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Schmetterlinge

Ist Ihnen nicht schon aufgefallen, daß Blumenliebhaberei und Schmetterlingsliebhaberei keineswegs so gewöhnlich miteinander verbunden erscheinen, wie es natürlich wäre? Daß die Männer durchschnittlich erträgliche Schmetterlingskenner, aber klägliche Blumenkenner sind, während die blumenkundigen Frauen kaum über die gröbsten Grundanschauungen hinsichtlich der Schmetterlinge verfügen? Wie sollen wir das erklären?

Ahmen wir die Rechner nach, welche schwierige Aufgaben auf kleinere Maße zurückführen, betrachten wir das verschiedene Verhalten von Knabe und von Mädchen, und wir werden ohne weiteres begreifen: fast alle Knaben sind erpichte Schmetterlingsfänger. Warum? Den Knaben reizt die Jagd und der Ehrgeiz des Wettstreites im Sammeln. Je älter er wird, desto mehr herrschen diese Beweggründe vor, so sehr, daß mit Vollendung der Sammlung und mit Beginn der kräftigeren Turn- und Soldatenspiele der Schmetterlingssport verächtlich beiseite geschoben wird.

Immerhin spielt auch beim Knaben die Schönheitslust mit, was Sie daraus entnehmen können, daß die unscheinbaren, kleinen, farbenmatten Schmetterlinge von der Sammlung ausgeschlossen werden. Wer hierin eine Ausnahme macht, wer die Motten aufnimmt und die Weißlinge säuberlich klassifiziert, der verrät den künftigen Naturforscher.

Sehen Sie sich dagegen das Mädchen an. Statt des unruhigen, stachelnden Ehrgeizes das bescheidene Pflichtgefühl, statt der Jagdlust Widerwille gegen die Jagd. Der Jagd widerstrebt das sanftere Temperament, der feinere Sinn für Anstand und Maß, welcher den wilden Lauf verwehrt, ferner die Sitte, welche das Mädchen auf das Haus und auf ruhige Spaziergänge verweist, endlich das weichere Gefühl, das den grausamen Mord verabscheut.

Zu diesen edlen Verhinderungsgründen gesellen sich minder preiswürdige.

Vor allem ein unverständiger, aber nahezu unüberwindlicher, weil instinktiver Ekel vor dem Gewürm, durch welchen die Aufzucht des Schmetterlings aus der Raupe verleidet wird. So eine nackte Schwärmerraupe mit Gabeln, Hörnern und Warzen ist aber noch dazu ein Wurm mit erschwerenden Umständen, ein ‹qualifizierter Wurm›. Bei weiblichen Personen der ungebildeten Klassen steigert sich der Ekel bis zum Hasse. Jeder Schmetterlingssammler weiß, was für eine Mühe es kostet, Raupen vor den mörderischen Angriffen der weiblichen Dienstboten zu retten, und jährlich werden Tausende der prächtigsten Schmetterlingsraupen von den Bauernweibern den Hühnern vorgeworfen, als wärens Engerlinge.

Es kommen ferner beim Mädchen in Betracht: die geringere Spannkraft der Energie, vielleicht sogar ein etwas weniger scharfes Beobachtungsvermögen; dann der Übelstand der unverständlichen lateinischen Namen, da nur die alltäglichsten Schmetterlinge deutsche Namen haben; endlich die mit den Jahren sich stetig steigernde, von der Natur gewollte Eigentümlichkeit, alles auf die eigene Anmut zu beziehen: Blumen kann man auf den Hut und an den Busen stecken, Schmetterlinge nicht.

Wer aber nicht in seiner Jugend mit der Teilnahme des Jägers und Sammlers das Volk der Schmetterlinge kennen lernte, der hat später die größte Mühe, diese Tiere nur zu sehen, geschweige denn zu schauen und im Gedächtnis auseinanderzuhalten.

Denn jedes Sehen will gelernt und geübt sein. Man sieht bloß, was man unterscheidet, und man unterscheidet nur, wofür man sich einmal interessierte und was man mit Namen zu nennen weiß.

Der ungeübte Blick nimmt den fliegenden Schmetterling nur undeutlich als einen bunten Blitz wahr und dichtet dem sitzenden mit der bewundernden Phantasie Farben an, die er gar nicht hat, ja die überhaupt nicht vorkommen.

Nun möchte ich Sie keineswegs zur Schmetterlingszucht oder gar zum Schmetterlingsmord überreden.

Was ich bezwecke, ist, Ihren Blick für die liebenswürdigen Tierchen zu gewinnen, damit Sie bei geschärfter Aufmerksamkeit eine neue Summe von Naturgenuß ernten.

Handelt es sich doch um ein Wesen, welches mehr als ein anderes Schönheit zum Lebenszweck hat, und zwar mehrfache Schönheit: Schönheit der Farbe, in unserer grasgrünen Natur nicht zu unterschätzen; Schönheit der Bewegung und Symbolschönheit. Hiermit meine ich nicht etwa das willkürlich dem Schmetterling vom Menschen hinzugeträumte Symbol der Beseelung, der Erhebung, der Unsterblichkeit, sondern das natürliche, durch die Wirklichkeit gegebene Symbol des Sommerglückes. ‹Sommervogel› nennt ihn ja das Volk; ich möchte ihn noch lieber ‹Sonnenvogel› taufen. Ohne Sonnenschein kein Schmetterling, und ohne Schmetterling kein voller Sonnenschein; es fehlt ihm etwas; er blickt nüchtern.

Eine Schmetterlingssammlung ist ein Klavier, auf welchem die Erinnerung die reinsten Harmonien spielt, den ‹Dreiklang› von landschaftlicher Schönheit, von körperlichem Wohlbehagen und von seelischer Zufriedenheit. Und wohlverstanden: jeder Schmetterling singt seinen eigenen, besondern Ton, jeder erzählt ein anderes leuchtendes Waldmärchen, da die verschiedenen verschiedene Lieblingsplätzchen haben.

