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Die Südpflanzen des Herrn Meyer

 

Herr Meyer will die Natur zwingen

In Luzern an der Halde, in meiner nächsten Nähe, lebt ein sonderbarer Kauz, der sich eines Tages plötzlich in den Kopf setzte, in Südeuropa zu wohnen. Wohlverstanden, nicht etwa nach Südeuropa umzuziehen, sondern Südeuropa zu zwingen, zu ihm über den Gotthard zu kommen. «Die Natur muß», sagte er. Da er immerhin den Sonnenstand nicht zu ändern vermochte, mußte er sich wohl mit der Illusion des Südens begnügen. Einen italienischen Garten also wollte er haben, um den Titlis durch Lorbeer und Zypressen betrachten zu können; auf diese Weise, meinte er, würde er die Schönheiten des Comersees und des Vierwaldstättersees vereinigt genießen.

Demzufolge sah man nun den Herrn Meyer, der sich bisher so wenig um Botanik und Gartenkultur bekümmert hatte, daß er kaum eine Tanne von einem Vergißmeinnicht unterschied, plötzlich – es mögen ungefähr drei Jahre her sein – die Gärtner heimsuchen, Pflanzenbücher aufstöbern, Kundschafterreisen nach Italien ausführen. Bald gaben auch verblüffende Kraftsprüche, wie er sie liebt, das Ergebnis des Studieneifers kund. Ich zitiere nur einige wenige: «Koniferen sind Möbel», «Akazien sind Unkraut», «Kübelpflanzen sind eine Kalamität, Topfpflanzen eine Frauenkrankheit», «eine Thuja ist eine Schande», «Zypressen machen glücklich»,«Evonymus macht Sonnenschein, Taxus Regen» und so weiter. Dann Grundsätze der Gärtnerei und Akklimatisation: «Man muß den Bäumchen Namen geben, um ihren Ehrgeiz zu wecken.» «Man muß gleich den ganzen Garten voll Südpflanzen setzen, damit jede, wenn sie die andern sieht, meint, sie wäre in Italien.» Und mit wahrer Wollust schnurrte er meterlange lateinische Pflanzennamen herunter: «Cephalotaxus pedunculata fastigiata, Podocarpus koraiana aureo-variegata.» Aber daß er seine Narretei wirklich ausführen würde, traute ihm doch niemand zu.

Siehe, da kamen eines schönen Herbsttages abenteuerliche Wagen dahergefahren, aus denen grüne Schwänze von fabelhafter Länge herunterhingen, einige am Boden schleifend, andere mit Stricken in die Höhe gebunden. Zuoberst auf dem Wagen aber steckte das fremdartigste Blattzeug neben- und übereinandergezwängt, wie eine Äquatorgruppe auf einem Fastnachtwagen. Eine Viertelstunde später liefen die Gärtner in Herrn Meyers Garten umher, wie die Ameisen in einem Haufen, jeder mit einem oder auch mehreren Bäumchen auf den Schultern. Er selbst stand glückselig mitten drin wie ein Kind zwischen den Weihnachtsgeschenken. Ringsum flogen nachbarliche Fenster auf, und fröhliche Gesichter guckten herunter. Ich aber ging in den Garten, lehnte mich über den Zaun und schaute eine Weile dem possierlichen Treiben vergnügt zu. Mitunter nickte ich, und er nickte wieder. Endlich verhielt ich die Spottlust nicht länger, ich mußte ihn unbedingt necken.

«Herr Meyer!» interpellierte ich.

«Zu Befehl.»

«Was haben Sie denn eigentlich da für sonderbare Kräuter?» Eine Menge unbekannter Namen schwirrten aus seinem Mund.

«Aber wo wollen Sie dann im Winter damit hin?»

«Dahin, wo sie stehen.»

«Das wollen Sie alles im Winter draußen lassen?»

«Natürlich.»

«Und die Palmen dort? Sollen die etwa auch draußen bleiben?»

«Versteht sich.»

«Ich wünsche Ihnen von Herzen Glück. Wir wollen das Beste hoffen.»

«Ich danke verbindlich. Auch ich hoffe das Beste.»

«Und dort, was haben Sie dort für gewaltige Bohnenstangen?»

«Bohnenstangen für Zypressen ist gut.»

«Das sind in ihrem Leben nie keine Zypressen gewesen. Zypressen sind ja schwarz; die sind aber grasgrün.»

«Es gibt gar keine schwarzen Zypressen, alle Zypressen sind grasgrün.»

«Nun, wenn Zypressen nicht mehr schwarz sind, dann will ich schweigen.»

«Zu liebenswürdig!»

«Aber die sind ja unverantwortlich hoch. Vier Meter wenigstens, wie?»

