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»Wo ist das Testament Adams? Zeigt mir doch das Testament Adams her! Sollte es etwa unterschlagen worden sein?« – pflegte König Franz I. von Frankreich mit sardonischem Lachen auszurufen, wenn von den neuen, neueren und neuesten Kolonien Spaniens und Portugals die Rede war. Durch eine die Kapverdischen Inseln nordsüdlich schneidende Demarkationslinie war im Jahre 1494 (als Franz in Cognac zur Welt kam) vom Papst Alexander VI. die Welt in zwei Hälften geteilt worden: die westliche Erdhalbkugel hatte Seine Heiligkeit – ein zweiter Zeus – an Ferdinand und Isabella, Los Reyes (»die Könige«) von Kastilien und Aragon, verschenkt, die östliche Erdhalbkugel an Johann von Portugal. Den anderen Königen blieb nichts als das leere Nachsehen.

Siebenundzwanzig Jahre waren seitdem vergangen, an der Weltverteilung konnte kein gekröntes Haupt weder innerhalb noch außerhalb Europas einen Deut mehr ändern. Wollte ein amerikanischer König sich nicht knechten lassen, so war er ein Rebell, ein Mißachter des päpstlichen Willens und hatte sich selbst zuzuschreiben, daß er durch Gewaltmaßregeln an seine Pflichten erinnert wurde.

Daß König Franz das Los kaffeebrauner Herrscher naheging, ist nicht anzunehmen. Aber es wurmte ihn, daß er die Anwendung der Gewaltmaßregeln andern Machthabern überlassen mußte.

Er war jung und wurde noch nicht Le grand roys Francois genannt. Doch schon damals war seine den Mund überschattende spitze Nase nicht das einzig Große an ihm. Gewaltig war sein Körperbau, noch gewaltiger sein Freimut.

Bei der Tafel im Nymphensaal des Schlosses Amboise äußerte er einmal – während er einen Poulardenflügel auf den Silberteller seiner Mätresse legte:

»Par Saint Jean! Bei der Weltverteilung war der alte Borgia nicht vom Heiligen Geiste beraten – eher von seinen nackten Mädchen, die er zwischen einem Dutzend auf dem Estrich brennender Kandelaber tanzen ließ!«

Als christlicher König durfte sich Franz erlauben, abfällig über einen Papst zu reden, um so mehr, als Seine Heiligkeit vor bald zwei Jahrzehnten eines unheiligen Todes verstorben und mit priesterlichen Faustschlägen in einen viel zu engen Sarg gezwängt worden war ...

Der Mätresse den Arm um den rosigen Nacken schlingend, ergriff Franz sein zum zehntenmal gefülltes Glas (er kam in Cognac zur Welt) und setzte seine Betrachtungen fort:

»Nur Freundinnen kann unsereins haben – keine Freunde, solange das Testament Adams mit Füßen getreten wird. Mein spanischer Nachbar raubt, soviel er kann ... Nun, gottlob, auch meine französischen Korsaren rauben, soviel sie können ... Ich erhebe das Glas auf das Wohl meines einzigen Freundes, des großen Seeräubers Claude Fleuranges!«

Die Tafelrunde stimmte in das Hoch ein und erhob ein schallendes Gelächter. Es war kein Geheimnis, daß Claude Fleuranges vom Überfall spanischer Amerikafahrer lebte. Wohlwollende Förderung von seiten des Königs ermöglichte es ihm, die gekaperten Schiffe im Hafen La Rochelle unterzubringen, wo das Raubgut redlich zwischen ihm und der Krone geteilt wurde.


