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Die Weisheit von den nützlichen und schädlichen Tieren

Zwei Stände scheinen von den alttestamentlichen Propheten das Vorrecht geerbt zu haben, allemal wenn sie zum Volke reden, grob zu werden. Das sind die Herren Ärzte und Zoologen. Wer uns eine populäre Abhandlung über Gesundheitspflege oder eine Apotheose des Maulwurfs spendet, der tut das unabwendbar in einem strafenden Stil, als ob ein Erzengel zu Nebukadnezar spräche.

Wenn ich mich nun nach dem Schlüssel dieser polternden Unfehlbarkeitstonart umsehe, so gewahre ich als einzigen plausiblen Erklärungsgrund die Gewohnheit, alle Festtage das Gegenteil von dem zu lehren, was man eben erst als Evangelium gepredigt hatte. Heute sollen wir im geheizten Zimmer, morgen bei gefrorenem Waschbecken schlafen; ein Jahr Kreuzzüge gegen Krähen, Störche und Eulen unternehmen, ein anderes Jahr sie auf Staatskosten ernähren wie Nationalhelden. Daß die Herren überdies ewig untereinander selber uneins sind, hindert sie durchaus nicht, im Gegenteil; damit gewinnt man den Vorteil, uns um so sicherer auszuzanken, was wir auch immer tun und lassen mögen.

Der eine nennt uns Narren, weil wir die Regenwürmer nicht systematisch genug ausrotten, der andere Toren, weil wir sie nicht nach Gebühr verehren. Gescholten werden wir auf jeden Fall; und darauf kommt es ja schließlich einzig an. Es muß offenbar ein Hochgenuß sein, seine Mitmenschen herunterzukapuzinern. Das gibt einem einen Halt, wenn man in einer Angelegenheit sicher selber nicht im reinen ist.

 

Da sind nun soeben die geliebten Galgenvögel, die akademisch hochprotegierten Krähen, urplötzlich wieder als schädlich erkannt worden. Wohlverstanden: schädlich für den Obstgarten, dagegen nützlich für den Acker. Eine Kartoffelgemeinde soll demnach die Krähen schonen, ein Kirschwasserbezirk sie zusammenschießen. Sehr schön. Wie aber, wenn die Krähen, trotzdem sie weder Paß noch Schriften besitzen, über die Gemeinde- und Kantonsgrenzen hinausfliegen? Oder wenn einer Obst und Korn zugleich gepflanzt hat? Soll ich dann vielleicht die Krähen halbieren? Ihnen den linken Flügel und das rechte Bein abknallen? Oder sie per Schub durch die Polizei an den richtigen Ort zurückbefördern? Oder sie an einer Schnur am Kartoffelacker festbinden? Oder wie soll ich mich überhaupt gegen das Aas benehmen? Etwas tun muß ich, sonst werde ich von beiden Teilen abgekanzelt, von den Krähianern und den Antikrähianern. Auch muß ich es rasch tun, sonst komme ich zu spät. Denn kaum habe ich Pulver und Flinte gekauft, so wird der Aasheilige unversehens wieder als unantastbar ausgerufen.

Wie hilft sich die Menschheit in einem solchen Zweifelsfall? Nun, sie erläßt Gesetze, Verordnungen und Verbote. Zwar tappen diese vollständig im Dunklen; zwar muß man sie alle paar Jahre wieder zurücknehmen; zwar wird in einem Kanton eine Bestie heilig gesprochen, die der Nachbarkanton mit Schußprämien verfolgt; immerhin, man merkt doch wenigstens, daß man regiert wird, daß ein hemmender Wille herrscht, ob auch der Wille nicht weiß, was er will. Von der Wissenschaft verspottet und gescholten, von der Obrigkeit gemaßregelt, das ist doch wenigstens symmetrisch.

