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Mit Moreno Madrano und dem Pater Olmedo sprach Cortes bis in die Nacht hinein über den Mord an der Als-Schlange-Lebenden. Der Alkalde wiederholte, was er zum Eremiten geäußert hatte: ein mächtiger Fürst wie Fichtenzweig werde sich dem christlichen Gericht nicht stellen, Tlascalteken ließen sich gegen ihn nicht verwenden, nur Kastilier – und zwar eine beträchtliche Zahl weißer Soldaten – würden imstande sein, ihn gefangenzunehmen, indem sie ihn überrumpelten, bevor er Zeit gefunden, seine Stammesgenossen zu den Waffen zu rufen, die Verhaftung ließe sich freilich bloß ausführen, falls Cortes einen Teil seines Heeres in Tenuchtitlan entbehren könne; auf alle Fälle müsse die Angelegenheit geheimgehalten werden, damit Fichtenzweig keine Gegenmaßregeln treffe.

Da erinnerte Pater Olmedo Cortes daran, daß er vor kurzem die Absicht geäußert hatte, Expeditionen auszusenden, um die Vasallenstaaten Mexicos auf ihre Bodenschätze hin zu untersuchen, vor allem, um nach Gold und Silber zu forschen. Auch habe er ja vorgehabt, Velazquez de Leon mit hundertfünfzig Soldaten nach Cholula zu schicken, der heiligen Stadt wegen des Hinterhaltes eine Kontribution aufzuerlegen. Nun grenze aber Cholula an Tlascala, und es werde kein Aufsehen erregen, wenn die hundertfünfzig Mann bei dieser Gelegenheit dem verbündeten Land einen Besuch abstatteten.

Das leuchtete Cortes ein.

»Padre, Ihr meint, ich soll zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Bisher war ich der Ansicht, daß eine Fliege zu fangen mehr wert sei, als nach zwei Fliegen zu schlagen. Doch in diesem Fall denke ich, daß der Fang gelingen kann. Euer Vorschlag ist gut, und ich werde ihn mir durch den Kopf gehen lassen.«

Schon lange trug sich Cortes mit dem Gedanken, das Vorkommen von Edelmetallen und edlen Steinen in den mexikanischen Provinzen feststellen zu lassen. Den Gönner La Medinas, den Tanzmeister und Bergmann Ortiz, hatte er zu Rate gezogen und ihn beauftragt, einen Plan auszuarbeiten und bei den Einheimischen sich umzutun, welche Länder für eine Exploration besonders in Betracht kämen.

Als fahrender Ritter durch ferne Länder zu streifen, war so recht nach dem Geschmack des Diego de Ordas. Gleich nachdem jener Auftrag dem Bergmann erteilt worden war, hatte Ordas an Cortes das Verlangen gestellt, ihm Soldaten und aztekische Führer zu geben, weil auch er auf eigene Faust das mexikanische Gebiet durchforschen wolle – nicht um Goldbarren und Erzgruben, sondern um den Brunnen der Verjüngung zu suchen. An den Smaragdfels glaubte er nicht mehr, hatte vielleicht nie an ihn geglaubt. Um so mehr war er jetzt Feuer und Flamme für sein neues Ziel: das Wasser des Lebens.

Und wieder mußte er es erleben, daß Cortes ihn verlachte.

»Ihr seid unverbesserlich, Don Diego! Aus dem Goldmeer habt Ihr Schlacke gefördert, und im Jungbrunnen werdet Ihr Schlamm finden – wenn Ihr ihn findet! Doch wie wollt Ihr das anstellen? Ich kann Euch solche Führer nicht verschaffen.«

»Montezuma wird sie mir verschaffen!« sagte Ordas zuversichtlich.

