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Velazquez de Leon war von den Kastiliern der einzige, dem die Erregung Marinas aufgefallen war. Beim Rückweg in den alten Tecpan schritt er neben ihr her. Seit den Vorgängen in Xochimilco war eine leichte Verstimmung zwischen ihm und Cortes. Mit seiner jungen Frau, Doña Violante, lebte er in glücklicher Ehe, und dennoch verabscheute er La Azteca und bemitleidete Marina, fühlte sich für sie gekränkt.

Leise fragte er sie, was ihr geschehen sei.

Sie sagte es ihm. Ein wenig spöttisch sprach sie von der Leichtgläubigkeit Montezumas.

»Also haltet Ihr selber es nicht für möglich, Señorita, daß Ihr seine Tochter seid?«

Marina lachte.

»Ich weiß bestimmt, daß es unmöglich ist, daß es der Einfall einer Kranken ist. Was mich erregt, ist die Freude, morgen abend meiner Mutter gegenüberzustehen.«

»Einerlei, ob jenes wahr oder unwahr ist«, bemerkte Velazquez. »Wenn Montezuma es für möglich hält, so kann uns das vielleicht von Vorteil sein ... Ich wünschte, ich könnte es auch Don Hernando glaubhaft machen.«

»Warum, Don Juan?« fragte sie erstaunt.

Velazquez gab keine Antwort. Zu verwegen waren seine Gedanken, als daß er sie hätte aussprechen dürfen. Nicht zum erstenmal beschäftigte ihn die Zukunft Mexicos. Sein Freundesehrgeiz – denn für Cortes war er ehrgeiziger, als Cortes selbst war – verstieg sich auf halsbrecherische Wolkenpfade. Noch war der Untergang des Christenheeres ebenso wahrscheinlich wie sein Triumph. Doch wenn es gelang, dies tollkühne Wagnis, das seit den Heerzügen Alexanders und Cäsars ohnegleichen in der Geschichte war – sollte dann der bischöfliche Leiter der indianischen Angelegenheiten die Früchte einheimsen, wie er es nach der Pazifizierung in Haiti und Kuba getan hatte und tat? Sollte Cortes belohnt werden, wie der große Admiral belohnt worden war? Oder bestenfalls mit einer gnädigen Audienz, dem goldenen Vlies, einem Marquisat abgefunden werden? Nur der Diener seines Herrn wollte Cortes sein und wußte vom jungen Kaiser nicht mehr als den Namen. Zu niedrig gesteckt war sein Ziel. Wenn er der große Mann war, für den seine Freunde ihn hielten, so durfte er sich nicht abspeisen lassen wie die Hofschranzen, so durfte er seinen Lohn sich selbst verleihen. Und warum sollte er es nicht, warum sollte er – wenn das Glück ihn krönte – die Hand nicht ausstrecken nach der Krone ... nach dem blauen Stirnband eines Kaisers des Sonnenuntergangs? ...


Die Erlaubnis für das christliche Heer, den Huei-Tecpan und die Gärten Montezumas zu besichtigen, hatte sich Cortes erbeten, um gegebenenfalls in unauffälliger Weise eine größere Anzahl Soldaten im Großen Palast versammeln zu können. Seinem Plan nach sollte der Besuch der Baulichkeiten und Gärten sich auf mehrere Tage erstrecken. Er schwankte nämlich noch und zweifelte, ob er den Anschlag bald werde wagen können, und hatte, wenngleich er zur Tat entschlossen war, einen Zeitpunkt noch nicht festgesetzt. In den alten Tecpan zurückgekehrt, gab er daher die Weisung, es sollten sich täglich nicht mehr als etwa ein halbes Hundert Soldaten in die Stadt begeben und in einzelnen Gruppen zu zwölf Mann den Huei-Tecpan besuchen, sich dort herumführen lassen.