Ich weiß nicht recht, was ich mehr bewundere, die christliche Geduld der Behörden und animalischen Vereine, mit welcher sie sich Jahr für Jahr ohne Murren von der Theorie die Statuten wieder über den Haufen werfen lassen, statt die Theorie ein für allemal heimzuschicken, oder vielmehr die selbstzufriedene Zuversichtlichkeit, mit welcher die Theoretiker ihre unfertigen Beobachtungen dem Volke um die Ohren schlagen. Es ist ja gewiß ein finanziell erhebender Gedanke, den nützlichen Tieren Vorschub zu leisten und den schädlichen das Handwerk zu legen; das schmeckt nach nationalem Wohlstand und riecht nach Statistik; der Übelstand ist nur der, daß kein Mensch weiß, welches Tier im allgemeinen nützlich und welches schädlich ist. Und zwar weiß der Mensch das je länger, desto weniger, da jede vermeintliche Gewißheit über diesen Gegenstand alsobald durch neuere Beobachtungen umgestoßen wird. Wer es aber am allerwenigsten weiß, das sind gerade jene, welche das grobe Wort führen, jene, welche den Landwirten, Jägern und Förstern die Verhaltungsmaßregeln vorschreiben möchten, die Herren von der Doktrin. Der Landwirt, der Gärtner, der Jäger wird doch durch eigene und ererbte Erfahrung einigermaßen in den Stand gesetzt, zu beurteilen, welches Tier seinem besondern Berufsinteresse zuwiderbeißt. Das ist einseitig, aber die eine Seite steht doch leidlich fest und stellt sich nicht alle Augenblicke auf den Kopf wie eine Holunderhexe. Es wird wahrscheinlich wahr sein, daß der Engerling der Landwirtschaft, der Fuchs der Jagd, die Amsel dem Obstgarten Abbruch tut. Freilich deshalb Fuchs und Amsel schlechthin als schädlich zu brandmarken, wäre ein voreiliges Urteil. Ich sage es noch einmal: Niemand weiß, wer ein schädliches und wer ein nützliches Tier ist; die ganze Weisheit über diese Frage ist eine Aberweisheit.

Was will man denn überhaupt mit einem nützlichen oder schädlichen Tier sagen? Die Antwort lautet: Verschiedene Berufs- und Interessengruppen meinen hiemit Verschiedenes. Nehmen wir die verschiedenen Interessen in Kürze durch.

Der naive Mensch nennt nützlich ein solches Tier, das er mit Appetit und mit Erfolg essen oder dem er die Haut über die Ohren ziehen kann, um sich daraus einen Wintermantel zu schneiden, oder das sich zu irgend einer andern gewaltsamen Ausbeutung eignet; schädlich nennt er ein solches, das ihn beißt oder das ihm die eßbaren Tiere vor der Nase wegschnappt. Das ist der ursprüngliche Standpunkt, auf welchen sich einst die ganze Menschheit gestellt hat und auf welchem der Jäger und der Viehzüchter noch heute stehen. Man lasse sich nicht durch die wohlklingenden Redensarten von ‹Schonung› und ‹Schutz› über die egoistische Handlungsweise des Menschen täuschen. Ein nützliches Tier kommt da nicht besser weg als ein schädliches; das schädliche wird getötet, weil es schädlich, das nützliche erst recht, weil es nützlich ist; denn ich kann es ja nicht lebendig essen. Wie das unsere Schulbücher so schön ausdrücken: «Die Kuh ist ein nützliches Tier; sie ‹gibt› uns Milch, Butter und Käse; ihr Fleisch ist schmackhaft und nahrhaft; die Haut ‹dient› zu –, aus den Hörnern ‹macht man› –, aus den Klauen ‹macht man›» –. Auf deutsch: Wir rauben zuerst der Kuh ihr Junges, um es zu töten und aufzuessen; hernach stehlen wir ihr die Milch, die von der Natur für das Junge bestimmt war; um sie dafür zu entschädigen, schlachten wir schließlich die Kuh selber. Sie hat allerdings zum Trost dafür das erhebende Bewußtsein, ein ‹nützliches Tier› genannt zu werden. Wir ‹schonen› die Kuh, wir sind väterlich für ihr Wohlgedeihen besorgt, auf daß sie runder und saftiger würde, damit wir mehr an ihr zu beißen haben. Es ist ungefähr die ‹Schonung›. die der Einbrecher übt, wenn er wartet, bis der Rentier seine Zinsen auf der Bank bezogen hat, ehe er sich an die Kasse macht. Auch der Jäger, der über den Mord einer Geiß oder Häsin ein moralisches Entrüstungsgeschrei von sich gibt, tut dies wahrlich nicht aus weichherzigem Mitleid mit der Tiermutter, sondern weil eine Geiß ein zinsbringendes Kapital von Rehböcken vorstellt und weil es ein schlechtes Geschäft ist, das Kapital zu verjubeln. Der Jäger wird fetter, wenn er die Rehböcke ißt, welche die Geiß legen wird, als wenn er die Geiß selbst ißt.