Er hoffte auf Montezuma. Er baute auf die Güte und Freigebigkeit Montezumas, wie alle Kastilier es taten, denen ein Wunsch von Cortes abgeschlagen worden war. Schon mehr als einmal hatte die Macht des machtberaubten Königs unerfüllbare Wünsche erfüllt, Unerreichbares erreichbar gemacht. Einen dem Hauptmann Lugo entflogenen Jagdfalken mit silbernen Schellen an den Füßen hatte Montezuma von seinen Hofjägern binnen einer Stunde jenseits des Schilfsees aufstöbern, einfangen und zurückbringen lassen. Allerdings kam es darauf an, die Bitte im rechten Zeitpunkt vorzutragen, wenn er bei Gebelaune war. Denn war er mißgestimmt, so verstand er keine Anspielung, überhörte jedes noch so dringende Ersuchen. Doch nur selten geizte er, meistens vergeudete er. Nicht daß er seine Kerkermeister bestechen wollte. Ihm war wertlos geworden, was Wert hatte. Und da er es nicht liebte, unzufriedene Gesichter um sich zu sehen, stopfte er die gierigen Mäuler.

Auch der Schönredner und Vielschreiber Alonso de Grado hoffte auf Montezumas Freigebigkeit. Und zwar hatte er nichts Geringeres im Sinn, als sich von Montezuma dessen Lieblingstochter, Prinzessin Maisblüte, zur Ehe zu erbitten. Nur kurze Zeit waren de Grado und d'Ircio eingekerkert gewesen. Für die Freilassung des Agramants ohne Taten waren seine Jugendfreunde Sandoval und Luis Marin eingetreten. Der Richter Moreno Madrano hatte aus Vera Cruz einen Brief mitgebracht, worin Sandoval Cortes daran erinnerte, wie sehr ihn das Abenteuer d'Ircios mit der Tochter des Grafen de Urueña belustigt hatte, und auch jetzt verdiene der einstige Reitknecht eher Spott als Strafe. Luis Marin unterstützte mündlich das Gesuch Sandovals. Und Cortes mochte so verdienstvollen Fürsprechern keinen abschlägigen Bescheid geben. Da er aber gegen d'Ircio Milde walten ließ, konnte er de Grado nicht verurteilen. So verzieh er beiden und begnügte sich, ihnen einen Verweis zu erteilen.

Kaum war Alonso de Grado aus dem Kerker entlassen, geschah ihm das Unglück, daß er Maisblüte begegnete, welche mit ihrem zartgliedrigen Mädchengefolge in den Tecpan des Königs Wassergesicht gekommen war, ihrem Vater einen Besuch abzustatten. Nicht mehr jenseits des Sees im schönen Schloß Chapultepec wohnte sie, seit der Gefangennahme des Königs war sie nach Tenuchtitlan in den Huei-Tecpan übergesiedelt, um ihrem Vater nahe zu sein. Täglich ließ sie sich zu ihm tragen, brachte ihm Blumen und brachte ihm Trost durch ihr flimmerndes erdfernes Lächeln.

Alonso de Grado sah ihre auf goldenen Sandalen schwebende Schönheit und schnippte mit den Fingern, halb wahnsinnig vor Gier. Er beschloß, um sie zu werben.

Seitdem lag er Cortes mit dem Heiratsplan in den Ohren. Auf seinen Wortschwall erhielt er kaum eine Antwort. Das schreckte ihn nicht ab. Er wußte, daß nichts so sicher zum Erfolg führt als eine Reihe von Mißerfolgen.

Und um zwei Eisen im Feuer zu haben, nahm er sich vor, gleichzeitig auch Montezumas Einwilligung zu erbetteln.


Die Kastilier ließen sich es angelegen sein, Montezuma bei guter Laune zu erhalten. Sie hätschelten ihn, wie man ein gezähmtes Tier hätschelt.

Einsamkeit hätte ihn auf böse Gedanken gebracht. Darum durfte er nie allein sein. Immerzu mußte er durch Vergnügungen und Spiele abgelenkt werden.