Während am frühen Nachmittage der erste Trupp dieser Besucher durch das Labyrinth der Jaspissäle schlenderte, Montezumas Thronsessel, seine Rüstkammern, sein Schlafgemach, sein Badezimmer, sein Haus der Trauer, sein Ballspielhaus, die Werkstätten der königlichen Federarbeiter besichtigte und in dem von dreihundert Wächtern betreuten Tierpark – trotz des unvergeßlichen Eindrucks der Blumensammlung in Iztapalapan – geradezu in Verzückung geriet über die Weiße des Liliengartens mit den zehn alabasterummauerten Teichen, über die zwei Tierhäuser mit unterirdischen Raubtierzwingern, Schlangenkammern, Käfigen für Adler, Käfigen für Kolibris und Schmetterlinge und über die berühmten Zypressen Montezumas, deren Stämme hundertundsechzig Fuß im Umfang maßen – ritt Cortes mit Alvarado, Andres de Tapia, Olid, Lugo und einer Leibwache nach dem Großen Markt von Tlatelolco. Marina folgte in einer Sänfte nach, sie stieg dicht beim Marktplatz aus und schloß sich einer Schar hoher Palastbeamten an, welche im Auftrag Montezumas sich eingefunden hatten, den Söhnen der Sonne die Herrlichkeiten des Marktes zu zeigen.

Der unermeßlich große Platz war von prachtvollen Säulengängen aus rotem Porphyr umgeben. In der Mitte des Platzes erhob sich »der Altar« – ein kleines Heiligtum Tezcatlipocas, seltsam ärmlich und schlicht, genau den an Kreuzwegen errichteten Betkapellen für Wanderer gleich: ein grauer Lehmziegelbau, mit sechs Stufen, einer engen Plattform und einem ziemlich hohen Sanktuar aus geflochtenem Maisstroh. Rings um dieses uralte Wahrzeichen der gefahrvollen Händlerreisen bildeten die hölzernen Stände und Buden Hunderte von niedrigen Gassen, in deren buntscheckigem Menschengetümmel neben Mexikanern alle Völkerschaften Zentralamerikas in den verschiedensten merkwürdigsten Trachten durcheinander wimmelten und, Geldtaschen am Handgelenk tragend, verkauften sowohl wie einkauften. Im bunten Wirrwarr herrschte eine überraschende Ordnung. Jede Art von Waren hatte ihren besonderen Standort. Um Diebstähle, Streit, Betrügereien zu verhindern oder sofort zu bestrafen, wurden alljährlich vom König etliche Marktordner ernannt und mit richterlicher Gewalt ausgestattet, sie gingen von Stand zu Stand, prüften die Maße, setzten den Wert der Waren fest, sahen darauf, daß die Käufer nicht übervorteilt wurden.

Über eine Stunde lang weilten die Feldobristen inmitten des rauschenden und berauschenden Getriebes – auf sechzigtausend Menschen schätzten sie die den Marktplatz füllende Menge –, und sie wurden nicht müde zu schauen. Bewunderung erregte die weibliche Menschenware, die ungeheuer reiche Auswahl in den Buden der Sklavenhändler und Sklavenhändlerinnen, die Reinlichkeit, der Gesang und Tanz der Gutgewaschenen, unter denen besonders die schönen schwermütigen Zapotekenmädchen hervorstachen. In den Verkaufsläden der Goldarbeiter, der Steinschneider, der Federmosaikhändler und Blumenhändler prangten Kostbarkeiten, wert, Montezuma oder eine seiner Töchter zu schmücken. Doch was gab es sonst nicht alles anzustaunen! Lebende Raubtiere wurden feilgeboten – und nicht einmal teuer: für ein Yaquimilli, d. h. eine Last von sechzig Baumwollmänteln, konnte man einen Puma oder einen Jaguar erstehen. Bücher, Bilderschriften, gemalte Chroniken und Liedersammlungen, Kunstwerke berühmter Schönschreiber lagen zum Verkauf aus, dazu Streifen von Hirschhautpergament, Agavepapier, weißes Rindenpapier, Zypressenhan zum Schreiben, Purpur aus dem Blut der Stachelschnecke, Indigo, Rötel, Ockerfarbe und ein weißer Lack, mit welchem die Bilder untermalt wurden, ferner Retorten zum Mischen der Farben und Terpentinsalbe.