Die gesamte Tierschonung des Jägers und Viehzüchters läuft auf das Exempel von dem Huhn hinaus, das goldene Eier legt. Solch ein Rentenhuhn wird mit einer Zärtlichkeit gehätschelt, das den Neid manches Kindes erregen könnte; aber die goldenen Eier schonen? Oha! so war es nicht gemeint. So steht es mit den nützlichen Tieren bei Jägern, Viehzüchtern, ohne Unterschied. Der Viehzüchter sieht zwar friedlicher aus als der Jäger, weil er keinen Schnurrbart hat, nicht mit dem Mordgewehr herumschleicht und elbene Hosen statt der fürchterlichen Wasserstiefel trägt. Aber hinter dem friedlichen Bukoliker lauert der blutige Metzger. Der Jäger ist Züchter und Metzger in einer Person. Viehzucht ist überhaupt nichts anderes als Jagd in der Vorsicht und im Vorrat. Anstatt immer von neuem dem Büffel in den Wäldern nachzulaufen, was ermüdet und mitunter foppt, statt wochenlang bei zufälligem Büffelmangel zu hungern und dann wieder wochenlang sich zu überessen, gewöhnt man den Büffel besser ans Haus als vertrauensseligen Ochsen; und da die Erfahrung lehrt, daß sich Ochsenfleisch am besten konserviert, so lange es noch am lebendigen Ochsen haftet, läßt man den Ochsen einstweilen leben, bis es Zeit für den Metzger ist. So verhält es sich mit der idyllischen Denkungsart des friedlichen Hirten.

Als schädliche Tiere betrachten Jäger und Viehzüchter gleicherweise die Konkurrenten im Fleischkonsum, mithin das Raubzeug. Sie gehen hiebei von der etwas subjektiven, aber unanfechtbaren Erfahrungstatsache aus, daß Hasenbraten oder Kalbsbraten besser schmeckt, wenn man ihn selbst ißt, als wenn ihn Bären oder Füchse bekommen.

Der Viehzüchter hat es nun meist mit den größern Raubtieren zu tun, in den kalten Gegenden mit Wolf, Bär, Luchs, Adler und Lämmergeier, in heißen Ländern mit Löwen, Panthern, Hyänen und so weiter. Aus Fabeln, Märchen, alten Volksliedern und Sprichwörtern können wir noch schwach ahnen, welche beständige, furchtbare Raubtiergefahr über dem europäischen Viehzüchter schwebte; heute ist diese Gefahr beinahe in das Gebiet der Sage entrückt; statt der Raubtiere sind es die Schulden, die Betreibungen und die Ganten, vor welchen der Hirt zittert. Der Hirt erweist sich übrigens gegen seine gehaßten Todfeinde, das große Raubzeug, ohnmächtig, weil er nicht Zeit, Mittel und Kunst hat, das Raubtier zu verfolgen und in seinen Schlupfwinkeln auszurotten. Es ist der Jäger, der ihm diesen Dienst erwiesen hat.

Der Jäger seinerseits meint mit schädlichen Tieren weniger die großen Fleischfresser als das kleinere Raubzeug, den Fuchs, den Marder und namentlich die Raubvögel; die Jagd hat kleinere, aber viel mehr Feinde als die Viehzucht. Der Unterschied läßt sich einfach und ziemlich genau auf den Unterschied von Ochsenbraten und Fasanenbraten zurückführen. Die Feinde der jungen Wildhühner, Hasen und Rehe sind die Feinde der Jagd, und dieser Feinde sind Legion; darum muß auch der Jäger seine freilaufenden Schützlinge immer von neuem vor dem Raubzeug behüten, indem er das letztere wegschießt. Das Großvieh des Viehzüchters dagegen hat gegenwärtig von Raubtieren kaum mehr etwas zu befürchten. Daher wiederum die friedlicheren Gebärden des Hirten.

Hätten nun Staat und Nationalökonomie einzig mit Jagd und Viehzucht zu rechnen, so wäre das Eingreifen mittelst Schutz- und Schonungsmaßregeln wohl angebracht, weil hier übereinstimmende Interessen klar und deutlich vorliegen. Diese Klarheit wird jedoch durch die widerstrebenden Interessen des Ackerbaues bedenklich verwischt. Nämlich der Ackerbau kassiert die Sprüche der Viehzucht und der Jagd über die nützlichen und schädlichen Tiere, ja verkehrt sie vielfach ins Gegenteil.

Ackerbau ist die systematische Produktion von gut schmeckenden Pflanzen oder von Nährpflanzen, wenn das wissenschaftlicher lautet. Der Ackerbau kennt keine direkt nützlichen Tiere, höchstens Hilfstiere, deren physische Kraft er gleich der Kraft einer Maschine in Tätigkeit setzt. Die Geißel übernimmt die Rolle des Dampfes. Am liebsten könnte dem Ackerbauern die ganze Tierwelt gestohlen werden; je weniger ihm davon über den Weg läuft, desto besser. Die gesamte freie Tierwelt wird dem Ackerbauer mehr oder minder direkt schädlich, wenn sie sich auf seinem Revier einstellt; am wenigsten die Raubtiere, am meisten die Pflanzenfresser, seine Konkurrenten in der Pflanzenkost: also das Jagdwild, vornehmlich Hase und Reh, die Hühner, ein Teil der Singvögel, die Nager und vor allem das ungeheure Heer der Insekten. Nager und Insekten sind die Todfeinde der Landwirtschaft, während die Wühler nur störend wirken, als Wildschweine im kleinen. Es sind also die Erbfeinde des Jägers und Viehzüchters, nämlich das Raubzeug, dem Ackerbauer, dem Gärtner und Förster Hekuba; ja, vielfach sind sie sogar seine Verbündeten. Andererseits sind die Schützlinge des Jägers seine Feinde, zum Beispiel Hase, Reh und Gemse; selbst die Schützlinge der Viehzucht widerstreben eigentlich seinen Interessen; die Ziege frißt dem Förster die jungen Bäumchen, dem Weingärtner die Rebe; Haushuhn, Kuh und Pferd sind im Gemüsegarten keineswegs willkommen, nur sorgfältige Einpferchung der Haustiere kann den Landfrieden erhalten.