Um ihn zu zerstreuen, wurde ihm täglich die kastilische Wehrmacht vorgeführt. Die Pikeniere, Musketiere und Artilleristen führten Waffenübungen vor ihm aus, marschierten in Reih und Glied, exerzierten. Und Montezuma erteilte Lob und Tadel, begeisterte sich für den Drill.

Auch seine Teilnahme für den Bau der zwei Brigantinen wurde geweckt und wachgehalten. In Begleitung der Feldobristen besuchte er oft das Dock am Ufer des Palastgartens, wo die noch unfertigen Schiffe mit ihren Rippen aus Zedernholz wie Skelette von Walfischen in die Luft ragten. Ungeduldig erkundigte er sich, wann er seine erste Lustfahrt auf dem See werde unternehmen können.

Er schien nur noch Sinn für Lustbarkeiten zu haben. Sein Leben im alten Tecpan war ein immerwährendes Fest. Beschattet war sein Antlitz nur, wenn er Mexikaner empfing in den Morgenstunden. Sonst lachte er immerzu und scherzte mit den Feldobristen und auch mit den gemeinen Soldaten, nannte sie beim Namen. Und für jeden hatte er ein freundliches Wort bereit. Nur noch selten verfiel er in ein düsteres Brüten.

Bald, allzubald hatte er es gelernt, die Gitterstäbe seines goldenen Käfigs zu übersehen.

Doch wenn die Mexikaner es ihm verdachten, die Christen verehrten und ehrten ihn darum um so mehr. Seiner Leutseligkeit wegen war er überaus beliebt beim Heere. Die Soldaten nahmen in seiner Gegenwart stets die Sturmhauben ab, und selbst Cortes bedeckte sich nur, wenn er von ihm dazu aufgefordert worden war. Nichts als das Schattenbild eines Königs war er, und eben darum räumte man ihm alle Vorrechte des Königtums ein, außer der Freiheit. Die rauhen Soldaten spürten, daß er den Weg des Menschensohnes ging, seit er nicht mehr ein Gott war.

Freilich gab es auch Ausnahmen, flegelhafte Gesellen ohne Mitgefühl, ohne Ehrfurcht vor dem tragischen Geschick des geknechteten Königs. Für ihre groben Hände war seine wehmütige Freundlichkeit ein zu feines Gespinst. Den heidnischen Hund nannten sie ihn. Er war ihnen ein Stachel im Auge, weil seinetwegen der Wachtdienst keinem Waffentragenden erlassen wurde.

Während in einer Nacht Pero Trujillo – der große Spuckkünstler – im Schlafzimmer Montezumas Wache hielt, ließ er sich unflätig gehen. Am nächsten Morgen beklagte sich Montezuma, tief verletzt in seinem Schamgefühl, bei Cortes. Als jedoch Trujillo ins Gefängnis abgeführt werden sollte, erwirkte er nicht nur seine Begnadigung, er beschenkte ihn auch noch mit einem Perlenhalsband. Der Rüpel war schamlos genug, das nächste Mal, als er wieder das Schlafgemach des Königs bewachte, die Unflätigkeit zu wiederholen – in der Annahme, es werde ihm eine zweite Perlenkette eintragen. Darin täuschte er sich allerdings. Cortes strafte ihn und ordnete an, daß hinfort die Posten sich auf dem Gang vor dem Schlafgemach aufzuhalten hätten.

Für Montezuma aber war dies Erlebnis eine der schmerzenreichsten Stationen seines Passionsweges. Und seine Seele trug seitdem eine Wunde mehr.


Im Garten des alten Tecpans stand ein Ballspielhaus, wo zur Zeit des Sonnenunterganges die Kastilier mit des Königs Gefolge oder auch mit ihm selbst den Federball zu werfen pflegten. Sie beachteten die strengen Regeln des Spieles, entkleideten sich, hüllten ihre nackten Körper in Lederpanzer, trugen Steinmasken vor dem Gesicht und Hirschlederhandschuhe an den Händen. Ja, scherzweise riefen sie sogar Macuilxochitl, Fünf-Blume, den Gott des Spieles, an. Und sie ahmten mit mehr Mühe als Geschick die affenartigen Stellungen der mexikanischen Spieler nach. Immer von neuem erregte es ein schallendes Gelächter, wenn Lugo oder Olid den Versuch machten, den Kautschukball mit dem Gesäß zurückzuschnellen.