«Sechs, mein Teuerster.»

«Ja, bilden Sie sich denn ein, daß Ihnen sechs Meter hohe Bäume überhaupt anwachsen werden?»

«Sie müssen.»

«Wenn sie müssen, dann bleibt ihnen freilich keine andere Wahl. Demnach werden Sie ihnen wahrscheinlich Handschellen anlegen, um sie zu zwingen?»

«Handschellen nicht, aber einen festen Stock und Drähte nach drei Seiten, damit sie wissen, daß sie nicht herumwackeln sollen, sondern anwachsen.»

«Nun, wir wollen in ein paar Tagen wieder nachsehen.»

«In ein paar Tagen, das ist zu früh, sehen Sie in vier Wochen nach.»

«Wenigstens, an Ihrem Platze, hätte ich doch lieber bis zum Frühjahr gewartet, so könnten Sie Ihre Pflanzen einige Monate genießen.»

«Wenn ich sie jetzt pflanze, habe ich den Winter und ein Vierteljahr des nächsten Sommers gewonnen.»

«Vorausgesetzt, daß Ihre Pflanzen dann überhaupt noch am Leben sind.»

«Und wir.»

«Nun, das wollen wir doch hoffen. Also in vier Wochen, sagen Sie?»

«Vier oder auch fünf Wochen, höchstens sechs.»

«Empfehle mich, Herr Meyer.»

 

Nach drei Wochen holte mich Herr Meyer mit triumphierender Miene in seinen Garten. «Bitte, sehen Sie», sagte er.

«Ja, angewachsen sind sie schon. Aber das ist das wenigste; das versteht sich gewissermaßen von selber. Aber wenn jetzt in acht, vielleicht in sechs Wochen der Winter kommt?»

«Ich kann den Winter nicht hindern zu kommen.»

«Wie viel wird Ihnen dann im Frühjahr von der ganzen Herrlichkeit übrig bleiben?»

«Das werden wir sehen.»

«Ja, macht es Ihnen denn nichts aus, wenn Ihre Pflanzen erfrieren?»

«Im Gegenteil, es täte mir leid, wenn sie erfrören. Übrigens hoffe ich, sie werden nicht erfrieren.»

«Ja, wenn Ihnen die Hoffnung hilft, dann ist es gut. Wir wollen dann wieder miteinander sprechen, wenn einmal ein paar Grad Kälte darüber gegangen sind.»

«Ein paar Grad Kälte, das ist zu wenig. Sagen wir, wenigstens sechs oder sieben Grad Kälte.»

«Gut, so sagen wir sechs oder sieben Grad.»

 

Der Winter ließ auf sich warten. Endlich, Mitte Dezember, kamen die sieben Grad Kälte. Triumphierend und ein bißchen schadenfroh eilte ich hinüber. «Nun, Herr Meyer», lachte ich von weitem. «Adieu, Ihre Palmen.»

«Warum Adieu? Sie sind nicht verreist, sondern stehen noch am selben Fleck und befinden sich ausgezeichnet.»

Ich eilte zu ihm hinüber. «Weiß Gott», rief ich erstaunt, «kein Blättchen versehrt.»

«Auf die Blättchen kommts nicht an; das Herz müssen Sie untersuchen. Und dieses, wie Sie bemerken, ist kerngesund.»

«Das ist aber denn doch stark!»

«Ja, Palmen sind stärker, als man glaubt. Das heißt, es kommt darauf an, was für Palmen.»

«Aber warum decken Sie sie nicht wenigstens ein bißchen?»

«Wozu?»

 

Gegen Neujahr kam Tauwetter. Jetzt fing Herr Meyer an, aus Leibeskräften zu decken.

«Sie spielen ja die verkehrte Welt, Herr Meyer? Warum decken Sie denn jetzt bei Tauwetter?»

«Gegen den Schnee.»

«Der Schnee ist doch im Gegenteil der beste Freund des Gartens.»

«Lieber noch ein kleiner Hagel im Garten als ein großer Schnee.»

«Das weiß jeder Bauer anders.»

«Bauerei und Gärtnerei sind verschiedene Dinge.»

«Warum decken denn die Italiener nicht gegen den Schnee? In Lugano schneit es doch auch.»

«Sie decken freilich gegen den Schnee, und zwar recht angelegentlich. Sehen Sie nur einmal im Winter in Lugano nach oder auch in Como.»

«Wenn Sie es sagen, muß es wohl richtig sein. Aber wenn ich doch einmal deckte, würde ich wenigstens gleich recht decken. Tannenreiser lassen ja die Luft durch. Diese dünnen Hütchen aber, die Sie den Pflanzen aufsetzen, werden ihnen wenig nützen. Das sieht ja aus wie ein Kalmückendorf.»