Ist es da zu verwundern, wenn Krieg zwischen den entgegengesetzten Interessen ausbricht? Wir müßten uns wundern, wenn es anders wäre. In der Tat liegen sich Jagd und Ackerbau, wenn es sich um den Tierschutz handelt, ewig in den Haaren; eine Behörde, die sich da mit Verordnungen hineinmischt, gerät in des Teufels Küche; sie beigt junge Hunde, um ein solothurnisches Sprichwort zu benützen. Kaum hat sie den Gemsen Freiberge angewiesen – Gemsen und Alpenklubs brauchen bekanntlich Freiberge –, so kommt der Landwirt mit kläglichen Petitionen gegen das verderbliche Treiben der Gemsen angestiegen; kaum tritt ein wohldurchdachtes Jagdgesetz in Kraft, so zeigt sich auch schon der ‹Wildschaden›, das heißt der Schaden, den das obrigkeitlich geschonte Wild den Feldern zufügt. Wenn man also einmal schon von nützlichen und schädlichen Tieren reden will, so muß man sich zuerst darüber verständigen, ob man den Vorteil der Haustierwirtschaft oder denjenigen der Landwirtschaft im Auge hat, ob man auf Hasenbraten oder auf Blumenkohl abzielt. Beides zu verbinden, ist eine Aufgabe für das Aschenbrödel, welches Erbsen und Linsen auseinanderlesen soll; wenn da nicht wundertätige Ameisen zu Hilfe eilen, wird die Aufgabe unfehlbar mißlingen; denn Hase und Kohl, das frißt sich auf. Es gibt mithin eine doppelte Währung hinsichtlich der Effektenberechnung der Tiere, eine Fleischwährung und eine Kornwährung; zwischen beiden heißt es wählen und entscheiden oder aber ewig zwischen beiden hin und her perpendikeln wie ein abgeworfener Gummiball.

Wenn es nun bei der Wichtigkeit der Landwirtschaft für den Menschen berechtigt sein mag, daß in einzelnen Konfliktsfällen die Entscheidung meistens zugunsten des Ackerbaues ausfällt, so wird es andererseits erlaubt sein, beiläufig und anmerkungsweise es einmal auszusprechen, daß die Eingriffe des Landwirtes in das Tierleben weit mehr dem natürlichen Gefühl des Menschen zuwiderlaufen als diejenigen des Jägers. Die Landwirtschaft ist ein grausames Gewerbe. Sie sieht sich gezwungen, eine Unmasse von Tieren zu vernichten; daß dieselben durchschnittlich klein sind und nicht zu schreien verstehen, ändert daran nichts; denn kleine Gestalt schützt nicht vor großen Schmerzen, und man kann bei verschlossenem Munde ebensoviel leiden wie bei offenem. Zudem sind es gerade die harmlosen Tiere, die der Landwirt verfolgt, jene, deren Tötung wir unsern Kindern so eifrig verwehren. «Ein Würmchen fühlt so gut wie du den Schmerz», spricht der Vater feierlich mit erhobenem Zeigefinger zu seinem kleinen Edi. Sobald jedoch der Edi fort ist, tritt er das Schmerzenswürmchen eilends tot, damit es ihm nicht die Reseda abfresse. «Ein jedes Tierchen hat Gott gemacht», lehrt der Lehrer; wenn er aber abends mit dem süßen Bewußtsein erfüllter Pflicht in den Schoß seiner Familie heimkehrt, liest er die Gottestierchen fein säuberlich vom Blumenkohl und wirft sie den Gotteshühnern zum Fraß hin. Es sind sogar vielfach die liebenswürdigsten und anmutigsten Tierchen, die der Landmann verwünscht, verfolgt und tötet, wenn er kann und darf: Taube und Singvogel, Schmetterling und Käfer. Ich behaupte nicht, er soll das nicht tun; aber ich glaube, es ist gut, wenn man sich dann und wann daran erinnert, wie hart und grausam das ist, was der Mensch von der Natur zu tun gezwungen wird. Und wäre es auch nur, um die pharisäische Entrüstung über das Gewerbe des Jägers zu dämpfen. Im Vergleiche mit dem Gärtner, Förster und Ackerbauern ist der Jäger ein Bienenvater.