Hatte Montezuma zwar die drei Truthähne dem Herrn des Fastens nicht abgewinnen können, so war er doch ein außerordentlich geschickter Ballspieler. Seit seiner Gefangennahme schien er kein Glück mehr im Spiel zu haben. Es machte ihm Freude, die Christen seine hohen Einsätze – Goldbarren im Werte von fünfzig Dukaten – gewinnen zu lassen. Zuweilen verlor er hintereinander bis zu vierzig solcher Goldbarren. Wenn aber die Kastilier verloren, zahlten sie ein Stück Jadeit, das für sie wertlos war.

Eines Tages fragte Montezuma Ordas, warum er, der furchtlose Besucher des Rauchenden Berges, solche Furcht vor dem Federball habe. Denn Ordas hatte sich bisher vom Spiel ferngehalten, da es seiner erhabenen Feierlichkeit widerstrebt hatte, Affenstellungen einzunehmen und ein Ziel des Spottes zu werden (das er sowieso meist war).

Er erklärte sich bereit, mit Montezuma zu spielen, vorausgesetzt, daß der Einsatz nicht ein Geschmeide, sondern die Gewährung einer Bitte sein würde. Und da er keine Übung im Ballschlagen hatte und bestimmt wußte, daß er den Ball durch den durchlochten Stein an der Decke nie hindurchwerfen könnte, unterließ er den Versuch und erbat sich Olids Beistand. Er stieg auf Olids Schultern, so daß er an die Decke reichen konnte, und statt den Ball zu werfen, steckte er ihn gemächlich durch das Steinloch. Kastilier und Mexikaner heulten vor Lachen. Und auch Montezuma lachte und ließ es als Sieg gelten. Er versprach Ordas Führer zum Brunnen der Verjüngung und veranlaßte den Annalenschreiber Feuer-Juwel – seinen Vorsteher des Hauses der Bücher –, im alttoltekischen Göttlichen Buch nachzuschlagen, wo der Brunnen zu suchen sei.

Seitdem kam es auf, statt um Geschmeide um die Gewährung von Bitten zu spielen. Auch beim Patolli geschah das. Eine Art Würfelspiel war das Patolli: auf zwei kreuzweise übereinandergelegte, in Felder geteilte Bretter wurden vier große, durchbohrte Bohnen fallen gelassen.

Montezumas Bohnen waren aus Gold. Wenn sie verschwanden – und sie pflegten zu verschwinden –, ließ er sich andere bringen. Wenn der blonde Alvarado beim Spiel betrog, tat er, als sähe er es nicht, oder er klopfte, wenn jener es zu toll trieb, ihm gutmütig auf die Schulter und sagte mit feinem Lächeln bloß: »O Sonnensohn, du Geldbörsen-Verstecker! ...«

Beim Patolli erspielte sich der Zungendrescher und Wüstling Alonso de Grado die Prinzessin Maisblüte. Montezuma verschenkte seine liebste Tochter, wie er alles verschenkte. Er hätte die Sterne des Himmels verschenkt, wäre er darum gebeten worden. Wertlos war ihm, was Wert hatte.

Und dennoch harrte er auf das Wunder, das seiner Vergeudung einen Riegel vorschieben mußte. Er wartete auf das Orakel des Mexikaner-Priesterchens, um seine Geschenke zurückzufordern mit blutigen Zinsen.


»Ich wünschte, der Teufel drehte diesem heidnischen Hund den Hals ab – sonst tue ich es einmal, damit die verdammten Nachtwachen aufhören!« fluchte der Arkebusier Pedro Lopez, der Günstling des Hauptmanns Avila, als er eines Morgens vom Wachtdienst abgelöst wurde.