Man sah bei einem der Bücherhändler die Landschaften des hervorragenden Malers Tocual. Kohlen wurden verkauft, Bausteine aus dem Steinbruch der Laguneninsel Tepeapulco, Onyxmarmor aus Oaxaca, Gips, Blei, Zinn, Kupfer, Goldkörner in Entenfederspulen, kostbare Muscheln (die von Mädchen als Symbol der Jungfräulichkeit getragen wurden). Werkzeuge: kupferne Nähnadeln, kupferne Äxte und Pflugpfähle. Die Lackarbeiter hatten in zwei Gassen Bude an Bude. Unter den Töpferwaren fielen groteske Gesichtsumen und Majolikaschalen mit Goldrand auf. Alles, was zu Kleidung und Schmuck diente, war in verblüffend großer Auswahl vorhanden, sauber geordnet und aufgestapelt. Fast ein Drittel des großen Marktplatzes wurde von den Ständen der Lebensmittelverkäufer eingenommen. Und da sah man außer Grünwaren und Wild auch Haselnüsse, Kakaofett, Austern, Wasserkäfer, geröstete Heuschrecken, die eßbaren Blumen des Yuccabaumes und geschlachtete einjährige Kinder.

Der nordwestliche Teil des Marktes wurde Cortes und seinen Begleitern nur aus der Ferne gezeigt. Es war der Trödlermarkt und hieß »der Ort voller Flöhe«. Unter anderem wurde dort auch mit Menschenkot gehandelt, welchen die mexikanischen Kürschner zum Gerben brauchten.

»Wo wird diese kostbare Ware gesammelt?« fragte Cortes spöttisch.

Da führten ihn die Hausbeamten Montezumas durch zwei Nebengassen an ein von niedrigen Fächerpalmen und Palisaden umfriedetes Axixcalli ...

Die Kultur Europas kannte dergleichen noch nicht. Im dichtbevölkerten Tenuchtitlan aber gab es einige Hundert zu jedermanns Gebrauch.

Mehrere Stunden hätten kaum genügt, alle Sehenswürdigkeiten des Großen Marktes zu besichtigen, doch wurde Cortes von einem der Höflinge daran erinnert, daß es Zeit sei, zum Großen Tempel aufzubrechen, da Montezuma ihn dort erwarte.


Am Südtor der Schlangenmauer angelangt, wurden Cortes und sein Stab über den mit weißen Marmorplatten bedeckten Tempelhof zum Fuß der Pyramide geführt. Zwei Götterträger und mehrere Diener Montezumas standen bereit, die Christen auf ihren Schultern die hundertundvierzehn überaus hohen Stufen emporzuziehen. Doch Cortes lehnte für sich und seine Hauptleute ab, nur Marina wurde auf den Rücken eines der Götterträger gesetzt.

Auf dem Menschenwürgeplatz erwartete Montezuma in Federbekleidung und mit Sternhimmelgesichtsbemalung, umgeben von einem kleinen Gefolge, die Enkel Quetzalcoatls, vor den beiden Sanktuaren im Hintergrund standen rings um den Adlerstein das Mexikaner-Priesterchen mit blutigen Händen und der höhere Klerus in schmutzstarrendem Ornat, mit wallenden Ärmeln aus gegerbter Menschenhaut.

Auf die Frage des Königs, warum der Grüne Stein sich von seinen Dienern bei dem so ermüdenden Aufstieg nicht habe helfen lassen, erwiderte Cortes mit hochfahrendem Freibeuterstolz: die Christen kennten keine Ermüdung, wenn es gelte, dem Himmel näher zu klimmen ...