Ich muß etwas nachholen. Ein Tier gibt es immerhin, welches der gesamten Menschheit, dem Jäger wie dem Bauern, gleicherweise für unbedingt nützlich gilt. Dieses Versöhnungstierchen heißt Fisch. Aktionäre wie Blechmusiken sind darüber einig, daß Forellen gut schmecken; und da der Fisch die löbliche Gewohnheit hat, im Wasser zu bleiben und nicht in die Kornfelder zu kriechen, sagt auch der Bauer schmunzelnd Amen. Daß freilich ein Fisch den andern frißt, trübt wieder ein wenig den Frieden. Auch darin herrscht eine erfreuliche Übereinstimmung, daß alle Welt von der Voraussetzung ausgeht, der Mensch sei ein nützliches Tier.

Ich denke, die Aufgabe, es Förstern, Gärtnern, Kornbauern, Viehzüchtern und Jägern zugleich recht zu machen, sollte für sich schon genügen, mit gesetzgeberischen Paragraphen über den Tierkomment vorsichtiger und sparsamer umzugehen. Doch die Hauptschwierigkeit kommt erst noch. Es gilt nämlich, noch ein Interesse zu befriedigen, welches weit lauter schreit als alle andern zusammengenommen. Wo in der Welt liegt das und wie heißt es? Ich bin um den Namen verlegen. Die ‹zoologische Wissenschaft›, das wäre unhöflich und auch nicht ganz richtig und billig, da es glücklicherweise doch auch Forscher gibt, die sich lieber um ihre eigenen Aufgaben kümmern als um solche, die sie nichts angehen, wenn schon diese Forscher nicht eben häufig zu finden sind. Ferner geht es hier wie überall; die zuversichtlichsten Rufer findet man nicht unter den selbstforschenden Fachgelehrten, sondern unter jenen, welche die halbfertigen Resultate der Forschung ins Volk weitertragen, die Fragezeichen einfach wegstreichen, die Bedenken verheimlichen und das Sottovoce in Fortissimo verwandeln. Ich will sie den zoologischen Prophetenstand nennen und habe dabei hauptsächlich die kleinen Propheten im Auge, die zorneifrigen Habakuk, die uns alltäglich in Zeitungen, Zeitschriften, Flugschriften und Büchern die Leviten lesen, weil wir angeblich die verkehrten Tiere hassen und lieben, schützen und vernichten. Was für ein Interesse vertreten nun diese Herren? Nun, das Interesse, recht zu haben, es besser zu wissen als alle Welt und uns zu beweisen, daß wir Toren seien. Die zoologischen Gelehrten und Halbgelehrten mischen sich eifriger in die Angelegenheiten des Tierschutzes, als es ihr hoher, idealer Beruf wünscht und der gegenwärtige Stand der Forschung erlaubt. Zu einer Sozialzoologie ist die Wissenschaft noch lange nicht reif.

Merkwürdigerweise ergreift die Schule Partei, und zwar diejenige der Landwirtschaft. Welcher Zoologe uns auch immer predige, immer ist die Kornwährung der Text. Die Verdammungssprüche der Doktrin gelten mithin den Pflanzenfressern, ihre Freisprechungen den Fleischfressern. Das ist wohl und gut, wenn auch beschränkt wohl und gut, da die Landwirtschaft in der Tat den Vorrang vor den übrigen Interessen beanspruchen darf. Aber nicht wohl und gut ist die überschüssige Zärtlichkeit, welche die Herren von der Schule für die Raubtiere und die Schmutztiere vorrätig haben.