Die Worte konnte Montezuma nicht verstehen, doch Ton und Gebärde waren deutlich genug gewesen. Er teilte Cortes den Vorfall mit.

Um ein Exempel zu statuieren, ließ Cortes dem Arkebusier hundert Stockprügel verabreichen.

Avila, bei dem Pedro Lopez sich beklagte, geriet in Wut, und in Gegenwart Montezumas stieß auch er Verwünschungen und Todesdrohungen aus.

Eingeschüchtert, sann der König darauf, Avila zu versöhnen. Er bot ihm herrlich gestickte Mäntel und schöne Mädchen an, die jedoch Avila grollend ausschlug.

Da lud er ihn zum Patolli-Spiel ein und versprach, falls er gewänne, ihm jeden Wunsch zu erfüllen.

Sie spielten, und Avila gewann. Was sein Wunsch sei, ließ ihn der König durch Orteguilla fragen.

»Mein Wunsch ist: Öffne das Schatzhaus, dessen Tür du hast zumauern lassen!«

»Ihr könnt die Tür öffnen ohne mich ...«

»Nein, du mußt die Erlaubnis geben, daß der Goldschatz an uns Christen verteilt werde!«

Montezuma hatte sein Wort verpfändet. Was hätte es ihm auch genützt, hätte er behalten wollen, was ihm ja doch nicht mehr gehörte.

»Nehmt den Schatz meines Vaters!« sagte er. »Schickt den Schatz meines Vaters dem großen Herrn des Ostens als einen Tribut seines Knechtes Montezuma!«

Alle anwesenden Kastilier entblößten ihre Häupter zum Dank. Sie waren ergriffen wie in einer Kirche. Als hätte ein Priester ein Tabernakel geöffnet. Segen rieselte auf sie nieder, Goldsegen ...

Vom Schatz von Tezcuco hatte Montezuma nichts erwähnt. Als er mit Cortes allein war, bat er darum, den Hort des Herrn des Fastens nicht anzutasten.

»Ich habe ihn als Tempelschatz dem Monde geweiht«, sagte er. Cortes sicherte es ihm zu.


Die vermauerte Tür war wieder aufgebrochen worden. Albornoz, der Säckelmeister Seiner Majestät, buchte das Kronfünftel. Er ließ die Goldbarren und Geschmeide heraustragen und zu drei mannshohen Haufen schichten.

Als Cortes mit Montezuma und seinen Höflingen die drei Goldhaufen zu besichtigen kam, machte ihn die Schwarze Blume darauf aufmerksam, daß der eine der drei Haufen der Schatz seines Vaters sei. Ebenso wie Montezuma hatte auch die Schwarze Blume dringend darum gebeten, daß der Hort von Tezcuco geschont werde. Und sich nicht daran zu vergreifen, hatte Cortes seinen Feldobristen ausdrücklich eingeschärft.

Ärgerlich fuhr er den Rechnungsführer an:

»Wer hat das angeordnet, Señor?«

»Der Hauptmann Avila, Euer Gnaden, befahl es ...«

Doch da Avila nicht zugegen war, verschob es Cortes, ihn zur Rede zu stellen. Er entschuldigte sich bei Montezuma und bei der Schwarzen Blume. Und er sorgte dafür, daß der Schatz von Tezcuco unverzüglich zurückgetragen wurde in die unterirdischen Schatzkammern. Ein Posten bewachte fortan die aufgebrochene Tür.

Die Soldaten murrten. Einzelne rechneten aus, daß der vierhundertundfünfzigste Teil von zwei Goldhaufen ein gar kleines Goldhäuflein sein werde. Und sie tuschelten sich in die Ohren, Cortes habe ein Drittel beiseite schaffen lassen, er wolle es für sich verwenden. Es wurde behauptet, er habe sich goldenes Tafelgeschirr bei mexikanischen Goldschmieden bestellt.