«Es handelt sich nicht allein um die Luft, sondern auch um das Licht.»

«Eine Pflanze bedarf doch im Winter, während sie ruht, keines Lichtes.»

«In der Theorie allerdings nicht. Aber ob auch in Wirklichkeit nicht, das ist die Frage.»

«Wozu denn überhaupt die Zipfelmützen?»

«Gegen den Schnee.»

«Ach so, wieder der Schnee.»

«Ja, wieder der Schnee; sehr oft sogar der Schnee, vielleicht bis in den Frühling der Schnee.»

«Nun, was wollen wir lang reden, im Frühjahr werden wir gescheiter sein.»

«Vielleicht.»

 

Der Winter ging, das Frühjahr kam, und Herrn Meyers Südpflanzen waren unversehrt, die Palmen mitinbegriffen.

«Nun, Sie haben aber auch Glück gehabt; wir hatten ja sozusagen keinen Winter.»

«Um so besser.»

«Schon gut. Aber was machen Sie nächstes Jahr, wenn wieder ein Ausnahmewinter kommt?»

«Was nennen Sie einen Ausnahmewinter?»

«Nun, ein Winter mit sechzehn oder achtzehn Grad wie Anno 1880 oder 1895.»

«Warum nicht mit achtzehn oder zwanzig Grad?»

«Es können auch achtzehn oder zwanzig Grad sein, wenn Sie das tröstet.»

«Mich tröstet das nicht, aber Sie auch nicht. Oder glauben Sie etwa, daß bei sechzehn und achtzehn Grad Ihre Wellingtonia, Ihr Kirschlorbeer und Ihre Spalierbäumchen nicht auch leiden?»

«Nun, sechzehn und achtzehn Grad, das ist denn doch in unserm Klima nicht wahrscheinlich.»

«Ach so, nun ist plötzlich ein Ausnahmewinter nicht mehr wahrscheinlich, weil Ihr eigener Garten darunter leiden würde. Folglich erwarten Sie zur selben Zeit in meinem Garten achtzehn und in Ihrem zehn Grad? Oder wie?»

«Sagen Sie, was Sie wollen, jedenfalls zwanzig Grad, wie Sie meinen, gibt es in Luzern nie.»

«Bitte um Verzeihung, im Winter 1829/30 gab es sogar dreißig Grad Kälte.»

«Das ist aber lange her.»

«Ich verstehe, Sie meinen, die kurzlebige Natur habe dergleichen Velleitäten längst vergessen und verlernt. Was haben Sie eigentlich für eine Theorie von Ausnahmewintern? Kommen sie in regelrechten Perioden oder Serien oder überhaupt wie?»

«Eine Art Periode läßt sich allerdings feststellen, zum Beispiel die von 1880-1895, wo drei kalte Winter –»

«Schön. Und wie lange soll diese Periode noch dauern?»

«Das weiß ich nicht.»

«Ich auch nicht. Aber vielleicht wissen Sie das: Sind Ausnahmewinter die Regel oder eine Ausnahme?»

«Natürlich eine Ausnahme, sonst wären es ja keine Ausnahmewinter.»

«Einverstanden. Folglich halte ich mich an die Regel. Denn wenn ich mich an die Ausnahmen hielte, würde ich im Elsaß keine Birnbäume, in Baselland keine Nußbäume, in Genua keine Palmen, in Ägypten keine Bananen mehr pflanzen dürfen; denn Ausnahmewinter räumen überall unbarmherzig auf.»

«Nun, wir wollen nächstes Frühjahr wieder darüber reden.»

 

Herr Meyer hatte wieder Glück, der folgende Winter war ebenfalls mild und seinen Südpflänzchen fehlte abermals kein Blättchen.

«Ja, Sie haben aber auch wirklich ein fabelhaftes Glück.»

«Zwei Jahre lang ein fabelhaftes Glück gehabt zu haben, auf dieser Erde, ist schon ein ganz anständiges Ergebnis.»

«Ja, aber wenn dann der Ausnahmewinter kommt? Denn schließlich, früher oder später kommt er doch.»

«Aha, wieder der Ausnahmewinter. Ich wünschte beinahe, er käme endlich, der Ausnahmewinter, mit welchem man mir beständig droht, damit ich weiß, woran ich bin. Gut denn, nehmen wir also an, er komme, Ihr Ausnahmewinter. Was halten Sie für wahrscheinlicher, wenn der Ausnahmewinter vorüber ist, daß dann noch eine Zypresse in Ihrem Garten steht oder eine in meinem?»

«In meinem natürlich nicht, da ich nicht so töricht bin, Zypressen hineinzupflanzen.»