Montezuma wandte sich an Marina.

»O Unser Mütterchen, o Malintzin«, sagte er, »ich habe Boten – meine Augen und Ohren – nach Oaxaca gesandt. Morgen wird das böse Weib im Großen Palaste sein ...«

»Lebe viele Jahre, o edler Herr und König!« sagte Marina.

Cortes blickte hinab auf das Dächermeer und die darin wie Klippeninseln verstreuten achtundsiebzig milchweißen Teocalli. Ein ganz besonderer Reiz – unfaßbar und rätselhaft wie ein flüchtiger Dufthauch, eine nicht zu erhaschende Melodie – war der von Kanälen durchaderten Wasserstadt eigen. Das sonnendurchblinkte Wellengeglitzer spiegelte sich an allen Häuserwänden empor, glimmerte und rieselte die kreidegetünchten Tempeltürme hinauf, lachte, lächelte und leuchtete allüberall. Eine Wasserwelt, – und wären die Bewohner Fische gewesen, es wäre kaum als größeres Wunder erschienen, als daß in dieser wellenflimmernden Stadt luftatmende Menschen hausten ...

Doch nicht um den schönen Anblick zu genießen, war Cortes emporgestiegen. Er befand sich in einer Festung. Er mußte sich von der strategischen Lage ein Bild machen, Möglichkeiten des Angriffs und der Abwehr ins Auge fassen.

Unauffällig war die Arbeit seines Geistes. Mit Montezuma redend, sah er, entwarf, prägte sich Straßenzüge und Kanalbrücken ein.

Nachdem er wußte, was er wissen wollte, schweifte sein Blick weiter hinweg und blieb im Südosten am Tempel Xipe-Totecs, Unseres Herrn des Geschundenen, haften, dessen Dach aus gelblichen Menschenschädeln bestand. Wahrlich, das Schicksal Sodoms verdiente die schöne Stadt und war kein Erbarmen wert ...

Cortes erbat sich die Erlaubnis, in die beiden Sanktuare treten zu dürfen. Nach kurzer Beratung mit dem Mexikaner-Priesterchen willigte Montezuma ein und führte die Christen in die Heiligtümer.

An der Schwelle der Huitzilopochtli-Kapelle schlug den Eintretenden ein grauenhafter, infernalischer Gestank entgegen. Seit der Erbauung des Tempels war der Raum nie von Blut gesäubert worden. Zu dicken Klumpen verhärtet, troff es gleich schwarzen und roten Stalaktiten von der Decke und den Wänden herab, so daß die gemeißelten Basreliefs unterhalb der scheußlichen Kruste verschwanden. Eben jetzt triefte helleres frisches Blut über das Gallert der fast schon versteinerten Tropfen. Nahe beim Eingang prasselte auf einem Altar, aus einem Feuertopf hochflammend, das Ewige Feuer – sein Widerschein hüpfte rot auf den blaugrünen Stahlharnischen der Kastilier –, ein Rauchfang in der Decke entführte den weißlich-grauen Feuerqualm in den hohen Sanktuarturm, den Sternhimmel Huitzilopochtlis. Vor dem mit Obsidianmessern, Feuerbohrern und allerlei Tempelgerät bedeckten Altar lag die zwei Klafter lange, aus einem ausgehöhlten Yuccastamm geschnitzte und mit einer Schlangenhaut überspannte Teponaztli-Trommel des Kriegsgottes – sie wurde nur selten, nur in schicksalsschwangeren Stunden gerührt. Weiter hinten in einer vergoldeten Nische erhob sich das überlebensgroße Bildnis des Wunderbaren Huitzilopochtli aus spiegelblank geglättetem, schwarzem Basalt. Als ein niederkauernder Jüngling war der Gott dargestellt, eine Schlange aus Juwelen wand sich um seinen nackten Körper. Einen goldenen Schlangenstab hielt er in der rechten, eine weiße Blume und vier goldene Pfeile ohne Spitze in der linken Hand. Auf seinem Rücken kroch ein großer Drachen, ragte über seine Schultern empor. Als Halsband trug der Gott aneinandergereihte goldene und silberne Herzen. Blau übermalt war sein Gesicht und wies gelbe Querstreifen auf, welche Kinderschmutz bedeuteten.