Eine Mordbestie nach der andern wird ehrengerettet; wenn man Brehm gelesen hat, möchte man den Königstiger als unschuldiges Lämmchen an einem blauen Seidenband spazieren führen, wie weiland im Paradies. Und man vergleiche doch einmal die lieben Tierchen, die uns immer von neuem in den Familienzeitungen ans Herz gelegt werden; es sind die Kröten, die Spinnen, die Skorpione, die Schlangen, die Stinkkäfer, je garstiger, je mordgieriger, desto lieber. Je instinktiver der natürliche Mensch ein Tier verabscheut, desto sicherer ist es, von der Theorie gehätschelt zu werden. Daß da bloß uninteressierter, nüchterner Wahrheitseifer rede und nicht die Besserwisserei mitspreche? Ich würde es gerne glauben, wenn ich nicht sehen müßte, daß die Herren die Wahrheit mit Advokatenkunststückchen zurechtlegen. Da ist zum Beispiel Er, der Unantastbare, das heilige Wappentier der Schulzoologie: der ‹verkannte› Maulwurf. Mit was für einer Beharrlichkeit wird der Wühlschaden, den der Maulwurf unwiderlegbar den Feldern zufügt, heruntergeschätzt. Das soll gegen den Nutzen, den uns die Mordmaus durch die Vertilgung der Regenwürmer bringt, einfach nicht in Betracht kommen. In dem klugen England, so werden wir belehrt, pflanzen die Gärtner absichtlich Maulwürfe in die Gärten zur Vertilgung der Regenwürmer. Gut. Nun kommt indessen Darwin und beweist, daß der ‹verkannte› Regenwurm im Gegenteil das nützlichste aller Tiere wäre, dem wir nichts weniger als den Erdboden verdankten; wir müßten ihm eigentlich ein Marmordenkmal errichten zwischen Kolumbus, Pitt und Franklin. Auch eine Aufgabe für einen jungen, talentvollen Bildhauer! Schön. Also der Regenwurm ist einer der größten Wohltäter der Menschheit, und der Maulwurf ist nützlich, weil er den Wohltäter vertilgt? Und eine rationelle Landwirtschaft nach dem Herzen der Wissenschaft muß zuerst verkannte Regenwürmer in den Acker säen und nachher verkannte Maulwürfe hineintun, damit sie die verkannten Regenwürmer auffressen? Wenn das dem Bauern nicht einleuchtet, so nennt man ihn vernagelt. Was ist denn ein gescheiter Bauer? Ein gescheiter Bauer ist, wenn einer sich überreden läßt, Kaninchen zu züchten, die er später mit Gift und Prozessionen sich wieder vom Halse schaffen muß.

Man sollte nun denken, daß die wissenschaftliche Zoologie, da sie den landwirtschaftlichen Standpunkt verteidigt, mit dem Bauern ein Herz und eine Seele sein müßte. Es gibt indessen unbequeme Protektoren, zudringliche Ratgeber und verwünschte Vormünder. Im Namen der Landwirtschaft wird die Theorie dem Landwirt aufsässig, bis er vor lauter Hüst und Hott nicht mehr weiß, wohin. Die Propheten finden nämlich, daß der Bauer zu wenig auf die Schule und zu viel auf die Erfahrung hört, daß er nicht rasch genug auf Kommando weiß nennt, was man ihm jahrelang als schwarz demonstrierte, daß er bei Widersprüchen ungläubige Gesichter schneidet, kurz, daß er störrisch ist. Ferner, und das ist die Hauptsache, der Bauer ist dem Propheten nicht Bauer genug und zu viel Mensch; die Wissenschaft möchte den Bauern überbauern. Anders ausgedrückt: es fehlt dem Bauern die rücksichtslose Konsequenz in der Verfolgung seiner landwirtschaftlichen Interessen. Da knallt er zum Beispiel an einem Sonntag einen Hühnerweih herunter und nagelt ihn mit Stolz an die Scheunenpforte, wo er sich recht stattlich ausnimmt. Das war eine unbäuerische Handlung, denn der Hühnerweih kann als nützlich demonstriert werden. Oder die Bäuerin tritt eine Spinne tot; das war abermals unbäuerisch, denn die Spinne vertilgt schädliche Insekten. Hätte nämlich der Bauer den Hühnerweih nicht geschossen, so hätte der Hühnerweih so und so viele Mäuse gefressen, die dann so und so viele Wurzeln nicht gefressen hätten, die so und so viele Weizenkörner eingebracht hätten. Diese ‹wenn› und ‹hätte› sind der Punkt, an welchem die Handlungsweise des Bauern und die Theorie des Gelehrten auseinanderklaffen. Während nämlich der einfache Bauer keine nützlichen Tiere anerkennt, weil er nur den unmittelbaren Nutzen im Auge hat, hält die Wissenschaft eine subtile Weisheit von indirekt nützlichen Tieren für die Landwirtschaft in Bereitschaft, eine förmliche Mathematik. Diesem vierbeinigen Einmaleins, das so viel polternde Überlegenheit verursacht, möchte ich nun einmal auf den hohlen Weisheitszahn fühlen.