Der Schmetterling ist, wie Sie wissen, ein mit Flügeln kostümierter Wurm.

Sämtliche Insekten maskieren sich auf ähnliche Weise: Käfer, Wespen, Fliegen und das übrige Geziefer.

Bei diesen geschehen sogar noch merkwürdigere Dinge: fleischfressende Würmer, die sich in pflanzenfressende Käfer, Wasserlarven, die sich in wasserscheue Stechmücken verwandeln.

Allein nirgends ist die Verwandlung für das menschliche Auge so auffällig wie beim Schmetterling, wegen der im Verhältnis zum Wurmkörper riesigen Flügel und der bunten Pracht derselben.

Zwar an Kraft und Schnelligkeit des Fluges übertrifft jede Fliege hundertmal unsere Tagfalter. Indessen empfehlen sich die letztern nun einmal unserm Auge und unserer Phantasie.

Die Phantasie aber dichtet, erfindet und übertreibt. Nicht zufrieden mit dem vorhandenen Unterschied zwischen Schmetterlingsraupe und Schmetterlingsvogel, erweitert sie den Unterschied zum Gegensatz, indem sie die Raupe in die tiefste Wurmsniedrigkeit drückt, den Sommervogel in Engelsgegenden erhebt.

In Wirklichkeit geschieht der Raupe keine Wesensverwandlung, nicht einmal eine gänzliche Umgestaltung, sondern bloß eine auffällige Ausgestaltung von Organen, deren Stummeln schon von Anbeginn vorhanden sind. Die Augen zum Beispiel bleiben die nämlichen, die Gürtel ebenfalls, ja selbst die sechs Beine. Bei der Puppe sehen Sie schon deutlich die Form der Fühlhörner und der Flügel.

Weder das Leben noch das Bewußtsein ist je unterbrochen. Ja, es muß den Schmetterling sogar irgendwelche Erinnerungsempfindung an den Raupenzustand beseelen, da er stets diejenige Pflanze, die ihm einst zur Nahrung diente, für die Eierablage auswählt. Eine dumpfe, verwickelte, aber jedenfalls innige Erinnerungsempfindung, etwa wie unser Heimatgefühl.

Wenn Erinnerung herrscht, waltet vielleicht auch Vorahnung?

Als Hoffnungstraum, wie das die Dichter ausmalen, nicht. Jedoch ohne Zweifel als sehnsüchtiger Wille und verzweifeltes Streben, bedingt durch den Zwang der Not.

Die Flügel sind ein verzweifeltes Arbeitswerk der Puppe, so wie das Puppengespinst ein mühseliges Werk der Raupe ist. Was aber Raupe und Puppe zur Arbeit antreibt, das ist wie überall in der Welt die Bedrängnis.

Denken Sie sich doch einmal in die bemitleidenswerten Lebensbedingungen so einer armen Schmetterlingsraupe hinein, von der hilflosen und regungslosen Puppe zu geschweigen.

Saftig und fett, eine nahrhafte Kompotte von würzigen Pflanzenstoffen mit einer fließpapiernen durchsichtigen Haut umhüllt, wehrlos, schutzlos und unbehilflich wird sie von einer Unzahl von Tieren begehrt.

Ameisen, Spinnen, Mordkäfer und ihre Larven, Wespen, Maulwürfe, Frösche, Eidechsen und Schlangen, Füchse und Wölfe und namentlich das ungeheure Heer der Vögel ohne Ausnahme fallen über den bequemen Leckerbissen her.

Daneben bringen die gewöhnlichsten Naturereignisse, Hagel und Platzregen, eine Überschwemmung, ein Waldbrand oder auch nur ein herabfallender Stein mannigfaltigen Tod.

Und kein anderer Schutz als eine schwache Farbenanpassung an die Umgebung von fraglicher Wirkung, Regungslosigkeit angesichts des Feindes und in der höchsten Not ein plötzlicher Fall auf den Boden!

Gegen die meisten dieser Todesgefahren verspricht der Flügel Rettung.

Anderseits muß die nimmersatte Gefräßigkeit, der schleunige Stoffwechsel und das fabelhaft schnelle Wachstum in Verbindung mit dem Gewürzgehalt der Pflanzen und mit der Besonnung einen von uns mürrischen Menschen schwer nachzuerratenden Überschuß von körperlichem Wohlgefühl verursachen.

Stellen Sie sich ein Kind in einer Stadt von Pudding vor!

So wohnt die Raupe. Die Pflanze, an welcher sie klebt, dient ihr zugleich als Schlafstube, als Lustgarten und als Beefsteak. Und ist ein Haus zu Boden gefressen, so steht daneben schon ein anderes bereit. Das ist ja ein wahres Schlaraffenparadies!

Bei den meisten Pflanzenfressern beobachten wir einen solchen Überschuß an Körperwohlgefühl, an Lebenslust, der sich bei verschiedenen Tieren verschieden äußert, beim Hasen als Fruchtbarkeit, beim Vogel als Jauchzen, bei der Raupe als Farbenfrohmut.

Vergessen Sie hiebei die feine und ausgedehnte Farbenempfindung der Würmer nicht! Sie fühlen die Farben nicht allein mit den Augen, sondern mit der ganzen Haut. Der blinde Regenwurm zum Beispiel soll violette und rote Sonnenstrahlen genau unterscheiden, die einen gierig aufsuchend, die andern fliehend.

Bei den Schmetterlingsraupen nun, welche, beiläufig gesagt, keineswegs den Regen lieben, sondern vielmehr bei anhaltendem Regen zugrunde gehen, bei den Schmetterlingsraupen also in ihren duftigen, grünen, durchleuchteten Stübchen betätigt sich das überquellende Freß- und Farbenglück durch schöpferische Malerkunststücke, durch bunte Bänder, Streifen, Tupfen, durch verblüffenden Farbenwechsel bei jeder Häutung. Vom ersten bis zum letzten Tage wird gemalt. Sogar die regungslose Puppe gönnt sich den Luxus von silbernen und goldenen Schildern.

