Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Gleich nachdem Kriegsmaske abgeführt worden war, tagte der Kriegsrat der Feldobristen. Auch Marina, Pater Olmedo und Don Juliano de Alderete nahmen an der Sitzung teil. Zur Erörterung stand die Frage: ob es unbedenklich sei, gerade jetzt – bei Beginn der Belagerung – einen der mächtigsten Bundesgenossen vor Gericht zu stellen? ob man es wagen, ob man für die Folgen – den voraussichtlichen Abfall vieler Tlascalteken – die Verantwortung tragen könne?

Die Frage wurde von allen bejaht. Auch von Alvarado. Aber Alvarado wollte den Bruder seiner Gattin Rabenblume vor dem Galgen bewahren und brachte, sich ereifernd, neue Bedenken vor.

Das Kriegsgericht würde nicht zuständig sein, erklärte er. Der Mord am Hermaphroditen sei kein Kriegsvergehen. Im Edikt des General-Kapitäns seien zwar Gewalttaten an Indianerinnen als todeswürdige Kriegsvergehen genannt – es ließe sich jedoch nicht nachweisen, daß Kreideschmetterling eine Indianerin war ...

Ein schallendes Gelächter erhob sich bei diesen Worten. Alvarado, als Redner stets ein wenig befangen, ließ sich verwirren. Gereizt fuhr er um so leidenschaftlicher fort!

»Dieser Mord aus Eifersucht, Señores, ist eine tlascaltekische Angelegenheit – mögen das die Tlascalteken untereinander abmachen (ob sie einen ihrer Fürsten aburteilen wollen und können, das ist ihre Sache! ...). Wir dürfen nur wegen der unerlaubten Reise nach Tlascala – nennt es meinetwegen Fahnenflucht – Anklage erheben. Aber bedenkt doch, Señores, daß ein König kein Troßknecht ist. Ein Verweis, eine öffentliche Rüge scheint mir die angemessene Strafe – nicht der Galgen! ...«

»Dies gehört nicht vor den Kriegsrat, Don Pedro, Ihr greift den Richtern vor!« unterbrach ihn Cortes. »Meine Frage – die auch Ihr bejaht habt – lautete: ob wir es wagen können, das Kriegsgericht tagen zu lassen, um endlich mit Eurem Schwager abzurechnen. Hätte er die beiden Brigantinen Montezumas nicht in Brand gesteckt – uns wäre die Nacht der Schrecken, zahllosen Kameraden wäre der Opfertod erspart geblieben. Seit jener Schandtat war sein Leben nur gefristet. Ihr selbst habt das oft genug ausgesprochen. Ihr und Doña Maria Luisa wart – damals und bis vor kurzem noch – so erbittert gegen ihn wie wir anderen. Was hat Euch umgestimmt? Verdient Euer Schwager etwa Mitleid?«

»Vielleicht ...«, erwiderte Alvarado. »Auch die Klapperschlange verdient Mitleid, daß sie eine Klapperschlange ist! ...«

»Dennoch müssen wir sie vertilgen!« sagte Cortes. »Damit beginnt die Bibel. Es ist der Zweck der Menschheit: arbeiten und Schlangen vertilgen ... Ein nachdenksames Symbol! ... Es ist auch der Anfang der Menschlichkeit, daß man die Menschen schützt, daß man aber die Giftschlangen nicht schützt – der Menschen wegen!«

»Unsertwegen also – um uns zu schützen? ... Oder der Toten wegen, um sie zu rächen? ... Weswegen denn soll er gerichtet werden?«

»Weswegen? Das ist Nebensache!« rief Olid – stets sprungfertig, wenn es galt, Alvarado zu reizen. »Die Hauptsache ist, daß er gehenkt wird. Die Urteilsgründe gehen bloß den Gerichtsschreiber und sein Protokoll an!«

»Nein – sie gehen auch mich und meine Freundschaft mit Hernando Cortes an!« rief Alvarado hitzig. »Die Gerechtigkeit ist nicht Wachs, daß man sie beliebig modeln darf! Gleichgültig ist es nicht, ob Urteilsgründe stichhaltig sind oder bloße Scheingründe und Vorwände sind! Auch ein Verbrecher hat Anspruch auf Gerechtigkeit!«

Sandoval, Pineda, Luis Marin und Francisco Hernandez mischten sich in den Streit und suchten Alvarado zu widerlegen. Das Wortgefecht wurde wilder und lauter.

