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Das Gartenklima am Vierwaldstättersee

Nichts Beschämenderes, als in der Ferne für Neuheit zu bewundern, was wir zu Hause haben. Der größte Teil der Pflanzen, die auf Isola Bella, in Villa Serbelloni und Villa Carlotta unser Entzücken wecken, findet sich schon am Vierwaldstättersee; womit ich keineswegs behaupten will, was nur Unkenntnis behaupten könnte, daß unser Pflanzenklima und unsere Gärten mit den norditalienischen wetteifern dürften. Aber merklich verschieden von den übrigen nordischen Gärten und wesensverwandt mit den italienischen sind die Gärten des Vierwaldstättersees allerdings. Wenn das nicht in die Augen fällt, so liegt es nur daran, daß die Gartenkultur am Vierwaldstättersee noch ziemlich unentwickelt ist. Vitznau und Gersau haben noch keine Borromäer gefunden.

Die Wesensverwandtschaft offenbart sich in der allgemeinen Hinneigung – ein Streben kann mans nicht nennen, denn es geschieht meistens absichtslos und unbewußt –, die Laubbäume und die Blumenbeete zu Gunsten edler Koniferen hintanzusetzen. Ursache dieser Hinneigung aber ist ein Klima, das zwar in mancher Hinsicht demjenigen von Montreux und Neuchâtel weicht, dagegen in anderer Hinsicht bevorzugt ist: durch den Föhn und durch besonders kräftige Besonnung. Ich will den Leser nicht mit einem Pflanzenregister behelligen; immerhin, wofern er Gartenfreund ist – gibt es übrigens Menschen, die nicht Gartenfreunde wären? –, wird er mir wohl die Nennung derjenigen Pflanzen gestatten, welche hauptsächlich die Gärten des Vierwaldstättersees charakterisieren.

Der Grundstock jedes Gärtchens, das sich einigermaßen respektiert, ist die schöne Lawsonzypresse oder Chamaecyparis mit ihren hunderterlei Abarten; sie gedeiht hier außerordentlich wohl und erreicht riesige Proportionen. Auch der Säulentaxus (Taxus hibernica alias fastigiata) ist gemein und erreicht etwa vier Meter Höhe. Sämtliche Arten von Thuja gelten schon für plebejisch und werden in den vornehmen Gärten zurückgesetzt. Die Wellingtonia ist am Vierwaldstättersee einer der gewöhnlichsten Gartenbäume (die größte in Pension Gottlieben in Meggen); sie kommt hier sogar noch auf sechshundertfünfzig Meter Meereshöhe fort. Nicht so häufig wie in Como, aber doch schon recht zahlreich über die Seeufer hingestreut, sieht man Zedern aller Arten. Ein förmlicher Zedernhain mit prächtigen Exemplaren in Villa Altstad (Station Meggenhorn), dem schönsten Park des Vierwaldstättersees; die größte Atlaszeder auf Hitzlisberg bei Luzern; hübsche, obschon junge Libanonzedern bei Schloß Hertenstein; eine seltene Spielart der Himalajazeder (Deodara viridis robusta) im Nebengärtchen der Pension Müller in Gersau; eine Zedernschule von halbwüchsigen Exemplaren in der Handelsgärtnerei Wettstein in Luzern. Cryptomeria elegans ist ziemlich häufig; Cryptomeria japonica und Cryptomeria Lobbi trifft man nur vereinzelt (eine haushohe Japonica mitten in der Stadt Luzern beim Gütschbahnhof), Araucaria imbricata von sechs Meter Höhe gibt es in Luzern ungefähr ein halbes Dutzend (eine beim Hôtel d'Europe). Aucuba und Kirschlorbeer wächst in Weggis massenhaft, Kirschlorbeer sogar von Baumeshöhe. Evonymus kommt merkwürdigerweise nur an besonders geschützten Stellen fort, während er bekanntlich in Paris so gemein und wohlfeil wie Efeu ist und auch in Neuenburg üppig wuchert. Der portugiesische Lorbeer gedeiht in der Theorie, in Wirklichkeit erfriert er.

Nicht durchzubringen dagegen sind am Vierwaldstättersee: Die italienische Zypresse; in Villa Hartmann bei Meggen brachte man sie bis auf acht Meter, dann war es aus. Die Magnolia grandiflora, welche sich doch in Paris nicht übel befindet. Ferner die japanische Mispel, Edellorbeer, Kamelien und Azaleen. Die zarteren Teerosen verlangen Winterschutz, selbst in Vitznau und Gersau; wird die Deckung unterlassen, so befinden sie sich ein paar Jahre herrlich und in Freuden, dann plötzlich erfrieren sie.