Erreicht die Raupe durch das Flügelkleid wirklich die erstrebte Rettung und Sicherheit?

Der Tagschmetterling allerdings. Außer den Menschenkindern hat er kaum einen namhaften Feind. Zwar lehrt die Theorie, daß ihm die Vögel nachstellen. Indessen mit eigenen Augen habe ich das auch nicht ein einziges Mal beobachtet. Offenbar winkt den Vögeln im Sommer eine lohnendere Beute als dieser dürre, flatternde Wurm mit den ungenießbaren Fittichen.

Also ein verhältnismäßig sicheres Leben genießt der Tagschmetterling allerdings.

Worin besteht nun sein Leben? Wie lange dauert es? Was dient ihm zur Nahrung und Unterhalt?

Der Schmetterling lebt etwas länger, als man gewöhnlich annimmt, nicht Tage und Wochen, sondern Monate. Einige überdauern sogar den Winter, so namentlich der kleine und der große Fuchs, der Redaktionsschmetterling, der regelmäßig im März als vermeintlicher Frühlingsbote von lyrisch gestimmten Abonnenten auf die Zeitungsstube gebracht wird.

Das Lebensziel jedes Schmetterlings ist die Hochzeit und einzig die Hochzeit. Ist diese vollzogen und hat das Weibchen die Eier abgesetzt, dann meldet sich auch sofort der Tod.

Indessen mit der Hochzeit hat der Tagschmetterling keine Eile. Es behagt ihm gar wohl, in der Rolle eines Strohbräutigams herumzuschweifen.

Daß der Schmetterling sich von Blumen nähre, ist zur Hälfte ungenau und zur Hälfte falsch. Er nährt sich überhaupt nicht, nachdem er als Raupe für sein Leben lang reichlich zusammengefressen hat. Er nascht nur; er erfrischt sich.

Ein Teil sucht zur Erfrischung allerdings die Blumen auf; das tun hauptsächlich die niedern Schmetterlinge; ein anderer und zwar der schönere Teil wird niemals auf einer Blume gefunden.

Es ist daher unrichtig, wenn Dichter und andere Kinder Schmetterlinge und Blumen stets in einem Atemzuge nennen, doppelt unrichtig, wenn sie von Schmetterlingen singen, welche mit Rosen kosen, mit Lilien gaukeln und auf Dahlien schaukeln. Auf Rosen, Lilien und Dahlien können Sie Goldkäfer und Blattläuse fangen oder, wenn Ihnen das Glück hold ist, wohl auch Ohrwürmer, nie und nimmer einen Schmetterling.

Was nascht aber der andere Teil der Schmetterlinge, der nicht nach Blumen fliegt? Pikantere Säfte, zum Beispiel angefaulte Birnen, schmutziges Wasser und Schlimmeres. Ich habe den Schmerz, Ihnen mitzuteilen, daß sämtliche Tagschmetterlinge, die Blumennäscher nicht ausgeschlossen, einen gierigen Appetit nach unreinlichen Stoffen bekunden, und gerade die edelsten und schönsten unter ihnen am leidenschaftlichsten.

Der größte und seltenste Tagschmetterling, nämlich der Pappelfalter, ist überhaupt kaum anders als auf unappetitlichem Wege zu fangen. Vergleiche mit menschlichen Größen werden höflich verbeten.

Da nun der Schmetterling weder regelmäßig Nahrung sucht, noch der Liebe geflissentlich nachgeht, weder Nester baut, noch sonst etwas Zweckmäßiges oder Nützliches oder Pädagogisches treibt, ist er das Ideal eines sorglosen Tagediebes. Spiel ist seine ganze Beschäftigung. Er übt seine neuen Flügel, auf welche er sichtlich stolz ist, nach Leibeskräften fliegend, und sonnt sich. Nicht allein zum Vergnügen. Sein Flügel hat Bewegung und Sonnenschein nötig. Bewegung, um trocken, Sonnenschein, um empfindungswarm zu bleiben. Kühle und Feuchtigkeit paralysieren nämlich den Schmetterlingsflügel. Einen jüngst ausgeschlüpften Schmetterling, dessen Flügel noch nicht gehörig durchsonnt und durchturnt sind, können Sie auf die flache Hand legen, ohne daß er davonfliegt. Nicht als ob er das Fliegen erst lernen müßte; nein, nur die innere Körperfeuchtigkeit hemmt ihn; sobald die Flügel trocken sind, schnellt er flink von dannen.

Weniger auffällig ist die lähmende Wirkung der Kühle; der Flügelstaub schützt wie Pelz und Vorfenster, Luftschichten fangend und abschließend, welche vor plötzlicher äußerlicher Abkühlung bewahren. Wo jedoch ausnahmsweise der Staub fehlt, wie beim Apolloschmetterling und der Mnemosyne, genügt schon eine die Sonne verdeckende Wolke, um durch die Abkühlung den Flügel augenblicklich zu lähmen.

Also Sonne und wieder Sonne und noch einmal Sonne bedarf der Schmetterling. Zum Leben, zum Flug und zum Behagen. Sonne, je mehr, desto lieber. Mittagssonne in Glutkesseln gefangen, vom Blendschein und Widerstrahl der Felsen, Mauern und Landstraßen verdoppelt. Wenn der Mensch vom Hitzschlag getroffen zusammenbricht, wenn die Gemüsegärten vertrocknen, wenn die Ackerschollen aufspringen, wenn die Kreuzottern am lichten Tage herumspazieren, dann wird dem Sommervogel wohl.

Tödlich zuwider sind ihm dagegen Kälte, Nässe, Wind, Schatten und Dunkelheit.

Daß bei Regen keine Schmetterlinge fliegen, weiß jedes Kind. Aber schon der Tau genügt, um ihn darniederzuhalten. Ehe der Tau getrocknet ist, und schiene die Sonne noch so warm, erhebt sich kein Schmetterling aus dem Grase.

Wind zerreißt dem Schmetterling den Flügel; bewegte Luft bei Sonnenschein verlockt wohl manchen zum Flug; allein der Flug wird alsdann hastig, freudlos, fluchtähnlich.