Plötzlich verstummten alle. Aschfahl im Gesicht kam Gonzalo Mejia Rapapelo, der Enkel der Räuberin, in den Saal hereingestürzt. Er lief auf Cortes zu und warf sich vor ihm auf die Knie.

Die Feldobristen hatten ihre Sitze verlassen. Sie umringten Cortes und den Knienden.

»Ihr habt den Brief Eures Vaters noch nicht erhalten, Señor Capitan? ...« fragte Rapapelo in fliegender Hast.

»Meines Vaters? ... Kam ein Schiff in Vera Cruz an? ...«

Ohne zu antworten, fragte Rapapelo weiter:

»Das Kriegsgericht hat noch nicht begonnen? ...«

»Nein ... Was ist geschehen? ...« riefen mehrere Stimmen zugleich.

»Noch nichts, wie ich sehe – gelobt sei Gott! ... Noch nichts ist geschehen! ...«

»Und was sollte geschehen?« fragte Cortes rasch.

»Sichert mir Straflosigkeit zu, Señor Capitan – so will ich meinen Eid brechen und alles sagen!«

»Diese Herren sind Zeugen: Ihr werdet nicht bestraft werden! ... Redet!«

»Es ließ mir nicht Ruhe ... Ich bin kein Schuft, Señor Capitan! ... Man hat mich zum Eid verleitet ...«

»Zu welchem Eid?«

»Ihr werdet gleich hören ... Wenn das Kriegsgericht beginnt, soll Euch ein Brief Eures Vaters überreicht werden ... Und während Ihr den Brief lest, sollt Ihr erdolcht werden ... und mit Euch alle die Herren Hauptleute hier ... und dann wird Don Juliano de Alderete zum General-Kapitän ausgerufen ...«

»Ich?! ... Welche Schurkerei!« schrie Alderete.

Die anderen alle standen fassungslos da, wie von einem Keulenschlag vor die Stirn getroffen.

Erblassend ging Alderete auf Cortes zu:

»Ich schwöre Euch, Don Hernando, daß mir nichts hiervon bekannt war!«

Cortes nickte bloß.

»Wie viele Mitverschwörer sind es?« fragte er den Enkel der Räuberin.

»Zweihundert, Señor Capitan. Viele sind drüben im Hause des Villafaña versammelt. Villafaña ist der Anstifter und Anführer. Er hat eine Liste, auf der alle Namen stehen ...«

»Folgt mir, meine Herren!« rief Cortes. »Wir wollen das Nest ausheben!«


Die Hauptleute waren mit Cortes hinausgestürmt. Als Alderete eben den Saal verlassen wollte, kehrte Luis Marin mit drei Hellebardieren zurück.

»Don Juliano, ich muß Euch bitten, hier zu verweilen°«

»Warum? ... Genügt Euch das Wort eines Ehrenmannes nicht? ...«

»Euer Wort wird nicht angezweifelt, Don Juliano. Doch bis die Verschwörer peinlich befragt wurden, werdet Ihr Euch hier ein wenig gedulden müssen, – die drei Soldaten, die die Saaltüren bewachen, haben Auftrag, übereifrige Anhänger des bisherigen General-Kapitäns von Euch fernzuhalten!«

»Des bisherigen? ... Wenn Ihr damit sagen wollt, daß ich ...«

»Nichts wollte ich damit sagen, Don Juliano! Ich tue nur meine Pflicht, indem ich Euch vor den Rachsüchtigen beschirme!« rief Luis Marin und eilte hinaus.