Die Karavelle, auf welcher bald nach Cortes' Genesung vom Wundfieber (es war im Juli gewesen, einen Monat nach der Nacht der Schrecken) der Hauptmann Alonso de Avila nach Europa gesegelt war, dem Kaiser einen Teil des bei der Schlacht von Otompan erbeuteten Goldes, den zweiten Brief des Cortes und die Smaragdpyramide der Königin Maisblüte zu überbringen – die Karavelle hatte bei den Kanarischen Inseln das Unglück, vom Seeräuber Claude Fleuranges aufgebracht zu werden. Die verrosteten Kanonen der Karavelle waren in Vera Cruz zurückgeblieben, wären ohne Pulver auch nutzlos gewesen. Avila, der mit seinen zehn Begleitern sich anfänglich zur Wehr hatte setzen wollen, verzichtete auf Widerstand, als das voll bemannte und stark bewaffnete Rennschiff in Sehweite kam. Beinahe windstill war der wolkenlose Tag, doch die guten Segel des Korsaren beflügelten seine Fahrt. Langsam, unheimlich geräuschlos näherten sich die beiden Schiffe, schaukelten und wippten dann dicht beieinander mit glucksendem Geplätscher auf sanften Lasurwogen, rieben sich mit schrill zwitscherndem Gequiek Bauch an Bauch. Als schließlich eine Bretterbrücke zum Verdeck der Karavelle herüberschwebte, warf Avila die smaragdene Pyramide hinab ins Meer – an der wenigstens sollten die Franzosen keine Freude haben! ...

Claude Fleuranges legte mehr Wert auf mexikanische Goldbarren als auf das Schreiben an den Kaiser, das aus einer Wamstasche Avilas hervorgeholt wurde. Da keiner der Franzosen den spanisch geschriebenen Brief lesen konnte, gab der Korsar ihn mit freundlichen Entschuldigungsworten Avila zurück. Er war auch so großmütig, bei der Ankunft in La Rochelle dem Hauptmann und seinen Begleitern eine kleine Summe Geldes auszuhändigen, damit sie nicht mittellos an Land kämen.

Dank diesem Almosen konnte Avila, halb Frankreich durchwandernd, die Pyrenäen erreichen. Im Begriff, die Grenze zu überschreiten, wurde er von den französischen Behörden daran gehindert: sie hatten Weisung, ihn nicht aus dem Lande zu lassen. Trotzdem versuchte er in Verkleidung das Verbot zu umgehen, wurde entlarvt, nach Bordeaux gebracht und in Haft gesetzt.

Ein reisender katalonischer Kaufmann vernahm von seinem Mißgeschick und erwirkte sich die Erlaubnis, ihn im Kerker aufzusuchen. Diesem Katalonier vertraute Avila den Brief des Cortes an.

Auch dann noch verging einige Zeit, ehe der Kaiser das Schriftstück zu Gesicht bekam. In Tortesillas, bei seiner Mutter Johanna der Wahnsinnigen, befand sich Karl V. damals. Er besucht die Kranke, die, verblödet, nicht einmal seinen Namen kannte, um als guterzogener Sohn Abschied von ihr zu nehmen, bevor er zum Reichstag nach Worms aufbrach, wo Martin Luther sich vor ihm rechtfertigen sollte ... Nachdem der Händler aus Bordeaux nach Cadiz gesegelt war, übermittelte er den Brief dem bei Hofe hochangesehenen Herzog von Bejar. Das hatte den augenblicklichen Erfolg, daß der seit anderthalb Jahren in einem bischöflichen Gefängnis schmachtende Hauptmann Puerto Carrero in Freiheit gesetzt und aufgefordert wurde, nach Tortesillas zu reisen, um dem Kaiser den Inhalt des ersten – abhanden gekommenen– Schreibens des Cortes mündlich vorzutragen.


Ein tückisches Verhängnis waltete über den ersten Goldsendungen aus Mexico. So wie jetzt Avila, hatte zwei Jahre früher Puerto Carrero seine Absicht, am spanischen Hof Teilnahme für Cortes und das von ihm entdeckte Goldland zu wecken, im Kerker büßen müssen.

»Der Leitung und Obhut des Heiligen Geistes empfohlen« – wie die Zurückbleibenden sagten – war die Capitana (das einzige beim Brand der elf Karavellen unversehrt gebliebene Schiff) aus der Hafenbucht des eben erst gegründeten (noch nicht erbauten) Vera Cruz hinausgesegelt, hatte Kuba und die Kleinen, von Kolumbus »Jardin de la Reyna« – Garten der Königin – benannten Antilleninseln passiert und durchquerte den Ozean. Puerto Carrero, immerwährend seekrank, kam fast nie an Deck. Sein leichtsinniger Reisegefährte, der Hauptmann Montejo, langweilte sich. Die zwei huaxtekischen Sklavinnen, die das Heer dem jungen Kaiser sandte, waren unantastbar. Und mit den fünfzehn Matrosen des Schiffes durfte Montejo als Hildalgo sich nicht gemein machen. Der Obersteuermann aber, Anton de Alaminos, hatte nur Sinn für die Bussole, ein wortkarger Mann.