In die danebenliegende Kapelle des Wassergottes blickten die Kastilier nur flüchtig hinein. Der Gestank war zu unerträglich. Der basaltene »Zauberprinz« entsprach genau dem weißen Tlaloc auf der Kordillere, nur daß er ein goldenes Blitzebündel in der Hand hielt. Und vor ihm, auf einem Steintisch, zuckten drei soeben erst entrissene Edelsteine. Im Sanktuar Huitzilopochtlis hatten die Christen fünf solche noch pochenden Menschenherzen gesehen ...

Nachdem sie wieder ins Freie getreten waren und tiefaufatmend die reine Höhenluft einschlürften, bemerkte Cortes:

»Dieser teuflische König hat, bevor wir heraufstiegen, eine Opferhandlung vornehmen lassen, um seine Götzen mit unserem Besuch auszusöhnen!«

»Trotzdem bitte ich Euer Gnaden«, warnte Pater Olmedo, »dem König hier oben keine Vorhaltungen zu machen. Wir müssen auf seine Gefühle Rücksicht nehmen – was uns als Greuelstätte erscheint, ist ihm das heiligste seiner Heiligtümer ...«

Cortes wollte antworten, doch er sah, daß Sandoval eilig die große Pyramidentreppe emporklomm, und ging ihm entgegen.

»Was bringt Ihr, mein Sohn Sandoval?«

»Zwei Briefe. Einen von Alonso de Grado und einen vom Richter Moreno Madrano. Es ist ein Wunder, daß sie noch angelangt sind: denn der verkleidete Tlascalteke, der sie überbrachte, sagte mir, er habe, über den Steindamm gehend, gesehen, daß die Mexikaner bereits Vorbereitungen treffen, die hölzernen Dammbrücken zu entfernen ...«

Cortes entsiegelte zuerst den Brief des Vielschreibers. Jede Zeile war eine Hiobspost. Abfall und Verrat des dicken Kaziken, Niederlage, Escalante und sechs Weiße erschlagen, eins der Pferde getötet ... Und nicht die geringste der Hiobsnachrichten war es, daß Alonso de Grado sich zum Stadtkommandanten von Vera Cruz hatte wählen lassen.

Der Brief des Richters enthielt Klagen über die Schreckensherrschaft Alonso de Grados.

Montezuma erriet, was Cortes las. Sein Herz verhärtete sich.

»0 mein Oheim und Vater«, sprach er leise zum Mexikaner-Priesterchen. »Die Frist, die ich dem Verhängnis lassen wollte, hat der Himmel kurz bemessen. Heute nacht muß es geschehen.«

»0 du von aller Welt geliebter Sohn«, flüsterte der Hohepriester. »In deinen Händen hältst du das Leben und den Tod. Doch sprich das Wort der Vernichtung nicht aus, solange das Rätsel der Welle nicht gelöst ist. Warte bis morgen abend, bis das Weib aus Oaxaca das Geheimnis zeigt, das sie in ihren Eingeweiden verbarg.«

Cortes hatte jetzt den Entschluß gefaßt, am folgenden Morgen das Äußerste zu wagen. Ihm lag daran, daß Montezuma ihm diesen Entschluß nicht anmerke. Um ihn auf eine falsche Fährte zu führen, scheute er davor nicht zurück, ihn – der Warnung Pater Olmedos zum Trotz – durch freimütige Äußerungen über die Götzen zu kränken. Mochte er auch taktlos und wie ein unbeirrbarer Schwärmer erscheinen, so hoffte er gerade dadurch den Anschein zu erwecken, als beschäftige ihn kein anderer Gedanke, als wäre die Bekehrung sein einziges Ziel.