Alderete war ein Gefangener.


Inzwischen hatten die Feldobristen ihre verläßlichsten Veteranen um sich geschart und waren in das von Villafaña bewohnte Haus eingedrungen. Sie trafen dort, außer Villafaña, den Steuermann Cardenas, Porras den rothaarigen Sänger, Pedro de Palma, Pero Trujillo und einige zwanzig der Verschwörer an. Als Cortes eintrat, zerriß Villafaña ein dicht beschriebenes Papier, stopfte es in seinen Mund und versuchte es herunterzuwürgen. Im Nu wurde er überwältigt, seine Freunde ließen sich schreckerstarrt entwaffnen. Olid und Cortes hielten Villafañas Arme, der Reiter Dominguez riß ihm den Mund auf, und Sandoval griff in den Schlund hinein und holte die Hälfte der Verschwörerliste aus der grölenden Kehle heraus. Einen flüchtigen Blick warf Sandoval in die Liste, aber sofort nahm Cortes sie ihm ab. Und Cortes las die Liste nicht. Er verbrannte sie auf einem Kohlenbecken.

»Wenn Namen von Hochgestellten auf diesem Papier sind«, sagte Cortes zu Villafaña, »so will ich sie nicht kennen. Die übrigen aber sind Verführte. Ihr, der Verführer, sollt allein Eure und ihre Schuld entgelten.«

»So sei es!« rief der durch den brutalen Ringkampf ganz verstrobelte, schwarzbärtige, leichenblasse Villafaña. »Ich für alle! Das wird mir die Folter und den Tod versüßen! Was das Feuer verschweigt, soll auch mein Mund verschweigen!«

Er wurde dem Henker Osorio zur Folter übergeben. Obgleich ihm keine der üblichen Martern erspart blieb, hielt er bis zuletzt heldenmütig aus und gab auf jede der an ihn gerichteten Fragen immer nur die eine Antwort: »Ich für alle!«


»Frater Melgarejo« hatte Sandoval – flüchtig auf die Verschwörerliste blickend – gelesen, bevor sie von Cortes verbrannt worden war. Der Name dieses Geistlichen war erst kürzlich von Pater Olmedo mit Kopfschütteln erwähnt worden.

Es mochte etwa drei Tage her sein, Cortes, Alvarado und Sandoval standen über eine auf Hirschhautpergament gemalte aztekische Landkarte gebeugt, Angriffspläne entwerfend und verwerfend, als Pater Olmedo hinzutrat, eine ihn beunruhigende Beobachtung mitzuteilen: Soldaten, die sich sonst durch Frömmigkeit nicht auszeichneten, gingen beim Hauskaplan des Oberrechnungsführers ein und aus.

Zusammen mit Don Juliano de Alderete war dessen Hauskaplan, der Franziskaner-Bruder Pedro Melgarejo de Urrea aus Sevilla, ins Hochtal Anahuac gekommen und hatte einen mit Tausenden von Ablaßzetteln (gestempelten, rot gesiegelten Ablaßzetteln) gefüllten Koffer mitgebracht. Er war der erste, der in der Neuen Welt mit dieser Ware Handel trieb. Doch obgleich in den Sternen geschrieben stand, daß er ein steinreicher Mann werden sollte, hatte er anfänglich schlechte oder gar keine Geschäfte gemacht. Die Soldaten trauten mehr den Amuletten und Nothemden, sie behielten gern ihre Sünden mitsamt ihrem Geld. Nun war da plötzlich eine Sinnesänderung eingetreten: sein Haus wurde bestürmt. Und es war Pater Olmedo aufgefallen, daß unter den Soldaten, in deren Händen er Ablaßzettel sah, viele ihm als Anhänger des Gobernadors von Kuba und Don Panfilos de Narvaez bekannt waren.

»Padre, wie ist das zu deuten?« fragte Sandoval.