Eines Abends wurde er gesprächig. Er war nicht mehr jung, ein Fünfziger, groß, hager, hatte schon unter Columbus Pilotendienste getan. Neben ihm erschien der weichliche Montejo wie ein Knabe. Sie hatten Wein getrunken, und der Hauptmann war bleicher als sonst; die sehnigen Wangen des alten Seefahrers aber leuchteten karminrot aus dem schönen grauen Bart hervor, seine schwarzen Augen blitzten. Der Wein hatte ihm die Zunge gelöst.

»Wer hat den Schlüssel zur Kiste?« fragte er unvermittelt.

Montejo war so erstaunt, daß er nicht sofort eine Antwort gab. Es gab viele Kisten an Bord, doch nur eine stand neben dem Bette des kranken Puerto Carrero, und diese war es, wo das Schreiben des Heeres an den Kaiser, der Bericht des General-Kapitäns und die wertvollsten Geschenke Montezumas aufbewahrt waren. Ausweichend fragte Montejo:

»Welche Kiste meint Ihr?«

»Ihr wißt, welche ich meine, Señor! ... Habt Ihr den Schlüssel?«

»Nein. Puerto Carrero hat ihn.«

»Man könnte ihn bestehlen. Er ist besinnungslos, sieht und hört nichts ...«

»Wer könnte ihn bestehlen? ...«

»Ei, auf die Matrosen ist kein Verlaß ... Ihr solltet den Schlüssel an Euch nehmen!«

Entgegen ausdrücklichem Verbot hatte Alaminos die Capitana dicht an Kuba vorbeigesteuert, und als Mariel, das Landgut des Montejo, in Sicht kam, war der willensschwache Montejo der Versuchung erlegen, einen verräterischen Brief durch den Matrosen Pedro de la Harpa an Land zu senden.

Seitdem wußte Alaminos, wie leichtes Spiel er mit diesem Falschspieler hatte.

Vom Schlüssel und der Kiste wurde an jenem Abend nicht mehr geredet. Alaminos ließ das Gespräch fallen, und Montejo zeigte keine Lust, es wieder aufzugreifen.

Gegen Abend langte die Capitana im südspanischen Hafen San Lucar an. Ockerfarben durchleuchtet, schwankten die dreieckigen Segel der zahllosen Fischer- und Hafenboote im Goldschimmer des Sonnenuntergangs, es war zu spät, die Kisten Montezumas auszuschiffen. Puerto Carrero und Montejo beschlossen, die erste Nacht noch an Bord zu schlafen. Doch ließen sie sich ausbooten – Puerto Carrero, um eine kleine Karawane von Reit- und Lasttieren zu dingen, – Montejo, um nach Freunden oder Kurtisanen Umschau zu halten.

Während sie am nächsten Morgen eben mit der Ausschiffung beginnen wollten, kamen Offiziere und bewaffnete Soldaten an Deck. Böses ahnend, eilte Puerto Carrero in seine Kajüte, um wenigstens den Brief des Cortes in Sicherheit zu bringen. Doch er fand den Brief nicht.

Die mit Montezumas Geschenken gefüllten Kisten wurden beschlagnahmt. Das geschah auf Befehl des Leiters der indianischen Angelegenheiten, des Bischofs von Burgos, Don Juan Rodriguez de Fonseca: zwei Tage vor Puerto Carrero war des Gobernadors Diego Velazquez Hauskaplan Benito Martin auf einem Rennschiff aus Kuba in San Lucar angelangt und hatte mit dem Bischof konferiert. Haßte Diego Velazquez Cortes, so haßte Fonseca nicht weniger Puerto Carrero, weil dieser vor Jahren seine, des Bischofs, Nichte – eine verheiratete Frau – in die Neue Welt entführt, die Sippe der Fonsecas verunehrt hatte.