Das ist so ungefähr eine Bilanz, welche dem Kenner andeutet, was für eine Nummer von italienischem Klima der Vierwaldstättersee besitzt. Wer Namen scheut oder nicht zu deuten vermag, dem weiß ich einen mühelosen Anschauungsunterricht: In Vitznau, unten am Fuße der Rigibahn, unmittelbar bei der Station, hat der ehemalige Direktor der Bahn, Herr Segesser, ein Gartenfreund und Pflanzenkenner, eine Art botanische Hecke hingepflanzt, an welcher Sie das Gartenklima des Vierwaldstättersees ablesen können.

Wir haben jedenfalls mehr, als wir entbehren, und würden das Fehlende leicht verschmerzen, wenn wir nur unseres Besitzes sicher wären. Aber da liegt es. Es schwebt beständig eine Drohung über den Gärten des Vierwaldstättersees; es ist ein Gartenbau mit Schrecken. Hinter jeder Südpflanze steht ein Fragezeichen. Zehn Jahre, zwanzig Jahre gelingt alles herrlich, dann aber kommt ein Winter, der zwar nicht alles verwüstet, aber vieles, und das Verschonte übel zeichnet. Weniges, was nicht einen Zipfel oder Wipfel, Haare oder Pelz läßt. Dann sind die nächsten zwei Jahre der Genesung gewidmet; hernach geht es wieder lustig im italienischen Stil – was wollen Sie, der Gotthardtunnel ist uns ein wenig zu Kopf gestiegen – bis abermals ein Ausnahmewinter uns zu Gemüte führt, daß Luzern denn doch kein Bellinzona und Weggis kein Lugano ist. Wie gesagt, eine Gärtnerei mit Angst und Zittern, ein Italien mit Zähneklappern.

Nein, das Gartenklima des Vierwaldstättersees kann mit dem norditalienischen nimmermehr konkurrieren; selbst Weggis, Vitznau und Gersau stehen hinter Giornico und Biasca zurück. Hingegen als ein Vorläufer des Südens, als ein erster Gruß von jenseits des Gotthards darf unsere Gartenkultur allerdings gelten; denn sie ist, wenn auch an Fülle nicht vergleichbar, doch der jenseitigen wesensverwandt, nämlich stilverwandt. Unsere fremden Gäste aber haben Ursache, sich Glück dazu zu wünschen, daß die Umwohner des Vierwaldstättersees sichs durch keine üblen Erfahrungen verdrießen lassen, immer und immer wieder den Lockungen des herrlichen Sommers in bevorzugter Lage, der verführerischen Sprache des heißen Föhns nachzugeben, um zu versuchen, ob nicht doch schließlich unser Himmel italienisch lerne. Dieser Hoffnungsseligkeit verdanken sie das lachende Gepräge des Seeufers. Fragt man uns aber, was uns den Mut der Beharrlichkeit gibt, so ist es ein Umstand, von dem man annehmen sollte, daß er vielmehr entmutigend wirken müßte: die Vergleichung, nämlich die Vergleichung mit den üppigen Paradiesen am Comer- und Langensee. Gerade diejenigen, die sich der gewaltigen Überlegenheit der italienischen Gärten am deutlichsten bewußt sind, die jene von Augenschein kennen, beweisen den größten und den längsten Mut. Es ist wie mit dem Klavierspiel eines Virtuosen; den begabten Dilettanten entmutigt das Anhören unerreichbarer Virtuosität keineswegs, sondern er lernt davon. Und Lernen ermutigt immer. Darum seien uns Isola Bella und Villa Carlotta gepriesen; sie lehren uns sehen, sie zwingen uns zu begehren.

Und geht es einen Winter gar zu schlimm, dann haben wir einen Trost im Hinterhalt, um welchen uns jedermann beneiden darf. Dieselben Ursachen, die unser Gartenklima benachteiligen, kommen dem Menschenklima zugute. Der Vierwaldstättersee ist nämlich nicht bloß eine der schönsten Gegenden der Erde, sondern zugleich eine ausnehmend gesunde, was freilich das gesamte Assortiment von Krankheiten nicht ausschließt. Ein erfahrener Gärtner hat mir einmal die Bevorzugung der italienischen Seegelände aus den verschiedenen Bodenverhältnissen erklärt: «Dort Weinboden, hier Apfelboden», lautete die bündige Formel. Das tröstet mich. Die gesundeste Gegend, von der ich überhaupt weiß, ruhte auf Apfelboden. Denn nicht eine Traube, sondern einen Apfel hat im Paradiese Eva Adam gereicht.


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