Zarte warme Schatten, zum Beispiel die Blätterschatten eines von der Sonne bestrahlten Baumes, werden mit Lust zu Verschwindungsspielen benützt, kleine schwarze Schlagschatten eilends zurückgelegt, ausgedehnte Schattengebiete durchaus gemieden. Von den beiden Seiten einer durch den Wald führenden Landstraße fliegt auf der Schattenseite kein einziger Schmetterling, auf der Sonnenseite wimmelt es von ihnen.

Nun wissen Sie, wo und wann Sie den Schmetterling nicht suchen dürfen: nicht am frühen Morgen oder erquickenden Abend, nicht im Hochwald, nicht auf schattigen Wiesen oder beschatteten Waldsäumen, nicht in zugigen Geländen, windigen Seegestaden und feuchten Flußufern, nicht auf frischer luftbewegter Bergeshöhe.

Ferner, aus andern Gründen: nicht in unsern herrschaftlichen Gärten, und wären sie noch so sonnig, blumenreich und still. Ich behaupte nicht, Sie werden niemals im Garten einen Schmetterling sehen, aber Sie werden an jedem beliebigen andern sonnigen Ort ihrer mehr und schönere sehen.

Warum? Weil unsere Gartenblumen entweder Ausländer oder Kinder der Gärtnerkunst sind, welche zu unsern Schmetterlingen eine fremde Sprache reden.

Eine Rose ist für einen Schmetterling, was eine italienische Arie für einen Gemeinderat.

Wenn einmal der Schmetterling Blumen begehrt, dann müssen es einheimische Wildlinge sein, also mit einem Wort Unkrautblüten; vor allen die Skabiose, die wahre Schmetterlingsblume.

Sollte ich Ihnen unter den Sonnenöfen und Unkrautparadiesen der Natur besondere Lieblingsversammlungsplätzchen der Tagschmetterlinge nennen, so würde ich das Wort wagen: Der Schmetterling ist ein Saumtier. Er liebt die Grenzen und Gemarken, die Ufer der Straßen und Wege, die Ränder von Wald, Feld und Wiese, die Abhänge von Felsgebirgen.

Ferner alles, was die Einförmigkeit durchbricht, Gehöfte, Mauern, bäurische Obst- und Küchengärtchen und Dörfer. Denn der Schmetterling scheut die menschlichen Ansiedelungen nicht.

Überdies gibt es Gegenden, in welchen die Schmetterlinge zahlreich, und wieder Gegenden, in welchen sie nur spärlich gedeihen. Und hinsichtlich des Vorkommens der einzelnen Arten ergänzen sich die Länder. Tiere, die in dem einen Land für selten gelten, erscheinen in dem andern häufig; und fast jedem Lande fehlt diese oder jene Art gänzlich.

Nur einen Landstrich kenne ich, der sie alle hegt und zwar alle in großer Zahl. Das ist der südliche Abhang des Jura von Baden bis Neuenburg. Wenn Sie an einem schönen Sommertage von Olten auf der großen Landstraße nach Hauenstein spazieren oder von Hägendorf nach Bäriswil oder von Balsthal auf der alten Poststraße nach Langenbruck oder von Attisholz über Solothurn zu den Felsen unterm Weißenstein oder von Twann oder Neuenstadt den Weinberg hinauf nach Prêles, so werden Ihnen so ziemlich alle Arten von Tagschmetterlingen begegnen. Sie brauchen gar nicht erst nach ihnen zu suchen.

Lassen Sie mich Ihnen jetzt unsere schönsten Tagschmetterlinge in Kürze einzeln vorführen, indem ich Sie mit der Phantasie zu den Lieblingsplätzchen eines jeden geleite.

Nehmen wir an, wir säßen an einem sonnigen Vormittag im Freien hinter einem ländlichen Wirtshause auf dem Kegelplatz. Vor unsern Augen: Wiese und Baumgarten mit Stall und Scheune. Links, im hellsten Sonnenschein leuchtend, ein kleines Küchengärtchen, Salat und Gemüse, ein paar Streifen Sommerflor darin, Buchshecken darum, auf den Pfaden rote Lohe, in der Mitte ein Miniaturspringbrunnen mit ein paar Goldfischlein, kurz eines der frohmütigen Gärtchen, wie es hier herum jedes Dorf hat, wie man es aber draußen in der Welt in solcher Farbigkeit bei Bauernhäusern nicht wiederfindet, als höchstens etwa im Schwarzwald, im Thüringischen und in Österreich. Rechts ein mit Brennesseln überwuchertes Mäuerchen, in welches sich Schatten und Lichtstrahlen teilen. Dahinter die Straße.

Im Gärtchen flattern Schmetterlinge sorglos und weithin sichtbar von Blume zu Blume. Weißlinge und Zitronenfalter. Die erstern gemein in jeder Bedeutung des Wortes, nämlich nicht bloß alltäglich, sondern auch unedel im Gebaren, zudringlich, täppisch, mit einem torkelnden Flug, dem jeder Rhythmus mangelt. Nur ein Weißling verdient vom ästhetischen Standpunkt Aufmerksamkeit: die kleine zierliche Aurora mit den ziegelroten Bändchen an den Flügelecken. Die müssen Sie aber im Frühling aufsuchen, wo sie mit kopfloser Hast, als wollte sie einen Purzelbaum schlagen, über die veilchenduftenden Wiesen jagt.

Der Zitronenfalter dagegen, dieses abenteuerlich gezipfelte Blatt mit den lieblichen Rosabeinchen, der sich wie ein Käfer tot stellt, wenn man ihn faßt, ermüdet trotz seiner Häufigkeit kaum das Auge; zumal er zu den wenigen gehört, welche unsere Blumengärten schmücken.