»Eure Majestät verzeihe mir die Kühnheit«, begann er. »Die Götter, die ihr Mexikaner anbetet, sind stinkende Diener des Teufels. Wenn Eure Majestät gestatten wollten, das Bild der wahren Mutter des Allmächtigen hier oben aufzurichten – es würde bald offenbar werden, wie machtlos diese elenden Götzen sind!«

»Vergeßt nicht, wo wir uns befinden, Don Hernando!« murmelte Alvarado.

»Ihr solltet wissen, Don Pedro, daß ich kein Narr bin!« versetzte Cortes. »Solange Ihr den Inhalt der beiden Briefe nicht kennt, vertraut meiner Klugheit ...«

Er sprach die ernsten Worte lachend aus, damit sie den Mexikanern wie eine Scherzrede klingen sollten.

Inzwischen hatten der König und der Hohepriester funkelnde Blicke gewechselt.

»O Grüner Stein«, sagte Montezuma zornbebend zu Cortes. »Hätte ich vorausgeschaut, daß solche Worte im Angesicht meiner Götter aus deinem Munde herauskommen würden, niemals hätte ich dir erlaubt, zum Sternhimmelfries emporzusteigen! Begib dich in deine Wohnung!

Ich aber werde hierbleiben, die Götter zu tränken, die Frucht darzubringen, die der Adler verschlingt, die blutende Adlerkaktusfeige, und den schrecklichen Huitzilopochtli durch Kasteiung und Gebete um Vergebung zu flehen, daß ich dich hergeführt habe!«

Mit Befriedigung ersah Cortes aus dem Zorn Montezumas, daß er ohne Argwohn war. Höflich entschuldigte er sich: das Mitleid mit der Seele des Königs habe ihn verleitet, rücksichtsloser zu reden, als man vor einem so berühmten und mächtigen Herrscher wohl reden dürfe. Er bat den König, ihm seinen Eifer – der ja ein Zeichen seiner Verehrung und Liebe sei – nicht nachzutragen; und er verabschiedete sich mit einer tiefen, ehrerbietigen Verbeugung.

Montezuma aber ging auf die Edelsteinschale zu, wo der Herr des Schwarzen Hauses und der Blutvergießer seiner warteten.

Erst auf dem Rückweg erfuhren die Feldobristen den Tod Escalantes.

Cortes ritt neben Sandoval.

»Macht Euch bereit, mein Sohn Sandoval, sofort an die Küste aufzubrechen. Vera Cruz ist das Lebensmark unserer Unternehmung. So jung Ihr seid – ich habe zu keinem Vertrauen wie zu Euch. Darum habe ich mich entschlossen, Euch zum Nachfolger Escalantes zu ernennen!«

Sandoval dankte bewegt. Cortes lehnte den Dank ab.

»Es ist keine leichte Aufgabe, mein Sohn! Ich schicke Euch in das Haus des Augias – vielleicht in das des Todes. Doch freilich, den Tod haben wir alle zum Gastgeber – auch hier ...«

Im Tecpan des Königs Wassergesicht bat Cortes die Schwarze Blume, in einem Kanoe unauffällig den südlichen Steindamm entlang bis nach Iztapalapan zu rudern und sich zu vergewissern, ob die hölzernen Brücken noch nicht entfernt würden.

Darauf diktierte Cortes dem Notar Diego de Godoy den Text einer Urkunde, worin die Absetzung des Don Alonso de Grado und die Bestallung Sandovals als Oberrichter und Befehlshaber der Meeresfestung verfügt wurde.