»Nicht als Reue über begangene Sünden, Señor!«

»Sondern?« schmunzelte Alvarado, – »etwa über verpaßte Sünden, die einem entwischen wie die Feen in den Märchen? ... Oh, die Reue kennen wir alle – auch Ihr, Padre! Nur verstehe ich nicht, was ein Ablaßzettel daran bessern kann!«

»Weil Ihr ein unverbesserlicher Sündenknecht seid!« brummte Olmedo gutartig. Er war kein Spielverderber und pflegte mit den Wölfen zu heulen – lebte er doch unter Wölfen. Ernster werdend, fuhr er fort:

»Wer sich von Sünden loskauft, beweist – in der Regel – damit, daß er sich bessern will. Nicht so unsere Soldaten. Die bereuen nichts und werden nichts bereuen, – sie wollen, denke ich mir, vorbeugen, wollen Vorsichtsmaßregeln treffen gegen die üblen Folgen einer erst zu begehenden Sünde – vielleicht eines Kapitalverbrechens ...«

Doch dieser Gedanke wurde von Alvarado mit Scherzen zurückgewieseni und Cortes warf Olmedo Schwarzseherei vor.

Jetzt nach der Festnahme Villafañas entsann sich Sandoval jenes Gespräches, und er beschloß nachzuholen, was damals unterlassen worden war: nämlich den Frater Melgarejo der peinlichen Frage zu unterwerfen. Er beschloß, dies auf eigene Faust zu tun, weil er sich scheute, Cortes einen der Namen zu nennen, die zu lesen er sich geweigert hatte.


Der Henker Osorio, in dessen kunstvollen Martermaschinen Villafaña beinahe den Geist, aber nicht den Trotz aufgegeben hatte, wurde mit Melgarejo schneller fertig. Gleich beim ersten Grade der Folter, als den weichlichen Priesterhänden Daumenschrauben angelegt waren, erklärte Melgarejo sich bereit, nichts zu verschweigen. Durch ihn erfuhr Sandoval, daß nicht nur ein neuer General-Kapitän erwählt war: auch ein General-Quartiermeister an Stelle von Olid, ein Ober-Alguacil an Stelle von Sandoval, ein Schatzmeister an Stelle von Albornoz und zehn neue Feldobristen waren ernannt, die nach der Ermordung der Kavaliere die Führung der Truppen zu übernehmen hatten. Selbst über das Hab und Gut der zu Ermordenden war bereits verfügt, und an wen ihre Helme, Harnische und Pferde fallen sollten. Die Frage, ob Don Juliano de Alderete in die Verschwörung verwickelt sei, verneinte Melgarejo, die Frage aber, ob Alderete durch ihn in Kenntnis gesetzt worden war, bejahte er. Die nächste Frage Sandovals lautete:

»Wie kam Villafaña auf den Einfall, einen kriegsunerfahrenen Hofbeamten wie Alderete zum Nachfolger Don Hernandos zu bestimmen?«

Melgarejo antwortete:

»Villafaña wußte von mir, daß Don Juliano vom Erzbischof von Burgos ein Patent erhalten hat, welches ihn ermächtigt, nötigenfalls Cortes in Ketten zu legen, sogar ihn zum Tode zu verurteilen und sich an seine Stelle zu setzen. Es war Villafaña auch bekannt, wie sehr der Erzbischof von Burgos dem Gobernador von Kuba, Don Diego Velazquez, zu Dank verpflichtet und ergeben ist. Da nun Villafaña beabsichtigte, ein Soldatenreich in Mexico zu errichten, meinte er, daß Don Juliano, der nichts von Kriegführung versteht, ihm nicht im Wege sein werde, und er hoffte durch seine Ernennung zum General-Kapitän sich das Wohlwollen des Gobernadors von Kuba und des Bischofs von Burgos zu sichern.«

Sandoval war zumute, als habe sich ein Abgrund vor ihm aufgetan. Er eilte zu Cortes, ihn zu benachrichtigen.