Während in dem Gärtchen die Schmetterlinge unserm Auge standhalten, so daß wir sie mit Leichtigkeit beobachten können, ob sie fliegen oder sitzen, geschieht auf dem Mäuerlein und seiner Umgebung ein völlig andersartiges Spiel. Dort hausen die Verschwindungskünstler, die chinesischen Schattenspieler. Braunrote Farbenschimmer schnellen waagrecht durch die Luft, unten gefolgt von ihrem schwarzen Widerschatten. Im Flug nicht leicht zu unterscheiden, und wenn sie sich auf die Mauer setzen, sind sie wie weggeblasen.

Unfehlbar ist der kleine Fuchs dabei beteiligt, vielleicht auch der große, die eigentlichen Mauerschmetterlinge. Aber wir dürfen auch einen vornehmen Gast in ihrer Mitte vermuten. Wirklich huscht ein Schatten vorbei, welcher dunkler ist, der Flügelschlag schnellt rascher, blitzähnlicher, gefolgt von ruhigerem Schweben. Das Tierchen läßt sich plötzlicher nieder und ist noch endgültiger verschwunden. Das war ein Pfauenauge. Da lohnt sichs schon aufzustehen. Wir treten behutsam näher und näher zu dem Balken, auf welchem wir es verschwinden sahen. Keine Spur. Wir stehen unmittelbar davor. Nichts. Da bewegt sich ein brandschwarzer Schatten, den wir für ein Loch im Balken hielten. Der Schatten dreht sich, spaltet sich, und zwei wunderbare Purpurflügel öffnen sich wie ein Kelch, die bekannten Prachtaugen weisend. Erst vorsichtig, dann immer wollüstiger klappen die Flügel, endlich liegen sie in ihrer ganzen Herrlichkeit breit und unbeweglich im Sonnenschein. Mit einem Male schließen sie sich, und ohne ersichtliche Ursache ist das Tierchen abgeflogen.

Beim Pfauenauge kommt die Verschwindungskunst mit dem Pfauenstolz und der Sonnentrunkenheit in Konflikt. Der Virtuose der Unsichtbarkeit ist das kleine C-Album. Wie aus der Pistole losgebrannt, stürmt es hoch oben in der Luft daher, um plötzlich im wildesten Lauf ohne jede Vorbereitung platt auf den Boden zu stürzen, wie auf den Kopf geschlagen. Weg ist es. Es braucht schon ein geübtes Jägerauge, um es von der Erde zu unterscheiden; und wenn man es endlich erblickt, so stürmt es meist auch wieder weiter. Alles am C-Album ist bizarr. Die tief eingezackten Flügel, welche wie zerrissen aussehen, das weiße C auf der grauen Rückseite, die possierliche Raupe, weiß und rot geteilt, mit einem Haarbüschel.

Inzwischen rückt der Sonnenschein vor, und wir müssen uns näher ans Haus zurückziehen.

Über das Dach segelt ruhig und groß ein schwarzgelber Falter, bewegt sich zitternd nahe dem Boden, suchend, unschlüssig, wohin er sich setze, erhebt sich langsam, fällt wieder herab, laviert links und rechts, verschwindet um die Hausecke, kommt an der andern Ecke wieder zum Vorschein, umkreist den Stall und läßt sich schließlich nach vielem Zögern auf den beschmutzten Boden nieder, wo er nun, ohne sich um die Knechte und Pferde zu kümmern, sitzen bleibt, oder, wenn einmal aufgescheucht, bald wieder sich von neuem ebendahin setzt nach Art der Tauben. Das ist unser traulicher Schwalbenschwanz, der Heimatvogel, der gleich der andern Schwalbe die menschlichen Wohnungen aufsucht und dessen kaum minder stattliche Raupe in den bäuerlichen Rübengärten aufwächst.

Trotz seiner Häufigkeit wird dem Schwalbenschwanz niemand den Rang unter den vornehmsten Faltern absprechen, am wenigsten der Naturforscher, der ihn wegen seiner körperlichen Vollkommenheit auszeichnet und wegen seiner hochadligen Verwandtschaft ehrt. Linné schlug ihn und seinesgleichen zu ‹Rittern›. Seinesgleichen gibt es aber in Europa nur noch zwei, und nur einen nördlich der Alpen, den Segelfalter. Die übrige Verwandtschaft wohnt im heißen Asien und Amerika. Die ungeheuerlichen geschwänzten, in Gold- und Samtfarben strotzenden chinesischen und brasilianischen Riesenschmetterlinge, die Sie in exotischen Sammlungen bewundern, sind die Vettern des Schwalbenschwanzes.

Nicht überall indessen kommt der Schwalbenschwanz so häufig vor wie im Kanton Bern. Um Basel und Zürich habe ich ihn nie gesehen, überhaupt ihn auf meinen europäischen Streifereien zehn Jahre lang vermißt.

Darf ich es gestehen? Ihm zuliebe bin ich neulich über den Brünig spaziert. Was wollen Sie? Heimatschmetterling. Ich hoffe, dieser Name entschuldigt mich.

Sollen wir nochmals einen Blick in das Gärtchen werfen?

Viel Neues würden wir darin schwerlich entdecken. Höchstens etwa noch den brummenden Taubenschwanz mit seinem langen Saugrüssel, den er wie einen Spieß in den Blumenkelch streckt, während er, pfeilschnell von Blüte zu Blüte eilend, dann und wann in der Luft schwebend anhält, die gleich Maschinenrädchen schnurrenden Flügel so rasch bewegend, daß man sie gar nicht mehr sieht. Der Unterschied des hummelförmigen Taubenschwanzes in Gestalt und Betragen von den übrigen Schmetterlingen überrascht selbst das unaufmerksamste Auge. Er erklärt sich übrigens auf einfache Weise, indem der Taubenschwanz gar nicht zu den Tagfaltern gehört, sondern zu den Abendschwärmern, trotzdem er sich gegen Gesetz und Recht am hellen Tage herumtreibt. Da wir aber die gewaltigen schönen Abendschwärmer: den Oleander-, den Liguster-, den Weinschwärmer, den Totenkopf und die übrigen leider nie im Fluge beobachten können, weil sie nur in dunkler, gewitterschwüler Dämmerung fliegen, müssen wir am Taubenschwanz ihr Gebaren studieren. Und deswegen wird uns der kleine, dicke, graue Gesell interessant.