Drei Stunden später meldete die Schwarze Blume: die Holzbrücken stünden zwar noch, gewisse Vorkehrungen deuteten aber darauf hin, daß sie in der kommenden Nacht entfernt werden würden.

Sandoval ritt mit einer Eskorte von zwanzig Tlascalteken an die Küste ab. Sein junges Weib, Doña Ximena, die Tochter des Offenen Gesichts, setzte er hinter sich auf des Pferdes Kruppe: Motilla war kräftig genug, beide zu tragen. [leer] Am Abend saß der Astrolog Botello im Schlangensaal bei Cortes und zeigte ihm seine Berechnungen.

»Ist Euer Megameter nicht verbogen?« fragte Cortes zweifelnd.

»Ich habe es dreimal berechnet, Euer Gnaden! Wahrhaftig, Ihr seid unter der Fahne geboren!«

Cortes beschenkte ihn und entließ ihn.

Dann ging er ruhelos auf und ab im großen, leeren Saal. Noch nie hatte ihm ein Entschluß solche Qualen verursacht. Auf der obersten Plattform der Pyramide hatte er geglaubt, entschlossen zu sein, – seit er herabgestiegen war, war sein Wille zur Erde gestürzt und lag zerschellt da. Bedenken auf Bedenken stellten sich ihm entgegen. Und war er zwar immer noch entschlossen, so bezweifelte er doch jetzt die Ausführbarkeit seines Beschlusses. Er glaubte plötzlich nicht mehr an seines Sternes Kraft.

So versunken war er in der Flut seiner Gedanken, daß er zusammenfuhr, als er im Kienfackellicht den Zimmermann Cristobal de Jaén vor sich stehen sah.

»Wie kommt Ihr herein? ...« fuhr er ihn an. »Was wollt Ihr?«

»Euer Gnaden wissen, daß ich Zimmermann und auch Maurer bin. Daher habe ich etwas gesehen, was andere Leute nicht gesehen haben ...«

»Wollt Ihr damit sagen, Señor, daß Ihr etwas wißt, was ich nicht weiß?«

»Vielleicht ... Oder ist es Euer Gnaden bekannt, daß sich in diesem Saal eine verborgene Tür befindet?«

»Nein! ... Wo?«

»Als ich heute früh durch diesen Saal ging, sah ich es sofort. Doch ich verschwieg es, um es Euer Gnaden allein mitzuteilen ... Hier an der Wand ist die Tür. Sehn Euer Gnaden sie jetzt?«

»Nein, noch immer nicht«, gestand Cortes ein.

»Ja, diese Mexikaner haben tüchtige Werkleute, Euer Gnaden! Die Tür ist vermauert, mit Mörtel verschmiert und mit Tapetenstreifen überklebt ...«

Der Zimmermann erhielt den Auftrag, die Vermauerung zu entfernen. Das laute Gepoch des Stemmeisens lockte die Hauptleute und viele Soldaten in den Schlangensaal.

Als die Tür durchbrochen war, ließ sich Cortes eine Fackel reichen, und auch die Feldobristen ergriffen Fackeln.

Die Tür ging auf eine enge Treppe hinaus, und diese führte hinab in eine Flucht unterirdischer Kammern.

Cortes stieg die Treppe hinab, betrat die erste Kammer. Ein hellgelber Glanz schimmerte ihm entgegen, entzündete sich am Kienfackelschein, auflodernd wie ein Feuerstrom. Der Goldschatz des Königs Wassergesicht lag da ausgebreitet. Aus schwarzer Nacht glomm er empor wie ein sich gebärender Stern. Den ganzen Raum füllte die aufsteigende Licht-Emanation.

Cortes schritt weiter. Schatzkammer reihte sich an Schatzkammer. Neben Goldbarren standen Edelsteinkisten, goldene Hausgötzen, goldene Trinkgefäfje. In einem älteren Stil als die Geschenke Montezumas oder die Kostbarkeiten der Juwelenhändler auf dem Großen Markt waren diese Goldarbeiten ausgeführt, barbarischer, seltsamer.