Als Sandoval vor Cortes trat, fand er ihn in schlechtester Stimmung. Getobt hatte Cortes vor Wut, als ihm zu Ohren gekommen war, daß Alderete von drei Hellebardieren bewacht werde. Er war sofort zu ihm geeilt, hatte die Hellebardiere davongejagt und hatte sich, so gut es ging, bei Alderete entschuldigt: die nicht zu rechtfertigende Gefangensetzung sei ohne seinen Wunsch und Willen geschehen. Der steife, saftlose Alderete hatte bitter lächelnd über seine allzueifrigen Beschirmer Klage geführt und sich schließlich mit der feurig vorgetragenen Entschuldigung zufriedengegeben. Eine äußerliche Aussöhnung war zustande gekommen, bekräftigt durch Händedruck und Umarmung. Und in Gegenwart Alderetes, ihm gewissermaßen zur Genugtuung, war Luis Marin von Cortes hart angefahren und zu vierundzwanzigstündigem Arrest bestraft worden.

Sandoval wartete klugerweise, bis Alderete sich verabschiedet hatte, dann machte er Cortes mit dem Inhalt der Aussagen Melgarejos bekannt. Die Tatsache, daß der Hauskaplan Alderetes gefoltert worden war, erregte Cortes nicht weniger als die Nachricht über das Patent. Er nahm sich nicht einmal die Zeit, Sandoval Vorwürfe zu machen, er eilte, ja er lief in die Folterkammer – als solche war ein Kellerraum des von Villafaña bewohnten Hauses hergerichtet. Mit gebrochenen Gliedern, unfähig, einen Schritt zu gehen, war Villafana in seine Schlafkammer getragen worden. Bruder Melgarejo dagegen befand sich wohlauf, saß schmerzlos auf einem der Folterwerkzeuge und plauderte mit Osorio.

Den Henker schickte Cortes hinaus, nachdem er ihm eingeschärft hatte, die Folterung des Fraters und seine Aussagen geheimzuhalten. Mit Melgarejo allein geblieben, sprach Cortes eine Stunde lang in ihn hinein, beschwichtigte ihn, zahlte ihm eine Geldsumme als Buße und erkaufte mit einer noch größeren Geldsumme das Versprechen von ihm, die Sache auf sich beruhen zu lassen und seine hochnotpeinliche Befragung aller Welt und vor allem Alderete zu verschweigen.


Gegen Abend tagte endlich das Kriegsgericht. Antonio de Villafaña und Don-Vicente Kriegsmaske wurden beide zum Tode durch den Strang verurteilt. Gemeinsam sollten sie bei Sonnenaufgang sterben. Der Zimmermann Cristobal de Jaeén erhielt Auftrag, zwei Galgen während der Nacht zu zimmern und auf dem Marktplatz Tezcucos aufzurichten.

Villafaña lehnte den ihm angebotenen geistlichen Zuspruch des Paters Olmedo ab und erbat sich statt dessen den des Fraters Juan Diaz, – seiner von allen bewunderten Mannhaftigkeit wegen gewährte ihm Cortes diesen Wunsch. Don Vicente machte keine Einwände, als man ihm meldete, daß Pater Olmedo ihm in seiner letzten Lebensstunde zur Seite stehen wolle. Er erwiderte den Gruß des eintretenden Geistlichen freundlich. Als jedoch Pater Olmedo ihm die Hand zum Kusse hinhielt, biß Kriegsmaske hinein, verbiß sich hinein wie eine Bulldogge. Auf das Geschrei Olmedos stürzten Wachtposten herzu und vermochten erst nach längerem Kampf dem tollen König die zerfleischte Hand zu entreißen. Der Daumen war abgebissen und vom Rasenden verschluckt worden.