Begeben wir uns an einem andern Ort auf die heiße, staubige Landstraße, die gegen den Wald führt.

Zu beiden Seiten Wiesen, Äcker, Felder. Zwischen Feld und Straße ein schmales Bord von schlechtem Gras und Unkraut.

In den Wiesen wimmelt es von Schmetterlingen. Wolkenweise flattern sie auf, wenn wir hindurchschreiten. Aber lassen Sie sich nicht verführen. Das ist Schmetterlingspöbel. Liebenswürdig und durch das fröhliche Getümmel erfreulich, aber im einzelnen unbedeutend.

Zwei Chöre bilden die Hauptmenge. Der weiße Chor, unter welchem das zierliche Damenbrett am ehesten Beachtung verdient, und der braune Chor.

Der letztere entstammt dem nahen Waldsaume, wo seine Heimat ist und von wo er Ausflüge unternimmt.

Die Sippschaft der Bräunlinge ist ungemein reichhaltig. Die Wissenschaft zählt Hunderte von dahingehörigen Arten auf. In der Tat gleichen sie einander nur beim ersten oberflächlichen Blick. Sieht man näher zu, so unterscheiden sie sich durch gelbere oder schwärzere Grundfarbe, durch das Gebilde des Flügelauges oder durch dessen Abwesenheit, durch rote Flecken und so weiter.

Da einen indessen hier die deutschen Namen fast völlig im Stich lassen, fällt die Auseinanderhaltung schwer.

Und im Grunde hat man nicht viel verloren. Einzeln genommen, lockt uns keiner einen Ausruf der Bewunderung ab. Und alle miteinander haben einen unbefriedigenden Flug. Sie hüpfen mehr, als daß sie flögen. Die Franzosen nennen sie ‹Reiter›. Es sind aber Sonntagsreiter.

Wohl könnten wir bei geduldigerem Nachforschen in der Wiese manchen kleinen sehenswerten Falter entdecken, doch wir haben anderswo Besseres zu erwarten.

Das schmale Band von Ungras zum Beispiel längs der Straße ist schon ergiebiger. Zwischen den niedersten Halmen oder auf kleinen Blüten oder am liebsten in der fast ausgetrockneten Gosse, wo noch etwas Feuchtigkeit rinnt, glänzen die niedlichen, winzigen Bläulinge, die lebendig gewordenen Vergißmeinnichtchen, so schön, so blau, als wäre der blaue Himmel in Flocken heruntergeschneit. Kein Wunder, wenn die Wissenschaft sie mit den schönsten Namen beehrt. Adonis heißt zum Beispiel einer von ihnen. Ein Kranz von vielen kleinen Äuglein ziert den Flügel, ein Band von Fransen säumt ihn. Einige sind unscheinbar braun. Das sind die Weibchen.

Skabiosen fehlen gewiß nicht am Straßenbord. Und auf jeder Skabiose schmaust im Hochsommer wenigstens ein Insekt, wenn nicht ein halbes Dutzend Käfer, Fliegen und Schmetterlinge.

Sicher finden Sie darauf, wie eine prächtige Agraffe fest eingehackt, ein sonderbares Tierchen mit schwarzem Leib, abenteuerlich verschnörkelten pechschwarzen Fühlhörnchen und seidenen Flügelchen, welche bald karmoisinrot, bald smaragdgrün, bald dunkelblau leuchten, immer aber metallisch glänzen. Das krabbelt käfergleich, meistens zu zweien, auf der Blüte herum und läßt sich gar nicht wegscheuchen.

Das sonderbare Ding ist ein Nachtschmetterling, namens Zygäna oder Widderchen. Das Widderchen ist das Symbol der Kornernte, da Sie es zur Erntezeit zu Hunderten zwischen den goldenen Ähren auf den Skabiosen finden. Das arme kleine Geschöpfchen hat einen beklagenswerten Vorzug. Es ist fast nicht umzubringen.

Mittlerweile hat uns die Landstraße unvermerkt an den Eingang des Waldes geführt. Eine Unzahl von Bräunungen begrüßt uns, mehr und mehr überhandnehmend, während die Weißlinge schwinden. Wir wählen natürlich die Sonnenseite des Waldes.

Junge Tannen, Haselgebüsch, Brombeerwirrsal, Buchendickicht zieht sich den steilen Waldhang hinan. Dazwischen blühen allerlei Hecken: Weißdorn, Schlehen, wildes Geißblatt und ähnliches.

Sofort erscheinen völlig neue Schmetterlingsgeschlechter.

Hier herrscht der Perlmutterfalter mit seinem größern Verwandten, dem Kaisermantel. Sie sind die Genien der Waldessonne. Wo Sie den Perlmutterfalter an den blühenden Hecken hangen sehen, da wählen Sie sich ein Plätzchen am Boden, breiten eine Decke darüber und lassen sich ein Stündchen oder zwei nieder. Denn es sind die gesundesten und seligsten Stellen der Erde. Ein berauschender Tannenduft umhaucht Sie, das Gemüt befriedigt sich bei den entzückenden Spielen der Sonnenstrahlen in den Büschen, während der Gedanke, durch das wonnige Idyll beruhigt, das Sorgen und Mühen vergißt und das Träumen lernt. Hier finden Sie, was am schwersten zu finden ist, die Gegenwart.

In Gesellschaft des Perlmutterfalters fehlt niemals die kleine feine Sibylle, ein samtschwarzer Edelstein mit weißen Bändern, zu dem rötlichen Perlmutterfalter einen wohltuenden Farbengegensatz bildend. Freilich, um die Sibylle in ihrem vollen Wert zu schätzen, muß man sie nicht nur an den Weißdornblüten schmausen sehen, man muß sie im Fluge schauen, längs einer einsamen leuchtenden Allee von Hasel- und Buchenbüschen. Auf niedriger Höhe, kaum mannshoch, mit völlig flach ausgebreiteten Flügeln schwimmt sie in waagrechter Bahn schnell, aber stetig dahin, gleich einem Schiefertäfelchen, das man über einen Strom rikoschettiert, immer hart an den Büschen. Auf der einen Seite schwimmt sie hin, auf der andern wieder her. Sie mißt die Ränder der Allee mit ihrer Fluglinie wie mit einer Meßleine.