«Danach können Sie leicht ausrechnen, daß ich auch bei einem Ausnahmewinter immer noch mehr Anwartschaft auf Zypressen habe als Sie.»

«Durchaus nicht, denn wenn Ihnen eine zugrunde geht, gehen Ihnen auch gleich alle zugrunde, und dann haben Sie nicht mehr als ich.»

«Vielleicht, vielleicht auch nicht. Betrachten Sie, bitte, jene zwei alten Kirschlorbeer. Vor zwei Jahren erfroren so ziemlich alle Kirschlorbeer in ganz Luzern, dazwischen blieb aber hie und da einer oder der andere vollkommen unversehrt, ohne daß man sagen könnte, warum. Folglich pflanze ich zwanzig Zypressen an die verschiedensten Stellen des Gartens in der Hoffnung, daß selbst nach einem Ausnahmewinter mir vielleicht eine übrig bleibt.»

«Eine, das ist nicht viel.»

«Es ist unendlich viel mehr als keine.»

«Aber das ist doch nicht all die Mühen, Sorgen und Kosten wert?»

«Was etwas wert ist, hängt davon ab, was das Herz begehrt. Wenn mich eine Zypresse glücklich macht, so hat sie für mich einen ganz unermeßlichen Wert.»

«Aber ums Himmelswillen, was sehen Sie denn an diesen magern, rattenkahlen Stämmchen überhaupt Besonderes?»

«Sehen Sie denn nichts Besonderes?»

«Mit dem allerbesten Willen nicht.»

«Dann tun Sie mir leid.»

Und verliebten Blickes begann er seine Zypressen zu streicheln wie Angorakatzen. Da sah ich wohl ein, daß ich ihn niemals zur Vernunft bekehren würde. Übrigens blieben wir trotzdem die besten Freunde. Bis letzten Herbst; da wären wir wegen zweier Kamelien beinahe auseinandergekommen.

 

Abenteuerliche Geschichte zweier Kamelien

Es war anfangs November im letzten Herbst, da kam wieder einmal so ein grüner Wagen vor Herrn Meyers Garten gefahren. Das war man nun freilich nachgerade schon gewohnt. Aber so spät im Herbst sonst doch nicht.

«Ein bißchen spät, Herr Meyer! Meinen Sie nicht selber?»

«Ja, allerdings, aber ich hatte ursprünglich im Sinne, das Ding im Pflanzenkeller zu überwintern.»

«Das muß aber was besonders Kostbares sein, wenn sogar Sie es in den Keller nehmen wollten.»

«Allerdings. Sehen Sie selber.»

Ich sah ein saftiges Bäumchen von zweieinhalb Meter Höhe, übersät mit dicken Knospen. «Was soll denn das vorstellen?» fragte ich.

«Wie? Sie kennen eine Kamelie nicht?»

«Das eine Kamelie? Von dieser Höhe? Doch, weiß Gott, wahrhaftig, es ist eine Kamelie. Ein Prachtsexemplar, das muß ich Ihnen lassen. Die hat doch gewiß an die hundert Blumenknospen.»

«Hundert wohl nicht, aber etwa achtzig.»

«Aber die dürfen Sie jedenfalls nicht draußen lassen! Das wäre ja geradezu eine Barbarei; ein Vandalismus gegen die Natur.»

Herr Meyer seufzte: «Allerdings, wie ich Ihnen sagte, hatte ich sie ursprünglich für den Keller bestimmt; allein jetzt, wo ich sehe, wie schön sie ist, dauert sie mich. Um die wäre es doch zu schade; die muß ich unbedingt draußen lassen, Frost hin, Frost her.»

«Ich verstehe Sie nicht. Weil es Ihnen schade darum ist, wollen Sie sie draußen lassen? Da müssen Sie sie doch gerade darum hereinnehmen.»

Herr Meyer schüttelte den Kopf. «Nein, nein, die nehme ich nicht herein! Solch ein Prachtsexemplar!»

Ich war ganz empört, während meine Bewunderung für die Kamelie beständig stieg. Ich hatte gemeint, was für einen Schatz ich hätte, als ich im vorigen Winter eine Kamelie mit sechs wahrhaftigen Knospen vom Gärtner erstand. Und da sie, ich weiß nicht warum, die Blätter und Knospen verlor, wäre mir just eine neue höchst willkommen gewesen.

«So ein Riese kommt Sie wohl schrecklich teuer zu stehen mit der Fracht?» forschte ich.

«Spottbillig», lautete seine Antwort. Und er nannte mir den Preis. Wirklich, ein Spottpreis. Ich traute meinen Ohren kaum. Und die Versuchung trat näher an mich, auch eine derartige zu besitzen.