»Ich wünschte, der Daumen wäre die Gesamtheit der Christen!« grölte Kriegsmaske mit irrem Lachen. »Halte mir auch die andere Wange hin, Priester, wenn du ein Christ bist! Laß sehen, wie der andere Daumen schmeckt! ...«

Aber Pater Olmedo entfernte sich, weiß im Gesicht, »Demonio! Demonio!« rufend.


Bei Anbruch der Nacht empfing Cortes eine Deputation seiner getreuesten Anhänger. Der Glückwunsch des Heeres und der in einer Soldatenversammlung gefaßte Beschluß, ihm eine Leibwache zu stellen, wurde ihm feierlich vorgetragen und das Ersuchen an ihn gerichtet, einen Hauptmann der Leibwache zu ernennen. Er dankte tief bewegt: bisher sei er ohne Leibwache ausgekommen, Gottes Hand und die Anhänglichkeit seiner alten Kameraden seien ein genügender Schutz, – da aber das Heer ihm eine Leibwache zu stellen wünsche, wolle er nicht widersprechen, und er werde dem guten Hidalgo Antonio de Quiñones die Bewachung seiner Person anvertrauen.

Alvarado gab den Kavalieren ein Bankett, um die Errettung aus Todesgefahr zu feiern, aber auch um weittragende Entschlüsse zu fassen. Alderete wurde nicht eingeladen. Und Cortes lehnte aus Rücksicht auf Alderete die Einladung ab.

Mit Marina ging Cortes im Garten des Schneckenhaus-Palastes auf und ab. Er führte sie weit abseits in einen Lorbeerhain.

»Hier kann ich unbelauscht reden, hier kann ich laut denken, Marina! Mondlicht bedarf der Nacht, um zu scheinen, und ich bedarf der Einsamkeit, um zu denken. Du bist die Einsamkeit für mich, Marina, und du bist mein Gewissen! Wenn meine Gedanken sich vor dir hervorwagen, fühlen sie einen Richter neben sich. Heute will ich dir meine Seele nackt zeigen, ich will sie entkleiden und bloßlegen, wie ich es noch nie früher getan habe. Ja, ich will dir eingestehen, was ich mir selbst noch nie eingestanden habe ...«

Er schwieg eine Weile. Sie ermunterte ihn nicht, weiterzureden. Sie wußte, daß er in dieser Stunde wie ein Schlafwandler war, der ohne zu stürzen in Todesschlünde blicken kann, dessen zaubervolle Sicherheit aber, wenn er angeredet wird, vor sich selbst erschrickt und schwindet ...

Er fuhr, gleichsam zu sich selbst redend, fort:

»Bei Alvarados Bankett zugegen zu sein, mußte ich mir versagen. Dort wird Hochverrat geschmiedet – die Eisen sind ja heiß heute, weißglühend ... Mein Schweigeverbot ist – daran zweifle ich nicht – von allen übertreten worden, von Melgarejo, von Osorio und von Sandoval. So hatte ich es auch beabsichtigt: Alderete soll wissen, daß ich die Folterung seines Hauskaplans mißbilligt habe und daß ich es ein Stück Geld mich habe kosten lassen, Melgarejo den Mund zu stopfen, meine Soldaten und meine Offiziere sollen wissen, daß Alderete einen Haftbefehl und ein Todesurteil gegen mich in der Tasche trägt ... In Zukunft werden Alderete und ich ein lustiges Versteckspiel spielen und beide so tun, als ahnten wir nichts vom Patent ... Was jetzt auf dem Bankett Alvarados vorgeht, ist mir völlig klar, obgleich niemand mich eingeweiht hat, vielleicht auch niemand mit einem scharfumrissenen Plan zum Bankett gegangen ist. Gewisse Gedanken sind schicksalhaft, sind zu gegebener Zeit unausweichlich. Villafaña wollte ein unabhängiges Soldatenreich Mexico gründen. Das liegt – möchte man sagen – in der Luft: Velazquez de Leon sprach von solch einer Staatengründung, Olid, der nicht davon spricht, denkt merkbar daran ... Und wie steht es mit mir? Vor dir kann ich es aussprechen, Marina. Der Gedanke an Hochverrat, an Abfall vom Kaiser schwebt wie eine Tantalusfrucht vor meinen Augen Tag und Nacht. Mit stählernen Stricken habe ich meine Hände und Arme festgebunden, um nicht nach der lockenden Frucht zu greifen, wie sehr sie sich auch mir entgegenneigt, mir entgegenwächst ... Greife ich zu früh nach ihr, bringt sie den Tod, doch wenn sie ausreift, wird sie Heil und Leben bringen. Und ich will warten, bis sie herangereift ist. Ich bin ein Verbrecher ohne Verbrechen, Marina. Weil ich aber in Gedanken ein Verbrecher bin, muß ich in meinen Taten erst recht tadelfrei erscheinen und der Ungeduld meiner Offiziere eine undurchsichtige, eine undurchschaubare Geduld entgegensetzen. Es gibt eine zwingende Logik des Geschehens: sie denkt für die Menschen und wird auch meine Offiziere zwingen, zwischen Alderete und mir zu wählen. Der Vertreter der Kaisermacht steckt mit Meuchelmördern unter einer Decke – das ward heute erwiesen. Meine Offiziere werden ähnlichen Überraschungen zuvorkommen wollen ...«