Erst vierzehn Tage nach der Beschlagnahme der Goldkisten wurde den beiden Hauptleuten in Sevilla die mehrmals vergeblich erbetene Audienz bewilligt. Nicht als Angeklagter, sondern als Ankläger, stolz im Bewußtsein seines gekränkten Rechtes, betrat Puerto Carrero den Bischofspalast. Er und Montejo wurden in einen weißgetünchten Saal mit Kreuzgewölbe und geschweiften Fenstern geführt, wo allerhand Volk, Bittsteller und Besucher umhersaßen. Ein gebücktes Männchen mit fächerartigem Silberbart, kräftiger Nase, hoher Stirn und gütigen, glanzigen, wissenden Greisenaugen ging durch den Saal – es war Petrus Martyr, das gelehrte Mitglied des Indienrates. Er begrüßte Puerto Carrero, zog ihn in eine Ecke, wo sie unbelauscht flüstern konnten.

»Seid auf der Hut ... Der Bischof ist erbost.«

»Warum?«

»Weil er für seine Gewalttat einen nachträglichen Grund sucht. Er hat alle Stimmen des Indienrates – außer der des Lizentiaten Nuñez und meiner ...«

»Wollen die Herren das Gold teilen?«

»Nein. Das behält Fonseca. Aber Diego Velazquez war freigebig. Er schenkte dem Patriarchen beider Indien achthundert Sklaven! Lope Conchillos, der bereits elfhundert Indianer besitzt, erhält hundertfünfzig dazu, de Vega dreihundert, der Lizentiat Mojica zweihundert ...«

Das Gespräch wurde abgebrochen, da der Bischof die beiden Hauptleute hereinbitten ließ.

Das Arbeitszimmer Fonsecas war ein enger, dunkler, einfenstriger Raum. Mattgolden die Balkendecke, mattgolden die Ledertapete. An der Wand ein kleines Madonnenbild, von Jahrhunderten braun gebeizt, mit dunkelrot glimmendem Lämpchen davor. Navigationskarten und ein elfenbeinernes Kruzifix auf dem Tisch, auch etliche Schweinslederbände – verstaubt und unberührt, da der ebenso träge wie ungebildete Prälat nie zu lesen pflegte.

Das einzige, an der Südseite gelegene Fenster war durch einen gelben Damastvorhang verdeckt, auf den die Sonne brannte. Fonseca saß dicht am Fenster, und zwar so, daß seine Besucher, geblendet vom Lichtschein, nur undeutlich seine Silhouette vom Vorhang sich abheben sahen, während er in der Lage war, ihre Gesichtszüge scharf zu beobachten. Der Bischof war ziemlich groß, schwer, grobschlächtig, hatte ein froschartig zusammengedrücktes, bartloses Gesicht, eine Plattnase, eine niedrige Stirn. Trotz seines bäurischen Äußern konnte er auf Fremde den Eindruck eines weltgewandten, leutseligen, zuvorkommenden Mannes machen.

Außer ihm war nur der Sekretär des Indienrates, Lope Conchillos, anwesend. Hochgewachsen, schlank, das gutgeschnittene lange Gesicht von hellbraunem Spitzbart umrahmt, trug er sich mit frauenhafter Eleganz. Auffallend waren seine leichenhaften, ringbedeckten Spinnenfinger. Wenn er sprach, begleitete er jeden Satz mit einem Lachen, das wie ein Meckern klang.

Puerto Carrero und Montejo wurden mit übertriebener Herzlichkeit empfangen. Fonseca wies auf zwei Stühle und ersuchte sie, Platz zu nehmen.

»Habe ich euch endlich hier, meine Lieben! Wie habe ich mich darauf gefreut, euch zu sehen!« rief er gutmütig aus. »Das könnt Ihr bestätigen!« fuhr er fort, sich an Conchillos wendend.

Conchillos bestätigte es durch eine stumme Verbeugung und meckerte.

Vor Staunen vermochte Puerto Carrero kein Wort hervorzubringen.

»Warum seid ihr nicht gleich den ersten Tag zu mir gekommen, meine Lieben?« fuhr Fonseca fort. »Ihr habt den Grafen Altamira, Oriston und Syrnela eure Aufwartung gemacht – mich aber habt ihr übergangen!«

Puerto Carrero nagte an seiner Unterlippe. Dieser Spaßmacher im Bischofsornat wußte also von seinen vergeblichen Gängen und Bemühungen, verhöhnte seine Machtlosigkeit ... In bescheidenem Tone bemerkte der Hauptmann, daß er mehrmals um die Audienz gebeten habe.