Die Sibylle ist der Schmetterling des goldenen Waldeszwielichts, wie der Perlmutterfalter der heißen Waldblöße.

Im blassen Schwefelzwielicht im einsamem Jungwalde, aber an den nämlichen Heckenblüten, begegnen Sie vielleicht dem Segelfalter, dem scheuen Bruder des zahmen, traulichen Schwalbenschwanzes. Der Segelfalter kommt auch anderswo vor, aber das Spiel mit den Sonnenringen vor einem Heckenblütenlabyrinth gewährt ihm besondere Lust, wobei die Übereinstimmung seiner blaßgelben Flügel mit den zarten Strahlenfensterchen gewiß etwas zu tun hat.

Soll ich den stattlichen Trauermantel zu den Waldschmetterlingen zählen? Er begegnet einem überall, wo man ihn am wenigsten erwartet, zum Beispiel auf den Boulevards von Paris, und selten da, wo man ihn sucht. Auf breiten, einsamen Waldwegen allerdings fast sicher. Wo er übrigens erscheine, immer besiegt er mit seiner Größe, mit seiner düstern Purpurfarbe, mit seinem hochschwebenden, langsam schwimmenden Fluge alle andern Falter an Unmittelbarkeit des Eindrucks. Auch wer sich sonst gar nicht um Schmetterlinge kümmert, wer ein Pfauenauge nicht beachtet, der bleibt doch stehen und sieht hin, wenn sich ein Trauermantel in seiner Nähe niederläßt. Der Trauermantel ist ein nordischer Schmetterling. Seine Raupe zieht die Birke jeder andern Nahrung vor und wird daher in den Birkenländern, also in Rußland, Finnland und Schweden noch häufiger gefunden als bei uns.

Begeben wir uns wieder an ein anderes Plätzchen, diesmal an das Gestein.

In einen Steinbruch einzutreten, am blendenden Mittag, dazu haben Sie wohl kaum jemals Lust verspürt. Tun Sies mit mir in der Phantasie. Vielleicht wagen Sies später in der Wirklichkeit.

Der Steinbruch scheint alles Lebens bar. Aber wenn Sie nach einer der Unkraut-Oasen des Kraters schreiten, wo sich Bienen, Käfer und Taubenschwänze von ferne bemerkbar machen, scheuchen Sie unterwegs mit den Füßen rote Gespenster auf. Das fliegt wie die Funken von Raketen auseinander, teils stumm, teils schnarrend, den Blick mit dem leuchtendsten Zinnoberrot verwirrend. Dann ist auf einmal wieder alles mäuschenstill und tot. Von dem roten Feuerregen auch kein Fünkchen auf dem Boden zu erblicken. Hexenspuk.

Daß eine graubraune Heuschrecke, die auf dem Boden sitzt, einer der Hauptfeuerwerker war, würden Sie ihr nicht ansehen. Nämlich die hat ihre roten Unterflügel weislich versteckt. Kommen Sie aber dem Tierchen zu nahe, so geschieht ein Schwirren, ein roter Schimmer blendet durch die Luft. Die Heuschrecke ist verschwunden. Andere Heuschrecken haben blaue Röckchen.

Die Heuschrecken sind die zahlreichsten, die lautesten, aber keineswegs die schönsten der roten Eulenspiegel. Das prächtigste Rot entstammt zweien Schmetterlingen, denen Sie die Identität ebenfalls nicht ansehen, wenn Sie sie ruhend erblicken.

Der eine sieht wie ein dreieckiges Stückchen Schokolade aus, durch welches man Würfelchen von Rahm, in Silberpapier eingewickelt, gezogen hätte. Die Schokolade haftet am Boden oder auf einem Zweig. Schwerlich ahnen Sie, daß Sie ein lebendiges Geschöpf vor sich haben. Husch! Ein roter Purpurschein, dem Sie bewundernd nacheilen, aber wenn Sie nicht erfahren sind, gewiß ohne Erfolg.

Der andere, bedeutend größer, aber auch seltener, ersetzt die Schokolade durch Kaffee und die Würfel durch Tupfen. Er ist pelziger, schwerfälliger, und, wenn man ihn einmal zu Gesicht bekommen hat, leichter zu verfolgen und zu fangen.

Die beiden sind Nachtschmetterlinge, zu der Familie der Bären gehörig, wegen der braunhaarigen Raupe so geheißen.

Der kleinere, beweglichere wird vom Volk ‹Fahne› oder ‹Hexe› genannt, der größere ist der Purpurbär.

Außer etwa einem scheuen Distelfalter, welcher sich im fluchtähnlichen Fluge auf einige Sekunden auf den Boden niederläßt, werden Sie im Steinbruch weiter kaum etwas Bemerkenswertes antreffen. Indessen der rote Karneval genügt; er ist ein eigenartiges Stück Leben, das Sie nie wieder vergessen werden, wenn Sie es einmal beobachtet haben. Und wenn man Leben beobachtet hat, so hat man auch etwas erlebt.

Wenn man aber etwas erlebt hat, so erscheinen die umliegenden Dinge vorteilhaft verändert.

Das Auge schaut jetzt, was es vorher nie gesehen, und das ganze Bild gewinnt Inhalt und Wert.

Nun werden Sie wohl auch eine optische Merkwürdigkeit gewahr werden, die dadurch nichts verliert, daß sie sich von selbst versteht. Hier unten im Steinbruch stehen Sie wie auf einer unterirdischen Insel. Das Gras, die Feldähren, die sonst zu Ihren Füßen liegen, thronen jetzt hoch oben am Horizont. Ein Stück Wald lugt mit den Wipfeln ernst herein, sonst nichts als Wolken und blauer Himmel. Also die umgekehrte Bergaussicht, und für das Gemüt ergiebiger als diese, weil wir hier die Welt mit der Phantasie grüßen.