In den drei letzten Kammern wetteiferte der Hort von Tezcuco mit dem altmexikanischen an Pracht.

»Es ist, als schritten wir durch das Schatzhaus des Atreus«, bemerkte Velazquez de Leon zu Cortes.

»Ja«, sagte Cortes, »und das Leben am Königshof zu Orchomenos oder Mycenae wird kaum anders gewesen sein als am Königshof zu Tenuchtitlan. Gold erworben durch Greuel, und Greuel verursacht durch Gold. Eine purpurne Herrlichkeit, golden und blutig. Das Schicksal der Atriden sei eine Warnung auch für uns! Wieder zumauern lassen will ich die Tür, dem Glück das Geschenk vor die Füße werfen, womit es mich überlisten will!«

Rasch kehrte Cortes zum Eingang zurück. Als er in die erste Kammer trat, sah er, daß San Juan der Aufgeblasene einen Geier aus Gold im Arme hielt. Er zwang ihn, die Kostbarkeit an ihren Platz zurückzustellen.

»Dies Schatzhaus gehört Montezuma!« rief er den Soldaten zu. »Ich lasse jeden hängen, der einen Gegenstand zu entwenden wagt!«

Eine Weile noch gönnte er es den Neugierigen, sich am Geblink und Geflimmer zu weiden. Dann befahl er allen, sich zu entfernen.

Murrend gehorchten die Soldaten. Auch die Feldobristen stiegen die Treppe hinauf. Nur Avila rührte sich nicht. Vom Goldfieber gepackt, hatte er einen Tobsuchtsanfall wie einst bei den Sanddünen. Gekrümmt stand er da, raubtierhaft, mit blutunterlaufenen Augen, mit Schaum am Munde. Er wollte es nicht zulassen, daß die Tür vermauert werde, er wollte Cortes an die Gurgel springen. Olid, Luis Marin und Alvarado gelang es nur mit Mühe, seine Berserkerwut zu bändigen und ihn wie ein Tier aus der Schatzkammer zu schleppen.

Der Zimmermann Cristobal de Jaén vermauerte darauf die Tür. Eine Stunde später versammelte Cortes die Hauptleute zum Kriegsrat. Seine Bedenken waren durch die Entdeckung des Goldschatzes beseitigt: er durfte nicht abwarten, daß Montezuma von dieser Entdeckung erfuhr. Und sein Heer – das hatte ihm das Goldfieber gezeigt – tanzte und taumelte über einem Abgrund, ahnungslos.

Manche stimmten seinem Vorschlage zu, manche entsetzten sich vor solcher Verwegenheit ...

Da trat der Page Orteguilla ein. Er war aus dem Huei-Tecpan entflohen, weil er fürchtete, verspeist zu werden. Wie einst in Sempoalla ging er auf Türkissandalen, war unbekleidet bis auf einen Lendenschurz und eine Edelmarderdecke auf dem Rücken und hatte eine mädchenhafte Perücke aus lang herabwallenden ockergelben Papageienfedern.

Cortes fragte ihn aus. Der Knabe hatte nicht viel gesehen, doch allerlei Gespräche belauscht. Die Höflinge redeten von einem Opferfest – sämtliche Christen würden geopfert werden. Nur Marinas wegen zögerte Montezuma noch und habe den Überfall auf den übernächsten Tag verschoben.

Auch von Escalantes Haupt wußte Orteguilla zu berichten. Zwar war er nicht zugegen gewesen, als es Montezuma gebracht wurde, doch die Höflinge hatten die schaurige Nachtszene beschrieben, und nun beschrieb sie der Knabe.

Der Eindruck auf die Feldobristen war so stark, daß sie einstimmig den Beschluß faßten, am folgenden Morgen Montezuma gefangenzunehmen oder – falls er Widerstand leisten sollte – ihn zu töten.


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