»Ist das möglich! Warum weiß ich das nicht? Und jetzt erst erfahre ich das!« grinste Fonseca. »Ja, so geht es uns Großen: wir sind Knechte der Dienerschaft! ... Doch erzählt, ihr habt viel zu erzählen! Ihr kommt aus dem Lande, wo man die Goldklumpen mit Netzen fischt! Beneidenswerte ihr! Da sitzt ihr vor mir, leibhaftige Zeugen einer Fabelwelt! ... Erzählt! Ich will euch lauschen, als wärt ihr Märchenerzähler!«

Es kostete Puerto Carrero viel Überwindung, mit dem Bericht zu beginnen. Er hatte Grund anzunehmen, daß der Bischof die beiden abhanden gekommenen Schriftstücke in Besitz hatte und mit ihrem Inhalt vertraut war. Wozu also die possenhafte Neugier?

Ohne zu lügen, stellte Puerto Carrero Cortes ins günstigste Licht, er sah ihn und seine Taten mit Freundesaugen. Über die Mißhelligkeiten mit Diego Velazquez und dessen Anhängern glitt er hinweg, berührte nur streifend die Kämpfe bei Tabasco, die Landung, das Lagerleben an den Sanddünen, die Gründung von Vera Cruz und wurde erst ausführlich, als er vom Besuch der Abgesandten Montezumas, Staub-Aufwirbler und Schwelendes Holz, erzählte und von der aus feinstem Gold gestanzten Sonnentafel, der silbernen Mondtafel und all den andern Kleinodien, welche er und Montejo dem Kaiser Don Carlos zu überbringen beauftragt seien ...

Hier unterbrach ihn Fonseca und fragte mit jovialer Verschmitztheit:

»Wo ist die goldene Sonne? Wo ist der silberne Mond? Und die anderen Kleinodien, wo sind sie? Kann man sie nicht besichtigen? Bringt sie doch her, daß wir sie bewundern!«

Und zu Conchillos gewandt, fragte er:

»Meint Ihr nicht auch, Don Lope, daß der Indienrat dies Gold gern sehen würde?«

»Ich fürchte, der Indienrat wird von diesem Gold nicht viel zu sehen bekommen!« meckerte Conchillos.

Ratlos blickte Puerto Carrero nach Montejo hin und wunderte sich, daß jener des Bischofs teuflischen Humor gleichmütig hinnahm. Er selbst hatte sich nicht mehr in der Gewalt.

»Ich bitte Vuestra Merced um Verzeihung«, sagte er erregt zum Bischof, »doch ist mir's unerfindlich, wie ich die Kleinodien herschaffen soll, da Ihr selbst sie beschlagnahmt habt!«

»Ich, Señor? Das muß ein Irrtum sein!«

»Nach unserer Ankunft betraten Offiziere das Schiff und holten die Kisten ab, welche die Geschenke Montezumas und Briefe Don Hernandos und des Heeres an Seine Majestät enthielten. Die Offiziere wiesen einen schriftlichen Befehl vor, unterschrieben von Don Juan Rodriguez, Bischof von Burgos!«

»Schau einer an! Gibt es einen zweiten Bischof von Burgos? Ich möchte wissen, wie der Kerl ausschaut! Ihr seid Beutelschneidern in die Hände gefallen, meine Herren! Das soll untersucht werden! ... Nun aber wollen wir von den Briefen reden. Davon habt ihr vorhin nichts erwähnt. Warum schrieb das Heer an Seine Majestät?«

Puerto Carrero gab Auskunft.

Der Bischof suchte unter den Papieren auf dem Tisch und hob ein Schreiben empor.

»Ist dies der Brief?« fragte er mit zynischer Lustigkeit.

Erstarrt, angeekelt, antwortete Puerto Carrero nicht. Montejo, der bis dahin geschwiegen hatte, antwortete für ihn, bejahte.

Plötzlich, ganz unvermittelt, verfinsterte sich Fonsecas Gesicht, wurde dunkelrot.