Die Teponaztli-Trommel auf der Schlangenbergpyramide hatte Mitternacht verkündet. Im großen Audienzsaal des alten Tecpans blinkte auf dem Marmor-Estrich ein europäischer Zinnleuchter und trug – an Stelle einer Kerze – einen harzigen flackernden Kienspan, der eine mattgelbe Aureole wenige Schritte im Umkreis schuf, umnachtet ringsum von schwärzester Finsternis. An der zu den Schatzkammern hinabführenden Tür stand ein Wachtposten, der kleine Galicier, und von Zeit zu Zeit ersetzte er den herabgebrannten Kienspan durch einen neuen.

Unruhig blickte er um sich in das undurchdringliche Dunkel hinein. Schon vor einer Stunde hatte er heranschleichende Schritte vernommen. Ihm war gewesen, als hätte jemand den Saal betreten, als befände sich jemand im Saal. Er glaubte atmen zu hören. Umhergeleuchtet hatte er, doch vergebens. Er konnte mit dem matten Kienspanlicht den weiten Audienzsaal nicht durchhellen. Auch angerufen hatte er den seltsamen Gast, ohne Antwort zu erhalten.

Unheimlich war ihm zumute. Die Schlafgemächer der Kastilier lagen weit entfernt.

Doch seit einer Stunde hatte er nichts vernommen. Und er beruhigte sich beim Gedanken, seine Sinne müßten ihn wohl getrogen haben.

Jetzt vernahm er wieder Schritte. Nicht so leise wie das erstemal. Ein Mann tauchte aus der schwarzen Finsternis auf, wurde, während er näher kommend in den Lichtschein rückte, als kastilischer Soldat erkennbar. Es war Pedro Lopez, Avilas Günstling, dem Cortes vor kurzem hundert Stockprügel hatte verabfolgen lassen.

Er schwankte, schien schwer betrunken zu sein und hielt eine mit Pulque gefüllte Schale in der Hand. Bis jetzt habe er in der Marketenderei mit Pero Trujillo getrunken, erzählte er. Und ein Mitleid habe ihn erfaßt mit seinem Kameraden, der um diese Stunde Wache stehen müsse, – darum habe er ihm einen Schluck mitgebracht zur Stärkung.

Und er reichte ihm die Pulqueschale hin.

Der kleine Galicier schlug den freundlich gereichten Trank nicht aus. Nachdem er ihn eingeschlürft hatte, plauderte er noch eine Weile mit Pedro Lopez, bis dieser sich entfernte.

Seltsame Gestalten sah der kleine Galicier aus dem Dunkel auf sich zukommen. Plattnasige, kürbisköpfige Zwerge, spindeldürre Greisinnen, die wie Frösche hüpften, grauenvolle Krüppel und Mißgestalten, am Rücken zusammengewachsen, im Ringkampf mit sich selbst, und das weiße Skelett eines Windspieles, das umherlief, mit dem Knochenschwanz wedelte und hüpfte. Doch wundersam, der kleine Galicier erschrak nicht. Er war zu müde, zu erschrecken. Er gähnte, konnte sich nicht mehr aufrecht halten, legte sich auf die Marmorfliesen und schlief ein.

Dem Pulque, den er genossen hatte, war ein betäubender Pilztrank beigemischt gewesen.


Aus dem Dunkel des Saales schritten jetzt zwei Männer auf den Lichtschein zu, Alonso de Avila und Pedro Lopez. Schon waren sie nicht mehr fern von der Tür, da tauchte eine weibliche Gestalt auf. Sie sprang auf den Schlafenden zu, riß sein Schwert aus der Scheide und stellte sich vor die Tür.