Mit der Berechnung der Nützlichkeit oder der Schädlichkeit eines bestimmten Tieres verfährt man nach wissenschaftlicher Methode folgendermaßen: Man geht zunächst von der Annahme aus, daß die Landwirtschaft der einzige zu berücksichtigende Stand wäre; diese Annahme ist zwar falsch, aber das tut nichts zur Sache. Zweitens nimmt man an, daß Engerlinge und Regenwürmer die Erzschelme unter den Tieren wären; die Regenwürmer sind zwar eigentlich nützlich, aber das macht keinen Unterschied. Auf diese beiden Annahmen baut man nun eine einfache Leiter mit weißen und schwarzen Sprossen und liest die Tiere daran wie an einem Thermometer ab. Ein kinderleichtes Verfahren: Wenn zum Beispiel der Engerling schädlich ist, so ist ein Tier, das Engerlinge frißt, indirekt nützlich; wenn aber ein anderes Tier jenes Tier frißt, das Engerlinge frißt, so ist das wieder schädlich und so fort bis auf die höchsten Stufen. Numeriere ich die Skala, so erleichtere ich mir die Übersicht noch bedeutend; denn wenn ich den schädlichen Engerling als eins setze, so wird zwei nützlich, drei schädlich, vier wieder nützlich sein und so weiter. Die praktische Zoologie ist mithin die Wissenschaft von den geraden und ungeraden Tieren. Die ungeraden Tiere sind schädlich, die geraden nützlich. Wem das nicht klar und überzeugend scheint, dem ist nicht zu helfen. Wessen Wortsinn ausgebildeter ist als sein Zahlengedächtnis, der kann sich die Weisheit auch mit Sprüchlein einprägen. Zum Beispiel: Der Jäger, der den Adler schießt, der den Habicht frißt, der den Spatz frißt, der den Wurm frißt, der den Kohl frißt, den der Mensch ißt. Will ich nun wissen, ob der Adler ein schädliches oder nützliches Tier sei, so zähle ich von unten an den Fingern ab: Der Wurm, der den Kohl frißt, den der Mensch ißt, ist natürlich schädlich; der Spatz nützlich, der Habicht schädlich, folglich der Adler nützlich; folglich der Jäger, der den Adler schießt, schädlich. Das sind beileibe keine Possen; mit feierlichem, akademischem Ernst wird tatsächlich der Nutzen eines Tieres alltäglich tausendmal auf die genannte Weise ausgerechnet. Eine einfachere und harmonischere Skala kann man sich kaum vorstellen; man ist versucht, auf den schwarzen und weißen Tieren Klavier zu spielen.

Ein Umstand könnte freilich bedenklich erscheinen: Wenn nämlich auf der vierbeinigen Himmelsleiter eine einzige Sprosse weggenommen oder anders gefärbt wird, so verkehren sich natürlich Nutzen und Schaden sämtlicher überliegender Tiere ins Gegenteil. Also wenn zum Beispiel der Spatz nicht Würmer, sondern Körner fräße, so würde er schädlich, der Habicht nützlich, der Adler schädlich und der Jäger nützlich. Nun, man kann ja durchbrochene Tabellen mit verschiebbaren Unterblättern anbringen, so daß je nach dem neuesten Schuldiktat die ganze schwarze Gesellschaft vor die weißen und die weiße vor die schwarzen Striche zu stehen käme. In der Praxis würde zwar eine heillose Konfusion entstehen, indessen wir haben die heillose Konfusion ohnehin; und die Hauptsache ist ja doch immerhin die Doktrin.

Wenn trotzdem das klare Einmaleins in die haarsträubendsten algebraischen Gleichungen ausartet, gegen welche die Berechnungen der Siriuslaufbahn eine Kleinigkeit sind, so liegt der Fehler nicht an der Wissenschaft, sondern an der Natur. Es kommt nämlich vor, und häufig vor, daß ein nützliches Tier, statt ein schädliches zu fressen, wie es seine Pflicht wäre, ein anderes nützliches frißt und ein schädliches ein anderes schädliches. Was dann? Es kommt ferner vor, und zwar regelmäßig vor, daß ein Tier sich einfallen läßt, sein Menu durch Abwechslung schmackhafter zu machen, zum Beispiel als ersten Gang ein nützliches, als zweiten ein schädliches zu verspeisen und zum Nachtisch gar Körner zu knuspern. Was dann? Es kommt endlich vor, und nicht selten vor, daß der Mensch nicht weiß, was ein Tier frißt.

Der letztere Übelstand ist der geringfügigste. Man hilft sich hier mit einer wissenschaftlichen Hypothese: man nimmt an, man wisse es. Aber die beiden ersteren schaffen mathematische Schwierigkeiten, vor denen selbst ein Astronom sich bekreuzen würde. Bleiben wir, um die abstrusen Rechnungsexempel zu ahnen, bei unserm obengenannten Beispiel.

Tatsächlich frißt der Spatz nicht bloß Würmer, wie er sollte, sondern überdies Käfer, Fliegen, Spinnen und allerlei Gartenbeeren. Er dürfte es zwar eigentlich nicht, aber er tut es. Ich muß also jetzt, um den Nützlichkeits- oder Schädlichkeitsgehalt des Spatzen zu erfahren, zunächst die Zahl der schädlichen Fliegen, die er frißt, zu der Zahl der Würmer addieren. Leider kenne ich die Zahl nicht; ich setze sie daher als x. Der Spatz nützt also durch x Fliegen + x Würmer. Die Spinnen dagegen sind nützlich, ich muß sie daher dem Spatz ins Minus schreiben. Was die Käfer betrifft, so fragt es sich, was für Käfer, da die einen nützlich, die andern schädlich sind; ich bitte also vor allem um nähere Nachrichten über die Lieblingskäfer des Spatzen; bis ich dieselben erhalte, schreibe ich

+ (?)   x  y  Käfer.
– (?)