»Was diese Rebellen da schreiben, ist alles Lüge!« schrie er in rüdem Ton. »Wißt Ihr das, Señor?«

»Ich weiß und bezeuge, daß es Wahrheit ist!« erwiderte Puerto Carrero. »Mein mündlicher Bericht deckt sich mit dem Inhalt dieses Schreibens!«

»Schaut mir doch den Narren an!« brüllte Fonseca. »Die Wahrheit ist, daß Ihr Flausen erzählt habt, Señor! Wir kennen Eure Schliche!«

»Ich bitte, Hochwürdigster, nicht zu vergessen, daß Ihr zu einem Ehrenmanne sprecht!«

»Ihr ein Ehrenmann?! ...« Der Bischof lachte wild auf. »Was heutzutage nicht alles ein Ehrenmann sein will! Man ist ein Schuft, ein Ehebrecher, ein Frauenjäger – und man rühmt sich, ein Ehrenmann zu sein! Meine Nichte wurde verführt, in die weite Welt entführt, ist verdorben und gestorben – aber Ihr seid ein Ehrenmann! Und Ihr legt Zeugnis ab! ... Nun, Señor, bessere Zeugen als Ihr werden Euer Zeugnis zuschanden machen!«

Fonseca gab Conchillos ein Zeichen.

»Ruft sie, Don Lope!«

Conchillos öffnete eine kleine Tapetentür. Der Kaplan Benito Martin und Anton de Alaminos traten ein.

Erblaßt war Puerto Carrero. Seine schwermütigen Blicke maßen den Obersteuermann vom Scheitel bis zur Sohle, hefteten sich dann an seine Augen, ließen nicht ab von seinen Augen.

Der Bischof wurde wieder leutselig.

»Wir haben die Hälfte einer anmutigen Reisebeschreibung gehört«, sagte er zu Alaminos. »Nun laßt mich die andere Hälfte hören!«

Alaminos trug eine gut vorbereitete Anklagerede vor. Durch Bestechungen habe Cortes das Heer abspenstig gemacht, die Anhängerschaft Don Diegos vergewaltigt, den Steuermann Cermeño und den Büttel Escudero hängen, dem Steuermann Gonzalo de Umbria die Füße abhauen lassen. Himmelschreiend sei der Justizmord. Unter den Hauptleuten aber, die das Bluturteil gesprochen, habe sich Puerto Carrero befunden.

Vom Bischof aufgefordert, ergänzte Benito Martin den Bericht und erwähnte, daß sogar mit einem Geistlichen, dem Lizentiaten Juan Diaz, standrechtlich verfahren wurde, – nur auf Bitten und Einspruch des Paters Olmedo sei der Lizentiat begnadigt worden.

Die wenigen Worte des Kaplans machten einen tieferen Eindruck auf Puerto Carrero als die maßlose Anklage des Alaminos. Der Kaplan beobachtete das und sagte zum Hauptmann:

»Ihr scheint Euch zu wundern, daß ich über Geschehnisse aussage, die ich nicht mit eigenen Augen gesehen habe. Ich will Euch aufklären. Als Ihr jüngst an Kuba vorbeisegeltet, erhielt Don Diego ein Handschreiben ...« »Von wem?«

»Vom Hauptmann Montejo!«

Eine Weile schwiegen alle. Montejo schrumpfte sichtlich zusammen. Puerto Carrero stand noch immer aufrecht da, doch längst hatte er den Kampf aufgegeben. Der Bischof schmunzelte.

»Ihr dürft gehen, meine Herren!« sagte er zu den beiden Hauptleuten. Und er reichte ihnen seine plumpe, mit weißledernem Handschuh bedeckte Hand zum Kuß hin – am behandschuhten Mittelfinger blitzte ein klobiger Smaragdring –, und bekreuzigend erteilte er den bischöflichen Segen.

Die beiden Hauptleute schritten wieder durch das Wartezimmer. Da kamen ihnen ein Offizier und drei Hellebardiere entgegen.

»Euren Degen, Señor!«

»Señor, ich denke nicht an Widerstand, doch will ich wissen, was der Grund meiner Verhaftung ist!«

»Ehebruch!« antwortete der Offizier.

Da lieferte Puerto Carrero seinen Degen ab und ließ sich abführen.