Avila prallte zurück und wurde weiß im Gesicht. Seinen Raubplan sah er auf unerwartete Weise durchkreuzt. Die vor ihm stand mit funkelnden Augen, mit erhobenem Schwert, bereit, ihr Leben zu lassen für den Hort des Herrn des Fastens, war Prinzessin Perlmuschel, die Tochter des Herrn des Fastens, welche von den Soldaten La Azteca genannt wurde.

Obgleich er keinerlei ritterliche Gefühle kannte und sich sonst nicht gescheut hätte, eine Frau niederzustechen, wagte er es in diesem Falle doch nicht. Er zähmte seine aufbegehrende Brutalität, er überlegte. La Azteca war die Geliebte des Cortes, und mochte auch Marina in letzter Zeit die Oberhand gewonnen haben, so war sich Avila doch bewußt, daß es nicht ungefährlich war, die Prinzessin zu beseitigen. Er beschloß, sie auf gütliche Weise zu entfernen.

»Was schafft Ihr hier, Señora, um diese Zeit? Überlaßt es uns Hauptleuten, das Gold zu bewachen! Ihr seht, ich mache die Ronde – und verlaßt Euch darauf, ich werde für die Bestrafung des pflichtvergessenen Wachtpostens Sorge tragen! Begebt Euch ruhig in Eure Kammer, Señora – Pedro Lopez soll Euch hinbegleiten.«

Avila war ein hübscher Kerl und konnte, wenn ihm daran lag, artig sprechen und bestrickend lächeln.

Doch La Azteca kannte nur wenige spanische Worte. Avilas Rede verstand sie nicht. Sie verstand bloß, daß er sich durch sie nicht abschrecken ließ.

Da packte sie die Raserei der Angst. Ohne fechten zu können, ließ sie das erhobene Schwert niedersausen, schlug sinnlos auf ihn ein. Und sie verwundete ihn schwer an der linken Hand.

Toll machte ihn die Wunde. Er verfiel in seine Berserkerwut. Geschickt ihr das Schwert entwindend, würgte er sie an der Kehle, bis sie wie leblos am Boden lag. Und er stopfte ihr ein Schweißtuch als Knebel in den Mund.

Dann zündete er zwei Fackeln an und stieg mit seinem Begleiter hinab ins Schatzhaus.


Nach einer Weile erhob sich La Azteca. Sie war betäubt, nicht ohnmächtig gewesen. Und sie vermochte den Knebel, an dem sie fast erstickt wäre, aus dem Munde zu entfernen.

Sie eilte in die Kammer des Pagen Orteguilla, rüttelte ihn aus dem Schlaf. In fliegender Hast erzählte sie ihm, was geschehen war, und bat ihn, den Rechnungsführer Albornoz zu benachrichtigen. Cortes aus dem Schlaf zu stören, wagte sie nicht.

Orteguilla lief, den Rechnungsführer zu wecken, und kehrte bald darauf mit ihm und dem Notar Godoy zurück. Sie begaben sich in den Schlangensaal und warteten. Albornoz verbot dem Pagen, den Saal zu erleuchten, damit die Diebe keinen Verdacht schöpften.

Avila und Pedro Lopez kamen die Treppe emporgestiegen, goldbeladen. Als Avila in der Tür stand, trat ihm Albornoz entgegen.

»Señor, um kein Aufsehen zu erregen, ersuche ich Euch, das Gold zurückzutragen.«

»Ich lasse mir von Euch keine Vorschriften erteilen, Señor!« antwortete Avila barsch und wild.

»Señor, nicht Vorschriften erteilte ich, sondern einen wohlgemeinten Rat, weil ich Euch schonen wollte ...«

»Mich schonen? Seid Ihr toll? Wollt Ihr damit sagen, daß ich ein Dieb sei?«

»Ich sage, daß Ihr nahmt, was Euch nicht gehört!«

»Zieht, Señor!«

Und sie fochten.

Auch Pedro Lopez zog den Degen, in der Absicht, den Notar Godoy anzugreifen. Doch der kaiserliche Sekretarius entfloh und erhob ein Zetergeschrei, das bis in die fernsten Schlafsäle vernommen wurde.