Eine andere Steinlandschaft, der Sie wahrscheinlich mehr Sympathie entgegenbringen. An den steilen Südabhängen des Jura und in den Bachschluchten desselben treffen Sie unterhalb der massiven Felsblöcke eine schräge Ebene von Steingeröll und Geschiebe, als wären Schuttlawinen zu Tal gefahren. Ein Bild der Zerstörung, versöhnt durch ein Paradies von Buschwald und wilden Blumen: Schierling, Thymian, Weidenröslein, oft in Regimentern mannshoch aus dem Schutt emporwachsend. Und ringsherum an den Felsen Rotnelken und Bergskabiosen.

Diese bekränzten Felshalden sind einer der beiden landschaftlichen Hauptvorzüge des Jura. Der andere besteht in den blühenden Heckenguirlanden innerhalb der Wälder.

An den genannten Steinhalden nun wohnt der König der Schmetterlinge, der Apollo. Anderswo in der Welt so selten und so sehnsüchtig begehrt, daß Schmetterlingssammler wie eine märchenhafte Hoffnung den Wunsch äußern, einmal in ihrem Leben einen Apollo fliegen zu sehen. Hier im Jura so häufig und so zahm, daß man an einem Vormittag ein halbes Dutzend davon mit den Händen fangen kann. Sie dürfen sogar die Skabiose, auf welcher der Apollo sitzt, mit der Faust unsanft abreißen, er weicht nicht davon.

Nicht in den roten Ringen, so schön sie an sich sind, beruht die Anziehungskraft des Apollo für den Sammler. Sondern in dem Ruf der Seltenheit, in der Poesie der Umgebung, in den Abenteuern seiner Erbeutung; er ist die Gemse unter den Schmetterlingen und in seinem Flug. Es ist ein Gebirgsflug, steil und kühn, im Aufstieg zwar flatterhaft, mitunter schräg lavierend, dagegen im Niedergleiten ohne Flügelschlag in gewaltige Tiefen fallend. Ehe sich der Apollo niedersetzt, beschreibt er einen eigentümlichen Schleifenzug, den ich den Stern des Apollo nenne. Diesen Stern hat einzig noch die düstere, schwarzbraune, wie mit Pelzwerk verbrämte Proserpina, ein vornehmer, aber seltener Falter, welcher in steinigen Gebirgswäldern unterhalb des hohen Apolloreviers gefunden wird, häufiger laufend wie ein Mäuschen als ruhig sitzend.

Man muß nie zu gründlich sein wollen. Ohnehin ist meine Zeit um. Vieles hätte ich Ihnen noch zu sagen.

Ich will Ihnen statt dessen zum Schluß drei Bildchen skizzieren, wie man einem etwa rasch die Illustrationen eines Buches weist, wenn man für den Text keine Weile hat.

Erstes Bild. Eine Waldwiese, ins Tal fallend. Unten im Tale wird Heu geschichtet. Satte warme Stille ringsum. Dunkle, grüne und schwarze Schatten. Ab und zu aus der Tiefe ein Jauchzen oder ein Glockenklang. Eine Szenerie für Nymphen und Faune mit dem geheimnisvollen Pan, der durch die Wälder schleicht.

Über die gemähten Wiesen stürmt ein weiß- und schwefelgelber oder orangegelber Falter: der Heuvogel oder die goldene Acht. Ich weiß nicht, ob Ihnen dieses Bild etwas sagt. Aber ich empfehle es ihnen zum Erleben.

Zweites Bild. Ein von Weidenbüschen, Ulmen und Pappeln verdeckter Bach unweit seiner Quelle. Ringsum Sennhütten, Triften und Apfelhaine. Die Abendschatten liegen lang und schmal auf dem Grase. Der Sonnenstrahl klettert immer höher und röter an den Bäumen hinauf. Hoch oben, an den Grenzen von Sonne und Schatten umfliegen die Baumwipfel ein paar Blau-Schillerfalter, wie spielende Falken um eine Schloßruine. Immer höher treibt sie der steigende Bachnebel und die weichende Sonne. Endlich überlassen sie das Quellgebiet der Dämmerung und ziehen zu den höher gelegenen Apfelbäumen, wo sie an einem beleuchteten Aste die letzten Strahlen auffangend sich zum Schlafe lagern, während noch an den Berggipfeln das Abendrot glüht.

Drittes Bild. Oktober. Herdenklang und Hirtenfeuerrauch vom braunen Acker ruhig und steil nach dem glasreinen blauen Himmel emporkräuselnd. Kein Ton, kein Leben. Da setzt sich an den Stamm eines Apfelbaumes ein Admiral, gierig von dem Safte des Stammes saugend. Ein zweiter läßt sich an einem andern Stamme nieder, und nun geht es an ein unermüdliches Platzvertauschen den langen reinen stillen Herbsttag, der einem warm bis ins tiefste Herz scheint, wie das Bewußtsein eines vollbrachten schönen Werkes.

Nun werden Sie vielleicht nachfühlen, warum ich anfangs sagte, nicht wegen der Schmetterlinge, sondern um Ihrer selbst willen empfehle ich Ihnen einige Aufmerksamkeit auf die flüchtigen Blumen der Luft. Versuchen Sies. Betreiben Sie einmal einen Sommer die Augenjagd nach den Sonnenvögeln. Es wird Ihnen eine Augen- und Herzensweide sein. Und wenn Sie an einem heißen Vormittag im Attisholze zwischen einem Labyrinth von duftenden Tännchen in einer Brombeerlichtung einen Menschen liegen sehen, vergnügt wie ein Ferienmittwoch im Kalender, zur Linken eine Kreuzotter, über ihm eine Wolke von Perlmutterfaltern, rechts ein Büschel vernachlässigter Kleinpflichten, so denken Sie, ich seis.


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