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Meine Zypresse

Was tut ein Mensch, wenn er ersucht wird, ‹irgend etwas› zu schreiben? Er besteigt sein Steckenpferd.

Also:

Gleich in meinen ersten Luzerner Jahren, sowie mir zum Bewußtsein kam, ein Gärtlein zu besitzen, setzte ich mir in den Kopf, eine lebendige italienische Zypresse in meinem Gärtlein zu haben. Warum? Weil die Zypresse ein ganz besonderer Baum ist, an welchem es täglich etwas Neues zu sehen gibt, ferner darum, weil die Zypresse dem ganzen Dasein ein südländisches Gepräge verleiht. Ich mochte mich gerne als Südeuropäer fühlen, und darum wollte ich den Vierwaldstättersee nötigen, italienisch zu lernen. Freilich hatte ich dabei die Natur zum Gegner, denn jedermann weiß und sämtliche Pflanzenbücher bestätigen es, daß die echte Zypresse, also die ‹Zypresse Böcklins›, unsern Winter nicht übersteht. Niemand, der mir nicht eifrig davon abriet, mancher, der meinen Gedanken als närrisch verlachte. «Glauben Sie denn vielleicht stärker zu sein als die Natur?»

Nun, aller Vernunft, allen Warnungen zum Trotz habe ich heute wirklich eine neun Meter hohe Zypresse im Garten stehen. Wie ich das erzielt habe? Mit viel Torheit, wenig Weisheit und Verstand und ein klein bißchen Wissen. Die Torheit lehrte mich den Glauben: «Ich wünsche es, ich will es, es muß gehen; folglich wird es gehen.» Die Weisheit sprach zu mir: «Probieren geht über Studieren, und ob es schon sehr unwahrscheinlich ist, daß dir eine Zypresse glücklich davonkommt, so ist es doch immer noch wahrscheinlicher, sie kommt dir davon, wenn du eine in den Garten setzest, als wenn du keine in den Garten setzest». Der Verstand wieder flüsterte mir zu: «Es ist ein Lotteriespiel. Wer eine einzige Lotterienummer erwirbt, hat weniger Wahrscheinlichkeit auf Gewinn, als wer zehn Nummern erwirbt». Folglich setzte ich statt einer einzigen Zypresse gleich zwanzig Stück in den Garten, hoffend, daß mir vielleicht eine von den zwanzig werde übrig bleiben. Endlich das bißchen Wissen: «Die Pflanzen halten viel mehr aus, als man gewöhnlich glaubt; und was im Neuenburger Klima gedeiht, das darf man ohne allzu große Vermessenheit wohl auch dem Luzerner Klima zumuten.»

Also eine Zypresse von den zwanzig ist mir geblieben – ein paar Krüppel zähle ich nicht mit –, und das Artigste daran dünkt mich, daß mir gerade jene geblieben ist, die ich zum Opfer für die übrigen bestimmt hatte. Nämlich diese eine hatte ich exponiert gepflanzt, der Wintersonne zum grausamen Spiel, damit ihr schützender Schatten die übrigen möglicherweise rette. Die übrigen kamen um, diese gedieh. Klingt das nicht geradezu erbaulich? Man wird beinahe pädagogisch gestimmt.

Und nun, was weiter? Ob meine Zypresse schön sei, ist Geschmackssache. Sie ist eher nicht schön; eindrucksvoll jedenfalls ist sie nicht, wenigstens noch nicht; eine Zypresse von neun Metern ist eben noch ein Kind, höchstens ein Backfischlein. Aber mit jedem halben Meter, den sie fortan vielleicht noch gewinnt, wächst ihre Bedeutung und ihr Wert ganz gewaltig. Sollte sie jemals, was ich freilich nicht zu hoffen wage und was ich jedenfalls nicht erlebe, zwölf Meter hoch oder noch höher werden, so würde sie ein kleines Weltwunderchen vorstellen, welches die Blicke der Kenner von weither auf sich zöge. Daß es dazu komme, habe ich allerdings nur eine sehr, sehr schwache Hoffnung; weit wahrscheinlicher ist, daß sie mir eines strengen Ausnahmewinters zugrunde geht. Aber wenn auch, ich habe es doch durchgezwungen zu erreichen, was ich wollte, und das macht freudig und stolz; ich habe auch schon eine Unsumme von Augenglück an meiner geliebten Zypresse genossen. Falls sie daher eines Tages stirbt, so rechne ich ihr das nicht zum Vorwurf, wir machen es ja auch so. Dann behalte ich sie halt in freundlichem Angedenken, bitte, machen Sie es auch so!


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