Bald füllte sich der Schlangensaal mit Soldaten. Die Feldobristen kamen herbeigeeilt, beunruhigt durch das Geschrei und das nächtliche Degenklirren.

Cortes trennte die Fechtenden. Er verurteilte beide zu Gefängnisstrafe und ließ sie sofort abführen.


Wie wenig beliebt Avila sonst auch war – seine Gefangensetzung machte böses Blut im Heer. Pedro Lopez verstand es, den Vorfall seinen Kameraden so darzustellen, als habe Avila das von Cortes veruntreute Gold retten wollen zum Besten des Heeres, sei aber von La Azteca, der Geliebten des Cortes, daran gehindert worden. Der Groll des Heeres richtete sich nun vornehmlich gegen La Azteca. Und der kleine Galicier war nicht imstande aufzuklären, da er von seinem Pilzrausch noch nicht erwacht war.

Am folgenden Tage wurden die in zwei Haufen geschichteten Geschmeide unter Aufsicht des Rechnungsführers Albornoz, den Cortes inzwischen in Freiheit gesetzt hatte, von Goldschmieden aus Azcaputzalco eingeschmolzen und abgestempelt. Als dann bei der Verteilung des Goldes sich herausstellte, daß auf jeden gemeinen Soldaten nicht mehr als hundert Pesos kamen, brach der Aufruhr los.

Die Meuterer stürmten zum Ballspielhaus, wo sie Cortes vermuteten. Doch sie trafen nur Alvarado und Montezuma an. Alvarado, im Vertrauen auf seine Beliebtheit, wagte es, die Tobenden herrisch anzufahren. Er erreichte nichts und brachte sich selbst in Lebensgefahr.

Montezuma rettete ihn und auch sich, indem er durch Orteguilla den Aufständischen mitteilen ließ: er schenke dem Heere den Schatz des Herrn des Fastens.

Die Meuterer entfernten sich. Doch nicht nur Gold, auch Sühne wollten sie haben für das vermeintliche Unrecht, das ihnen mit der Einkerkerung Avilas geschehen war. Sie fanden Cortes am Seeufer, wo er dem Prinzen Kriegsmaske die halbfertigen Brigantinen zeigte.

Was sie begehrten? warum sie tobten?

Wüstes Gebrüll war die Antwort.

»Gib uns La Azteca heraus!« schrien die einen. »Gib Avila frei« schrien die anderen.

Cortes begann eine Rede. Die schönen Wendungen verfingen diesmal nicht. Die Wildheit steigerte sich.

»Laßt uns die Brigantinen in Brand stecken! Das wird ihn zwingen!« kreischten die Wahnsinnigen.

Und Cortes ließ sich zwingen. Den Brigantinen durfte nichts geschehen. Von den Brigantinen hing alles Heil ab, falls das Unheil hereinbrach ...

Er willigte ein, Avila sofort freizulassen. Und die Hinrichtung der Prinzessin lehnte er nicht schroff ab, er bat sich eine Bedenkzeit aus bis zum folgenden Morgen und versprach, die Forderungen des Heeres ernstlich in Erwägung zu ziehen.

Den Meuterern genügte das, sie verliefen sich. Und Cortes hatte Zeit gewonnen. Er ließ die Schwarze Blume und La Azteca rufen und besprach lange mit ihnen, wie die Gefahr zu bannen sei. Da stieß er auf einen Widerstand, den er nicht vorausgesehen hatte. La Azteca forderte hart und finster von ihm die Bestrafung Avilas. Das konnte er nicht gewähren.

Wie ein schweres Rosenblatt sank ihre Liebe zu Boden.

Bei Anbruch des Abenddunkels verließen die Schwarze Blume und La Azteca den Tecpan des Königs Wassergesicht.

Prinz Kriegsmaske aber dachte an seine Rache, und er sah einen Weg.


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