungen, Jagdschlößchen, Pensionen, Pfarrhäuser, Chalets oder Dorfmagnatensitze. Ein Garten mit städtischem oder herrschaftlichem Ausdruck läßt sich damit nicht erreichen. Geben Sie dagegen dem Garten erst ein festes Nadelholzgerippe, so gewinnen Sie mit der Hälfte der nämlichen Blumen unendlich viel mehr Leuchtkraft.
Ferner: Welcher Farbe bedarf ein Steinhaus zur Folie? Einer möglichst dunklen Farbe; darum ist die Zypresse der wertvollste aller Gartenbäume. In Ermangelung der Zypresse sind es andere Koniferen. Sehen Sie, wie zum Beispiel Taxus wirkt, wie er sofort einem Steinhause durch seine tiefschwarzen Schatten Bedeutung und Wichtigkeit verleiht.
Ferner: Sie brauchen eine Hecke, die Ihnen das Gefühl gebe, bei sich zu Hause zu sein und nicht beim Nachbar oder auf der Straße oder in der offenen Welt. Versuchen Sies: die Flecke wird Sie nie befriedigen, Sie nie völlig abschließen, wenn Sie nicht Nadelholz, also zum Beispiel Taxus oder Thuja, dazu verwenden. Das sage ich, trotzdem ich von jeher Thuja nicht ausstehen konnte.
Ferner: Nachdem Sie werden angefangen haben, Laubbäume und edlere Nadelhölzer zu mischen, werden Sie mit Erstaunen beobachten, daß jeder Umtausch eines Laubholzes gegen ein feines Nadelgehölz Ihrem Garten sofort einen vornehmen Charakter verleiht. Sie mögen es vor sich selber nicht zugeben wollen, es hilft nichts, Sie werden zuletzt von Ihrem Auge gezwungen, das einzugestehen.
Ferner: Wenn wir allmählich genauer sehen und urteilen lernen, werden wir bald an den Laubbäumen innerhalb des Gartens einen Charakterfehler entdecken, der uns je länger, desto unleidlicher werden wird. Die Blätter lügen. Im Mai kommen sie, im Oktober gehen sie. «Sind sie darum vom Mai bis Oktober minder herrlich?» Das kommt darauf an, wer sie ansieht. Ist Flittergold, ist falscher Diamant, ist ein gutgedruckter unechter Teppich minder schön, weil er unecht ist? Sie sehen, die Frage ist nicht so einfach zu beantworten. Das Kind, der Unerfahrene oder Ungebildete nimmt das Unechte, wenn es ebenso schön für die Sinne ist wie das Echte, unbedenklich an. Dagegen gibt es Menschen, welche das sinnlich ebenso schöne Unechte verschmähen, andere, die es geradezu verabscheuen und hassen. Und so ergeht es mir mit den Laubbäumen im Garten. Dieses haltlose Geflitter, das mich jedes Jahr während sechs Monaten feige im Stich läßt, das mir den ganzen Winter über Besenstiele ins Gesicht streckt, das wird mir je länger, desto mehr zuwider, wie Papiergold und Glasperlen und Baumwollensamt.
Wirken Koniferen düster? Das kommt auf das Klima und auf die Gattungen der Koniferen an. Unter hellem Sonnenschein, im Süden, wirkt keine Konifere düster, im trüben Norden jede. In Süddeutschland werden die Cupressus und Edeltannen vornehm wirken, die Rottanne bedeutet eine spitze Finsternis. Wie einer da seine Wohnung durch mürrische Rottannen in eine Wolfsschlucht verwandeln mag, ist mir immer unbegreiflich geblieben. Es sieht aus, als hätte der Eigentümer einen zoologischen Garten anlegen wollen für Eulen, Krähen und Bären. Der Winter in Permanenz mitten im Sommer. Ich habe immer das Gefühl, Pelzhandschuhe anziehen zu müssen, wenn ich solche Tannhäuser sehe. Die Venus dazu fehlt gewöhnlich oder zeigt sich uns nicht.