»Auch Olid?« fragte Marina.

»Ja, auch Olid«, sagte Cortes. »Wenn ich erst ein Empörer wurde, hofft er leichter ein Empörer werden zu können. Von mir – nicht vom Kaiser – abzufallen, reizt ihn. Auch ist er noch nicht gerüstet. Für seine Pläne braucht er Geld und hofft es durch die reiche Erbin La Monjaraza zu erhalten ... sein Neger ist oft in ihrem Hause ... Gefährlich wird mir Olid erst nach dem Fall Tenuchtitlans werden, dann wird er seinen Trumpf ausspielen: den Besitz der Königin Maisblüte ...«

»Wenn sie bis dahin nicht vor Trauer stirbt – oder entflieht ...« bemerkte Marina.

»Es wäre gut, wenn sie entfliehen könnte«, sagte Cortes. »Sie Olid gewaltsam abnehmen, konnte ich in Tlascala nicht und kann ich jetzt erst recht nicht.«

»Ich sprach oft mit Frater Aguilar darüber«, sagte Marina. »Er will, um uns einen Dienst zu erweisen, Maisblüte bei der Flucht behilflich sein. Er hat auch schon Vorkehrungen getroffen. Bis jetzt ließ es sich nicht ausführen – sie wird zu streng bewacht.«

Montezuma hielt dich für seine Tochter, Marina ... Sie unterbrach ihn mit bebender Stimme: Deine Richterin nanntest du mich vorhin! ... Ich ließ dich reden, weil ich weiß, daß Abgründe gähnen zwischen Gedanken und Taten ... Verbrechen können ja nie im voraus, können ja nur hinterdrein abgewogen und gerichtet werden ... Aber von diesem Wahn Montezumas mag ich nichts hören! Deine Gattin Catalina Suarez ist von der Schwindsucht geheilt ...!«

»Noch landete ihr Schiff nicht!« sagte Cortes düster. »Und ich glaube nicht daran, daß es landen wird – es sei denn: an einem anderen Gestade ...«

»Versündige dich nicht, Geliebter!« rief Marina und umschlang ihn angstvoll.

Sie kehrten aus dem Garten in den Palast zurück. Es war Mitternacht. Cortes wollte sich eben zur Ruhe begeben, als ihm sein Kämmerer Rodrigo Rangel meldete, sämtliche Feldobristen seien aus Alvarados Haus herübergekommen, ihm eine wichtige Eröffnung zu machen. Trotz der späten Stunde ließ Cortes sie in den Empfangssaal bitten.