«Würden Sie die Güte haben, mir die Adresse aufzugeben?»

«Das kommt darauf an. Wenn Sie sie draußen lassen, ja, wenn Sie sie aber in den Keller nehmen wollen, dann nein.»

«Das kann Ihnen doch gleichgültig sein.»

«Verzeihen Sie, durchaus nicht. Denn ich will nicht schuld sein, daß Sie Ihr Geld verlieren und daß eine wunderschöne Pflanze dahinsiecht.»

«Wollen Sie am Ende damit sagen, daß mir meine Kamelie im Keller zu Grunde gehen würde?»

«Das nicht. Aber daß Sie keine einzige Blume von ihren achtzig oder hundert Knospen haben werden, das will ich damit sagen.»

«Das wäre denn doch merkwürdig. Es gibt hierzulande blühende Kamelien genug, und alle stehen in den Pflanzenhäusern.»

«Ja, bei den Gärtnern. Bei Privatleuten nur ausnahmsweise, unter besonders günstigen Umständen, sachlichen wie persönlichen.»

«Ich begreife. Sie meinen, man müsse verstehen, damit umzugehen?»

«Ungefähr.»

«Nun, so viel verstehe ich jedenfalls davon, daß ich eine Kamelie in der deutschen Schweiz nicht ins Freie setze, noch dazu im November.»

Herr Meyer verbeugte sich höflich.

 

Mein Entschluß war gediehen. Ich wollte dem Herrn Meyer im Frühling mit einer blühenden Kamelie aufwarten, wenn die seinige erfroren sein würde, um ihn endlich seiner Torheit zu überführen. Doch ließ ich nichts davon verlauten; es sollte eine Überraschung sein. Nur so beiläufig, mit vieler List, entlockte ich ihm die Adresse. Ein paar Tage darauf ließ ich mir in der Tat heimlich eine ähnliche Kamelie kommen, nur nicht ganz so groß. Wozu auch? Selbstverständlich ließ ich ihr alle erdenkliche Pflege angedeihen, nicht zu trocken, nicht zu naß, nicht zu nah beim Fenster und nicht zu weit; nicht zu kalt und nicht zu warm, und ab und zu ein bißchen mit lauwarmem Wasser besprengt. Und da mir der Gärtner mitteilte, man müsse die Kamelien ruhig stehen lassen, schärfte ich dem Dienstmädchen ein, sie ja nicht etwa in ein anderes Gelaß zu stellen oder dann wenigstens gleich wieder an den früheren Platz zurückzutragen. Der Erfolg war auch ein über Erwarten günstiger. Wenn schon die Knospen etwas gelb und braun wurden und abfielen, und die meisten Blätter auch, so blieb doch die Pflanze kerngesund, wie mir der Gärtner aufs bestimmteste versicherte, während jedenfalls meinem verbohrten Nachbar seine Kamelie bis auf den Boden erfrieren mußte. Zu diesem Zwecke – ich bin sonst nicht bösartig, aber um dem hochmütigen Herrn Meyer einmal eine tüchtige Lehre zu geben – kurz, ich flehte ordentlich Frost vom Himmel herunter, sehnsüchtig, inbrünstig. Und jeden Morgen betrachtete ich hoffnungsvoll mein Minimalthermometer. So gnädig wie die vorigen zwei Winter lief dann dieser doch nicht ab. Häufiger Frost, viel Schnee, sieben Grad Kälte mehrmals, einmal acht Grad und zuletzt gar neun Grad. Ich rieb mir die Hände, und des Spottes über die erfrorene Kamelie des Herrn Meyer wurde ich nimmer müde. Unlängst begegnete ich ihm auf der Straße. «Nun, Herr Meyer», fragte ich scheinbar harmlos, «was macht denn Ihre Kamelie?»

«O, der geht es vorzüglich.»

Ich erwiderte nichts, sondern kniff nur ein Auge zu. Er kniff das andere zu: «Und die Ihrige?» machte er.

Ich erstaunte. «Wieso? Wer sagt Ihnen denn überhaupt, daß ich eine Kamelie habe?»

Er lachte. «Das habe ich Ihnen doch gleich an den Augen angesehen, daß Sie sich eine Kamelie verschreiben wollten, als Sie mir mit punischer List die Adresse abgewannen.»

«Nun ja, ich gebe es zu; ich habe eine Kamelie. Das ist ja nichts Böses. Übrigens geht es meiner Kamelie vorzüglich.»

«Wie viele Blumenknospen hat sie noch?»

«So viele wie die Ihrige.»

«Nun, dann gratuliere ich.»