Jener katatonische Kaufmann, der in Bordeaux Avila besucht hatte, überbrachte dem Herzog von Bejar außer des General-Kapitäns zweitem Brief an den Kaiser auch die Nachricht, daß anderthalb Jahre früher Cortes einen ersten Brief mit den Geschenken Montezumas durch Puerto Carrero und Montejo nach San Lucar geschickt hatte. Dank sofort angestellten Nachforschungen glückte es, Puerto Carrero ausfindig zu machen. Seine Freilassung wie auch die Herausgabe des mexikanischen Goldes erwirkte der Herzog, ohne den Bischof bloßzustellen. Mochte Fonseca aus politischen Gründen, um seinem Freunde Diego Velazquez (der damals mit den achtzehn von Panfilo de Narvaez geführten Schiffen Cortes in den Rücken fallen wollte) Zeit zu lassen, Puerto Carrero kaltgestellt haben – seine Angabe, es sei einer Familienfehde wegen geschehen, ließ sich nicht widerlegen. Und auch für die Zurückhaltung des Goldes – von dem freilich ein beträchtlicher Teil eingeschmolzen und unauffindbar war – konnte man die Entschuldigung gelten lassen, daß der junge Kaiser sich lange Zeit in Flandern aufgehalten habe, bevor er nach Tortesillas kam.

Die mexikanischen Kleinodien machten am spanischen Hofe ungeheures Aufsehen. Seit drei Jahrzehnten wartete man vergeblich auf die Kunde, der allabendlich in den Felsensee hinabsteigende vergoldete König – El Dorado – sei gefunden. Enttäuscht hatten die Entdeckungen des Columbus, enttäuscht auch alle späteren Entdeckungen auf der westlichen Hemisphäre. Elend, krank und meist ebenso arm wie sie hinauszogen, kehrten die Kolonisten in die Heimat zurück; durch die Silbergruben Haitis wurden nur einige Bevorzugte bereichert. Jetzt aber beim Anblick der Goldschmiedearbeiten, Zeugnisse eines ungeahnten Reichtums und der Kunstfertigkeit hochstehender Kulturvölker, dämmerte den Granden Spaniens die Bedeutung auf, die ein nach Europa geleiteter Goldstrom für die Kultur, die Wirtschaft und die künftigen Kriegsverwicklungen der Alten Welt haben konnte ...

Der kaum erst mündig gewordene, die Welt noch schüchtern abtastende Kaiser begriff das so gut wie seine Umgebung. Doch ihm fehlte es an Zeit: er mußte nach Worms, den in Wittenberg aufgezüngelten Weltbrand löschen. Am selben Tage, an welchem er Puerto Carrero in Audienz empfing und den zweiten Brief des Cortes las, ließ er sich aus der Casa de Contratation die vom Kaplan Benito Martin verfaßte Anklageschrift vorlegen, worin im Namen des Gobernadors von Kuba die Todesstrafe für Hernando Cortes beantragt war. Die Lober und Tadler widersprachen sich allzusehr. Den Knäuel entwirren konnte er im Augenblick nicht und wollte ihn nicht kurzerhand durchschneiden. So verschob er denn die Entscheidung bis nach seiner Rückkehr aus Worms. Aber er gab dem Indienrat die Weisung, einen Ober-Rechnungsführer zur Wahrung der Ansprüche der Krone nach Mexico zu entsenden.

Im Indienrat war der Patriarch beider Indien, Fonseca, allmächtig. Seine Wahl fiel auf Juliano de Alderete, einen seiner Nepoten. Er gab ihm eine Urkunde mit, die ihn als vom Kaiser ernannten Ober-Rechnungsführer beglaubigte. Außerdem übergab er ihm ein Patent, von welchem Cortes zunächst nichts erfahren durfte. Das Patent ermächtigte Alderete, gegebenenfalls Cortes und seine Feldobristen in Ketten zu legen und sie als Hochverräter abzuurteilen.


Obgleich Cortes vom Patent nichts wußte, durchschaute er gleich bei der ersten Begegnung vor den Toren Tezcucos, daß dieser glatte Hofmann seine Karten nicht aufdeckte. Cortes spürte eine ungreifbare, unsichtbare Gefahr und beschloß sie zu bannen durch seine nie versagende Liebenswürdigkeit, mit welcher er schon manchen Gegner eingelullt und eingefangen hatte. War ihm ein lästiger Aufpasser zur Seite gestellt, so wollte er fortan von jenes Seite nie weichen, des Aufpassers Aufpasser werden ...

Er wurde durch Marina in seinem Argwohn bestärkt. Alderete zog sich die Abneigung Marinas gleich am ersten Tage zu, als er, bald nach seiner Ankunft im Schneckenhaus-Palast, durch die Prachtsäle und den Schloßgarten umhergeführt wurde.