Er war der einzige Nüchterne unter lauter Trunkenen. Sie waren berauscht vom Wein und von ihrer Begeisterung. Ihre Gesichter leuchteten gerötet und mit Schweißtropfen beperlt.

Sie boten ihm eine Krone an. Zum Kaiser der Neuen Welt wollten sie ihn ausrufen und ihm wie einem Herrscher den Treueid leisten. Gleich jetzt zu mitternächtlicher Stunde.

Ernst und würdig lehnte Cortes ab. Der Kaiser der Neuen Welt sei Don Carlos de Austria. Dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist, habe schon Jesus gelehrt. Das wolle auch er befolgen. Er sei ein treuer Diener der Kirche und der Krone. Einstmals neben Gottfried von Bouillon als Führer von Kreuzfahrern genannt zu werden, sei sein Ehrgeiz. Einen anderen Ehrgeiz habe er nicht.

Vergebens bestürmten ihn die Offiziere. Je drängender sie flehten, um so schroffer wies er sie ab.

»Überschlaft es und überdenkt es, Don Hernando!« rief schließlich Alvarado. »Zum erstenmal reden wir heute davon, aber nicht zum letztenmal! Verschiebt die Entscheidung, bis die Zeit Euch die Entscheidung abnimmt, aber verschiebt nicht, Genugtuung Luis Marin jetzt gleich zu geben, indem Ihr ihm den Arrest erlaßt!«

»Um Alderete Genugtuung zu geben, verhängte ich die Arreststrafe über Luis Marin, Señores!«

»Das ganze Heer ist empört darüber!« rief Alvarado.

»Ich hoffe, daß meine Offiziere gescheiter sind als das ›ganze Heer‹! Alderete festzunehmen, war eine ungesetzliche Gewalttat und – was schlimmer ist – eine Unklugheit!«

»Nein, Don Hernando!« rief Sandoval, »Alderete frei umhergehen zu lassen, ist eine Unklugheit! Nehmt ihn gefangen, macht ihn unschädlich!«

»Ich denke nicht daran, ihn gefangenzunehmen! Durch Freundlichkeit werde ich ihn unschädlich machen. Er bat mich vorhin darum, bei den kommenden Kämpfen eine Heeresabteilung führen zu dürfen, und ich habe ihm die Führung einer Hundertschaft versprochen.«

Die Feldobristen blickten sich verdutzt und entsetzt an. Leidenschaftlich und ein wenig stotternd, wie er es immer in der Erregung tat, rief Sandoval:

»Ihr verhöhnt uns, Don Hernando! Doch ich glaube Euch nicht! Wäre das wahr, es würde Euer und vielleicht unser aller Untergang sein! So wahnsinnig könnt Ihr nicht handeln! ...«

»Mein Sohn Sandoval, wenn ich dich nicht so lieb hätte, würde ich dir verbieten, weiterzureden!«

»Und ich würde mich an Euer Verbot nicht kehren, weil es Euer Leben zu retten gilt, Don Hernando! Tötet ihn, damit er Euch nicht töte! Luis Marin hat tausendmal recht gehabt, als er den Schädling dingfest machte. Und wenn Ihr Luis Marin die Strafe nicht erlaßt, so will auch ich von Euch bestraft sein!«

»Wofür, mein Sohn?«

»Für die Folterung des Hauskaplans! Ich habe sie angeordnet, das sage ich stolz! Ihr gebotet mir zu schweigen – und ich habe nicht geschwiegen! Also straft mich, Don Hernando!«

»Du willst mich strafen, mein Sohn! Und ich nehme die Strafe hin, weil ich Alderete die Führung im Kampf versprochen habe. Rückgängig machen kann ich das nicht mehr ... Nie bis heute war ein Mißklang zwischen mir und dir, Freund Sandoval – und nie warst du mir so lieb wie heute! ... Laß dir das genug sein an Tadel und Lob!«

»Nie erschient Ihr mir rätselhafter, Don Hernando!« murmelte Sandoval.


 << zurück weiter >>