So weit ging alles gut. Anfangs dieser Woche aber holte mich Herr Meyer in seinen Garten. «Vielleicht interessiert es Sie, meine Kamelie nachzusehen?» sagte er. «Gewiß», rief ich und beeilte mich, den Greuel der Verwüstung zu konstatieren. Aber was sah ich? Die Kamelie im vollen Blätterschmuck saftig glänzend und die Knospen nicht nur sämtlich wohl erhalten, sondern geschwollen und in der Mitte mit einem rosigen oder roten Tupfen gesprenkelt.

«In den nächsten warmen, sonnigen Tagen kommt sie zum Blühen», schmunzelte mein Nachbar.

Ich war außer mir. «Die Dummen haben doch wirklich ein unverschämtes Glück», entfuhr es mir.

Herr Meyer nahm den Hut ab und verbeugte sich. Ich sah wohl ein, daß ich etwas unhöflich gewesen war, allein ich war zu aufgebracht, um mich entschuldigen zu können. Ich mußte nur immer die naturwidrige Kamelie anstarren, die bei neun Grad Kälte die Knospen nicht verlor, und wußte nicht, ob ich mehr bewundern oder mich ärgern sollte. Und noch dazu hatte er sie kaum gedeckt! Ein Dritteil der Pflanze stand ganz frei und offen da, der Rest mit dünnen, durchsichtigen Tannenreisern oberflächlich in weitem Bogen umgeben, nur fürs Auge. Ich mußte unbedingt etwas kritisieren.

«Warum haben Sie sie nicht wenigstens ordentlich zugedeckt?»

«Weil sie sonst die Knospen und Blätter abgeworfen hätte.»

«Die Luft streicht ja durch die Reiser bequem durch, besonders wenn sie so dünn und durchsichtig sind.»

«Wie ich Ihnen schon früher sagte, kommt es nicht allein auf die Luft an, sondern auch auf das Licht. Wenn Sie eine Kamelie zu dunkel einmachen, so stößt sie Ihnen unfehlbar alle Knospen und Blätter ab.»

«Wer hat Ihnen das gesagt?»

«Ein Gärtner in Mailand.»

«Und das haben Sie ihm ohne weiteres geglaubt?»

«Ja.»

«Warum?»

«Weil ich annahm, er würde es mir nicht gesagt haben, wenn er es nicht wüßte.»

«Warum haben Sie sie denn überhaupt gedeckt? Das ist ja nur fürs Auge.»

«Fürs Auge nicht, sondern gegen den Schnee.»

«Ach natürlich, Ihr Schnee. Aber von der Ostseite kommt niemals Schnee; die hätten Sie folglich freilassen können.»

«Von der Ostseite kommt der Ostwind.»

«Ja, jetzt soll der Wind wieder schädlich sein! Wenn die Kälte nichts schadet, schadet auch der Wind nicht.»

«Eine Kamelie, wie manche andere Südpflanze, fürchtet den kalten Wind mehr als einen starken Frost.»

«Wer hat Ihnen das gesagt?»

«Ein Gärtner in Como.»

«Jetzt ist es zur Abwechslung ein Gärtner in Como. Vorhin war es einer in Mailand. Sie scheinen überhaupt vor den Gärtnern einen riesigen Respekt zu haben.»

«Wie vor allen Fachleuten, wenn sie von ihrem Fach reden.»

Ich konnte die Wunderkamelie vor meinen Augen noch immer nicht verwinden. «Demnach», begann ich gereizt, «wenn man Sie hört, könnte man einfach alle Kübel- und Topfpflanzen ins Freie schmeißen!»

«Wer hat solchen Unsinn behauptet? Ich nicht.»

«Aber Sie tuns doch!»

«Bewahre. Meine Musa und meine Phönix zum Beispiel habe ich wohlweislich beim Gärtner überwintert. Ich lasse nur diejenigen Pflanzen draußen, die in Weggis und Vitznau oder am Neuenburger- und Genfersee oder in Bellinzona im Freien fortkommen. Was am Comersee gedeckt wird, davon halte ich mich fern.»

«Ja, wissen Sie denn, was an den genannten Orten im Freien fortkommt und was am Comersee gedeckt wird?»

«Ungefähr, und was ich nicht weiß, suche ich allmählich zuzulernen.»

«Das klingt alles schön und gut, und die Erfahrung – wir haben freilich drei Jahre lang sozusagen gar keinen Winter gehabt – scheint für Sie zu sprechen, äußerlich wenigstens. Aber wenn Ihre Prinzipien richtig wären, würden doch in erster Linie die Gärtner damit anfangen.»