Der Beerenfraß ist eine verbrecherische Handlung, die x y Beeren müssen also ins Minus gesetzt werden; da der Spatz jedenfalls eine große Menge davon verzehrt, setze ich die Beeren in die vierte Potenz und ein Fragezeichen dahinter. Endlich frißt der Spatz noch eine Menge Tiere, von denen er uns keine detaillierte Rechnung aushändigt, wir bezeichnen dieselben als - (?) + (?) x n. Nun bitte ich, die algebraische Gleichung vom Nutzen oder Schaden des Spatzes gefälligst auszurechnen. Dieselbe lautet, wenn wir den Nutzen als N und den Schaden als S schreiben, folgendermaßen:

Der Sperling ist  = 2 × x S – x N  + (?)  x y S (?) (N ?)   – x 4 y  + (?)  x  n.
– (?) – (?)

Ich bitte um Logarithmen.

Und wir sind erst beim Spatz. Jetzt kommt der Habicht an die Reihe, gegen welchen die Sperlingsalgebra noch das reinste Kopfrechnen bedeutet. Was frißt der Habicht? So ziemlich alles Lebendige. Für jedes einzelne Tier, das vom Habicht gefressen wird, muß nun der Gehalt in Gleichungen wie beim Spatz ausgerechnet werden, und dann gilt es erst noch, alles durcheinander zu addieren, zu dividieren, in die Wurzel zu stecken und auf die Potenz zu erheben. Beim Adler fängt die Geschichte noc_h komplizierter von vorne an.

Und auf diese aberwitzige Algebra des indirekten Nutzens, wo auf eine bekannte Größe zwanzig unbekannte kommen und wo jede bekannte Größe überdies noch ein halbes Dutzend Fragezeichen hinter sich hat, gründet sich die Bevormundung der Landwirtschaft durch den zoologischen Prophetenstand und durch den von den Propheten eingeschüchterten Staat! Man weiß nicht, ob Nummer zwei schädlich oder nützlich ist, und maßt sich an, aus Nummer zwei den Gehalt von Nummer zwölf auszurechnen! Mit andern Worten: Das Wissen wird dadurch gefunden, daß man das Nichtwissen auf die Potenz erhebt!

Das ist der Saldo der Weisheit von den nützlichen und schädlichen Tieren.

Was lehrt dieser Saldo? Ich denke doch wohl den Bankerott. Derselbe tritt auch allerorten zu Tage. Da erläßt zum Beispiel ein Naturforscher von weitem Ruf neuestens die dringende Mahnung, ja kein Tier ohne zwingenden Grund zu töten, da man eben nie mit voller Sicherheit vorauswissen könne, ob es nicht doch vielleicht im Hintergrunde nützlich sei. Hier haben wir die Insolvenzerklärung, verbunden mit dem Begehren, das Geschäft der Bevormundung trotzdem weiterzuführen. Schade nur, daß die Tiere selbst nicht die Skrupeln teilen. Während wir tiefsinnig, den Finger an der Stirn, darüber grübeln, ob nicht vielleicht der Ohrwurm, der in meiner Kaffeetasse herumklettert, doch vielleicht nützlich sei, so kommt ein Spatz angeflogen; pink, und weg ist der Ohrwurm. Der Spatz hat nicht gegrübelt, er hat einfach umgebracht. Beklagen wir uns aber bei der Wissenschaft über solch eine unrationelle Handlung, so erhalten wir von oben herab die Antwort: Der Spatz hat recht; er darf das; aber der Mensch darf das nicht. Weshalb hat der Spatz Vorrechte vor dem Menschen? Weil der Spatz zur Natur gehört und die Natur immer weise handelt. Warum gehören wir armen Menschen nicht auch zu der Natur, die immer weise handelt? Weil wir Vernunft haben, welche die Weisheit stört. Gut, also ein Spatz, ein Krebs, ein Rind handelt immer weise, weil es keine Vernunft hat; nur der Mensch allein handelt unweise, weil einzig er Vernunft hat; darum nennt man die Vernunft das Vorrecht des Menschen. Ich bin bekehrt, ich tue feierlich Abbitte; wenn Weisheit das Gegenteil von Vernunft ist, dann nenne ich die Wissenschaft von den nützlichen und schädlichen Tieren weise.


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