Am Rande eines Fischteiches, unter dem Schattendach dunkler Acxoyatl-Lorbeerbäume hatte sich Marina mit ihrem bald schon einjährigen Sohne gelagert, umringt von ihren Frauen wie eine Fürstin. Frater Aguilar war vorbeigekommen und hatte sich, von ihr aufgefordert, zu ihr auf den rasenbewachsenen Teichdamm gesetzt. Sie fragte ihn aus nach Maisblüte. Seit der Ermordung Gallejos und der Entführung der Königin durch Estevan Parillas hatte Marina ihre Freundin nicht wiedersehen dürfen: Olid litt nicht, daß Maisblüte Besuch empfing. Bloß Aguilar hatte als Geistlicher Zutritt zu ihr. Unter dem Vorwand, er wolle die Heidin bekehren, hatte er sich die Erlaubnis, ihr Zuspruch zu erteilen, erbeten und vom launischen Olid, der ihm seine Vorwürfe während des Gemetzels bei der Pyramide Cholulas nachträglich mit herablassendem Wohlwollen vergalt, bereitwilligst gewährt erhalten. Marinas wegen nahm er sich so der Königin an. Hatte doch Marina sich das Versprechen von ihm geben lassen, daß er alles tun werde, um Maisblüte ihr schweres Los zu erleichtern, daß er jeden Wunsch der noch immer Stummen ihr von den Augen ablesen und erfüllen werde. »Alle Wohltaten, Frater, die Ihr der Königin erweist, erweist Ihr mir!« waren Marinas Worte gewesen. Unauslöschlich flammten diese Worte in seiner Seele. Er durfte der Geliebten Gutes tun, ohne daß sie sich gekränkt fühlte! Und auch das beseligte ihn, daß er nun öfters Anlaß hatte, sie anzureden, ihr von Maisblüte zu erzählen.

Außer von Maisblüte sprach er ihr zuweilen auch von seinen kühnen Träumen, Cortes müsse und werde den Bund mit ihr kirchlich segnen lassen. Was er in Vera Cruz vom Führer des dritten Garay-Schiffes Alvarez Pineda (bei dem er einst Hausgeistlicher gewesen war) über die Krankheit der Doña Catalina erfahren hatte, war nicht lange sein Geheimnis geblieben. Zwar hatte er sich vorgenommen, es Marina zu verheimlichen, um sie vor der Gedankensünde zu bewahren, welche er sich selbst mit verfeinerter Selbstquälerei zur Schuld anrechnete. Seitdem war Pineda mit Olid nach Tezcuco gekommen und erzählte hier mit dürren Worten, die Gemahlin Don Hernandos könne schwerlich mehr am Leben sein, denn als seine Karavelle aus Kuba absegelte, hätten die Ärzte erklärt, sie habe keine drei Wochen mehr zu leben ...

Auch Marina kam es zu Ohren. Obgleich sie annehmen mußte, daß Cortes darum wisse, stellte sie an ihn keine Frage. Sie fragte Aguilar, ob es wahr sei. Da konnte er es nicht ableugnen.

Mehr als ein halbes Jahr war seit der Ankunft der Garay-Schiffe vergangen. Die Frist von drei Wochen war längst abgelaufen. Trafen von neuem Schiffe in Vera Cruz ein, so geistere jedesmal ein stummes banges Fragen in Marinas Augen und Aguilars Blicken umher. Was sie sprachen, sagte nichts. Schutz vor bösen Gedanken suchten sie hinter leeren Worten ...

Monjaraz hatte die Todesnachricht nicht gebracht. Ob der eben erst angelangte Alderete sie bringen werde, war ungewiß, man wußte nicht einmal, ob seine Karavelle, von Europa kommend, Kuba angelaufen habe.

»Daß das arme Wesen sich so quälen muß!« sagte Aguilar.

»Kanntet Ihr sie, Frater?«

»Nein ... Ich habe mir erzählen lassen, sie sei ein niedliches eitles Ding gewesen. Don Hernando war eigentlich zu schade für sie ... Nun hat die Krankheit eine Märtyrerin aus ihr gemacht.«

»Ich bin keine Heilige ... Doch ich wünsche ihr alles Gute ...«

»Auch ich. Gott gebe ihr Genesung und Frieden! ...«

Beide logen und wußten, daß sie logen.


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