«Die Gärtner nicht in erster, sondern in letzter Linie. Denn der Gärtner ist ein Handelsmann, der mit seinen Pflanzen Geld verdienen will und muß; er darf also nichts wagen, er muß sicher gehen. Selbst wenn drei gegen eins zu wetten ist, daß ihm eine Pflanze im Freien aushält, ist das immer noch zu viel für ihn. Im Gegenteil: Privatleute müssen die Versuche machen.»

«Sie sind aber nicht der einzige Privatmann. Warum versuchen es die andern nicht?»

«Das weiß ich nicht; es geht mich auch nichts an.»

«Immerhin ist es auffallend, daß nur Sie allein auf diesen Gedanken kommen sollten, wenn der Gedanke – sagen wir – haltbarer, objektiv begründeter wäre.»

«Sie meinen, wenn er vernünftig wäre?»

«Nun, da Sie es selbst sagen – ich wollte es nur nicht aussprechen. Kurz, werden Sie denn nicht selber mißtrauisch, wenn Sie allein in der deutschen Schweiz zum Beispiel Zypressen pflanzen? Die Welt ist nicht von heute, und Gartenliebhaber gibt es zu Hunderten und hat es stets gegeben. Es ständen gewiß anderswo auch Zypressen, wenn sie fortkämen.»

«Allerdings ist die Welt nicht von heute; aber die Gotthardbahn läuft noch keine zwanzig Jahre. Übrigens stehen in Vitznau zwei allerdings kleine Zypressen, und auf der Insel Mainau sollen einige Prachtsexemplare von zehn Metern stehen.»

«Sie könnten mir beinahe Lust machen, es auch ein wenig zu versuchen. Aber da würde ich mir kleine Exemplare kommen lassen, nicht gleich hohe Bäume, damit sie Zeit haben, sich an unser Klima zu gewöhnen, sich zu akklimatisieren, mit einem Wort.»

«Das gibt es überhaupt nicht.»

«Was gibt es nicht?»

«Akklimatisation gibt es nicht.»

«Da hört doch alles auf. Eine junge Pflanze gewöhnt sich doch leichter nach und nach an ein kälteres Klima als eine schon halberwachsene?»

«Nein. Im Gegenteil. Ich nehme bei jeder Pflanze das größte Exemplar, das ich auftreiben kann.»

«Da stehen Sie aber mit allen Gärtnern im schroffsten Widerspruch.»

«Mit allen vielleicht, aber mit den ersten Gärtnern Europas nicht. Zum Beispiel Rovelli in Pallanza, der erste Gärtner Norditaliens, gibt Ihnen für jede Pflanze das Maximum der Kältegrade an, die sie aushält. Übersteigt die Kälte dieses Maximum, so erfriert sie Ihnen, einerlei, ob sie schon zehn Jahre im Garten stehe oder ob sie eben frisch hineingesetzt wurde.»

«Was soll denn aber in diesem Fall eine große, ausgewachsene Pflanze für einen Vorteil vor einer jungen haben?»

«Den dicken Stamm und die kräftigeren, verholzten Zweige; wahrscheinlich auch noch andere Vorzüge der Lebenskraft, die man nicht nachzuweisen vermag. Wohlverstanden, auch die zartesten, jüngsten Triebe ausgewachsener Pflanzen scheinen mehr auszuhalten als die Triebe von ähnlicher Beschaffenheit bei sehr jungen Pflanzen.»

«Das wäre interessant; darüber müßte man Fachmänner diskutieren hören.»

«Und Naturforscher.»

«Also ist Ihnen auch diesen dritten Winter nichts, gar nichts erfroren?»

«Doch, meine Oleander sind mir alle bis auf den Boden erfroren.»

Ich wandte mich triumphierend um, ordentlich jubelnd. «Also doch! Sehen Sie jetzt! Was schließen Sie also daraus?»

«Erstens, daß Oleander keine neun Grad Kälte aushalten. Zweitens, daß das Decken blutwenig nützt: ich hatte sie nämlich vorsichtig auf den Boden gelegt und mit Tannenreisern fest zugedeckt. Drittens, daß sich in meine Beobachtungen ein Fehler eingeschlichen hatte, da mir die Tatsache entgangen war, daß Oleander, wie man mir jetzt sagt, sogar in Nizza gedeckt werden.»

«Und das schreckt Sie nicht ab?»

«Vor dem Irrtum, nochmals Oleander ins Freie zu stellen, wohl; aber im übrigen nicht im mindesten.»

«Sie sind ein beneidenswerter Optimist!»

«Ich? ein Optimist? Das höre ich heute zum ersten Male. Aber zu den Menschen, die es für gescheit halten, sich und andern zum voraus die Zukunft zu verleiden, indem sie beständig Unglück krächzen, im Herbst einen kalten Winter und im Frühling einen nassen Sommer prophezeien, zu denen gehöre ich allerdings nicht.»

Ich schwieg ein Weilchen; und bei dieser Gelegenheit hörte ich die Stimme des Gewissens.

«Sie haben mirs doch nicht etwa übel genommen?» machte ich, «vorhin, meine Unhöflichkeit wegen der Kamelie?»

«Gott bewahre! Denn daß Sie mich für verrückt hielten, merkte ich ja schon lange.»

«Sie sollten einmal Ihre Gedanken und Grundsätze in betreff der Südpflanzen aufschreiben. Meinen Sie nicht? Sie haben doch immerhin allerlei gehört und erfahren und wissen ab und zu dies und jenes, was sogar ich selber nicht weiß.»

«Zu schmeichelhaft! Leider hasse ich das Schreiben auf den Tod.»

«Wenigstens sollten Sie mir doch einmal Ihr Gärtchen erklären, ich meine, mir zeigen, was Sie schließlich eigentlich alles darin haben und was es ist und wie man es nennt.»

«Mit größtem Vergnügen. Nur warten Sie lieber noch so zwei oder drei Wochen, bis das Neueste aus Italien auch noch da ist.»

«Was? noch mehr? Sie haben ja gar keinen Platz mehr. Ihr Garten ist ja doch – ich darf es ja wohl sagen, ohne Sie zu beleidigen – ziemlich klein.»

«Je mehr man hineinsetzt, desto mehr Platz hat man.»

«Was heißt das, aus Ihrer Sprache ins Einfache, Deutsche, Verständliche übersetzt?»

«Das heißt, je dichter ein Garten bepflanzt ist, desto besser gedeiht er.»

«Dazu müssen Sie mir denn doch ein bescheidenes Fragezeichen erlauben.»

«Ich erlaube Ihnen sogar drei. Nämlich Voraussetzung ist natürlich das, daß erstens die Wurzeln einander nicht auf die Hühneraugen treten; zweitens: daß die Zweige verschiedener Bäume einander nicht berühren; drittens: daß sie einander nicht Licht und Sonne wegnehmen. Darum tut ein Abhang so gut.»

«Also, wenn Ihr neuester Schub aus Italien kommt, so melden Sie mirs, nicht wahr? Ich fürchte nur, ich fürchte –!»

«Was fürchten Sie? Tut Ihnen etwas weh? Bitte, kann ich Ihnen vielleicht mit Jodoform aushelfen?»

«Nein, nein, ich meinte nur, wenn ein Ausnahmewinter kommt –»

Da wurde aber Herr Meyer bitterböse. «Jetzt hören Sie», rief er, «jetzt habe ich endlich genug von Ihrem verwünschten Ausnahmewinter. Aber Ausnahmekrankheit, nicht wahr, daran denken Sie nicht? Ich meine, daß Sie möglicherweise noch früher zugrunde gehen als meine Zypressen und Magnolien? Oder ich, wenn Ihnen das, wie ich vermute, lieber ist. Die Pflanzen gehen zugrunde, die Menschen gehen zugrunde, die Erde geht zugrunde, alles geht zugrunde. Definitiv ist überhaupt nichts. Ihre Thuja so wenig wie meine Zypressen. Aber Begonien pflanzen Sie doch auch, nicht wahr? Trotzdem Sie alle paar Jahre neue nachpflanzen müssen? Das kommt davon, daß alles Leben ein kurzer Schwebezustand ist, der auf dem flüchtigen Gleichgewicht vieler mithelfender Dinge beruht, und daß man das Glück Balance reiten muß, wenn Sie wissen, was das ist. ‹Carpe diem› hat einmal jemand gesagt. Das heißt auf deutsch: Freue dich, so lange du gesund bist, ob das nun mit Sechseläuten und Jaß, oder Tanz und Fastnacht, oder Reisen und Toiletten, oder Rosen und Kamelien geschieht, einerlei; das muß jeder selber am besten wissen. Aber wer im Frühling darüber jammert, daß später der Herbst kommt, oder vor einem schönen Mädchen ächzt, daß sie einmal Großmutter wird, oder vor einem hübschen Gärtchen jeremiaut, daß es möglicherweise einmal erfriert, der ist ein Schwachmatikus. So, und jetzt kommen Sie und rauchen Sie eine Zigarre mit mir; und wenn Sie wieder einmal eine Kamelie in den Keller nehmen, so nageln Sie eins von beiden mit den Zehen am Boden fest, entweder den Kübel oder das Dienstmädchen, damit sich die Knospen nicht die Hälse abdrehen; denn Kamelienknospen, wissen Sie, das sind Selbstmörder. Apropos, ich habe Sie doch nicht etwa beleidigt, soeben, mit dem ‹Schwachmatikus?›»


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